Catherine Parr Band 1 – Zweites Buch – Kapitel 2
Luise Mühlbach
Catherine Parr
Zweites Buch
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851
II. Die Folgen eines Fliegenstichs
Wie süß diese Lust, wie balsamisch und weich! Welche Wonne, auf dem tänzelnden Ross über das samtene Grün dieser Wiese zu eilen und dann im Schatten der hohen, gewaltigen Eichen zu rasten, um dem Gesang der Vögel zu lauschen, die aus dem dichten Geäst ihr geschwätziges Vergnügen in die Welt hinausrufen! Und wie sie jetzt am Ufer eines Baches reiten, dessen spiegelklares Wasser mit leisem Murmeln dahinplätschert, und wie sie mit angehaltenem Atem den Rehen lauschen, die dort oben aus dem Dickicht des Waldes auf die nach tausend Wohlgerüchen duftende Wiese hinausgetreten sind und wie sie dem Gesang der Vögel und dem Rauschen der Quelle zu lauschen scheinen!
Catharine fühlte ein unaussprechliches, seliges Glück ihre Brust schwellen! Sie war heute nicht mehr die von Gefahren und Feinden umgebene Königin, nicht mehr die Gattin eines ungeliebten, tyrannischen Gemahls, nicht mehr die in die Fesseln der Etikette gezwängte Königin, sie war eine freie, glückliche Frau, die in ahnungsvoller, seliger Unruhe der Zukunft entgegenlächelte und in jedem Augenblick sagte: »Bleib, bleib! Denn du bist so schön!«
Es war ein süßes, träumerisches Glück, das Glück dieser Stunde! Ach, Katharina hätte freudigen Herzens ihre Krone dafür hergegeben, wenn sie diese Stunde in die Ewigkeit hätte ausdehnen können.
Er war an ihrer Seite. Er, von dem John Heywood ihr gesagt hatte, er sei einer ihrer treuesten und zuverlässigsten Freunde! Er war da! Und wenn sie es auch nicht wagte, ihn oft anzusehen, oft mit ihm zu sprechen, so fühlte sie doch seine Nähe und spürte den glühenden Strahl seiner Augen, die mit verzehrendem Feuer auf ihr ruhten! Niemand konnte sie sehen! Denn hinter ihnen ritt der Hof, und vor ihnen und neben ihnen war nichts als diese liebeatmende, selig lächelnde Natur, nichts als der Himmel und Gott!
Sie hatte indessen vergessen, dass sie nicht ganz allein war, und dass, wenn auch Thomas Seymour zu ihrer Linken ritt, an ihrer Rechten doch Prinzessin Elisabeth stand, dieses junge Mädchen von vierzehn Jahren, dieses Kind, das unter dem Feuer des Schmerzes und unter den Stürmen des Unglücks rasch zu vorzeitiger Blüte emporgeschossen war, und dessen Herz durch die Tränen und Erlebnisse ihrer unglücklichen Kinderjahre eine vorzeitige Reife erhalten hatte. Elisabeth, das Kind an Jahren, hatte doch schon die ganze Kraft und Gefühlswärme einer Frau, Elisabeth, die verstoßene und enterbte Prinzessin, hatte doch von ihrem Vater dessen Stolz und Ehrgeiz geerbt, und wenn sie auf die Königin blickte und das Krönchen betrachtete, das mit Diamanten auf das samtene Barett gestickt war, so fühlte sie einen stechenden Schmerz in der Brust und erinnerte sich mit bitterer Wehmut, dass diese Krone niemals dazu bestimmt sei
ihr Haupt zieren sollte, denn der König hatte sie durch einen feierlichen Parlamentsakt von der Thronfolge ausgeschlossen.
Aber seit einigen Wochen war dieser Schmerz milder und weniger brennend geworden! Ein anderes Gefühl hatte ihn zum Schweigen gebracht! Elisabeth, die nicht Königin, nicht Herrscherin sein sollte, Elisabeth wollte wenigstens eine Frau sein dürfen! Wenn man ihr schon die Krone verweigerte, so sollte man ihr doch wenigstens das Glück einer Frau lassen, ihr statt der goldenen Krone die Krone der Myrten ins Haar flechten!
