Der Gefangene der Stadtvogtei – Kapitel 3
Der Gefangene der Stadtvogtei
Eine Berliner Kriminalgeschichte
von Jodocus Donatus Hubertus Temme
G. Behrend (Falkenbergische Verlagsbuchhandlung), Berlin, 1861
Kapitel 3
Ein baumlanger Kürassierleutnant
Bei dem Grafen Tichy war große Gesellschaft. Die vornehmsten Kreise der Residenz waren vertreten, man tanzte, spielte und unterhielt sich.
Man gefiel sich, man gefiel sich nicht, man intrigierte, man intrigierte nicht. Wer gefiel und intrigierte, dem gefiel man auch.
Mitternacht war vorüber. Die Gesellschaft war noch immer zahlreich. In anderen großen Residenzen beginnen die Gesellschaftssäle der Vornehmen sich um Mitternacht zu füllen. In Berlin beginnen sie um diese Zeit, sich zu leeren.
Bei dem Grafen Tichy war es anders. Der Graf war ein reicher Fremder, der sich aus Liebe zu einer Tochter, die an einen dortigen Gesandten verheiratet war, in Berlin aufhielt. Er machte manche Sitte der Fremden mit; er konnte sie aufrechterhalten, weil sein Umgang hauptsächlich aus den fremden Gesandten mit ihren Familien und Gesandtschaftskavalieren bestand.
In einem Kreis von Damen fielen besonders zwei von ihnen auf. Jede einzeln für sich wäre vielleicht nicht sonderlich beachtet worden. Ihr Gegensatz machte sie umso auffallender. Die eine war eine sehr dicke, sehr garstige und sehr hochaufgeputzte ältere Dame. Unmittelbar an ihrer Seite saß ein junges Mädchen von kaum siebzehn bis achtzehn Jahren, das wie ein Engel aussah und sich durch Schönheit, Milde, Bescheidenheit und Einfachheit auszeichnete.
Sie konnte und musste natürlich für sich allein auffallen und bewundert werden.
Die beiden Damen waren Mutter und Tochter.
Und die Mutter bewachte und hütete die Tochter wie ein boshafter, feuriger Drache ein liebes und schönes Kind.
Warum sie das tat?
Die Mutter war eine reiche und fromme adlige Witwe aus Pommern und ihre Tochter …
»Ah, liebe Gramzow, sehen Sie nur, es ist empörend«, flüsterte eine andere Dame der Mutter ins Ohr.
Die Dame saß auf der anderen Seite der Mutter, war genauso alt wie diese, aber sehr mager und kein Witwe, sondern ein altes Fräulein. Sie stammte ebenfalls aus Pommern, genauer gesagt aus Hinterpommern, und hieß Adele von Gribow.
Wohin sie sehen solle, hatte das Fräulein der Frau von Gramzow nicht sagen müssen. Die Augen der dicken, frommen Dame hatten sich schon von selbst zurechtgefunden, freilich erst, nachdem sie sich mit einer großen Brille bewaffnet hatte.
»Es ist wahrhaft gotteslästerlich, meine Liebe«, sagte sie.
»Ja, und das in einer so christlichen Gesellschaft!«
»Sie nennen diese Gesellschaft christlich, meine Liebe? Christus soll da sein, wo der Fürst dieser Welt so leibhaftig einhergeht, herrscht und brüllt?«
»Aber, mein Gott, liebe Grannow, Sie sind ja hier die frommste Dame in ganz Hinterpommern. Und was das Brüllen betrifft …«
»Ja, meine Liebe, ich bin hier und auch mein armes Kind, das von jenem Beelzebub in Menschengestalt betört werden soll, vielleicht schon betört wird. Dass wir hier sind, ist eine Schande und eine Sünde, die aber nicht auf uns, sondern einzig und allein auf Höhere zurückfällt. Sie wollen fromm und gottesfürchtig sein und dulden solche Feste und Gelage, bei denen nicht der Herr Jesus, sondern der Herr der Finsternis herrscht. Aber – nein, ich halte es nicht länger aus. Das ist zu arg, zu unverschämt. Malvine, schließe die Augen, wage nicht aufzublicken!«
Die ersten Worte der Dame waren wohl sehr staatsgefährlich, denn damals galt noch der sogenannte Unzufriedenheitsparagraf des Preußischen Allgemeinen Landrechts. Hätte ein anderer als eine reiche und fromme adlige Dame Unzufriedenheit gegen die Regierung zu verbreiten gesucht, hätte er es mit einem Kerker büßen müssen.
