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Die Gespenster – Dritter Teil – 45. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Fünfundvierzigste Erzählung

In einem Mansfelder Forst erblickt ein Waldgeist den wilden Jäger und dieser nicht ohne Entsetzen den Geist

Als ich noch im Mansfeldischen lebte und über einen dortigen Forst die Aufsicht hatte, durchstrich ich wegen der damals sehr um sich greifenden Holzdiebereien am späten Abend noch einen Teil dieses Forstes, um vielleicht Holzdefraudanten anzutreffen. Es mochte fast Mitternacht sein, als ich folgendes, höchst sonderbares, spukhaftes Ereignis erlebte.

Ich hörte in der Ferne einiges Geräusch, vermutete dort Holzdiebe und ging raschen Schrittes darauf los. Ich glaubte, redende Männer einen jagenden Holzwagen und schnaubende Pferde gehört zu haben, und fand doch von dem allen nichts, so hell auch der Mond durch die Bäume schien. An meiner Saumseligkeit, dachte ich, kann es doch nicht gelegen haben, denn kein Wagen kann im Gehölz so rasch fahren, als ich ging, der ich jeden Fußtritt kannte und mit Vogelschnelligkeit jeden Richtweg durchlief. Ich war da, wo die Töne noch eben herzukommen schienen, blickte forschend um mich her und sah nichts als eine lange weiße Gestalt, die sich an eine Rüster anschmiegte, als wollte sie ihren Gipfel ersteigen.

Noch fiel mir es nicht ein, ein Gespenst zu sehen, denn wir Waidmänner sind aus Gewohnheit und durch die Natur unseres Berufes dreist und glauben nicht viel an Alfanzereien der Art. Ich glaubte vielmehr nichts Eiligeres zu tun zu haben, als der Erscheinung zu Leibe zu gehen und ihr mit gespanntem Gewehr ein Steh! Kanaille! zuzurufen.

Der Geist stand stumm und unverrückt. Nur noch drei Schritte von ihm entfernt, erkannte ich deutlich eine schlanke weibliche Gestalt, deren Oberteil fast ganz in ein weißes Tuch gehüllt waren. Ich bot ihr einen guten Abend, aber sie dankte mir nicht.

Auf meinen Zuruf »Wer seid Ihr?« erfolgte keine Antwort; meine Beschuldigung »Gewiss gehört Ihr zu den Holzdieben, deren Wagen und Pferde mir jetzt eben entwischt sind«, wurde anscheinend ganz gleichgültig vernommen. Und mein Befehl »Fort von hier! Heraus aus dem Holz!« wurde nicht befolgt. Der Geist blieb unbeweglich und so stumm an der Rüster stehen, als ob ich gar nicht mit ihm spräche. Dies verdross mich umso mehr, da ich hier im Holz in meinem Beruf war. Um die Stumme zur Sprache zu bringen, gab ich ihr mit der Hetzpeitsche einen Riss um den Leib. Aber auch jetzt erfolgte nicht der geringste Laut, ungeachtet ich, aufgebracht über ihren Ungehorsam, sie die Kraft meines Armes ziemlich unsanft fühlen ließ. Hätte die Erscheinung beim ersten Peitschenhieb nicht durch eine gewisse Bewegung des Körpers Empfindlichkeit geäußert, so würde ich in die Versuchung geraten sein, zu glauben, die Gestalt sei leblos. Nun aber stand ich noch immer in dem eitlen Wahn, ihr durch die Hetzpeitsche die Zunge lösen zu können. Ich versetzte ihr daher noch zwei derbe Schläge, aber meine Frage »Hast du keinen Mund?« blieb ebenfalls unbeantwortet.

Nun erst überlief mich ein kalter Schauer, und plötzlich erwachte in mir der Gedanke an die Möglichkeit, dass ich es in dieser mitternächtlichen Stunde doch wohl mit einem übermenschlichen Wesen zu tun haben könnte. Ich eilte ebenso rasch nach Hause, wie ich vorhin die vermeinten Holzdiebe verfolgt hatte.

Auf meinem Rückzug warf ich zuweilen einen Rückblick zu dem Geist hin. So lange ich die Rüster sehen konnte, blieb auch der Geist an ihr angeschmiegt; aber dieser schien nun mehr als in meiner Gegenwart sich zu bewegen. Mir war nicht wohl dabei zumute und ich hätte es nimmermehr geglaubt, dass ich mich so fürchten könnte. Indessen schämte ich mich doch meiner Furcht vor einem Geist viel zu sehr, als dass ich dieses Abenteuer meinen Jagdgenossen hätte erzählen sollen.

