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Das Unglaubliche

Das Unglaubliche

Es war ein Edelmann, der behauptete bei jeder Gele­genheit, in grader Linie von keiner geringeren Ältermutter denn der Jungfrau Maria abzustammen: Hatte sich auch derowegen eine Schilderei malen lassen und in seiner Ahnenhalle aufgehängt. Darauf war seiner Vorfahren einer abgemalt vor der Heiligen Jungfrau kniend; der aber gingen auf einem fein geschwun­genen Spruchbändlein die Worte vom Mund: »Ste­hen Sie auf, Herr Vetter!«

Antwortete der Ritter, wie zu lesen stand: »Ich tue meine Schuldigkeit, Frau Muhme.«

Er war wohl ein ganzer Narr und wun­derte sich täglich, dass er noch vom Regen nass wurde wie andere Menschen, und dass jemalen der Wind es wagen durfte, ihm sein Hütlein vom Haupt zu ent­führen, als wäre er nicht mehr denn Hinz und Kunz. Er fuhr mit vier Gäulen, anders tat er es nicht, und saß dann bocksteif im Wagen, sah über Dorf und Gärten und die Menschen hin, die ihn bescheidentlich grüßten, als wäre es seinen Augen Schaden oder Schande, so sie wen streiften, der ehrlich von seiner Hände Arbeit lebte.

Das ärgerte einen Bauern, der seinen Hof neben dem Edelhof hatte. Es war ein reicher Hof, und der Bauer trug einen dicken Bauch stattlich vor sich her. Um den Bauch eine wohlgespickte Geldkatze und wusste die Unterlippe vorzuschieben wie Carolus Quintus.

Im Stall hatte er sechs glatte, rundleibige Rösser stehen. Als es ihm zu dumm war mit des Edelmanns Hoffart, spannte er seine sechs an seinen größten Heuwagen und fuhr prasselnd und ratternd hinter der Edelmannskarosse drein, zwei Knechte vorn, vier hinten, er stattlich in der Mitte. Das erste Mal tat der Edelmann, als bemerke er den Unfug nicht; das zweite Mal ward er blass vor Wut und schoss einen Blick wie einen Wetterstrahl auf den übermütigen Nachbarn; das dritte Mal hielt er sich nicht, sprang auf und schrie dem dickköpfigen Bauern eine Drohung zu, die – keiner verstand, denn sowie der edle Herr den Mund auftat, knallten die sechs Knechte mit den langen Peit­schen und brüllen und jauchzten, dass die sechs Gäule wild wurden. Der Heuwagen ratterte und krachte; es war ein Höllenlärm, als käme die wilde Jagd. Der Edelmann musste sich daheim gleich zu Bett legen und den Arzt rufen, der ihm zur Ader ließ.

Am Tag darauf fuhr er zur Stadt vor den Richter, der Bauer mit seinen sechs Gäulen lustig hinterdrein. Der Richter setzte seine Brille auf, schlug siebzehn Bücher der Rechtsgelehrtheit auf: Der Fall war außermaßen schwierig, seinesgleichen nirgend zu finden.

Der edle Herr tobte was von dummer Bauernschädel und ge­bärdete sich auch vor Gericht, als gehöre ihm die Welt und etliche Dörfer darüber.

Da kniff der Richter, der ein Spaßvogel war und wenig Freude fand an dem hochadligen Narren, ein Auge zu und sprach: »Meine Herren, hier hilft nur Salomo« und klappte alle seine Gelehrsamkeit zu. »Wer von Euch zweien eine Lüge erfindet, so groß, dass der andere sie nicht glauben kann, der darf mit seinen Pferden ausfahren; der an­dere muss zu Hause bleiben.«

Da rieb der Edle sich die weißen Hände: Wo kann wohl ein Bauernschädel so pfiffig sein wie er? Seine Ahnen waren zumal feine Köpfe. Er zog aus seiner Jagdtasche einen Rest Brot und log solchergestalt: »Gestern haben meine Tagelöhner bis neun Uhr abends gedroschen, das habe ich säen lassen, um elf war es reif, um zwei gemahlen und hier ist das Brot davon.«

»Das glaube ich gern, edler Herr«, sprach der Bauer, „denn seht, ich habe gestern Abend Eicheln gesät, die hatten heute früh schon gekeimt. Da hab ich mir aus dem Eichenholz eine Leiter bauen lassen, die legte ich an den Himmel und stieg fein hinauf. Der Erste, dem ich da begegnete, denkt, gnädiger Herr, das waren Seine Gnaden, Euer Herr Großvater, der saß als Sau­hirt hinter der Tür.«

»Das lügt er in seinen Hals!«, schrie der Edelmann zornig.

Der Richter aber sprach: »Der Bauer darf mit seinen Sechsen fahren, wie er mag. Ihr aber bleibt zu Hause.«

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