Die letzten Worte der Dame waren an ihre Tochter gerichtet. An das schöne, bescheidene, sittsame Kind von siebzehn Jahren? Freilich, warum war sie auch so schön?
Ein baumlanger, junger Leutnant von den Gardekürassieren hatte sich den Damen gegenüber aufgestellt, einen Kneifer auf die Nase gesteckt und das junge Fräulein von Gramzow angelorgnettiert. Dann hatte er zwar den Kneifer schnell zurückgenommen, konnte seine Augen aber nun umso weniger von dem schönen Mädchen wenden.
Das unschuldige Kind war zwar zuerst über das Lorgnettieren sehr unwillig geworden, hatte dann vor den brennenden Blicken der freien Augen aber nur verschämt die ihren niederschlagen können und musste sich schließlich doch wieder den brennenden Augen zuwenden, die in einem recht hübschen, frischen Gesicht und über einer allerliebsten, knappen Kürassieruniform brannten.
Darüber hatte die Mutter sie ertappt. Das Kind errötete noch tiefer und senkte die schönen Augen zur Erde.
»Ich muss fort, wir brechen auf«, sagte dennoch die garstige Mutter.
»Ach, Mutter, schon?«, fragte das unschuldige Kind ängstlich.
»Ja.«
Es sollte doch nicht so kommen.
In einer anderen Ecke des Saales saß ein anderer Damenkreis. In seiner Mitte saß eine sehr lange, ältere Dame.
Zu dieser war der lange Leutnant der Gardekürassiere getreten.
»Eine große Bitte, liebe Mama.«
»Was wünschest du dir, mein Kind?«
»Nur einen Tanz mit der kleinen Gramzow.«
»Aber, mein Kind, ihre fromme Mutter lässt sie nie tanzen. Tanzen ist für sie eine Sünde, ein Gräuel.«
»Aber nur der Mutter, liebe Mama!«
»Darum darf die Tochter nicht.«
»Darum meine Bitte an dich, liebe Mama. Sie wäre?«
»Die Mutter für eine Viertelstunde aus diesem Saal zu entführen.«
»Aber ohne die Tochter.«
»Gewiss.«
»Sie verlässt die Tochter nicht für fünf Minuten. Wenn es denn nur eine ist.«
»Ich will es versuchen.«
Die lange Dame ging zu der dicken Dame.
Diese war gerade im Begriff aufzustehen und mit ihrer Tochter den Saal zu verlassen.
»Sie wollen uns doch nicht schon verlassen, liebe Gramzow?«
»Ich wollte nur in einem Nebenzimmer für etwas Kühlung sorgen. Es ist so heiß hier.«
»Mit Ihrer lieben Malvine?«
»Sie bat mich, sie begleiten zu dürfen.«
»O, liebe Mama«, sagte das Fräulein.
Ein strenger Blick der frommen Mutter verschloss ihr den Mund.
Die lange Dame machte kurzen Prozess. Sie nahm den Arm der dicken Dame und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
»Ich habe vorhin mit General Remscheid gesprochen.«
Die dicke Dame wurde über und über rot wie ein achtzehnjähriges Mädchen.
»Warum sollten nicht auch dicke alte Damen noch verschämt rot werden können, wenn von Männern die Rede ist? Dazu war die Frau von Gramzow Witwe und der General von Remscheid war Exzellenz und Millionär. Er soll in seinen jungen Jahren sehr in die Frau von Gramzow verliebt gewesen und nur um dieser Liebe willen unverheiratet geblieben sein.«
»Eine alte, garstige Frau kann in ihrer Jugend sehr schön gewesen sein. Wie viele Herzen sie damals entzündet hat, wer kann das schon wissen? Freilich, sie selbst vergisst es nicht, auch wenn sie fromm geworden ist.«
»Wir sprachen von Ihnen«, fuhr die lange Dame fort.
Die dicke Dame wurde röter.
»Mein Gott, von mir?«
Und die Excellenz. Aber das muss ich Ihnen ausführlicher erzählen.«
»Malvine«, sagte die Frau von Gramzow zu ihrer Tochter, »du unterhältst dich wohl mit Fräulein von Griebow. Und nicht wahr, Sie, meine Liebe, nehmen das Kind ein paar Augenblicke unter Ihren Schutz?«
Man muss es zugestehen: Es zeugt von echtem christlichen, frommen Sinn, wenn eine Mutter nicht gern in Gegenwart ihrer gerade erwachsen gewordenen Tochter von ihren alten Liebhabern spricht.
