Die Crawford-Chroniken – Die Krähen von Greengate
Die Crawford-Chroniken – Die Krähen von Greengate
In einer Welt, in der Adelstitel mit Blut bezahlt werden und Gerechtigkeit nur ein flüchtiger Traum ist, kämpfen die Crawfords um ihr Schicksal. Die Krähen von Greengate eröffnet den Reigen eines düsteren Fantasy-Epos, das tief hinabführt in eine mittelalterliche Gesellschaft, gezeichnet von Armut, Krieg und Verrat.
Twifloten – ein karges Land, zerrissen von den Wunden endloser Schlachten. Hier, in den Schatten der Macht, schlägt sich eine Gemeinschaft von Vogelfreien durch die Wirren der Zeit. An ihrer Spitze steht die rebellische Familie Crawford, verstoßen und unbeugsam. Als sie eintausend Flüchtlinge unter ihre Fittiche nehmen, setzen sie eine Lawine in Bewegung, die sie aus der Verbannung in die höchsten Kreise des Adels katapultiert. Doch mit dem Aufstieg wächst die Gefahr: Alte Feinde wittern ihre Chance, Intrigen spinnen sich um ihr neu gewonnenes Erbe, und die Geister der Vergangenheit fordern ihren Tribut.
Mit unerbittlicher Wucht und emotionaler Tiefe erzählen die Crawford-Chroniken von den dunklen Seiten einer Welt, in der Ehre und Verrat oft Hand in Hand gehen. Wo endet der Pfad des Helden – und wo beginnt der des Tyrannen? Was wiegt schwerer: Gerechtigkeit oder das nackte Überleben?
Düster, ungeschönt und von tragischer Schönheit – ein Werk für alle, die historische Fantasy in ihrer intensivsten Form erleben wollen.
Das Buch
Cor Nightingale
Die Crawford-Chroniken Band 1
Die Krähen von Greengate
Low Fantasy, Softcover, 8280-edition.ch Kreuzlingen, Juli 2024, 422 Seiten, 15,90 EUR, ISBN 9783039770427
Klappentext:
Die Crawfords zeigen uns, was eine entschlossene Gemeinschaft bewirken kann.
Krieg erschüttert Twifloten. In dem bitterarmen Landstrich schlägt sich eine Gemeinschaft aus Vogelfreien um die aufsässige Familie Crawford durch die Wirren der Unruhen.
Die Situation spitzt sich zu, als sie eintausend Kriegsflüchtlinge unter ihre Fittiche nehmen, doch ihr beherztes Handeln leitet einen historischen Umsturz ein und der neue König belohnt sie mit Burg und Adelstitel.
Zeit zum Ausruhen bleibt den Crawfords nicht: Während sie sich mit Feinden aus Räubertagen und ihrer finsteren Familiengeschichte herumschlagen, schmieden die adligen Nachbarn bereits Intrigen, um die Emporkömmlinge zu Fall zu bringen.
Die Krähen von Greengate bildet den Auftakt einer epischen Fantasyreihe in einer mittelalterlichen, von Armut, Unterdrückung und kulturellen Konflikten geprägten Welt. Facettenreiche, zutiefst menschliche Figuren treiben die dramatische Handlung voran. Es wird rau, blutig und tränenreich.
Finden die Crawfords die Kraft, ihren Weg zu Freiheit und Gerechtigkeit zu gehen, gegen alle äußeren und inneren Widerstände?
Die Autorin
Die Hörspiele meiner Kindheit dudelten aus dem Kassettendeck, meine Babysitter hießen Captain Picard, Gameboy und MTV (in dieser Reihenfolge) und als das Jahrtausend noch jung war, studierte ich Biologie, weil ich in einem Labor forschen wollte und Textarbeit verachtete. Heute schreibe ich dicke Bücher und dann und wann auch ein Gedicht, und zwar mit Leidenschaft.
