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Der Detektiv – Band 27 – Die Uhrkette des Bill Hamilton – Teil 3

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 27
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die Uhrkette des Bill Hamilton

Teil 3

Mich hatten diese Sätze wie Keulenschläge getroffen. Ich war im ersten Moment wie betäubt von diesen Andeutungen, deren vollen Sinn ich nur zu gut begriff.

»Du glaubst also, dass die Entführung der Töchter und der Miss Backerley Schwindel ist?«, fragte ich dann, nachdem ich mich von dieser Überraschung erholt hatte.

»Glauben? Nein. Das ist zu viel gesagt. Ich muss es jedoch der jetzigen Sachlage nach annehmen. Nur annehmen. Glauben werde ich erst daran, wenn ich bessere Beweise habe als die bisherigen, obwohl auch diese schwerwiegend genug sind. Melprove hat auf mich einen sehr guten Eindruck gemacht. Einen so guten, dass trotz dieser schwerwiegenden Verdachtsgründe allerlei Zweifel diese Gründe bekämpfen. Wir können jetzt in ziemlicher Ruhe uns unterhalten. Unser Gefängniswärter war vorhin hier, hat unsere Fesseln geprüft und ist dann davongegangen. Ich hörte, wie er zum Frühstück gerufen wurde. Wer es ist, weiß ich noch nicht. Ich weiß nur, dass dies hier eine Dachkammer ist, dass von hier eine Tür in ein nettes Zimmer führt, neben dem noch ein zweites liegt. Und in diesem zweiten muss unser Wächter hausen. Die Bodenkammertür selbst ist verschlossen. Ich habe aber durch das Schlüsselloch geschaut.«

»Unglaublich!«, murmelte ich. »Also wirklich in Melproves Bungalow gefangen, unglaublich!«

»Allerdings! Denn wenn die Entführung Schwindel ist, wenn also auch alles andere – der Brief des Piraten, die Uhrkettenglieder und so weiter – lediglich Requisiten einer raffinierten, frechen Komödie sind, dann … dann ist eben Melprove der Anstifter, dann hat er Nacht auf seinem Bett nur den Angstgefolterten geheuchelt, dann hält er uns hier nur deshalb fest, damit wir ihm das Spiel nicht vermasseln

»Aber … aber, wozu hat er dann gestern sich in das Klubhaus eingeschlichen, weshalb hat er uns dann überhaupt all das erzählt?«

»Max Schraut – Max Schraut, schäme dich! Du bist nun bereits über zwei Jahre mein treuer Gefährte. Und doch kannst du dir nicht zusammenreimen, weshalb Melprove gerade diese geheimnisvolle Art wählte, uns und van Diemen sein Unglück mitzuteilen! Bedenke: Van Diemen war dabei! Und der soll doch zur Ader gelassen werden, der soll seinem Freund Melprove mit Geld helfen! Gab es eine überzeugendere Art, diese Entführungsgeschichte jemand anzuvertrauen, als diese? Konnten da wohl in van Diemen Zweifel an ihrer Wahrheit aufsteigen, wo doch Melprove mich gleichzeitig um Hilfe bat?«

Ich verstand. »Allerdings. Das war überaus geschickt eingefädelt«, sagte ich leise. Sofort setzte ich aber hinzu: »Trotz alledem – mir will diese deine Theorie nicht gefallen, Harald! Melprove kann unmöglich als Kaufmann ein so glänzender Schauspieler sein, um so täuschend Verzweiflung, Angst, Verstörtheit und alles andere zu heucheln!«

»Sehr richtig, mein Alter. Auch mir behagt diese Theorie nicht. Aber, sage selbst: Wie hätte sich in einem Haus mit so zahlreicher Dienerschaft wohl etwas Derartiges abspielen können, wie in dieser Nacht, wenn nicht der Hausherr selbst mit alledem einverstanden war und dafür gesorgt hat, dass die Komödie im Schlafzimmer nicht durch das Erscheinen eines der Diener gestört werden konnte? Überlege dir, welches Wagnis diese Szene mit dem Schlangenpendel und so weiter für Verbrecher gewesen wäre, wenn diese eben nicht sich vollkommen sicher gefühlt hätten! Überlege weiter: Wie können wir hier in Melproves Bungalow festgehalten werden, wenn der Besitzer davon nichts weiß? Wir sind eine Treppe emporgetragen worden; die Stufen knarrten. Aber die, die uns wegschleppten, kümmerten sich nicht um diese Geräusche! Mein Alter, das sind so schwere Verdachtsmomente, dass dagegen Melproves Gesamteindruck auf uns nicht aufkommt. Immerhin – wir wollen uns auf diese Theorie nicht festlegen. Es gibt da noch eine andere Möglichkeit, bei der Melprove ein tadelloser Ehrenmann bleibt.«

»Und die wäre?«, fragte ich rasch.