Die beiden alten Damen verließen den Saal. Sie gingen in ein leeres Nebenzimmer. Eine Causeuse nahm sie in ihre engen, vertrauten Arme.
»Jetzt sind wir allein, liebe Stromberg.«
Die Mutter des baumlangen Leutnants von den Gardekürassieren war eine Frau von Stromberg.
»Ja, wir sind allein, und nun hören Sie: Sie kennen den Konsistorialpräsidenten von Kehlhorst?«
»Oh ja, er ist ein reiner, gottesfürchtiger Mann. Er war es nicht immer.«
»Im Himmel ist mehr Freude über …«
»Allerdings, liebe Gramzow.«
»Er wandelt jetzt treu in den Wegen des Herrn.«
»Nun, was das betrifft … Sie wissen doch, er hat viele Schulden.«
»Leider.«
»Und eine hübsche Tochter.«
»Ein frommes, bescheidenes und gehorsames Kind.«
»Sie ist das Ebenbild ihrer Malvine.«
»Ich danke dem Herrn für mein Kind. Aber Sie wollten mir von dem General erzählen.«
»Sie wird auch in einem Alter mit Malvine sein.«
»Ja, aber Sie wollten mir von dem General erzählen.«
»Von General Remscheid erzählen? Ich komme auf ihn zu sprechen. Er ist reich. Der Herr hat ihn mit Gütern des Lebens gesegnet.«
»Und Präsident Kehlhorst ist, wie gesagt, arm.«
»Ja.«
»Wissen Sie, was der Präsident vorhat?«
»Ich weiß es nicht.«
»Mit dem reichen General?«
»Mit ihm?«
»Und mit seiner eigenen, hübschen, achtzehnjährigen Tochter?«
»Aber mein Gott!«
»Ach, Sie ahnen es!«
»Der General ist doch in den Sechzigern.«
»Und das Kind ist erst achtzehn.«
»Es ist nicht möglich.«
»Es ist wahr.«
»Das wäre schändliche, gotteslästerliche Kuppelei!«
»Die Schulden! Die Wechsel!«
»Und was ist mit dem General?«
»Ich habe mit ihm darüber gesprochen.«
»Was sagte er?«
»Er wies die Sache von der Hand.«
»Ah!«
»Er sagte, er habe einmal geliebt.«
»Das sagte er?«
»Und er sei um dieser Liebe willen so lange unvermählt geblieben.«
»Der edle Mann!«
»Jetzt sei es zu spät.«
»Zu spät?«
»Für ihn, sich mit einem Kind zu verbinden.«
»Ah, ah!«
»Ich sagte ihm darauf scherzend: ›Aber, Excellenz, was ist mit jener alten Liebe, der »Frau von Gramzow?‹«
»Mein Gott, meine Liebe, Sie sprachen von mir?«
»Was wollen Sie?«
»Nun, und Sie?«
»Meine gnädige Frau«, sagte er sehr leise zu mir. »Da …«
»Da kam gerade der Konsistorialpräsident, nahm mit seiner unverschämten, salbungsvollen Vertraulichkeit den Arm des Generals und führte ihn von mir fort zu seiner Tochter, die mit ihm hier ist.«
»Der Unverschämte!«, sagte auch die fromme Frau von Gramzow in großer Entrüstung. »Und Sie sprachen ihn nicht an?«, fragte sie dann.
»Wie hätte ich das können? Er sitzt noch bei der jungen Dame und ihrem Vater.«
»Das schnöde Werk der Kuppelei soll am Ende hier vollendet werden!«
»Es ist wohl möglich.«
»In meiner Gegenwart! Das darf ich nicht länger dulden.«
Die dicke Dame sprang auf.
»Wo sind sie?«
»Im Tanzsaal. Aber einen Augenblick Geduld, meine Freundin.«
»Was wünschen Sie?«
»Kennen Sie den Leutnant von Morgenstern?«
»Von den Gardehusaren?