Gebürtig aus dem Sauerland stammend, lebe ich schon mein halbes Leben im Herzen des Ruhrgebiets, baue in meinem Schrebergarten blaue Kartoffeln an und erlebe an der Seite meines Mannes den ganz normalen Irrsinn mit Kindern, Katzen und, seit ich Bücher veröffentliche, auch mit Krähen.
Seit ich denken kann, liebe ich es, in erdachte Charaktere zu schlüpfen, und ihnen mein Denken und Fühlen zu leihen. Kein Wunder, dass ich früh das Pen-and-Paper-Rollenspiel für mich entdeckte. So habe ich viel Routine im Seelenreisen entwickelt und ich glaube, genau das verleiht meinen Figuren die besondere Tiefe und Menschlichkeit, die von den Leserinnen und Lesern immer wieder hervorgehoben wird.
In den Crawford-Chroniken, einem Dark-Fantasy-Epos über eine rebellische Adelsfamilie, schaue ich auf die düstersten Seiten einer mittelalterlichen Feudalgesellschaft und tief in die Seelen der Figuren. In den Romanen geht es ziemlich rau zu, die Hoffnung auf ein gutes Ende geben aber weder ich noch die Crawfords auf.
Band 1, Die Krähen von Greengate, wurde als Bestes Debüt für den Seraph 2025 nominiert.
Leseprobe

Prolog
Von der Anhöhe, auf der Crawfords Mühle stand, war der Blick über die sanften grünen Hügel der Windy Fields weit, schier grenzenlos. Irgendwo weiter im Süden, an den schroffen Klippen der Bernsteinküste, lag die Kate, in der Benton geboren wurde und aus der er als junger Bursche Hals über Kopf geflohen war.
Damals hatte er sich für einen Mann gehalten. Darüber konnte er heute nur lachen. Ein Bursche wusste nichts von den Härten des Lebens und erst wenn er sie kannte, war er ein Mann.
Burschen mussten auch nicht entscheiden, ob das, was sie taten, richtig oder falsch war. Sie lebten einfach nur in den Tag hinein.
Benton war nun ein Mann von vierundzwanzig Jahren und er hatte bei Müller Crawford mehr über die Härten des Lebens gelernt, als ihm lieb war: Davon, wie Crawford die Preise für Getreide drückte, obwohl die Bauern bettelarm waren, wie er heimlich einen Teil des Getreides für sich beiseiteschaffte, und was das Saufen mit dem Gemüt eines Mannes anrichtete.
Crawford hasste die Herren von Goldhome leidenschaftlich und wenn er einen zu viel über den Durst getrunken hatte, fluchte er lautstark auf die Marcins. Dann musste Benton ihn aus der Schenke schleifen und nach Hause bringen, denn wenn die Falschen ihn hörten, würden sie ihn auspeitschen oder schlimmeres mit ihm anstellen.
Manchmal, wenn der Vollmond hoch am Himmel stand, blieb Crawford die ganze Nacht über wach. Dann schnitt er sich in den Finger und träufelte Blut auf den Mühlstein und murmelte dazu Beschwörungen auf Widri.
Benton wusste nicht, was sie bedeuteten, aber er wusste, dass Crawford durch und durch böse war, also mussten seine Bitten an den Mond auch böse sein.
Am Nachmittag kam der alte Bauer Uhlenbrink. Der Preis, den Crawford für das Mahlen seines Korns verlangte, trieb dem Mann die Tränen in die Augen.
»Aber das könnt Ihr doch nicht machen!«
»Das hier ist meine Mühle, also kann ich machen, was ich will! Bring dein Korn doch zu einem anderen!«
Uhlenbrink schüttelte den Kopf und willigte trotz allem ein. Die weite Reise zur Mühle hatte den alten Mann angestrengt. Weiter würde er nicht kommen und das wusste Crawford.
Als das Korn gemahlen war, lud Benton die Mehlsäcke auf Uhlenbrinks Karren und strich das Silber ein. Crawford war nicht zugegen und Benton vermutete, dass er schlief und erst zum Abend wieder aus seinem Bett kriechen würde.