Man hatte sie früh gelehrt, sich ihrer Gefühle stets klar und bewusst zu sein, und sie hatte sich auch jetzt nicht gescheut, mit festem und sicherem Blick auf den Grund ihres Herzens zu lesen.
Sie wusste, dass sie liebte, und dass Thomas Seymour der Mann war, den sie liebte.
Aber der Graf? Liebte er sie noch? Verstand er das Herz des Kindes? Hatte er unter dem kindlichen Antlitz die glühende, stolze Frau erkannt? Hatte er die Geheimnisse dieser so jungfräulichen und keuschen und doch so feurigen und energischen Seele erraten?
Thomas Seymour hatte nie ein Geheimnis preisgegeben, und was er vielleicht in den Augen der Prinzessin gelesen, was er vielleicht in den stillen, schattigen Gängen von Hampton Court oder in den langen, dunklen Korridoren von Whitehall mit ihr besprochen hatte, das wusste niemand außer ihnen beiden, denn Elisabeth hatte eine starke, männliche Seele, Sie brauchte keinen Vertrauten, der ihr ihre Geheimnisse anvertraute, und Thomas Seymour hätte sich gefürchtet, wie der unsterbliche Friseur des Königs Midas ein Loch zu bohren und sein Geheimnis hineinzurufen, denn er wusste sehr wohl, dass, wenn die Pfeife wachsen und seine Worte wiederholen würde, er dafür seinen Kopf auf das Blutgerüst legen müsste.
Arme Elisabeth! Sie ahnte nur nicht, dass das Geheimnis des Grafen und das ihre doch nicht dasselbe waren, sie ahnte nicht, dass, wenn Thomas Seymour ihr Geheimnis erriet, er es vielleicht nur benutzen wollte, um daraus eine schimmernde Folie für sein eigenes Geheimnis zu machen.
Er hatte, wie sie, immer die diamantene Krone auf dem Haupt der jungen Königin gesehen, und er hatte sehr wohl bemerkt, wie alt und hinfällig der König seit einiger Zeit geworden war.
Als er nun an der Seite der beiden Prinzessinnen ritt, fühlte er sein Herz vor stolzer Freude anschwellen, und nur kühne und hochfliegende Pläne beschäftigten seine Seele.
Die beiden Frauen verstanden nichts davon! Sie waren beide zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, und während Catharines Auge mit strahlendem Blick in die Ferne und Weite schweifte, zeigte sich nun die Stirn der Prinzessin leise verdüstert, und ihr scharfer Blick ruhte unverwandt und lauernd auf Thomas Seymour!
Sie hatte die leidenschaftlichen Blicke bemerkt, die er zuweilen auf die Königin warf, ihr war das leise, unmerkliche Zittern seiner Stimme nicht entgangen, wenn er mit ihr sprach!
Prinzessin Elisabeth war eifersüchtig, sie fühlte die ersten schmerzhaften Regungen jener schrecklichen Krankheit, die sie von ihrem Vater geerbt hatte und in deren fieberhaften Ausbrüchen der König zwei seiner Frauen auf das Schafott geschickt hatte!
Sie war eifersüchtig, aber nicht auf die Königin, oder besser, sie dachte nicht daran, dass die Königin diese Liebe Seymours teilen und erwidern könnte! Es kam ihr nicht in den Sinn, Catharine zu beschuldigen, sie habe sich mit dem Grafen eingelassen! Sie war nur eifersüchtig auf die Blicke, die er der Königin zuwarf, und weil sie diese Blicke beobachtete, konnte sie nicht zugleich in den Augen ihrer jungen Stiefmutter lesen, konnte sie nicht jene leisen Flammen sehen, die, vom Feuer seiner Blicke angefacht, in den ihren loderten.
Aber Thomas Seymour hatte sie gesehen, und wäre er jetzt mit Catharine allein gewesen, so wäre er ihr zu Füßen gefallen, hätte ihr all die tiefen und gefährlichen Geheimnisse anvertraut, die er so lange in seiner Brust getragen, hätte sie vor die Wahl gestellt, ihn entweder auf das Blutgerüst zu bringen oder diese Liebe anzunehmen, die er ihr weihte!