»Er ist ein Freund meines Sohnes. Er liebt die kleine Kehlhorst.«
»Er muss sie heiraten.«
»Er ist Leutnant und – arm!«
»Verdammt!«
Die fromme Dame rief es tatsächlich und stampfte dabei mit dem Fuß. Die Frau von Stromberg hatte für ihren Zweck entweder genug mitgeteilt oder genug gelogen. Was tut eine Mutter nicht alles für ihren Sohn, insbesondere, wenn es um eine reiche Schwiegertochter geht? Die Frau von Stromberg war nicht reich und ihr Sohn war Leutnant. Malvine von Gramzow war jedoch die einzige Tochter der sehr reichen, dicken Dame.
Im Tanzsaal schwieg gerade die Musik. Ein Tanz war zu Ende.
»Gehen wir in den Saal«, sagte die Frau von Stromberg.
Frau von Gramzow sollte in Wut geraten, gar in Verzweiflung. Sie sah Folgendes:
In einer Ecke des Saals saß General von Remscheid an der Seite von Fräulein von Kehlhorst. Er saß dicht neben ihr und sprach leise mit ihr. Das junge Mädchen schlug errötend die Augen nieder. Sie war sehr schön. Ihr Vater, der Konsistorialpräsident, stand zehn Schritte hinter den beiden, beobachtete sie und lächelte vergnügt vor sich hin.
An einer anderen Seite des Saals stand Leutnant von Stromberg, Arm in Arm mit Fräulein Malvine von Gramzow, mit der er gerade getanzt hatte. Auch er sprach leise mit ihr, und sie schlug in holder Verschämung die Augen nieder.
All das sah die Frau von Gramzow mit einem Blick, mit einem Mal. Eine innere Wut ergriff sie. Aber wohin sollte sie in dieser Wut? Zu welchem der beiden Paare? Zu der jungen Tochter? Zu dem alten Liebhaber? Sie geriet in Verzweiflung.
Das Mutterherz siegte. Sie lief zu ihrer Tochter und dem langen Leutnant von den Gardekürassieren. Das Paar hatte in seinem Glück sie nicht gesehen.
»Ich sehe Sie wieder, Fräulein!«, flüsterte der junge Mann zärtlich.
»Wann?«, seufzte unschuldig das junge Mädchen.
»Bei Ihnen selbst. Ich komme zu Ihnen.«
»Um Gottes willen nicht! Meine Mutter …«
Da war die Mutter bei ihnen.
»Was soll deine Mutter? Hier ist sie.«
Das junge Mädchen wurde leichenblass. Der tapfere Leutnant riss aus. Was kann der tapferste Leutnant einer wütenden Dame gegenüber schon ausrichten?
Die dicke Dame führte zornig ihre Tochter in den Saal, indem sie sie unter dem Schutz des harten Fräulein von Griebow zurückgelassen hatte. Über das arme Fräulein wollte sie ihren ganzen Zorn ausgießen.
»Aber, meine Liebe, wie konnten Sie?«
Sie musste verstummen.
Neben dem hageren Fräulein kam ein volles, feuerrotes Gesicht zum Vorschein. Ein nicht mehr junger, dicker Premierleutnant der Gardekürassiere saß dort, ein Freund des Leutnants von Stromberg.
Junge Secondeleutnants haben solche älteren, väterlichen Freunde, die für sie durchs Feuer laufen, wenn es sein muss, ja sogar, um dem jungen Freund eine süße Viertelstunde zu verschaffen, einem hageren, alten Fräulein der Cour zu machen.
Die Wut der Frau von Granitzow ahnte, erriet alles.
»Ist man denn hier verraten und verkauft?«, rief sie in sich hinein.
»Meine gnädigste Frau«, sagte das runde, feuerrote Gesicht freundlich, »erlauben Sie auch mir einen Walzer mit dem gnädigen Fräulein?«
Da musste die Wut der dicken Frau losbrechen.
»Sie, mein Herr?«, rief sie. Eher wollte ich …«
Auch der dicke Leutnant hatte schon Reißaus genommen.
»Fort von hier!«, befahl die Frau von Gramzow ihrer Tochter.
Im Tanzsaal begegneten sich der Premierleutnant und der Secondeleutnant.
»Sie ist ein Engel!«, rief entzückt der Herr von Stromberg.
»Und die Mutter ein Satan!«, erwiderte sein Freund lachend.