Kaum war der Karren außer Sichtweite, kam der Meister aus dem Haus. »Gib mir das Geld.«
Benton musste die Münzen einzeln in seine Hand zählen.
Crawford war nicht zufrieden. »Wo ist der Rest?«
»Gibt keinen Rest.«
Crawford zog die Brauen zusammen und sein Gesicht wurde starr vor Zorn. »Was soll das heißen?«
»Uhlenbrink ist ein armer alter Mann. Der Preis war zu hoch.«
»Seit wann entscheidest du das, Bürschchen?«
Benton atmete durch und wich dem Starren des Müllers aus.
Natürlich war es nicht an ihm, das zu entscheiden.
»Auf die Knie mit dir«, verlangte sein Meister.
Benton gehorchte nicht sofort. Mit einem wütenden Laut packte Crawford ihn am Haar und zerrte seinen Kopf nach hinten. »Wenn ich sage, ‚Auf die Knie!‘, dann gehst du auf die Knie!« Er zückte seinen Knüppel. »Du. Nichtsnutziger. Fauler. Hund!«
Bei jedem Wort schlug er zu.
Benton war auf allen Vieren, krallte sich im Gras fest, und zuckte bei jedem Schlag zusammen. Er weinte vor Schmerz und weil es so demütigend war.
»Hör auf zu heulen! Was bist du? Ein jammerndes Weib oder ein richtiger Mann?« Er schnaubte. »Mach deine Arbeit! Einen faulen Lehrling kann ich nicht gebrauchen! Kein Essen heute Abend!«
Der Meister stapfte davon und erst als er in der Mühle verschwunden war, ließ sich Benton auf den Bauch fallen und schluchzte aus tiefster Seele.
Sein Rücken pulsierte und vor lauter Schmerz grub er die Finger in die Erde und riss Grasbüschel aus.
Allmählich ließ das Pochen nach.
Benton setzte sich auf, zog den Rotz hoch und trocknete seine Tränen.
Als er so dasaß, in die Landschaft schaute und spürte, wie der Schmerz auf seinem Rücken einem brennenden Gefühl wich, dachte er an die Frauen, die er in der Schenke gesehen hatte.
Nicht wenige waren interessiert.
Benton war groß und kräftig, wie sein Vater es gewesen war, und galt den Frauen als hübscher Mann.
Er warf einen Blick über die Schulter zurück zur Mühle.
Crawford wollte nicht, dass er heiratete.
Er war selbst verwitwet und seine Frau hatte ihm auch einen Sohn geboren, aber der war als Halbwüchsiger gestürzt, das hatte ihn schwachsinnig und bettnässend gemacht und bald darauf war er gestorben.
Benton schauderte.
Als Crawford ihm eines Abends nach ein paar Bier zu viel davon erzählt hatte, war sein Blick ganz kalt geworden und seine Mundwinkel hatten gezuckt. In jener Nacht hatte Benton davon geträumt, wie Crawford seinen eigenen Sohn in den dunklen, mit Seerosen bedeckten Teich zu Füßen des Hügels warf, um ihn zu ersäufen.
Seitdem wagte er sich nicht einmal mehr in die Nähe des Teichs.
Heute jedenfalls war Crawford zu alt zum Heiraten, so behauptete er jedenfalls. In Wahrheit aber war er nicht zu alt, bloß bösartig. Obendrein war er hässlich, mit dicken Muttermalen im Gesicht aus denen lange Haare sprossen, einem vorspringenden Adamsapfel und knotigen Gelenken an den Fingern. Außerdem hustete er ständig und rotzte, wo er ging und stand, hustete sogar ins Mehl, wenn er glaubte, Benton würde nicht hinschauen.
Die Frauen der Windy Fields hatten ihren Stolz und sie waren zu klug, als dass sie Crawfords falsches Lächeln, das er manchmal aufsetzte, um eine für sich zu gewinnen, nicht durchschauen würden.
Benton kam auf die Füße.
