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Der Wildschütz – Kapitel 13

Th. Neumeister
Der Wildschütz
oder: Die Verbrechen im Böhmerwald
Raub- und Wilddiebgeschichten
Dresden, ca. 1875

Dreizehntes Kapitel

Der Erbe

Wir verließen den Grafen Praßlin in einer Stimmung, welche deutlich genug den verborgenen Kummer anzeigte, der sein Gemüt belastete und ihm die Stunden seines noch folgenden Lebens ver­bitterte.

Wir haben den Grafen als einen Menschenfeind geschildert. Er war es auch und wir wollen nun die Ursachen darzustellen suchen, die seinem Gemüt eine so unglückliche Richtung gaben.

Ausgestattet mit einem glänzenden Vermögen, konnte es ihm in der Jugend nicht fehlen, nach Gefallen die glänzendsten Verbindungen zu schließen. Allein der Sinn schien sich weder durch Schönheit noch Reichtum fesseln zu lassen; er blieb gleichgültig und konnte sich nicht entschließen, ein Liebesverhältnis anzuknüpfen.

Seine Mutter war ein stolzes, herrschsüchtiges Weib. Sie drang oft in ihren Sohn, eine Wahl zu treffen; er blieb gleichgültig und achtete wenig auf die Vorstellungen, die sie ihn oft in dem Gefühl des unterdrückten Willens machte.

Der junge Graf war jedoch keineswegs in Sachen der Liebe so unempfindlich, als seine Mutter zu vermuten veranlasst wurde. Er liebte längst schon, und zwar ein Mädchen aus niederem Stand; er hatte sie in der Residenz kennen gelernt und seit dem ersten Zusammen­treffen mit ihr glühte sein Herz in voller Liebe gegen das teure Wesen. Amalie erwiderte diese Liebe. Sie blieb längere Zeit mit dem Stand des Grafen in Unkenntnis und sah in ihn wirklich den einfachen Gelehrten, für welchen er sich ausgegeben hatte.

Ein unvermuteter Zufall sollte indes das bisher bestandene Geheimnis aufklären. Amalie machte diese Entdeckung, und zwar zu spät, um auf ehrenvollem Wege zurücktreten zu können. Sie fühlte sich Mutter und ihre Ruhe war für immer vernichtet. Sie wollte verzweifeln und nur mit Gewalt konnte man sie von dem Verbrechen des Selbstmordes zurückhalten.

Die Mutter des Grafen blieb mit diesen Umständen nicht un­bekannt und man kann sich die Entrüstung denken, die sie nun er­greifen musste. Ihr Ehrgeiz sträubte sich unter dem drückenden Ge­fühl, mit ihrem Sohn der Gegenstand aller Salongespräche zu werden; sie ertrug kaum diesen Gedanken. Um denselben loszuwerden, zog sie sich in die tiefste Einsamkeit zurück und brach jede Verbindung mit ihrem Sohn ab.

Ein abgelegenes Landhaus, etwa drei Meilen von der Haupt­stadt entfernt, wurde von ihr zum beständigen Wohnsitz gewählt. Allein auch hier wurde sie noch nicht von ihrem leidenschaftlichen Stolz befreit, der ihr ganzes Herz erfüllte und in ihrer Seele dunkle Entschlüsse nährte, bis sie zur Reife gelangten. In ihrer nächsten Umgebung befand sich eine Frau, deren Mann als Kammerdiener bei dem jungen Grafen angestellt war. Diese Person, mit Namen Elisabeth, besaß das Vertrauen der Gräfin vollkommen und durch sie erhielt die Gräfin sofort Nachrichten, wenn der gemiedene Sohn irgendetwas unternahm, was den Plänen der stolzen Mutter entgegenstand.

Eines Tages trat Elisabeth mit der Meldung in das Zimmer ihrer Herrin, der Graf sei angekommen und bestehe darauf, seine Mutter zu sprechen. Er stände im Begriff, eine Reise nach der Schweiz zu unternehmen und wolle nicht scheiden, ohne der Heimat Lebewohl gesagt zu haben.

Nach langem Zögern willigte die Gräfin ein, ihren Sohn zu sehen; Herrmann trat ein, sie empfing ihn mit sichtbarer Kälte und nach einer kurzen Unterhaltung, welche für den Grafen höchst peinlich wurde, fing sie an, sein bisheriges Betragen auf das Bitterste zu ta­deln. Hierauf verlangte sie die unbedingte Entsagung auf den Besitz Amalies.

Der Graf verweigerte entschieden die Erfüllung dieses Verlangens. Er wollte von einer Entsagung seiner geschlossenen Liebe nichts wissen. Amalie besaß seine ganze Zuneigung, er liebte sie mit Leidenschaft und war fest entschlossen, das Mädchen niemals aufzugeben, möge auch kommen, was immer wolle.

Auf diese ausgesprochene Erklärung trat ihm seine Mutter mit dem Ausdruck des größten Unwillens entgegen. Ihre bleichen Züge wurden noch blasser und ihn mit funkelndem Blick betrachtend, rief sie voll Entrüstung: »So wäre es denn von dir beschlossen, unser Haus der Schande preiszugeben durch die Wahl einer Verbindung, die mich errötend macht und dich vor aller Welt beschimpft – es ist entsetzlich und diese Schmach werde ich nicht überleben.«

Dieses sprechend sank sie auf einen Stuhl und verbarg das Gesicht mit der Hand, während ein lauter Seufzer ihrer Brust entquoll. Die Ausbrüche ihres beleidigten Stolzes brachten bei dem Grafen keine anderen Gesinnungen hervor. Er erklärte vielmehr nun ohne Rückhalt, unter keiner Bedingung von Amalie zu lassen. Diese Hartnäckigkeit erfüllte die Mutter mit einer Verachtung, die sie noch nie gegen ihren Sohn gefühlt hatte. Sie befahl ihn, sich zu entfernen, worauf beide ohne Versöhnung voneinander gingen.