Aber da waren diese lauernden, alles beobachtenden, alles erratenden Hofleute hinter ihnen, da war Prinzessin Elisabeth, die, wenn er es gewagt hätte, mit der Königin zu sprechen, die Worte, die sie nicht verstehen konnte, aus seinem Mienenspiel erraten hätte, denn die Liebe sieht so recht, und die Eifersucht hat so scharfe Ohren!
Katharina ahnte nichts von diesen Gedanken ihrer Gefährten! Sie allein war glücklich, sie allein gab sich mit ganzer Seele dem Genuss des Augenblicks hin! Mit seligem Behagen atmete sie die reine Luft ein, trank den Duft der Wiesenblumen, lauschte mit durstigen Ohren dem säuselnden Lied, das der Wind ihr aus den Zweigen der Bäume zuflüsterte! Ihre Wünsche reichten nicht über diese Stunde hinaus, sie ruhte in dem vollen Genuss der Gegenwart ihres Geliebten! Er war da – was bedurfte es noch, um glücklich zu sein!
Während der Graf in seinem stürmischen, wilden Gemüte all das schwatzende, lachende, schwatzende Volk in die Erde stampfen wollte, um endlich einmal ohne Zeugen und unbeobachtet mit der Königin sprechen zu können, während Elisabeth in ihrem frommen, kindlichen Herzen zu Gott flehte, er möge ihr einen Weg zeigen, den Grafen allein zu sprechen, mit dem Grafen allein sprechen zu können, dachte Catharina nur daran, wie schön es wäre, immer so an der Seite des Geliebten zu sein, dieselbe Lust zu atmen, die er atmete, dieselbe Sonne, dieselbe Blume zu sehen, auf der seine Augen ruhten und auf der ihre Blicke sich wenigstens in den Küssen trafen, die ihren Lippen versagt waren!
Aber wie sie so schweigend und in sich gekehrt, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, dahinschritten, da kam die Hilfe, um die Thomas Seymour gebetet hatte, in Gestalt einer Fliege daher geflattert.
Diese Fliege umkreiste zuerst summend die Nase des feurigen, stolzen Tieres, auf dem die Königin ritt, und da niemand auf sie achtete, ließ sie sich auch nicht von Hektors Mähnenschütteln stören, sondern krabbelte sicher und ruhig auf dem Kopf des edlen Renners in die Höhe, hier und da ein wenig ausruhend, ihren Stachel in das Fleisch des Pferdes senkend, das sich bäumte und laut zu wiehern begann.
Aber Catharine war eine kühne, gewandte Reiterin, und dieser stolze Übermut ihres Pferdes machte ihr nur Freude und gab ihrem Oberstallmeister nur Gelegenheit, ihre Geschicklichkeit und Kaltblütigkeit zu loben!
Und Katharina trank mit seligem Lächeln das Lob ihres Geliebten! Die Fliege aber krabbelte weiter und weiter und senkte sich nun, von einer dämonischen Lust getrieben, in das Ohr des Pferdes.
Das arme, gepeinigte Tier machte einen Sprung, der aber, statt es von seinem Feind zu befreien, diesen nur noch tiefer in sein Ohr trieb und seinen Stachel tief in das weiche Fleisch desselben bohrte!
Das Pferd, von wütendem Schmerz gepeitscht, verlor die Disziplin, missachtete den Zügel und spottete des Gebisses und raste vorwärts, vorwärts über die Wiese, wie ein Pfeil so schnell, wie ein Blitz so unaufhaltsam!
»Auf, auf, der Königin zu Hilfe!«, donnerte die Stimme ihres Oberstallmeisters, und in rasender Hast flog auch er über die Wiese dahin!
»Der Königin zu Hilfe!«, wiederholte Prinzessin Elisabeth, und auch sie spornte ihr Pferd an und eilte, begleitet vom ganzen Gefolge, vorwärts!
