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Das Geisterschiff – Kapitel 11

John C. Hutcheson
Das Geisterschiff
Kapitel 11

Im Golfstrom

»Es ist eine Totenstille, Sir!«, hörte ich Mr. Fosset am nächsten Morgen vor der Tür der Kapitänskajüte sagen, die sich vom Salon aus in der Nähe meiner Koje öffnete, als er ihn um vier Uhr nachts auf Anweisung rufen wollte. »Der Sturm hat sich völlig gelegt, und es weht nur noch eine kleine Brise aus dem Süden.«

»Hm!«, gähnte der Skipper innen. »Das ist eine gute Nachricht, Fosset. Ich glaube, wir haben genug Wind für einen ganzen Vollmond!«

»Das finde ich auch, Sir«, stimmte der andere mit viel Herzlichkeit zu. »Ich möchte nicht noch einmal dasselbe erleben, bei Jingo!«

»Ich auch nicht«, antwortete der andere, der sich offenbar gerade aus seiner Koje erheben wollte. »Ich bin in etwa fünf Minuten an Deck, Fosset.«

Der Erste Offizier ließ sich damit jedoch nicht abwimmeln, denn er hatte offenbar noch eine weitere wichtige Information zu geben, die er sogleich verkündete.

»Wissen Sie, Sir, ich glaube, wir sind im Golfstrom«, sagte er in beeindruckendem Ton. »Um das Schiff herum treibt eine Menge dieses Unkrauts.«

»Golfgras?«, rief die Stimme des Kapitäns wieder aus der Kabine, die etwas gedämpft klang, als ob er gerade dabei war, sich das Hemd über den Kopf zu ziehen. »Sind Sie sicher?«

»Aye«, bestätigte der andere. »Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel. Es ist unmissverständlich, Sir.«

»Zum Teufel, das ist es!«, sagte der Kapitän in einer lauteren Tonlage, die zeigte, dass meine Vermutung über den Fortschritt seiner Toilette richtig gewesen und sein Kopf nun aus seiner Sackhülle befreit war. »Bei Gott, ich kann es gar nicht erkennen!«

»Es ist nicht zu übersehen, Sir«, beharrte der Erste Offizier. »Wir sind ganz von dem Unkraut umgeben. Ich habe es beim ersten Lichtstreif um zwei Glasen gesehen, als ich plötzlich über Bord sah, Sir. Jetzt ist Mr. O’Neil oben auf der Brücke, und er hat es auch bemerkt!«

Der Kapitän war, nach der Stimme zu urteilen, die aus seiner Kajüte kam, und nach der Art, wie er mit seinen Stiefeln und anderen Dingen um sich schlug, von Mr. Fossets unerwarteter Ankündigung ebenso verblüfft, wie er es am Abend zuvor von dem Anblick gewesen war, den er, ich und der Bootsmann gesehen hatten.

Er war auch wütend, das weiß ich, und so hielt ich es für gut, mich ebenfalls so schnell wie möglich aus meiner Koje zu erheben, da es unter diesen Umständen nicht ratsam war, beim Schlafen erwischt zu werden.

»Bei Gott, das verstehe ich nicht!«, wiederholte Kapitän Applegarth verärgert. »Wenn wir uns im Golfstrom befinden, kann ich nur sagen, dass wir in den letzten zwei oder drei Tagen eine unglaubliche Strecke zurückgelegt haben müssen. Die Strömung ist doch nur selten oberhalb des vierzigsten Breitengrades wahrnehmbar!«

»Das weiß ich, Sir«, antwortete der Erste Offizier; »aber wenn Sie sich erinnern, Sir, nach der Mondbeobachtung, die Mr. O’Neil in der Nacht des Unfalls gemacht hat, waren wir damals so weit südlich bei 41° 30 Minuten, und seither treiben wir von Osten nach Südosten.«