Morgen früh, so hatte er beschlossen, würde er den Meister darum bitten, heiraten zu dürfen.
In dieser Nacht machte er kaum ein Auge zu, so aufgeregt war er. Mit dem Entschluss, den Meister zu fragen, war sein Wunsch, eine Frau zu finden, schier überwältigend geworden.
Er sah all den Liebreiz vor seinem inneren Auge und vor lauter Begeisterung regten sich seine Lenden, dass er bald nicht mehr wusste, wie ihm der Kopf stand.
Dann kam der Morgen und Benton trat vor den Meister.
»Was willst du?«, höhnte der. »Heiraten? Du hast doch nichts! Keine Münze, keinen Namen, keinen Ruf! Werd’ du erstmal Meister, dann reden wir weiter.«
Benton zog den Kopf zwischen die Schultern.
Er wartete schon seit Jahren darauf, dass Crawford ihm die Meisterprüfung abnahm, aber wenn immer er es ansprach, wurde er von ihm vertröstet.
In dieser Nacht erwachte Benton vom Knarren der Mühle.
Leise öffnete er die Läden vor dem Fenster seines Zimmers und schaute hinaus. Im Schein des sterbenden Sichelmonds sah er, wie sich die Flügel der Mühle drehten.
Crawford mahlte schwarz.
Benton versuchte, zu erkennen, für welchen Bauern er das tat. Crawford hatte ein paar Freunde, die immer wieder zum Schwarzmahlen kamen. Aus der Küche im unteren Geschoss drang Gelächter. Er öffnete die Tür seines Zimmers und lauschte den Stimmen. Das war Bauer Rudyard.
Er schlich zurück und legte sich wieder ins Bett.
Beschwörungen mit Blut, Wucherpreise, Schwarzmahlen, der Tod des schwachsinnigen Sohnes … Crawford hatte genug auf dem Kerbholz, um ihn bei den Rosen anzuschwärzen. Für einige Momente gab er sich diesem Gedanken hin, stellte sich vor, wie sie seinen Meister abführten und dieser ihn aufs Übelste beschimpfte und ihm Schläge androhte, und er ihn einfach auslachte.
Verrate niemanden.
Ein Fielder verriet niemals einen anderen Fielder, egal, was für ein Widerling dieser auch sein mochte.
Fielder hielten zusammen.
Mit einem frustrierten Stöhnen warf sich Benton im Bett herum und zog sich die Decke über den Kopf.
»Wir sind Heruwid. Wir haben dieses Land urbar gemacht, das Olivenpressen und Weinkeltern erfunden. Wir haben die ersten Mühlen gebaut, nicht die Comemen, auch wenn sie etwas anderes behaupten. Merk dir das.«
»Ja, Meister.«
»Diese Rosenheinis schmiere ich, dann lassen sie mich erstmal wieder in Ruhe. Danke, bitte, gütige Allmutter, gütiger Allvater, so wollen sie es hören, so sollen sie es hören. Hauptsache, du hältst dich raus. Weiß der Knochenkönig, du würdest bloß alles versauen!«
Benton seufzte.
Wieder waren zwei Jahre ins Land gegangen, ohne, dass er Meister geworden wäre, und ohne, dass er eine Frau geheiratet hätte.
Crawford soff mehr denn je und seine Launen wurden immer unerträglicher.
Der Mann trank, weil er ein schlechtes Gewissen wegen seines Sohnes hatte, dessen war sich Benton sicher. Er hatte ihn voller Reumut mit sich selbst reden hören, als er wieder einmal volltrunken in der Küche gesessen hatte.
Blutschwüre sprach er zwar nicht mehr aus, aber er war noch immer ein Schwarzmahler und übervorteilte die Bauern, wo er nur konnte.
»Da kommen sie«, sagte Benton und deutete auf einen Hügel weiter nördlich.
»Diese Scheißrosen!« Crawford spuckte aus.