Am nächsten Morgen, als ich ausgeschlafen hatte und in meinem Beruf wieder zum Forst eilte, war alle Furcht gänzlich verschwunden. Ich richtete daher meine Schritte geradewegs auf jene spukhafte Rüster. Der Geist war nicht mehr da, und wahrscheinlich schon beim nächtlichen Glockenschlag Eins dem menschlichen Auge unsichtbar geworden. Auch hatte er keine Spur von sich hinterlassen.

Dagegen fand ich in einem anderen Teil des Forsts gestohlenes, aber von den übereilten Holzdefraudanten wieder abgeworfenes Holz, und auch die Spur eines Wagens, der sich von der Rüster her zu jenem Holzhaufen hinzog und sich dann zum Dorf hin verlor. Vielleicht, dachte ich, habe ich in der feierlichen Stille der Nacht wohl nur irrigerweise geglaubt, das Rasseln jenes Wagens in meiner Nähe zu hören. Übrigens blieb die gehabte Erscheinungsgeschichte für jetzt noch völlig ohne Aufschluss für mich.

Nach acht Tagen aber kam von den armen Leuten, die sich Raff- und Leseholz im Forst suchten, eine mir wohl bekannte, große, schlanke Frau an mich heran und sagte ganz freundlich: »Aber lieber Herr Weinschenk! Vor acht Tagen, als ich des Nachts an der Rüster dort stand, haben Sie mich doch gewaltig hart und noch dazu ganz unschuldigerweise geschlagen.«

Ich war bei diesen Worten wie aus den Wolken gefallen: Da ich keiner Seele ein Wort von jenem Abenteuer gesagt hatte, so konnte ich nicht im Geringsten zweifeln, dass diese Frau, und kein Geist an der Rüster wirklich gestanden haben müsse. Auf meine Frage, was sie denn in jener mitternächtlichen Stunde im Forst und an der Rüster zu suchen gehabt habe, erhielt ich folgenden Bescheid:

»Ach, ich hatte schon lange ein krankes Kind, dem unser Bader nicht helfen konnte. Da hat mir nun unsere weise Frau geraten, ich solle um Mitternacht schweigend Moos von einer Rüster holen und für das kranke Kind einen Saft daraus kochen. Ich habe es auch getan, aber es hat nicht nur nichts geholfen, sondern der arme Wurm wurde noch kränker danach und gestern hat es der liebe Gott zu sich genommen. Was tut man nicht, um einem lieben Kind zu helfen. Ich überwand mich, so sehr mir auch graute, als ich hier im Forst den wilden Jäger mit rasselndem Wagen und schnaubenden Pferden hörte und mit etwas Brennholz dicht vor mir vorbeifahren sah, ich hier an der Rüster stand. Endlich kamen Sie, lieber Herr Weinschenk, und da war ich nur froh, dass ich wieder einen Menschen um mich hatte, denn bald darauf nahm auch das Toben, Schnauben und Rasseln des wilden Jägers ein Ende. Sie wollten durchaus, ich sollte Ihnen antworten und sagen, wer ich sei. Aber wissen Sie denn nicht, dass man solche sympathetische Mittel schweigend gebrauchen muss, wenn sie anschlagen sollen? Ich hätte Ihnen aus Liebe zu meinem Kind nicht geantwortet, und wenn Sie mir auch noch einen vierten Peitschenhieb gegeben, ja halb totgeschlagen hätten.«

Bei diesen Worten der guten, aber einfältigen Mutter fielen mir dicke Schuppen von den Augen. Nun kannte ich nicht nur den Geist, der mich erschreckt hatte, sondern begriff auch, was ich vorher mir nicht hatte erklären können, was die Holzdefraudanten, die doch mich, den sie verfolgenden Jäger, nicht bemerkt haben konnten, veranlasst haben musste, das schon geladene Holz wieder abzuwerfen und mit leerem Wagen nach Hause zu eilen. Sie hatten nämlich, so wie ich, in der abergläubischen Frau an der Rüster ein Gespenst zu sehen geglaubt, und waren, gegenseitig von ihr, für den wilden Jäger gehalten worden.