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Der Detektiv – Band 30 – Die Matsoa-Spinne – Kapitel 4

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 30
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die Matsoa-Spine

4. Kapitel
Die geladene Matsoa

Harsts letzte Bemerkung hatte mich stutzig gemacht, obwohl er sie keineswegs in besonderem Tonfall ausgesprochen hatte. Wer ihn und seine Art aber so gut kennt wie ich und Gelegenheit hatte, sein zumeist undurchdringliches Gesicht in all den kaum merklichen Veränderungen des Ausdrucks zu studieren, hätte sofort gemerkt, dass hinter dem Und wie sehr bin ich dazu gelangt! mehr steckte, als der Inhalt vermuten ließ. Auch die Spannung der Backenmuskulatur, die Harsts Gesicht noch schmaler machte, wäre einem nicht entgangen.

Ich hatte den ganz bestimmten Eindruck, dass Harald hier wieder einmal einen jener fein ausgeklügelten Schachzüge vorbereitete, der den Gegner unbedingt matt setzen musste. Ich gab daher auch schärfer als bisher auf alles acht, was nun weiter geschah.

Die Malcapier lehnte in ihrer nachlässig-sicheren Haltung am Tisch und winkte dem langen Chinesen zu, der sofort die Treppe hinaufeilte.

Dann begann sie: »Meine Bedingungen sind folgende: Sie beide geben mir Ihr Ehrenwort, dass Sie erstens niemandem verraten, hier überfallen worden zu sein, zweitens mich und meine Genossen fernerhin ganz unbehelligt lassen und drittens meinen Bruder Charles möglichst bald und ohne dass auf Sie Verdacht fällt, befreien und ihn genauso wenig verfolgen wie mich. Das wären meine Bedingungen.«

Harst nickte. »Gut, angenommen, nur mit Ausnahme eines Punktes. Es ist ausgeschlossen, dass ich jetzt, da ich Inspektor Jobster doch meinen Beistand zugesagt habe, mein Versprechen plötzlich zurücknehme. Das würde Jobster unbedingt auffallen. Er würde misstrauisch werden, und die weiteren Folgen sind gar nicht abzusehen. Es liegt also im Interesse beider Parteien, dass Sie damit einverstanden sind, dass der Waffenstillstand zwischen Ihnen, Ihrem Bruder, Ihren Verbündeten und uns etwa zwei bis drei Stunden nach der Befreiung Ihres Bruders endet. Selbstverständlich verpflichte ich mich auch, bis dahin nichts zu Ihrer Verfolgung vorzubereiten. Ich halte mein Wort. Darauf können Sie sich verlassen. Also – sagen wir drei Stunden nach der Befreiung Ihres Bruders – sind Sie mit dem jetzigen Zustand des Kampfes einverstanden?«

Eugenie Malcapier überlegte lange und schaute Harst wiederholt argwöhnisch an. Aber die Liebe zu ihrem Bruder siegte.

»Nun denn, ich bin einverstanden!«, sagte sie endlich. »Ich traue Ihnen, denn ich weiß, dass Sie ein Ehrenmann sind, Herr Harst.«

Harst und ich gaben nun die verlangte Versicherung ab. Dann löste Malcapier mit eigener Hand unsere Fesseln.

Wir rieben uns die Handgelenke und standen auf.

»Noch etwas«, meinte da unsere rotblonde Feindin. »Sie müssen sich von hier mit verhülltem Kopf wieder wegführen lassen.«

»Gewiss – warum nicht?!«, erklärte Harst.

»Haben Sie schon einen Plan, um Charles zu befreien?«, fragte die Malcapier.

Harst lächelte liebenswürdig.