Der Steuereintreiber kam mit großem Gefolge, insgesamt zehn Mann, allesamt gerüstet und gut bewaffnet. Sie erinnerten Benton an die Männer, die seinen Vater und seine Unbeschwertheit auf dem Gewissen hatten.
Der Steuereintreiber war ein bulliger Kerl mit Halbglatze und hoher, lauter Stimme, der die schwarze Rose von Stride auf dem Wams und an der Mütze trug. Er hatte die Kerbhölzer der Bauern mitgebracht, die bei Crawford mahlten, und verglich die eingeritzten Markierungen mit denen, die Crawford in seine Hölzer geschnitten hatte.
Der Meister schwänzelte um den Mann herum und brachte ihm Wein und Brot mit Olivenöl, worüber der sich händereibend hermachte.
Als er das nächste Mal im Haus verschwand, fasste sich Benton ein Herz und ging auf den Steuereintreiber zu.
Ich sage es ihm.
Verrate niemanden.
Crawford mahlt schwarz. Ich kann Euch die Namen der Bauern sagen.
Verrate niemanden.
»Was schaust du mich so an, Geselle?«, fragte der Mann, leerte seinen Weinbecher und füllte ihn sogleich nach.
»Der Meister …«
… mahlt schwarz. Außerdem ist er ein Mörder an seinem eigenen Sohn und er presst die Bauern.
»Hm?«
Ein Fielder verrät niemanden!
»Er ist …«
»Was?«
Bentons Mund war auf einmal so trocken wie die Rinderweiden in der Dürre und ihm schlug das Herz bis zum Hals. Kein Wort kam über seine Lippen und so stand er stumm und starr vor dem Steuereintreiber und spürte, wie ihm vor lauter Verlegenheit die Röte in die Wangen stieg.
»Bist du Crawfords Sohn?«
Der Mann aus Goldhome schaute ihn mit hochgezogener Augenbraue an, und als er immer noch nichts sagte, zuckte der Mann mit den Schultern und widmete sich wieder seinem Mahl. Er riss ein Stück Brot vom Laib, tupfte damit Olivenöl von seinem Teller auf und steckte es sich in den Mund.
»Lass besser deinen Vater reden. Ah, da kommt er ja schon! Crawford, habt Ihr alles gefunden?«
»So ist es!«
»Ein Müller ist ein König von zehn Hügeln, so heißt es doch zu Recht!«
Der Steuereintreiber lachte und Crawford fiel mit ein, aber es hörte sich aufgesetzt, beinahe verzweifelt an.
Der Mann aus Goldhome klopfte dem Meister auf die Schulter. »Alles tadellos! Ihr macht Eure Arbeit gut.«
»Die Allmutter sei Dank, dass Ihr zufrieden seid.«
Bentons Blick wanderte zum Karren.
Die Soldaten aus Goldhome luden gerade Flaschen mit Olivenöl und Wein auf und es waren nicht wenige. Als sie fertig waren, zogen sie eine Plane darüber.
Der Anblick machte ihn so wütend, nicht nur auf den Steuereintreiber und Crawford, sondern auch auf sich selbst, dass ihm schlecht wurde.
Der Besucher beendete sein Mahl, schüttelte dem angestrengt grinsenden Meister die Hand und zog dann mit seinen Männern und der Beute ab.
Kaum waren die Rosen aus Goldhome außer Sicht, wurde Crawford schon wieder wütend. »Was hast du mit dem Mann geredet?«
»Nichts, Meister.«
»Ich hab’ dir doch gesagt, du sollst dich raushalten!«
»Hab’ nichts gesagt.«
Crawford packte ihn am Kragen. »Lüg mich nicht an! Ich merke immer, wenn du lügst!«
Benton packte seinen Meister, diesen schmalen ältlichen Mann, mit seinem Blick, und nahm einen tiefen Atemzug, sodass sich seine Brust hob und das Hemd darüber spannte.
Crawford ließ ihn los als hätte er sich an ihm die Finger verbrannt und wich einen Schritt zurück. Seine Miene verfinsterte sich und seine Hand zuckte. Gerade als es so schien, dass er wieder zuschlagen würde, drehte er sich um und ging leise fluchend in seine Mühle.
