Führer durch die Sagen- und Märchenwelt des Riesengebirges 22
Max Klose
Führer durch die Sagen- und Märchenwelt des Riesengebirges
Mit zahlreichen Abbildungen aus dem Riesengebirge
Verlag von Brieger & Gilbers. Schweidnitz (Świdnica). 1887.
Überarbeitete Fassung
10. Der Mord in der Burgkapelle
Unter den schauerlichen Geschichten der Gröditzburg nimmt der Mord in der Burgkapelle eine hervorragende Stelle ein.
Als vor vielen hundert Jahren eine Burgherrin Witwe geworden war und nur ein einziges Töchterchen, also keinen männlichen Erben, besaß, drängten sich viele Ritter heran und warben um sie. Von allen Freiern bevorzugte sie den Ritter Georg von Waldeichen und wählte ihn zum Gemahl. Nach Jahresfrist schenkte sie demselben ein Töchterchen, welches den Namen Elfriede erhielt und mit der zwei Jahre älteren Schwester Agnes heranwuchs. Da gewahrte der Ritter, dass seine Stieftochter schöner sei als sein leibliches Kind und ergrimmte darüber. Er warf die Mutter der schönen und frommen Agnes in ein Verlies unter dem alten Turm und verbreitete das Gerücht, dass dieselbe gestorben sei. Die schöne Agnes verheiratete er aber an einen jungen Ritter aus der Umgegend, weil er sie aus den Augen haben wollte. Zu beiden Handlungen hatte Elfriede den Vater verleitet, der nur zu gern deren falschen Beschuldigungen Glauben geschenkt hatte. Als nun das böse Edelfräulein aber sah, dass Agnes glücklich mit ihrem Gatten lebte, beneidete sie dieselbe und verliebte sich in den Schwager. Um aber diesen ehelichen zu können, befahl sie zwei Knappen, die fromme Agnes in der Burgkapelle zu ermorden, wenn sie bete. Diese aber weigerten sich, die Edeldame zu töten, und Elfriede stieß ihrer Schwester selbst vor dem Altar den Dolch in die Brust. Bald darauf sollte ihre Hochzeit mit dem geliebten Schwager gehalten werden. Es fehlte dabei aber eine adelige Schleppenträgerin und sie überredete ihren schwachen Vater, ihre eigene Mutter dazu zu zwingen, die noch im Burgverlies schmachtete. Schon wähnte sich die herzlose Elfriede am Ziel ihrer Wünsche; schon nahte sich der Hochzeitszug der Kapelle, da schmetterte sie ein Blitzstrahl zu Boden und ihr Geist sitzt nun wehklagend nachts unter der großen Linde am Burgberg oder schleicht um die Burgkapelle.
Der Ritter von Waldeichen erkannte aber sein großes Unrecht, nahm seine Gemahlin wieder auf und lebte noch lange Jahre in Glück und Freude mit ihr. Für die entweihte Burgkapelle erbaute der Burgherr auf der Südostseite des Berges eine Kirche, die er seinem Schutzpatron St. Georg weihte.
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