»Ja – die wäre eben nachzuprüfen! Und das werden wir in der kommenden Nacht tun, natürlich unter den erdenklichen Vorsichtsmaßregeln. Die Sachlage für uns ist eben die: Melprove kann ein Schuft sein! Wüssten wir das schon jetzt bestimmt, dann könnten wir sofort mit Leichtigkeit ins Freie und ihn festnehmen. Aber – er kann ebenso gut auch wirklich das Opfer einer Erpresserbande sein. Wenn wir dann jetzt von hier fliehen, besser ausbrechen würden, hätten wir uns aller Aussichten beraubt, ihm helfen und seine Kinder befreien zu können. Du verstehst mich, nicht wahr: Bevor wir nicht die Gewissheit haben, dass meine erste Theorie absolut zweifelsfrei richtig ist, müssen wir weiter die wehrlosen Gefangenen spielen. Sollte sich herausstellen, dass meine zweite Theorie, die sich in der Hauptsache auf die Bauart des Hauses stützt, die wahrscheinlichere ist, so dürfte dieses Abenteuer uns noch viel Aufregungen und viel Kopfzerbrechen eintragen.«

»Bauart des Hauses?«, meinte ich nachdenklich. »Bitte, Harald, teile mir auch diese zweite Möglichkeit mit. Lass mich nicht wieder wie zumeist halb im Unklaren über deine Schlussfolgerungen. Was hat es mit dieser Bauart des Hauses auf sich?«

»Hm – besinne dich nur auf das, was Melprove über das Gespräch mit van Diemen hier auf der Veranda, als sie über das Festessen redeten, so bestimmt äußerte. Erinnerst du dich? Er sagte doch, niemand könnte ihn und van Diemen belauscht haben! Und trotzdem fand er am nächsten Morgen in der Serviette den Zettel, aus dessen Inhalt hervorging, dass man die beiden dennoch belauscht haben müsste. Denn Melprove hat ja van Diemen gebeten, nur die Vorstandsmitglieder wissen zu lassen, dass von ihm die Anregung zu dem Festessen ausgegangen sei. Mithin können die Verbrecher kaum von einem dieser Herren das erfahren haben, was sie am nächsten Morgen auf den Zettel mit Maschine geschrieben hatten.«

»Ein recht unklarer Fall alles in allem«, äußerte ich nun und ging schnell in Gedanken die Ereignisse nochmals durch, fügte dann hinzu: »Wenn ich mir so Melproves angstverzerrtes Gesicht auf dem Bett und das Schlangenpendel darüber vorstelle, dann …«

»Pst – man kommt!«, hauchte Harst und zog mir wieder das Tuch über den Kopf und befestigte den Knebel.

Ich hörte seinen Strohsack rascheln. Mir wurde noch heißer vor Aufregung. Wenn Harald nicht schnell genug die Haken einschrauben konnte, dann würde vielleicht schon jetzt entdeckt, dass wir nur noch freiwillige Gefangene waren; dann fand dieses Abenteuer vielleicht ein unerwünscht rasches Ende.

Ich lag mit wild klopfendem Herzen da. Nun tat sich fast lautlos die Kammertür auf. Ein etwas kühlerer Luftzug drang zu uns herein.

Die Tür wurde wieder geschlossen. Irgendjemand bewegte sich in der Kammer hin und her, blieb erst neben meinem Lager stehen, schien einen Bohrer in das Dachgebälk zu treiben, ging zu Harst hinüber. Abermals vernahm ich das leise Knirschen eines arbeitenden Bohrers, abermals schritt der Unsichtbare auf und ab, machte sich allerlei zu schaffen.

Dann entfernte er das Tuch von meinem Kopf. Gespannt blickte ich auf, sah einen hageren Menschen in einem weißen Leinenanzug mit einer aus einem Stück Zeug gefertigten Maske vor dem Gesicht und einer Art Turban auf dem Kopf.

Der Mann nahm gerade Harst das Tuch ab, sodass auch Harald mich nun sehen konnte, wie ich ihn sah, da wir mit den Füßen zueinander in einer Linie lagen.

Aber ich sah auch, wie der Unbekannte nun oben am Dachbalken mit den Händen eine Schnur losband – eine Schnur, an der unten eine gelb-braune Schlange hing – genauso wie über Melproves Bett!

Ich sah – die Laterne stand links von mir auf einem großen Koffer – wie der Mann das Schlangenpendel so lang machte, dass das Reptil genau drei Handbreit über Harsts Magengrube etwa hing, wie er die Schnur oben festband, wie er dann bei mir genau dasselbe tat, wie das kleine Reptil, das mich bedrohte, in wilder Wut sich drehte und wand, wie es an der Schnur hochzuklettern versuchte, wie es wieder herabglitt an diesem von Öl triefenden, schlüpfrigen Bindfaden, wie es hineinbiss in die Schnur, wie das Pendel zu schwingen begann.

Ich hatte für nichts anderes Augen als für diese Schlange, die menschliche Bosheit für mich als dauerndes Schrecknis hier aufgehängt hatte. Ich hörte kaum hin, als der Unbekannte nun mit tiefer Stimme wieder in englischer Sprache, sagte: »Jeder Fluchtversuch bringt euch den Tod! Lasst euch warnen! Armand Melprove ist nicht der Mann danach, umsonst zu drohen!«

Armand Melprove! Erst als wir wieder allein waren, erfasste mein Geist vollständig die Bedeutung dieses Satzes! Also war Melprove doch mitbeteiligt an dieser ungeheuren Schurkerei.