»Was gehen mich alle Satane der Welt an, wenn nur ein Engel mir gehört.«
»So ein Gelbschnabel ist verdammt schnell mit sich fertig. Aber halt, was ist denn das? Ist das nicht Graf Luberski? Was sind diese Polen immer in Ekstase! Als ob er der ganzen russischen Armee mit einem Hieb den Kopf abhauen wollte. Ich bin überzeugt, höchstens hat ihn der Portier der russischen Gesandtschaft schief angesehen, und er beklagt sich, dass seinem Verlangen, dem Menschen hundert Stockprügel zu geben, nicht entsprochen wurde.«
»Er spricht mit einem Attaché der französischen Gesandtschaft«, bemerkte Herr von Stromberg.
»Der soll für ihn die Prügel vermitteln. Aber halt! Es muss doch etwas Wichtiges sein. Der Franzose macht ein äußerst ernsthaftes Gesicht, und auch der lange Lord Stapleton tritt hinzu. Er sieht sehr weise aus und scheint noch weiser zu sprechen. Und – alle Wetter – wie stecken sie auf einmal alle drei die Köpfe zusammen und wie sehen sie denn alle so angelegentlich nach der Seite …! Ah, ah, wahrhaftig, nach unserem Freund Romkewicz. Der muss gerade eingetreten sein. Er ist auch in Feuer und Flamme und rennt mit den Augen im Saal umher, als ob er …. Diese Polen machen doch alle das heiße Blut halb verrückt. Was mag er nun wieder haben?«
»Er scheint jemanden zu suchen«, sagte der Leutnant von Stromberg.
»So klug bin ich auch, dass ich das sehe.«
»Hör mal, Schwarzhof, du nanntest den Menschen unseren Freund.«
»Kneipt er nicht mit uns?«
»Das wohl, aber er ist mir doch etwas unheimlich.«
»Ich finde ihn nur geheimnisvoll, allerdings auch etwas eigentümlich.«
»Ist das nicht genug?«
»Mir genügt, dass er von gutem Adel und reich ist. Die Grafen Romkewicz sind beides.«
»Aber wie kann man sicher sein, dass er wirklich ein Graf Romkewicz ist?«
»Der Polizeipräsident selbst hat es gesagt.«
»Der Polizeipräsident hat nur seine Papiere gesehen, und die können gefälscht sein.«
»Der russische Gesandte hat es bestätigt.«
»Aber der Graf kommt aus Galizien, aus Österreich-Polen.«
»Dort ist die russische Polizei besser aufgestellt als die österreichische.«
»Mir ist das heimliche Treiben des Menschen doch verdächtig. Aber sieh, er kommt auf uns zu.«
»Wahrhaftig, er scheint uns gesucht zu haben.«
»Ich will nichts mit ihm zu tun haben.«
»Ah, du suchst wohl eine Gelegenheit, um deiner neuen Donna zu entkommen. Viel Glück und pass auf dich auf.«
Der lange Kürassier-Leutnant ging.
Der Dicke blieb erwartungsvoll stehen.
Ein großer, schöner, stolzer junger Mann schritt auf ihn zu. Wir kennen ja den Grafen Adalbert Romkewicz. Er näherte sich dem dicken Offizier mit der lebhaften Art junger, aufgeregter Polen.
»Lieber Herr von Schwarzhof, würden Sie mir eine große Bitte erfüllen?«
»Wenn ich kann, gern, Herr Graf.«
»Es betrifft eine Ehrensache.«
»Umso lieber dann.«
»Ich muss mich mit dem Grafen Luberski schießen.«
»Mit Ihrem Landsmann?«
»Ja, würden Sie mein Sekundant sein?«
»Zum Teufel, ohne Frage. Es ist mir eine Ehre.«
»Ich bin Ihnen dankbar.«
»Wann soll das Duell stattfinden?«
»Sein Sekundant wird die Einzelheiten mit Ihnen klären. Ich sehe, er spricht mit Herrn von Fontaine. Ich werde ihm sagen, dass Sie mein Sekundant sind. Nehmen Sie alle Bedingungen an, die er Ihnen stellt. Ich meinerseits habe nur eine aufzustellen.«
»Und die wäre?«, fragte der dicke Offizier.
»Ich kann ihm nur in der Nacht und nur in der Nähe von Berlin zu Diensten stehen.«
»Nur in der Nacht?«
»Eigenartige Verhältnisse zwingen mich.«
»Aber ein Duell bei Nacht?«
»Der Graf Luberski ist schon einverstanden.«
Der alte Premierleutnant der Gardekürassiere schien sich doch noch wundern zu müssen. Er hatte aber auch noch etwas anderes auf dem Herzen.«
»Darf ich noch um die Veranlassung des Duells bitten?«
»Eine Liebesaffäre.«
»Dann hätte ich noch eine Frage. Soll wirklich Blut fließen?«
»Gewehr! Einer von uns muss auf dem Platz bleiben. Ich glaube, dass es nicht anders gehen wird.«
Der Graf Romkewicz ging zu dem französischen Gesandtschaftsattaché, Herrn von Fontaine, den der Graf Luberski gerade verlassen hatte.