»Gewiss. Die Sache ist ja so einfach. Morgen um 12 Uhr mittags wird Ihr Bruder frei sein. Ab 15 Uhr nachmittags sind wir wieder Gegner, die sich bis zur Entscheidung bekämpfen.«

Die Malcapier zuckte leicht mit den Achseln. »In drei Stunden kann man gerade hier in Singapur spurlos verschwinden.«

»Hm«, machte Harst. »Sie glaubten auch, jetzt spurlos verschwunden zu sein. Aber Sie irrten sich. Ich wusste, dass die chinesischen Diener des toten Admirals Stevenpole Sie entführt hatten – eben mit Stevenpoles Auto, das in dem Schuppen des Bungalows steht und mit Wasserfarbe gelb angemalt worden war.«

Die Malcapier hob den Kopf höher. »Ah – sehr interessant! Das hätte ich nicht gedacht, dass Sie diesen Trick durchschaut hätten.«

»Ja, ich kann jetzt getrost darüber sprechen. Zunächst wusste ich nur, dass irgendein Auto gelb angestrichen worden war. Dass es das Auto von Stevenpole sein könnte, erfuhr ich dann aus einem Gespräch in einer Kneipe. Nicht wahr, Sie haben aus Bokokang an den Hausmeister – wie heißt er doch gleich?«

»Barbaley – Tom Barbaley!«, half die Malcapier.

»Richtig, also eine Depesche an Barbaley senden lassen. Oder aber Ihre Freunde taten dies aus sich selbst heraus. Jedenfalls eine Depesche, die den Hausmeister nach Bokokang lockte, damit Ihre Verbündeten hier über das Auto verfügen konnten. Barbaley äußerte sich sehr empört über diese Fopperei, da er den ganzen Nachmittag in Bokokang nutzlos umherlaufen musste.«

Die Malcapier lachte. »Ja, es war ein feiner Gedanke! Der Erfinder bin jedoch nicht ich.«

»Ja, deshalb kam ich dann nach dem Bungalow Stevenpoles. Ich wollte das Auto suchen. Doch schon auf dem Vorplatz des Schuppens fand ich die Bestätigung meiner Annahme in Form eines ringförmigen nassen Flecks. Dort hat man das Auto nämlich wieder von der gelben Farbe gereinigt.«

»Nein, wie schnell Sie das Richtige herausfinden!«, rief die Malcapier ebenso erstaunt wie beunruhigt. »Sie sind wirklich ein gefährlicher Gegner!«

»Für Leute wie Sie allerdings. Darf ich mir eine Frage gestatten? Ich vermute, Sie haben Schraut und mich beobachten lassen und wussten daher, dass wir über die hintere Mauer in den Park eindrangen. Deshalb auch die Falle im Autoschuppen, deshalb der Chinese, der die Tür halb offen ließ, und deshalb die beiden Leute dort drinnen, die mich dann beinahe erwürgt hätten, wobei Sie noch halfen. Sehr zart ging man mit mir nicht um.«

»Hätten Sie sich zur Wehr gesetzt, hätten sie Sie sofort niedergestochen«, sagte die Malcapier schnell.

»Das ahnte ich. Der Chinese sollte uns durch sein scheues Benehmen in den Schuppen locken, nicht wahr?«

»Allerdings.«

Damit war diese merkwürdige Unterhaltung abgeschlossen.

Unsere Gegnerin läutete erneut nach dem Chinesen. Man legte uns die Decken über den Kopf, knotete sie um den Hals fest und führte uns dann die Treppe hinauf. Die Malcapier hatte meinen rechten Arm umspannt. Der Marsch dauerte mindestens eine halbe Stunde. Dann nahm man uns die Decken ab. Wir standen in einem buschreichen Tal, vor uns der Chinese und das rotblonde Weib.

»Auf Wiedersehen, Herr Harst!«, sagte die Malcapier. In diesen Worten klang ein überlegenes Sicherheitsgefühl mit, gleichzeitig aber auch eine versteckte Drohung.

»Auf Wiedersehen – morgen um 16 Uhr«, erwiderte Harst so höflich, als hätte er eine große Dame vor sich.

Die Malcapier und der Chinese machten kehrt und gingen den Pfad entlang, der das Tal durchschnitt, auf der einen Seite, wir auf der anderen. Als wir eine kleine Anhöhe erklommen hatten, sahen wir links von uns die Batterien des Forts Canning liegen. Es erhebt sich nordwestlich vom Europäerviertel mit seinen Panzertürmen drohend, richtig wie eine Zwingburg, mitten in die Stadt eingebettet.

Harst hielt mir sein Zigarettenetui hin.

