Detektiv Nobodys Erlebnisse und Reiseabenteuer Band 1 – Teil 10
Detektiv Nobodys Erlebnisse und Reiseabenteuer
Nach seinen Tagebüchern bearbeitet von Robert Kraft
Band 1
Kapitel 2, Teil 5
Wir wollen nicht dabei sein, wenn Nobody noch angesichts der Leiche seine Erklärung gibt. Wir fassen alles kürzer zusammen.
Slackjaw – seinen richtigen Namen kannte man gar nicht – war schon seit mehreren Jahren in Costenobles Lagerschuppen als Arbeiter beschäftigt. In England gibt es keine Arbeitsbücher und dergleichen, so wenig wie eine polizeiliche Anmeldung. Obwohl er regelmäßig montags und manchmal auch dienstags blau machte und einmal wegen einer Prügelei oder eines in der Trunkenheit verübten Unfugs für eine ganze Woche hinter Schloss und Riegel saß, hatte er seinen Posten immer behalten. Denn sonst war er ein recht anstelliger Bursche. Wenn im Lagerraum eine große Kiste verstaut werden musste oder der Aufseher sein Notizbüchlein verlegt hatte, wurde Slackjaw gerufen. Er fand immer alles, brauchte gar nicht erst zu suchen und wusste alles. Trotz seiner von Leidenschaften entstellten Physiognomie und seines tückischen Blickes war er immer ehrlich und verträglich mit seinen Kameraden gewesen.
Die Detektive, die sich für solche Physiognomien interessieren, kennen ihre Kunden. Wenn Slackjaw wieder einmal wegen Trunkenheit eingesperrt war, besuchten sie ihn gern in seiner Zelle und nahmen das Verbrecheralbum mit. Wenn man nur genau gewusst hätte, wo er sich früher aufgehalten hatte, denn er hatte sicher schon manches auf dem Kerbholz!
Doch es gelang nicht, in dem geriebenen Burschen einen alten Bekannten wiederzufinden.
Dass er seit fast drei Wochen verschwunden war, war der Polizei bekannt, aber sie kümmerte sich nicht weiter darum. Slackjaw war jedenfalls in seinen alten Lebenswandel zurückgefallen.
Nun war er tot und konnte nicht mehr erzählen. Was folgt, ist lediglich eine Kalkulation Nobodys, die auch jeder andere der Herren hätte aufstellen können, ohne besonderen Scharfsinn zu besitzen.
Der eherne Kriegsgott besaß also eine Vorrichtung, um ins Innere zu gelangen. Die bewegliche Helmkuppel drehte eine im Inneren befindliche Eisenstange, die unten einen Querstab oder einen großen Riegel hatte. Lag der Riegel auf der Platte, die die Öffnung unten verschloss, konnte die Platte weder gehoben noch sonst bewegt werden. Das Ganze war so genau gearbeitet, dass man vom Deckel gar nichts merkte. Wurde der Riegel zurückgeschoben – wozu der Mechanismus des Helmes aber ganz genau eingestellt werden musste –, so konnte die Platte mit leichter Mühe ins Innere gedrückt werden.
Der Zweck dieser Vorrichtung ist ganz klar. Die japanischen Priester trieben mit Hachiman eben ihren Hokuspokus. Das heißt, nun war es allen Herren ganz klar. Es sah sogar ganz so aus, als hätte auch der vorherige Besitzer des Kriegsgottes, Monsieur Delcassé, von dieser Vorrichtung nichts gewusst.
Slackjaw hatte den geheimen Mechanismus entdeckt, während der Götze im Lagerschuppen gestanden hatte. Auf welche Weise er ihn gefunden hatte, blieb sein Geheimnis. Das blieb das Geheimnis des Toten. Es könnte ein blinder Zufall gewesen sein. Slackjaw war aber auch ein Bursche, der überall herumspionieren und herumschnüffeln musste, und obendrein war er ein ganz pfiffiger Kopf.
Kurz und gut, er hatte eben diese geheime Vorrichtung entdeckt. Und nun mag in ihm gleich der Plan entstanden sein. Er hütete seine Entdeckung sorgfältig und beobachtete gespannt, ob die Platte auch einmal von jemand anderem gelüftet würde. Als Lostus Deacon den Götzen schließlich gekauft hatte und die eherne Figur genau untersuchte, ob der Guss gesprungen war, ohne den Mechanismus zu prüfen, war es ganz selbstverständlich, dass er auch nichts von diesem wusste.
Nun war Slackjaws Plan fertig. Wenn er sich nach einem Leben als Verbrecher vielleicht vorgenommen hatte, sich durch ehrliche Arbeit zu ernähren, so konnte er sich doch eine so günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen, mit einem Schlag ein reicher Mann zu werden.
Slackjaw war nämlich schon öfter in Deacons Wohnung gewesen. Er hatte Kisten hinbringen müssen und war bis in die Schatzkammern gelangt. Dort hatte er das Gold und die funkelnden Juwelen an den indischen Gewändern und Waffen gesehen. Wenn in diesem Distrikt fast jedes Kind die Gewohnheiten des alten Sonderlings kannte, dann Slackjaw umso mehr. Er war schließlich ein ehemaliger Einbrecher mit einer Vorliebe fürs Spionieren.