»Hm, hm«, sagte der dicke Leutnant zu sich. »Das Leben ist zwar, bei Lichte besehen, nicht viel wert. Ich freue mich aber doch, dass ich solche Liebesaffären nicht gehabt habe. Aber der Bursche ist doch wieder geheimnisvoll. Nur bei Nacht will er sich schlagen! Bei Tage hat ihn noch kein Mensch gesehen. Mal ist er schon früh ausgefahren, mal schläft er noch spät. Dann ist dies, dann ist das. Aber was geht es mich an? Der Polizeipräsident muss es wissen, und der russische Gesandte weiß es auch. Ah, da kommt der Franzose.«
Herr von Fontaine, ein feiner, gewandter Franzose, näherte sich.
»Mein Herr, Sie sind der Sekundant des Grafen Romkewicz.«
»Ja, mein Herr.«
»Ich werde dem Grafen Luberski sekundieren.«
»Wir erwarten Ihre Bedingungen.«
»Das Duell wird mit Pistolen ausgetragen.«
»Wohl, mein Herr.«
»Auf drei Schritt Barriere.«
»Gut.«
»Der Herr von Romkewicz ist der Beleidiger. Sie werden das Kommando haben.«
»Es versteht sich.«
»Den Ort des Duells müssen wir noch bestimmen. So ist es.«
»Da wir uns mit der Umgebung von Berlin jedoch nicht auskennen, überlassen wir Ihnen seine Bestimmung.«
»Der Graf Romkewicz wünscht sich, in der Nähe von Berlin zu kämpfen. Kennen Sie das Beer’sche Landhaus im Tiergarten?«
»Vor Charlottenburg?«
»Richtig. Zehn Minuten von dort entfernt liegt an der Spree eine abgelegene, eingefriedete Wiese. Wäre Ihnen das recht?«
»Ich nehme an.«
»Dann müssten wir nur noch den Zeitpunkt bestimmen.«
Ihr Herr Duellant, Graf Romkewicz, will sich nur nachts schlagen.«
»So hat er mir auch gesagt.«
»Herr von Luberski hat akzeptiert. Also morgen um Mitternacht, wenn es Ihnen recht ist.«
»Wir werden zum Schlag der Mitternachtsstunde auf dem Platz sein.«
Auch wir, mein Herr.«
Die beiden Herren verbeugten sich gegeneinander und schieden.
Der Graf Romkewicz kehrte zu dem Herrn von Schwarzhof zurück.
»Morgen um Mitternacht«, sagte der dicke Leutnant zu ihm. »Auf drei Schritt Barriere.«
»Über das Schnupftuch wäre mir das lieber gewesen. Aber ich bin Ihnen dankbar, mein Herr. Darf ich Sie morgen um halb zwölf Nacht von Ihrer Wohnung abholen?«
»Ich werde bereit sein. Noch eins. Könnten Sie bitte für einen zweiten Zeugen sorgen und einen Arzt mitbringen?«
»Ich werde für beides sorgen.«
Auch diese beiden Herren schieden.
Der galizische Graf Romkewicz verließ den Saal. Als er die Tür verließ, sah er auf seine Uhr.
»Zehn Minuten vor eins! Ich komme noch gerade rechtzeitig.«
Zu dem Leutnant von Schwarzhof kam aus einem Nebenzimmer der Leutnant von Stromberg. Der junge Mann strahlte vor Glück.
»Leutnant von Schwarzhof, ich bin der glücklichste Mensch der Welt. Sie liebt mich.«
»Der glücklichste Narr magst du sein. Du wirst morgen Zeuge bei dem Duell der beiden Polen sein.«
»Morgen? Für die Welt nicht. Morgen hat sie mir ein Rendezvous zugesagt – mit einem Händedruck. Weißt du eigentlich, was ein Händedruck ist?«
»Narrheit, Bursche. Aber mit Narren ist nichts anzufangen. Ich werde mir einen anderen Zeugen suchen. Gute Nacht!«
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