»Nun, Fosset, wenn ich wüsste, wo wir sind, nach dem Hin und Her, das wir seit letztem Freitag hatten«, sagte der Kapitän, der nun in den Salon kam, wo ich, bereits angezogen, eilig eine Tasse Kakao und einen Bissen Zwieback zu mir nahm, den mir Weston gerade aus der Kombüse gebracht hatte. »Ich bin schon fast geneigt, an den alten Aberglauben zu glauben, dass heute ein Unglückstag ist, obwohl ich früher immer darüber gelacht habe!«

»Es gibt viele an Bord, die an noch seltsamere Dinge glauben«, sagte Mr. Fosset trocken, mit einem vielsagenden Blick in meine Richtung und betrachtete meinen Kakao, als ob er selbst gerne eine Tasse trinken würde. »Ich sage Ihnen, Haldane, der Kakao riecht gut!«

»Er ist gar nicht so schlecht, Sir«, antwortete ich grinsend. »Vielleicht möchten Sie auch etwas davon, Sir. Weston hat noch viel mehr davon hier drin, heiß, gerade von der Kombüse geholt!«

»Ich habe nichts dagegen, wenn ich eine Tasse nehme«, sagte er. »Wollen Sie sich zu mir setzen, Käpt’n?«

»Nein, danke, ich bin zu beunruhigt. Ich warte bis zum Frühstück«, sagte der Kapitän, drehte sich um, um durch den Niedergang an Deck zu gehen, und hängte seine Mütze an den Haken neben seiner Kabinentür. »Ich hoffe, es dauert nicht lange, ja?«

»Ich komme gleich nach, Sir, sobald ich einen Schluck von diesem warmen Zeug gegen die Kälte genommen habe. Hallo, Steward?«

»Aye, aye, Sir?«, antwortete Weston und steckte prompt den Kopf aus der Kombüse, wo er zugehört hatte. »Eine Tasse Kakao, Sir? – Ja, Sir.«

»Ich sage, Fosset«, sagte der Kapitän, der eine Weile in der Nähe verweilt hatte, als ob er tief in Gedanken versunken wäre, als ob er versuchte, sich an etwas zu erinnern, »ich sage, wir müssen heute einige Anmerkungen auf der Karte machen, verstehen Sie!«

»Ja, Sir. Ich glaube nicht, dass es dabei irgendwelche Schwierigkeiten geben wird. Oder?«

»Nein; die Sonne sollte an einem solchen Morgen mittags ziemlich klar sein – klar genug jedenfalls, damit wir den Breiten- und Längengrad bestimmen können.«

»Genau das habe ich zu Spokeshave gesagt, Sir, bevor ich vor einer Weile herunterkam, um Sie zu rufen.«

»So ist es.«

»Aye, genauso, Sir.«

Daraufhin schmunzelten beide über die treffende Nachahmung von Master Conkys Lieblingsphrase durch den Kapitän, die Kapitän Applegarth in genau dem Tonfall des kleinen Kerls aussprach, und zwar so ähnlich, dass ich mich fast verschluckte, während ich den Rest meines Kakaos hinunterschluckte, meine Tasse eilig austrank und aufstand, um dem Kapitän über die Niedergangstreppe an Deck zu folgen.

Wie Mr. Fosset gesagt hatte, herrschte Totenstille auf dem Meer, denn die leichte Dünung, die nach dem Sturm vom Vorabend noch bis zu meinem Abstieg unter Deck vorhanden war, war völlig verschwunden. Die Wasseroberfläche war bis zur Horizontlinie spiegelglatt und leuchtete jetzt in der rosigen Farbe des Sonnenaufgangs im Osten. Der Himmel bewahrte jedoch noch die blassen, neutralen Farben der Nacht im Westen und bis zum Zenit, wo er in ein schwaches und schönes Seegrün überging, das sich unmerklich in der warmen Färbung des Morgengrauens verlor, das von Augenblick zu Augenblick immer intensiver wurde und das Herannahen des Morgens ankündigte.

