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Sagen der mittleren Werra 65

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Vom Riesen am Glasbach

Ein Fuhrmann, der sich um den Kuckuck nicht bekümmerte, befuhr einst in der Mitternachtsstunde die alte Weinstraße. Als er in die Nähe der alten Wallfahrtskapelle an der Glasbach anlangte, hörte er dicht neben sich stark niesen, und gab darauf ein ebenso kräftiges Gott helf! von sich. Das Niesen aber dauerte fort und der gutmütige Fuhrmann beantwortete es jedes Mal mit seinem Gott helf!. Da aber das Niesen kein Ende nehmen wollte, wurde er beim zwölften Mal der Sache müde und rief statt des gewohnten Gott helf!: »Nun, will dir Gott nicht helfen, so helf dir meinetwegen der Teufel!«

Das aber nahm das Gespenst übel und gab dem Fuhrmann, ehe er sich versah, ein paar so derbe Ohrfeigen, dass ihm Hören und Sehen verging. Als er sich von diesem Schrecken erholt hatte, war sein Pferd mit dem Karren auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

 

Vom weiß verschleierten Fräulein an der Wallfahrt

Hinter Schloss Altenstein, doch schon ziemlich weit oben im Gebirge, stand an der Kristallquelle der Glasbach am Fuße der Granitfelsen des Gerber- oder Gerwinsteines eine dem heiligen Michael geweihte Wallfahrtskapelle, die jedoch gleich dem dortigen Dörfchen Glasbach zu Luthers Zeiten bereits in Trümmern lag. Jene Stätte aber heißt heute noch die Wallfahrt oder Walper und blieb dem Volk gefeit; denn am Johannistag blüht dort dem Glücklichen die große goldgelbe Schlüsselblume, die ihm zu den verborgenen Schätzen die Pforte öffnet. Ebenso lässt sich allda auch noch von Zeit zu Zeit ein weiß verschleiertes Fräulein blicken und tritt mit den Leuten in Verkehr.

So ging einst in einem strengen Winter eine arme Frau aus Steinbach mit ihrem Kind zu der Walper ins Leseholz. Da erschien die Weißverschleierte dem Mägdlein, nahm es freundlich an der Hand und führte es in einen wunderschönen Garten voller köstlicher Blumen und Beeren und verhieß ihm beim Scheiden, es bald wieder mit sich zu nehmen.

Als nun das Kind mit der Mutter nach Hause kam, da erkrankte es heftig, und als die Mutter weinte, da sprach das Mägdlein: »Da kommt die weiße Jungfer, siehst du sie nicht, Mütterchen? Sie nimmt mich mit in ihren Garten zu den schönen Blumen und Beeren!«

Und die Mutter jammerte um ihr totes Kind.