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Mörder und Gespenster – Band 1 – 6. Teil

August Lewald
Mörder und Gespenster
Band 1

Der Werwolf

Kapitel 6

Mühsam keuchte das Pferd den Abhang hinauf, ängstlich hob sich die Brust des Metzgers und selbst die wütige Frau, die ihn auf dem kurzen Weg mit Scherzen abzulenken versuchte, begann jetzt, bange und fragend nach ihm hinzublicken.

»Hörst du es heulen?«, wisperte der Mann und hielt das Pferd mit einem kräftigen Ruck an, sodass der Wagen eine Strecke zurückrollte.

»Es ist nichts«, erwiderte die Frau mit einem Ton, der ihre Ruhe ausdrücken sollte, doch das Gegenteil verriet, »es ist nichts, es kommt nur aus dem Wald dort – der Wind hat sich in der Schlucht verfangen.«

Darauf wurde das Pferd wieder angetrieben.

»Die arme Liese«, brummte der Metzger dazwischen, »es hat sich ihr etwas in den Weg gelegt, sie kann nicht weiter. Gott sei unserer Seele gnädig! Wenn wir nur schon beim Hexentanz wären – Gott sei bei uns – vorüber wären.«

»Peitsche die Liese nur richtig, damit wir schnell vorbeikommen«, bat die Frau.

Nun waren sie oben. Rechts am Weg lagen die unförmigen Massen des verrufenen Hexentanzes. Der Metzger hielt an und beide blickten scharf hin. Die graue Nacht erlaubte es jedoch nicht, die Gegenstände deutlich wahrzunehmen. Auf einem der Steinhaufen schien jedoch etwas Dunkles regungslos dazusitzen.

»Das ist der Werwolf«, flüsterte der Metzger seiner Frau zu. »Siehst du’s, das Ungetüm?«

»Ach ja, wohl«, versetzte die Frau zaghaft.

Ein langgedehntes Heulen schlug an ihr Ohr. Sie zitterten beide vor Frost.

»Im Namen Gottes und der Heiligen zugefahren!«, flehte die Frau, und mit dem Ruf Heiliger Johannes von Trost, bitte für uns! wollte der Metzger vorüberfahren.

Doch die entsetzliche Gestalt des Werwolfs erhob sich mit der Schnelligkeit eines Tigers von den Steinen und stand mitten im Weg, um den Wagen des Metzgers aufzuhalten. Mit seiner starken Tatze packte er das scheuende Pferd und donnerte: »Halt, oder du bist des Todes!«

Was blieb ihm anderes übrig, als dem Befehl Folge zu leisten?

»Wer sitzt bei dir im Wagen?«, fragte das Gespenst. »Warum kommst du nicht allein?«

Der Metzger wusste zu seiner Entschuldigung nichts anderes vorzubringen, als dass seine Frau bei einem der Klosterherren beichten wolle und ihn deshalb gebeten habe, sie zu begleiten. Zugleich machte er sich über die Fleischstücke her, um dem Werwolf seine gut bemessene Ration zu überreichen.

»Ich will dein Fleisch nicht haben«, rief Simon, der Werwolf, und eine fremdartige Bewegung wurde in seinem Ton bemerkbar. »Behalte dein Fleisch, aber gib mir deine Frau, sonst musst du sterben.«

Die Frau, die anfänglich von innerer Angst gerüttelt und geschüttelt worden war, saß nun bei diesem sonderbaren Begehren des Werwolfs starr und unbeweglich da. Sie blickte mit ihren schönen Augen so scharf nach ihm hin, als wollte sie die furchtbare Maske durchschauen, als wollte sie in seinen Augen lesen, die wie Sterne aus den tiefen Höhlen des ungezähmten Kopfes hervorglänzten.

Der Metzger stieß sie an und flüsterte ihr zu: »Hörst du denn, was er begehrt? Dich will er ja haben.«

Aber sie antwortete nicht und blieb starr und stumm an seiner Seite sitzen. Das arme Weib ist verzaubert, dachte der Metzger bei sich. Sie ist schon in den Klauen des Satans und für mich verloren.

»Wird’s bald, oder ich erwürge dich!«, schrie der Werwolf und sein langes Heulen begann wieder fürchterlich zu ertönen.

Was sollte der Metzger nun tun? Er packte seine Frau, die noch immer starr und bewegungslos an seiner Seite saß, um sie dem Werwolf wie ein Stück Fleisch zuzuwerfen. Allein dieser streckte die Arme aus, um das schöne Weib zu empfangen, das lautlos und ohne Klage alles mit sich geschehen ließ.

Dies überraschte den Metzger so sehr, dass er voller Entsetzen wie betäubt rücklings in den Karren zurückfiel. Der Wolfsschweif fuhr ihm über das Gesicht und fegte ihm Sand in die Augen. Der arme Mann lag lange und geblendet in halber Ohnmacht da.