Endlich sprang die herrliche Sonne auf, stolz, aus dem Grund des Ozeans, ein wahrer Globus aus flüssigem Feuer, der den weiten, fernen Himmel und das Meer mit einer Fülle von Licht und Glanz überflutete, der alles um sich herum zu beleben schien.

»Da, Haldane«, sagte Kapitän Applegarth und deutete über die Reling auf eine Menge wuchernder Massen von quasi fadenförmigem Zeug, das in der Nähe des Schiffes auf dem Wasser trieb und aussah wie pflanzliche Abfälle aus Neptuns Gemüsegarten. »Das ist das Golfkraut, von dem Mr. Fosset mir gerade erzählt hat.«

»In der Tat, Sir, ich kann nicht viel zu seinem Aussehen sagen. Es sieht eher aus wie ein Haufen Blumenkohl, der verwildert ist, als alles andere, Sir!«

»Ja, das ist kein schlechtes Gleichnis von dir, mein Junge«, erwiderte er, trat näher an die Seite und schickte seinen scharfen, seemännischen Blick nach unten und oben, um zu sehen, wie es unserer alten Barke nach dem Sturm ergangen war. »Wenn ich mich recht erinnere, hat einer unserer besten Naturforscher eine ähnliche Beschreibung gegeben. Ja, das ist das Golfkraut oder Sargassum oder Fucus natans, wie die großen Herren es in ihrem lateinischen Vokabular bezeichnen. Eine komische Art von Tauwerk, nicht wahr?«

»Ja, das sieht wirklich komisch aus, Sir«, sagte ich, denn ich hatte noch nie die Gelegenheit gehabt, es zu sehen, da alle meine bisherigen Reisen über den Atlantik außerhalb der Grenzen des unheimlich aussehenden Golfkrauts lagen. »Wächst es im Meer, Sir? Es sieht so frisch und grün aus.«

»Nun, das hängt davon ab, wie Sie es sehen, mein Junge«, erwiderte der Kapitän eher abwesend, da seine Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet war, worüber er sich offensichtlich nicht ganz im Klaren war, denn er hatte einen leicht verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht. »Sehen Sie, das liegt alles an diesen geschwätzigen Kerlen, die sich nicht mit dem zufrieden geben, was der Schöpfer ihnen gibt, sondern für alles eine Ursache und einen Grund jenseits von Gottes eigenem Willen und Wohlgefallen finden müssen, und die ihre eigenen willkürlichen Regeln für die Führung der Dame Natur aufstellen, obwohl, unter uns gesagt, Haldane, die alte Dame viele Jahre lang – ich möchte nicht sagen, wie viele – ohne ihre kostbare Hilfe auskam! Diese Herren, die alles wissen, werden sagen, dass das Golfkraut tief unten auf dem Meeresgrund wächst und dass nur die Zweige und Ranken, sozusagen die Blätter, an der Oberfläche schwimmen und für uns sichtbar sind.«

»Wie eigenartig, Sir«, sagte ich. »Genau wie eine Aquarienpflanze. Das ist seltsam!«

»Das wäre es, wenn es wahr wäre, denn sie müssten ungewöhnlich lange Stängel haben, denn in der Sargassosee, im Zentrum des Golfstroms, wo das Unkraut am üppigsten und frischesten wächst, beträgt die gemessene Wassertiefe über vier Meilen!«

»Das ist doch unwahrscheinlich«, entgegnete ich, »ich meine die Tatsache, dass es vom Meeresgrund heraufwächst, Sir.«

»Gewiss nicht, mein Junge. Ein anderer weiser Mann, von der gleichen Sorte wie der langatmige Verfechter der Theorie, die ich soeben erläutert habe, sagt, dass das Golfkraut in seinem natürlichen und ursprünglichen Zustand auf den felsigen Inseln und Vorgebirgen der Küste Floridas wächst und dass es durch die Wirkung der großen atlantischen Strömung, die es viele Meilen von seiner Heimat entfernt trägt, dorthin gerissen wird; obwohl ich seltsamerweise noch nie ein Golfkraut auf den Felsen im Golf von Florida oder in einem der angrenzenden Meere wachsen gesehen habe, und meines Wissens auch sonst niemand!«