Aber was ist die Eile eines noch so wendigen und vernünftigen Pferdes gegen die rasende Wut eines großen Renners, der, auf seine Knechtschaft und seine Zügel pfeifend, in schäumendem Gefühl der Freiheit und Ungebundenheit wie eine unaufhaltsame, vom Sturm gepeitschte Welle vorwärts rast!
Weit hinter ihnen lag schon die Wiese, weit hinter ihnen die Allee, die durch den Wald führte, und über Bäche und Gräben, über Wiesen und Sandwege war der Hektor dahingebraust!
Die Königin saß noch fest im Sattel, ihre Wangen waren farblos, ihre Lippen bebten, aber ihre Augen waren noch klar und glänzend, sie hatte die Besinnung noch nicht verloren, sie war sich der Gefahr voll bewusst. Der Lärm der schreienden, kreischenden Stimmen, den sie anfangs noch vernommen hatte, war längst hinter ihr verstummt, eine unendliche Öde, eine tiefe Grabesstille umgab sie! Nichts war mehr zu hören als das Keuchen und Schnauben des Pferdes, nichts mehr als das Krachen und Knarren seiner Hufe!
Aber plötzlich schien dieses Geräusch ein Echo zu finden, es wiederholte sich dort drüben, es war dasselbe Schnauben und Keuchen, es waren dieselben hallenden Hufschläge!
Und nun, oh, nun schlug der Klang einer nur allzu geliebten Stimme an Catharines Ohr und ließ sie aufschreien vor Wonne und Lust!
Aber dieser Schrei erschreckte das wütende Tier von neuem. Einen Augenblick hatte es, erschöpft und keuchend, seinen rasenden Lauf gehemmt, nun sprang es mit neuer Kraft vorwärts, nun flog es weiter, wie von Windflügeln getrieben!
Aber immer näher klang die geliebte Stimme, immer näher der Hufschlag seines Pferdes!
Sie befanden sich nun wieder auf einer weiten Fläche, ringsum von Wald umgeben. Während das Pferd der Königin in weiten Bögen die Fläche umrundete, flog Seymours Pferd, den Zügeln seines Reiters gehorchend, quer darüber und befand sich nun dicht hinter dem Pferd der Königin!
»Nur noch einen Augenblick! Haltet nur die Arme fest um den Hals des Tieres, damit der Stoß euch nicht herunterwirft, wenn ich ihm in die Zügel falle!« schrie Seymour und stieß seinem Pferd die Sporen in die Seite, dass es mit wildem Gebrüll vorwärts sprang.
Dieser Schrei trieb Hektor zu neuer Wut! Atemlos keuchend, in furchtbaren Sprüngen stürzte er vorwärts, nun in das Dickicht des Waldes hinein!
»Ich höre seine Stimme nicht mehr!«, murmelte Catharine, und endlich von der Angst, von dem wirbelnden Lauf, von der Anstrengung überwältigt, schloss sie die Augen, ihre Sinne schienen sie verlassen zu wollen!
Plötzlich, mit einem wilden Satz, sprang das Pferd zurück und blieb stehen, gewarnt durch seine eigene Gefahr und zur Besinnung gebracht. Noch ein Schritt vorwärts, und es wäre von dieser Höhe den Abhang hinuntergestürzt in die wilde Schlucht, in deren Tiefe ein Waldbach sein steiniges, von Felsbrocken zerklüftetes Bett zog!
Und nun bebte das Pferd zitternd in sich, denn es fühlte wieder die Hand seines Herrn, es erwachte wieder zum Bewusstsein seines Sklaventums!
Diese feste, starke Hand, die seine Zügel ergriff, es war die Hand eines Herrn! Das edle Tier gehorchte, blieb still und zitternd stehen und senkte keuchend und gleichsam beschämt über seinen Ungehorsam das stolze edle Haupt!
»Gerettet! Ich bin gerettet!«, stammelte Catharine, und atemlos, kaum der Sinne mächtig, legte sie ihr Haupt auf Seymours Schulter!
Sanft hob er sie vom Pferd und bettete sie im weichen Moos unter einer uralten Eiche. Dann band er die Pferde an einen Ast des Baumes, und sie sank zitternd und erschöpft auf die Knie, um sich nach der wahnsinnigen Anstrengung auszuruhen.