Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius … Teil 8
Oskar Ludwig Bernhard Wolff
Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius,
seinem Leben, seinen Taten und seinem Ende
Volksbücher Nr.46, Verlag Otto Wigand, Leipzig
Wie der Kaiser Virgilius um Rat fragte, auf welche Weise er die Straßen von den Übeltätern und Nachtschwärmern reinigen solle
Diele Klagen waren zu des Kaisers Ohren gekommen über Diebe und Mörder, welche zur Nachtzeit die Straßen zu Rom sehr unsicher machten. Er erbat sich dieser bald den guten Rat des Virgilius und fragte ihn, was er tun solle, um solchem Unwesen zu steuern.
Da antwortete Virgilius dem Kaiser: »Ihr müsst ein Pferd von Erz machen lassen mit einem ehernen Reiter auf dem Rücken, der in der Hand eine eiserne Keule hält. Dieses Pferd lasst ihr vor dem Rathaus aufstellen und lasst ausrufen, dass in Zukunft abends um zehn Uhr mit einer Glocke geläutet werde, wer aber dann noch auf der Straße sei, würde totgeschlagen werden.«
Als nun dieses verkündet worden, war kehrten sich die Missetäter und Nachtschwärmer gar nicht daran, sondern meinten, nach wie vor sich zur Nachtzeit in den Straßen umhertreiben und ihre bösen Werke verrichten zu wollen. Kaum hatte jedoch die Glocke zum ersten Mal das Zeichen zur Nachtruhe gegeben, da sprengte der eherne Mann auf dem ehernen Ross durch alle Straßen von Rom und ließ keine unbesucht. Wen er aber antraf, Mann wie Frau, den schlug er auf der Stelle mit seiner eisernen Keule tot, sodass er an jenem Abend mehr denn zweihundert Menschen tötete. Als die Diebe und Nachtschwärmer das erfuhren, dachten sie darüber nach, wie sie sich davor schützen sollten und kamen auf den Gedanken, Leitern mit eisernen Haken mit sich zu nehmen. Wenn nun der eherne Reiter kam, so hängten sie die Leitern an die Häuser und stiegen hinauf, sodass sie über ihm waren, er unter ihnen durchreiten musste und sie nicht erreichen konnte.
Dadurch aber wurde das Unwesen in den Straßen noch schlimmer als zuvor und es kamen wiederum viele Klagen an den Kaiser, der von Neuem Virgilius um Rat fragte.
Virgilius sagte: »Ihr müsst eherne Hunde machen lassen, Herr Kaiser, und sie zu beiden Seiten des Pferdes aufstellen. Und wenn das geschehen ist, lasst ausrufen, niemand solle, so ihm sein Leben lieb sei, sein Haus verlassen, sobald um zehn Uhr abends die Glocke das Zeichen gegeben habe.«
Dies geschah, aber auch daran kehrten sich die Diebe und Nachtschwärmer nicht, sondern trieben sich nach wie vor in den Straßen herum. Als sie nun den ehernen Reiter kommen hörten, hängten sie die Leitern an und kletterten auf die Häuser hinauf, allein die Hunde sprangen ihnen nach, packten sie und rissen sie in Stücke. Von dieser Zeit an herrschte nächtliche Ruhe und Sicherheit in Rom.
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