Wie lange dieser Zustand gedauert hat, ist nicht zu bestimmen. Als er wieder zu sich kam, war es noch Nacht um ihn und er fand sich in seinem langsam dahinrollenden Wagen auf dem gewohnten Weg zum Kloster, den sein kluges Tier auch ohne ihn eingeschlagen hatte.

Nachdem er vollkommen zur Besinnung gekommen war, hielt er das Pferd an und horchte lange und aufmerksam. Allein still war die Nacht ringsum, und weder das Geschrei seiner Frau noch das Heulen des Wolfs drang in seine Ohren.

Verstörter als je zuvor erschien er im Kloster. Man war es inzwischen gewöhnt, den Mann seit mehreren Wochen so zu sehen, und schob diesen Zustand auf häuslichen Kummer, wie ihn ein alternder Mann, der ein junges Weib freit, wohl hin und wieder erfahren kann. Man fragte ihn deshalb um nichts, und da ihn seine Ungeduld mächtig trieb, war er bald wieder auf dem Weg in sein Dörfchen.

Der Morgen hatte längst zu grauen begonnen, als der Metzger vor seinem Haus hielt. Er ließ das Pferd nicht ausspannen und gab seinem ersten Knecht den Befehl, auf den Markt zu fahren, da er sich erkältet habe und zu Hause bleiben wollte. Die Unruhe, das Schicksal seiner Frau zu erfahren, ließ ihm keine Ruhe. Er fragte nicht nach ihr, denn er wusste ja, dass ihm niemand Auskunft geben könnte. Er wollte abwarten, bis der Werwolf sie ihm zurückbringen würde. Was aber, wenn dies nie erfolgte? Wie sollte er die Anzeige den Gerichten machen? Würden diese seiner Aussage Glauben schenken? Würden sie ihn nicht vielmehr eines Verbrechens für schuldig halten, als habe er aus Eifersucht oder in Jähzorn seine Frau ermordet? Und welche Rache dürfte der Werwolf an ihm nehmen, wenn er den Gerichten von seinem nächtlichen Abenteuer mit ihm Mitteilung machte? Diese Gedanken folterten ihn schon während des Rückwegs und hatten den höchsten Grad von Seelenschmerz in ihm erregt, als er seine Schwelle betrat. Er steckte zwischen zwei Feuern und war ein verlorener Mann, das sah er ein.

Schon streckte er die Hand nach der Klinke aus, als ihm plötzlich der Gedanke kam, den Werwolf in seiner Hütte aufzusuchen und ihn um Gnade anzuflehen. Er wollte seinen Wohlstand mit ihm teilen, um in die Welt zu ziehen und sich einen anderen Wohnsitz zu suchen, wo er ein glücklicheres Leben beginnen könnte, da man sein finsteres Treiben dort noch nicht kannte. Er hatte die Haustür bereits erreicht, als er sich wieder besann und den Besuch bis zum Abend verschob, um den Leuten keine Veranlassung zu geben, Argwohn zu schöpfen. Er fasste sich daher ein Herz und schritt mit dem Stoßseufzer Wie Gott will! schnell wieder auf seine Stube zu. Er riss die Tür auf und trat ein. Doch dann erstarrte er, denn er sah seine Frau im Bett liegen. Sie trug das weiße Häubchen, als hätte sie die ganze Nacht sanft und ruhig geschlafen.

Er war nicht imstande, die gehörige Fassung zu gewinnen und den Morgengruß zu erwidern, den sie ihm mit etwas angegriffener Stimme, sonst aber freundlich, bot. Still näherte er sich dem Lager und besah sich seine Frau, soweit dies möglich war, mit ängstlicher Miene. Sie streckte ihm erst die eine, dann die andere Hand entgegen. Weder diese noch der schöne entblößte Arm, weder das Gesicht noch der Hals und Busen zeigten irgendeine Verletzung; sie war weder gebissen noch gekratzt; die Tatzen des Wolfes mussten sich in Samtpfötchen verwandelt, sein furchtbares Gebiss sich mit weichen Lippen umzogen haben. Nur etwas bleicher als sonst war die gute Frau. Was hatte der Werwolf mit ihr vorhaben müssen?

Nachdem das erste Staunen des Mannes vorüber war, wagte er, eine Frage zu stellen, dann eine zweite und schließlich eine dritte. Die Frau wusste auf keine eine Auskunft zu geben. Besinnungslos hatte der Werwolf sie fortgeschleppt und sie wusste nicht, wie sie nach Hause gekommen war. So viel indes versicherte sie, dass sie außer Ermattung kein Übel verspüre.