»Bediene dich. War ganz interessant, dieser Zwischenfall, oder nicht?!«

Ich konnte nun endlich meine Weisheit an den Mann bringen.

»Harald, wenn die Malcapier auch etwas mit dem Mord an Stevenpole zu tun hätte!«, begann ich hastig. »Als ich die Matsoa-Spinne erblickte, dachte ich sofort an die Spinne im Billardzimmer, die später verschwunden war.«

»So, so, also da erst dachtest du an den Mord?!« Ich dachte schon daran, als ich den ringförmigen Fleck sah und mir klar wurde, dass der Chinese uns in den Autoschuppen locken wollte. Das waren ja genug Beweise dafür, dass die chinesischen Diener Stevenpoles die Malcapier kannten und entführt hatten. Mithin konnten sie auch bei dem Mord die Hand im Spiel haben. Um diese Frage zu klären, lief ich scheinbar blindlings in die Falle. Ich ahnte, was kommen würde. Aber es sollte kommen! Und ich tat recht daran, mich und meine Begleiter dieser Gefahr auszusetzen und sehr unangenehme Stunden durchzumachen. Dass dieser Handel abgeschlossen werden würde, ahnte ich ebenso wenig wie die Bedrohung durch die beiden geladenen gelben Matsoa. Ich wollte die Malcapier im Gespräch aushorchen. Ich brauchte es nicht, denn sie verriet sich selbst. Du weißt ja durch Jobsters Schilderung der Einzelheiten des Mordes, dass die Polizei niemals auch nur das Allergeringste davon hat in die Öffentlichkeit dringen lassen, dass eine Matsoa-Spinne und das Gift dieser Tiere bei dem Verbrechen eine bisher unaufgeklärte Rolle spielen. Die Zeitungen und das Publikum glauben noch heute die Geschichte vom vergifteten Dolch oder Messer, die Jobster sich ausgedacht hat. Dass auch die Malcapier – und nun gib acht, mein Alter – ebenfalls in keiner Weise ahnt, dass die Behörden in Wahrheit das Rätsel dieser Matsoa-Spinne, die Tom Barbaley sah und die nachher verschwunden war, zu lösen trachten, geht mit aller Bestimmtheit aus der Art hervor, wie man mich zu diesem Handel presste: eben durch eine gelbe Matsoa. Die Malcapier hätte niemals diese Art gewählt, um uns gefügig zu machen, wenn sie vermutet hätte, dass Jobster bei diesem Mord einer von der Decke des Billardzimmers herabhängenden Matsoa eine gewisse Bedeutung beimisst. Kurz, das alles zusammengefasst: Stevenpoles chinesische Diener sind Vertraute der Malcapier. Stevenpole wird ermordet und der Mord hängt irgendwie mit einer Matsoa oder Matsoagift zusammen. Wir beide werden ebenfalls durch Matsoa bedroht. Da ist also nun die Verbindung zwischen der Malcapier und dem Mord gegeben: Die Matsoa-Spinne stellt diese Verbindung her!«

Er schwieg sekundenlang. Wir bogen bereits in eine der hell erleuchteten Hauptstraßen ein.

»Und nun das Belastendste für die Malcapier!«, fuhr er fort und schob seinen Arm in den meinen. »Sie sprach von einer geladenen Matsoa, als sie den Chinesen ermahnte, ja vorsichtig zu sein, wenn er mit den Spinnen hantiert. Geladene Matsoa! Begreifst du, was das bedeutet? Nun, es kann nur eins bedeuten und dies beweist die ganze Ruchlosigkeit dieses Weibes sowie die Art des Todes des Admirals: Man hat die Beißkiefern der Matsoa noch mit Gift getränkt, das genau dem Gift dieser Spinnen entspricht! Es ist eine dermaßen ungeheuerliche, verbrecherische Erfindungsgabe, wie man sie selten antreffen wird!«

»Also starb der Admiral durch eine geladene Matsoa?«, fragte ich schnell.

»Ja, er starb auf diese Weise. Damit für heute genug, mein Alter. Fahren wir in unser Hotel und verschlafen wir zum Schein die Verabredung mit Jobster für morgen früh. Ich wollte doch ein kleines Experiment anstellen.«

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