»Dann glauben Sie nicht, dass es überhaupt wächst, oder, Sir?«

»Nein, das glaube ich nicht. Meiner Meinung nach ist es eine Oberflächenpflanze aus der Zucht des alten Neptuns, und das warme Wasser des Golfstroms züchtet es und nährt es, denn zu bestimmten Zeiten scheint es teilweise verwelkt, und das kann nicht auf einen Zufall zurückzuführen sein. Das Unkraut, glaube ich, ist ein Seemann wie du und ich, mein Junge, und lebt und hat sein Dasein auf dem Meer, was auch immer eure Küsten-Naturforscher, die aus persönlicher Beobachtung nicht viel darüber wissen, das Gegenteil behaupten mögen. Aber hallo, mein Junge, sieh mal da vorne! Wo ist denn unser Spierenanker hin? Ich dachte, ich hätte etwas bemerkt, aber ich konnte nicht erkennen, was es war. Sieh nach, mein Junge, ob du es sehen kannst!«

Ich war für den Moment ebenso verwirrt, denn obwohl unser gutes Schiff so friedlich auf dem Schoß der Tiefe ruhte, als wäre es vertäut, war das floßartige Spierenbündel, an dem es in der Nacht zuvor festgemacht worden war, jetzt nicht mehr zu sehen, wie es quer zu unserer Trosse vor sich hin dümpelte wie damals.

Wo konnte unser wunderbarer Treibanker nur hin sein?

Im nächsten Moment sah ich jedoch, was geschehen war, denn die Windstille erklärte das Rätsel leicht.

»Er schwimmt längsseits, Sir«, sagte ich. »Ich kann ihn unter der Reling auf der Backbordseite sehen, Sir.«

»Ja, natürlich, da ist er, der Beweis für die Anziehungskraft der Schwerkraft oder für irgendeine andere langatmige Theorie deiner wissenschaftlichen Herren«, entgegnete der Kapitän, der an diesem Morgen die Wissenschaft im Kopf zu haben schien, da er ihr irgendwie heftig widerstrebte. »Ah, Fosset, sieh mal, unser Anker ist ohne zu lenzen zurückgekommen. Ich denke, es ist besser, wenn du die Spieren an Bord holst und die Stangen wieder auftakelst, jetzt, wo sie uns auf andere Weise gedient haben – ja, und zwar gut.«

»Aye, aye, Sir«, sagte der Erste Maat, der uns auf dem Vorschiff gefolgt war und, wie ich feststellen konnte, nach dem guten und frühen Frühstück, das er gerade beendet hatte, umso besser aussah. »Ich wollte sie gerade holen, habe aber gewartet, um Sie zu benachrichtigen.«

»Nun, du brauchst nicht länger zu warten, Fosset«, erwiderte der Kapitän. »Gib den Befehl an den Bootsmann weiter.«

»Aye, aye, Sir. Quartiermeister, rufen Sie Masters!«

»Bo’sun, alle Mann sollen die Spieren an Bord hissen!« Diese Anweisungen brüllte Mr. Fosset in rascher Folge, und dann ertönten in ebenso rascher Folge die Pfeife des Bootsmanns und der Ruf an die Männer an Deck.

Der Erste Maat brüllte seine Befehle, und der alte Masters sorgte dafür, dass sie von den fleißigen Händen und Füßen ordnungsgemäß ausgeführt wurden, während der Kapitän auf dem Vorschiff stand und die Dinge mit seinem scharfen Auge überwachte, und wehe dem, der einen Fehler machte oder ein Seilende lockerließ!