Dieser Zustand der Dinge beruhigte den Metzger keineswegs, sondern nahm vielmehr seine ganze Seele in Anspruch. Die Sache war zu rätselhaft, als dass ihm der glückliche Ausgang des Abenteuers besondere Freude hätte machen sollen. Die Frau versuchte, seine Grillen – wie sie es nannte – zu zerstreuen, doch es wollte ihr nicht gelingen. Der Mann ging nachdenklich in seinem Garten spazieren und wälzte Pläne und Vorsätze in seinem Kopf hin und her. Sich von den lästigen, wenn gleich – wie er nun wohl einsah – nicht gefährlichen Anfällen des Werwolfs für immer zu befreien, ohne sein Leben und Gut der Zaubermacht desselben Preis zu geben, war die Aufgabe. Niemand konnte ihm besseren Rat hierzu erteilen als ein Mann, der mit dem Göttlichen verkehrte, der dem Himmel näher stand als er, ein Geistlicher. Im Kloster wagte er es jedoch nicht, anzufragen. Aufrichtig gesagt, erschienen ihm die Herren nicht heilig genug. Seine Gedanken richteten sich daher auf den alten Pfarrer eines benachbarten Dorfes, der, wie er wusste, sich viel mit tiefen Forschungen abgegeben hatte, Heilkunde trieb und darin fast Wunderartiges bewirkt hatte. Er kannte die geheimsten Kräfte der Natur und gehörte, wie sich von selbst versteht, nicht zu den sogenannten Aufgeklärten. Dieser Mann schien ihm geeignet, ihn aus seiner Bedrängnis zu ziehen. Wenn dieser es nicht konnte, so musste er harren, dulden und untergehen, das stand für ihn fest. Noch am selben Nachmittag machte er sich auf den Weg, um den alten Pfarrer aufzusuchen.

Mit ruhiger, etwas sarkastischer Miene hörte der Gelehrte der Erzählung zu. Er hatte die Art und Weise aller gescheiten Leute, den Erzähler ausreden zu lassen. Dieser ließ es nicht an Erörterungen und Aufklärungen der rätselhaften Tatsachen fehlen und verhehlte nicht, dass er sich zwar nicht an Simon rächen wollte, aber im Sinn hatte, ihm einen derben Possen zu spielen.

Der gelehrte Pfarrer war nicht sofort mit einem Rat zur Hand. Er bat seinen Gast, bei ihm zu verweilen, und setzte ihm Wein und Brot vor. Währenddessen schickte er sich an, in einigen alten Folianten zu blättern, um, wie er sagte, etwas Angefangenes zu Ende zu bringen. Der Metzger war der Meinung, der Pfarrer befrage geheimnisvolle Bücher über sein Anliegen, und dies erfüllte ihn mit Ehrfurcht. In Wahrheit schützte der Pfarrer jedoch nur das Geschäft vor, um ungestört und ohne das Dazureden des Metzgers über den Fall nachzudenken.

Nach einiger Zeit erhob sich der Pfarrer endlich aus seinem Stuhl und legte langsam Brille und Foliant beiseite.

»Ich habe nunmehr meine Arbeit vollendet und will Euch einen Rat erteilen«, begann er. »Die Natur der Werwölfe ist eigen. Töten darf man sie nicht. Es ist mit ihnen wie mit den Vampiren. Sie beleben sich zu gewissen Zeiten und wandeln dann als ärgere Plage der Menschen umher. Verwundet man sie hingegen und verstümmelt sie an einem empfindlichen Teil ihres Körpers, so sind sie gezwungen, den Ort zu verlassen, an dem ihr Blut geflossen ist. Sie dürfen nie mehr dorthin zurückkehren und müssen sich einen anderen Wohnsitz suchen. Ist Euer Nachbar Simon wirklich ein Werwolf oder treibt er mit Eurer Furcht nur einen abscheulichen Frevel, um seine schändlichen Zwecke zu verfolgen – was bis jetzt noch nicht klar zu ermitteln ist –, so werdet Ihr auf jeden Fall Euren Zweck erreichen, wenn Ihr nach meiner Vorschrift handelt. Der Werwolf Simon muss Ihre Nähe meiden und Sie fortan in Ruhe lassen. Der Betrüger Simon wird durch seine Verstümmelung Ihre Anklage gegen ihn selbst unterstützen und dem Recht verfallen. Handelt daher mutig und besonnen. Wenn er Euch wieder auf Eurer nächtlichen Fahrt entgegentritt, so verseht Euch mit einer scharfen Waffe und sucht ihm das Gesicht zu zeichnen, oder haut ihm die Tatze ab. Führt den Hieb aber gut aus; es muss Blut fließen, sonst seid Ihr verloren.

Mit diesem Bescheid sehen wir den Metzger ziemlich zufrieden von dannen ziehen.

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