Nach dem Besuch des Steuereintreibers konnte Benton nächtelang kaum schlafen, so sehr ärgerte er sich über sich selbst. Er schleppte Säcke und mahlte mit den Zähnen, war dabei so wortkarg, dass es selbst dem Meister auffiel.
Prügel bekam er keine mehr, doch er musste sich weiterhin allerlei Schmähungen und Beleidigungen anhören. Für den Meister war und blieb er ein Nichtsnutz, unfähig, jemals etwas zustande zu bringen.
»Irgendwas klemmt in der Mühle!«, schimpfte Crawford und stampfte auf. Er war angetrunken und darum noch reizbarer, als wenn er nüchtern war. »Das is’ bestimmt die Königswelle! Verflucht, verflucht, verflucht!«
Benton spuckte zur Seite. Wer so fluchte, beschwor das Unheil herauf.
»Geh rein!«
»Bitte, Meister?«
»In die Mechanik, du Nich’snu’z! Schau, warum die Königswelle klemmt! Oder bis’ du dafür zu blöde?«
Benton sog scharf die Luft ein, sagte aber nichts.
Zähneknirschend ging er in die Mühle, kletterte die Leiter hinauf und nahm die komplexe Mechanik, dieses ausgeklügelte System aus Zahnrädern, Wellen und Riemen in Augenschein. Der Fehler war schnell gefunden: Dass die Mühle stillstand, lag nicht an der Königswelle, wie der Meister vermutete, sondern am Getreibehaus.
»Bis’u endlich fertig? Manchmal denk’ ich, dir kann man im Laufen die Schuhe besohl’n, so lahm bewegs’u dich! Ich weiß gar nich’, wozu ich dich durchfütter’!«
Damit ich deine Drecksarbeit machen kann, zu der du Saufkopf nicht mehr imstande bist.
Vor lauter Frust schlug Benton gegen einen Holzbalken, dass er sich die Knöchel aufriss. Fluchend schüttelte er die Hand und atmete gegen den Schmerz an.
»Was’ is’? Hast’e was kaputtgemacht?«
»Halt die Schnauze, du Scheißkerl«, murmelte Benton. »Halt einfach nur deine verdammte versoffene Schnauze.«
Er griff zwischen die Zahnräder und tastete sich seinen Weg zu einer verrutschten Welle und während Crawford weiter über ihn meckerte, behob er mit ein paar Handgriffen das Problem.
»Bis’u en’lich fertig?«
Benton atmete durch.
Das hier war nicht richtig.
Das hier war nicht gerecht.
Er war ein Mann und lebte wie ein Hund.
»Es wird bald besser. Bald bist du Meister«, sagte er sich wohl zum einhundertsten Mal.
Kaum hatte er es ausgesprochen, wusste er, dass es nicht stimmte.
»Ich brauche hier noch ein bisschen länger, Meister!«
»Hätt’ ich bloß’n Gesellen, der was taugt!« Schimpfend stapfte der Meister hinaus.
Benton wusste, dass er sich in seine Stube setzen und eine Weile weitersaufen würde.
Er stieg die Leiter hinab, schaute sich um und fand den Besenstiel, den er gesucht hatte. Mit dem Besenstiel stieg er die Treppe noch eine Etage hinunter und steckte ihn so in das große Zahnrad, dass es blockiert war.
Als nächstes löste er die Arretierung der Mechanik. Die Mühle lief an, kam aber sofort wieder ins Stocken.
Draußen ging ein strammer Wind. Die Zahnräder knarzten, so sehr stand nun alles unter Spannung.
Benton ging ins Wohnhaus. Wie er vermutet hatte, hockte Crawford am Tisch und hielt sich an einem Becher fest.
