Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius … Teil 7
Oskar Ludwig Bernhard Wolff
Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius,
seinem Leben, seinen Taten und seinem Ende
Volksbücher Nr.46, Verlag Otto Wigand, Leipzig
Wie Virgilius Salvatio Romae machte
Der Kaiser fragte Virgilius, wie er Rom glücklich machen könne und wie er es einrichten könne, dass ihm viele Länder untertan seien und er es augenblicklich wisse, wenn eines dieser Länder sich dagegen aufzulehnen gedenke. Virgilius aber antwortete dem Kaiser: »In kurzer Zeit will ich solches ins Werk setzen.«
Und er baute einen Tempel auf dem Kapitol, wo das Rathaus von Rom war, und schmückte ihn mit Bildsäulen und steinernen Bildnissen und stellte alle Götzen, die in Rom angebetet wurden, hinein. Jedes Götzenbild aber hatte eine Schelle in der Hand, und in die Mitte aller setzte er das höchste Götzenbild, das in Rom angebetet wurde. Diese aber nannte er Salvatio Romae, was so viel heißt wie Rettung oder Errettung Roms. Wenn nun ein Volk sich anschickte, Rom mit Krieg zu überziehen, so wandten sich die übrigen Götzen von dem obersten Götzen ab, und der Götze dieses Volkes läutete so lange mit seiner Schelle, bis die Ratsherren es hörten und sich alsbald dorthin begaben, um zu sehen, welches Land sich bewaffnete, damit sie ihm zuvorkommen, es mit einem Heer überfallen und wieder unterjochen könnten.
Das erfuhren auch die Karthager, die darüber sehr betrübt waren, weil sie schon so viel von den Römern hatten erdulden müssen. Da hielten sie einen geheimen Rat, wie sie Satans Zauberwerk vernichten könnten, und kamen auf folgendes Mittel. Sie schickten drei Männer nach Rom und gaben ihnen große Reichtümer an Gold und Silber mit. Diese drei Männer machten sich auf den Weg. Als sie nach Rom kamen, gaben sie sich als Wahrsager und Traumdeuter aus. Eines Tages aber gingen dieselben drei Männer zu einem Hügel in der Stadt und vergruben dort einen Topf voll Geld tief in der Erde. Als sie das getan und die Grube wieder zugeschüttet hatten, gingen sie zur Tiberbrücke und ließen an einer bestimmten Stelle ein Fass mit goldenen Federn in den Fluss fallen. Dann gingen die drei Männer zu den Senatoren von Rom und sagten zu ihnen: »Ehrwürdige Herren, wir haben heute Nacht geträumt, dass am Fuße des Hügels ein großer Topf mit Geld vergraben ist. Wenn ihr uns erlaubt, wollen wir die Kosten der Suche tragen.«
Die Senatoren erlaubten es, und sie nahmen Arbeiter und gruben das Geld aus der Erde. Als sie das getan hatten, machten sie sich zum zweiten Mal auf, traten vor die Senatoren und sprachen: »Ehrwürdige Herren, uns ist auch geträumt worden, dass an einer gewissen Stelle des Tibers ein Fass mit goldenen Federn liege. Wenn Ihr uns erlaubt, wollen wir es suchen.«
Die Ratsherren von Rom, die nicht an Betrug dachten, erlaubten es ihnen und sagten, sie wollten ihr Bestes tun. Die Wahrsager freuten sich sehr darüber, mieteten Boote und Leute und fuhren an den Ort, wo es lag. Dort suchten sie alles ab, bis sie endlich das Fass mit den goldenen Federn fanden. Sie taten so, als ob sie sich darüber sehr freuten, und brachten den Senatoren zum Dank köstliche Geschenke. Um nun ihr Ziel zu erreichen, traten sie bald darauf zum dritten Mal vor den versammelten Senat und sprachen: »Ehrwürdige Herren, wir haben geträumt, dass in der Tiefe des Capitoliums, dort, wo die Salvatio Romae steht, zwölf Fässer mit Gold liegen, und es möge euch gefallen, wenn ihr uns erlaubt, danach zu suchen, es wird euch zum größten Nutzen gereichen.«
Die habgierigen Ratsherren gewährten es ihnen, weil sich schon zweimal bewahrheitet hatte, was sie gesagt hatten. Sie freuten sich sehr darüber, nahmen Arbeiter an und begannen unter den Fundamenten von Salvatio Romae zu graben. Als sie glaubten, genug gegraben zu haben, verließen sie Rom, und am nächsten Tag stürzte das Gebäude mit dem ganzen Werk des Virgilius ein.
Da erfuhren die Senatoren, dass sie betrogen worden waren, und von da an hatte Rom nicht mehr so viel Glück wie in früheren Tagen.
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