An jenem Tag, an dem Deacon den Götzen in sein Haus bringen lassen wollte, kroch Slackjaw mit einer Brechzange, die man später in seiner Tasche fand, sowie einer Flasche Schnaps und etwas zu Essen zu geeigneter Zeit in den metallenen Leib hinein und schob von innen den Riegel wieder über die Platte.
Nun kam es darauf an, ob man ihn doch noch entdecken würde. In diesem Fall hätte er schon eine Ausrede gehabt. Er sei in die Figur gekrochen, betrunken eingeschlafen und das Instrument sei nichts weiter als eine Gaszange gewesen. Jedenfalls hätte es nicht sehr schlimm für ihn ablaufen können.
Doch es gelang. Von dem Mannloch mit der abnehmbaren Platte wusste wirklich niemand etwas und den starken Arbeitern, die den 600 Kilogramm schweren Koloss auf den Wagen hieven mussten, war der kleine Bursche egal. Im Lagerschuppen wurde Slackjaw nicht vermisst – er hatte wieder einmal blau gemacht.
Er befand sich im Haus von Loftus Deacon. Nun hieß es, bis zur Nacht geduldig zu warten. Das war sehr unangenehm in dem engen Gefängnis, in dem er wegen der Eisenstange nicht einmal aufrecht stehen konnte. Aber dann, welch ein Lohn! Wenn im Haus alles ganz still war, schlüpfte er hinaus. Streichhölzer hatte er bei sich, das genügte. Er hatte sie zusammengerafft und von Edelsteinen losgebrochen. So viel wie möglich steckte er in seine Taschen und in ein Tuch. Dann riegelt er ein Parterrefenster auf und sprang hinaus. Wo er Gold und Juwelen in bare Münze verwandelte, wusste er schon von früher. Und London ist groß, die Welt noch größer.
Slackjaw hörte den ganzen Nachmittag die Leute im Zimmer wirtschaften, zuletzt nur noch den Hausherrn. Es wurde Abend, es wurde Nacht. Deacon schickte die Diener zu Bett und ging selbst. Slackjaw hörte Uhren schlagen und glaubte um Mitternacht, nun ans Werk gehen zu können.
Er verließ sein Versteck, doch da trat Deacon mit der brennenden Lampe ein.
Was nun weiter geschah, ist bereits in Bezug auf Keigo Kiyotaki geschildert worden: Es war das neu erhaltene Schwert des Monikono, welches auf dem Altar griffbereit lag und das Slackjaw ergriff, um damit die beiden tödlichen Hiebe gegen den alten Herrn auszuführen. Schließlich kroch der Verbrecher, als Jensy rief und an die Tür pochte, wieder in den Leib des Götzen zurück und schob den Riegel vor. Das Schwert hatte er mitgenommen.
Die Diener stürzten herein, Polizisten und Detektive kamen.
Da der Mörder in der Wohnung nicht gefunden wurde, wandte man seine Aufmerksamkeit dem ehernen Götzen zu und hob ihn zur genaueren Untersuchung von seinem Postament herunter. und Slackjaw war gefangen!
In Slackjaws Programm war ein Rechenfehler gewesen. Das Podest, auf dem der Götze saß, war lediglich ein eisernes Gestell mit vier Füßen, auf dessen oberen Rahmen die Figur passte. Sonst hätte man ja auch nicht von unten hineinkriechen können. Hätte Deacon für den Kriegsgott in seinem Museum ein anderes Untergestell gewählt, etwa ein massives Postament oder nur eine obere Platte, wäre Slackjaw überhaupt nicht gefangen worden. Mit dieser Möglichkeit hatte er nicht gerechnet. Oder wusste er vielleicht schon ganz genau, dass Deacon den Götzen auf dem eisernen Gestell ruhen lassen würde, einer kunstvollen japanischen Schmiedearbeit?
Als die Figur aber auf den Boden gesetzt wurde und dort stehen blieb, saß der Mörder in der Falle fest! Er konnte nur hoffen, dass man den Götzen wieder auf das hohle Postament heben oder es umlegen würde und dass einmal niemand im Zimmer wäre. Dann hätte sich Slackjaw natürlich schleunigst befreit und wäre durch ein Fenster entkommen, bei Nacht oder selbst bei Tag.
Es sollte anders kommen. Man ließ den Götzen am Boden sitzen. Was der Mörder in dem engen Gefängnis ausgestanden hatte, kann sich wohl niemand ausmalen. Am zweiten Tag wurde das Haus verlassen und versiegelt. Möglicherweise hatte der Eingekerkerte um Hilfe gerufen, doch seine vor körperlicher Erschöpfung geschwächte Stimme war draußen auf der Straße nicht mehr zu hören. So war er verhungert.
So lautete Nobodys Erklärung, und es konnte ja auch gar nicht anders sein.
Doch nun gab es ein noch viel größeres Rätsel zu lösen, das kaum zu fassen war.
Schreibe einen Kommentar