»Was willst du?«
»Hab’ den Fehler gefunden. Kann’s nicht allein reparieren.«
»Du bis’ wirklich zu nich’s zu gebrauchen!«
Crawford musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen, drückte sich dann schwerfällig hoch. Er hatte Schwierigkeiten, auf die Beine zu kommen und beim Hinausgehen wankte er so sehr, dass er gegen den Türrahmen stieß. Er torkelte zur Mühle, ging hinein und nacheinander stiegen sie in ihr hölzernes Herz, Crawford voraus. Trotz aller Trunkenheit schaffte er es unversehrt die Leiter hinauf.
»Die Zähne des Rads haben sich abgenutzt. Nichts zu machen. Ihr braucht ein neues Rad.«
»Verfluch’es Schicksal! Das kann donnich’ wahr sein!« Der Meister kroch tiefer in die Mechanik und klopfte gegen die Bauteile. »Ich seh’ hier kein scheiß abgenu’z’es Zahnrad!«
In der Zwischenzeit und von Crawford unbemerkt war Benton wieder nach unten geklettert.
Er packte den Besenstiel, den er in das Zahnrad gesteckt hatte, atmete durch und wollte ihn herausziehen, doch die Kraft des Windes arbeitete gegen ihn: Der Stiel hatte sich verkantet und steckte fest.
Ihm trat der kalte Schweiß auf die Stirn: Gleich würde Crawford begreifen, dass er ihn angelogen hatte.
Mit der Kraft der Verzweiflung zerrte er an dem Stiel.
Das Holz splitterte und er taumelte zurück und landete auf dem Hosenboden, einen abgebrochenen Besenstiel in der Hand.
Schwer atmend vor lauter Aufregung starrte er auf das Zahnrad, aber nichts geschah.
»Ben, du Hohlkopf!« Der Meister krabbelte schon wieder zurück.
»Bitte … Schicksal, wenn du dich einmal biegen willst, dann jetzt.«
Als hätte sie auf ihn gehört, ächzte die Mühle wie eine alte Frau und setzte sich widerwillig in Bewegung.
»Ben? Was is’ da los? Warum l…«
Das letzte Wort des Meisters ging in einen sich überschlagenden Schmerzensschrei über. Er stieß panische Rufe aus, winselte, flehte um Hilfe.
Das Geräusch von reißendem Stoff schnitt durch die Luft, dann knackte es, als breche das Geäst eines Baumes.
Crawfords Schreien wurde zu einem Gurgeln.
Dann war er still.
Die Mechanik der Mühle knarrte und ratterte in ihrem immerwährenden Takt und auch der Mühlstein drehte sich, als wäre nichts gewesen, während Blut an der Königswelle hinablief.
Benton beugte sich über den Mühlstein und kniff die Augen zusammen. Die Flecken waren noch immer zu sehen.
Oder bildete er sich das bloß ein?
Er seufzte und schrubbte weiter.
»Crawford, seid Ihr da?«, rief jemand von draußen.
Benton erstarrte vor Schreck. Er hatte gar nicht darüber nachgedacht, dass heute jemand kommen könnte, um Getreide mahlen zu lassen. Innerlich mahnte er sich zur Ruhe, warf den blutbefleckten Lappen in eine dunkle Ecke der Mühle, und stieg die Leiter hinab, in der Brust ein rasendes, schweres Herz.
»Ich bin hier!«
Benton trat aus dem Halblicht der Mühle und es dauerte einen Moment, ehe sich seine Augen an die helle Sonne gewöhnt hatten.
Vor der Mühle wartete Bauer Uhlenbrink mit einer Fuhre Getreide.
»Wo ist Müller Crawford?«
»Ich bin Müller Crawford.«
»Aha.« Der alte Uhlenbrink zögerte. »Machst du mir heute einen anständigen Preis?«
»Einen hervorragenden Preis sogar!« Benton zwang sich zu lächeln. »Heute ist dein Mondtag!«
»Bist ein guter Junge.« Uhlenbrink lachte und klopfte ihm auf den Rücken. Er fragte nicht nach dem alten Müller.
Nie wieder.
Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung der Autorin
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