Der Graf reiste schon am folgenden Tag ab, um Amalie auf­zusuchen, welche sich in einem abgelegenen Teil der Residenz ein­gemietet hatte, um hier in der größten Abgeschiedenheit die Zeit ihrer Entbindung zu erwarten. Das Haus, welches sie bewohnte, war von unscheinbarem Äußeren. Ein kleines Gärtchen, ringsum von einer hohen Mauer umschlossen, gewährte der Verlassenen wenigstens eine angenehme Zerstreuung, und getrennt von jeder Verbindung lebte sie hier nur in den Gedanken an den entfernten Geliebten.

Bei seiner Ankunft befand sie sich in ihrem Gärtchen; sie eilte ihm freudig entgegen und während sie sich an seinen Arm festschmiegte, schritten beide zu einer kleinen Laube, um in dem kühlen Schatten derselben sich über die Gestaltung ihrer trüben Zukunft miteinander zu beraten.

Der Graf zeigte in seinem Wesen eine Stimmung, welche für Amalie beunruhigender wurde, je länger sie den Geliebten im Stillen betrachtete. Nach längerem Gespräch fragte sie ihn mit kummervoller Miene nach der Ursache seines düsteren Wesens.

Herrmann wollte nicht mit der Sprache heraus; er fürchtete, das arme Mädchen in eine für ihre Ruhe zu nachteilige Aufregung zu bringen, wenn er sie von der gehässigen Meinung seiner Mutter in Kenntnis setzte. Um ihr diesen Kummer zu ersparen, bekämpfte seine gewöhnliche Offenheit und verschwieg den Vorfall, welchen er am Tage zuvor erlebt hatte, und erzählte kein Wort von dem Auftritt, der zwischen ihm und seiner Mutter stattgefunden hatte.

»Ich muss dich auf einige Zeit verlassen, meine teure Amalie«, sagte er, ihren Fragen wegen seiner eigenen Stimmung sanft aus­weichend, »doch werde ich nicht zu lange von dir entfernt bleiben und meine Rückkehr beschleunigen. Vermeide indessen jeden Umgang mit Personen, die du nicht kennst. Es ist besser für dich und wenn ich wiederkomme, dann will ich dich aus deiner Verlassen­heit hervorheben und du sollst als meine Braut, als meine Gattin über unsere Feinde triumphieren.«

Amalie schmiegte sich vertrauensvoll an den Geliebten. Die Tränen standen in ihren schönen Augen und aus ihrem Wesen sprach bange Furcht, die sie nicht länger zu verbergen vermochte.

»Ach!«, seufzte sie, »mein Inneres sagt es mir, dass uns Gefahr droht. Ich weiß es, wir haben Feinde von großem Einfluss; wenn du mich verlassen hast, dann werden sie gegen mich Schlimmes unternehmen. Meine Seele ist mit Trauer erfüllt an mein künftiges Verlassensein.«

Der Graf war bemüht, die Befürchtungen seiner Geliebten zu zerstreuen. Er versprach ihr seine Reise zu beschleunigen und schied nach einer schweren Trennung von Amalie, die ihm mit bewegtem Herzen nachschaute.

Die Verlassene befolgte genau den erhaltenen Rat. Sie ver­ließ höchst selten ihre kleine Wohnung. Trotz ihrer Zurückgezogenheit gelang es der Gräfin Praßlin dennoch, Amalies Aufenthalt ausfindig zu machen. Und so geschah es, dass Amalie in einer stürmischen Nacht entführt und zu dem alten abgelegenen Waldschloss gebracht wurde, wo man sie wie eine Gefangene streng bewachte. Das arme Mädchen wusste nicht, auf wessen Veranlassung dies geschah. Sie bekam hier niemand zu Gesicht, außer einer Frau von mittleren Jahren, von welcher sie bedient wurde und die ihr überhaupt völlig fremd war. Die Gefangene wusste ebenso wenig, wo sie sich eigentlich befand. Die ganze Umgebung des düsteren Schlosses bestand aus ungeheuren dichten Waldungen, und ihr trostloser Blick schweifte hoff­nungslos über dieselben hinaus.

Um die Unglückliche in völliger Unkenntnis mit dem Schicksal des Geliebten zu lassen, wurden die Briefe des Letzteren durch Spione unterschlagen und in die Hände der Gräfin gespielt. Der Inhalt derselben war von der Art, um den Hass der rachsüchtigen Mutter nur noch mehr zu steigern. Sie verbrannte die Papiere je­des Mal nach genommener Durchsicht und freute sich dann über die gewonnene Gewalt, das Band der getrennten Liebe zu zerreißen.

Herrmann ahnte nichts von den Vorgängen in der Heimat, obwohl ihn das lange Schweigen seiner Geliebten mehr und mehr befremdete. Er schrieb in sehr kurzen Zwischenräumen und bat Amalie dringend, ihn nicht länger in dieser peinigenden Ungewissheit zu lassen.

Die Gräfin Praßlin, welche ihr Landhaus noch nach wie vor bewohnte, sann nun darauf, das verhasste Liebesverhältnis mit einem Mal zu vernichten. Sie entwarf und verwarf einen Plan nach dem anderen und konnte zu keinem Mittel gelangen, welches ihren Wün­schen vollkommen genügte. Vermöge ihres Reichtums fehlte es ihr nicht an Subjekten, welche ihre Pläne unterstützten; sie besaß genug Ansehen und nicht minder bereitwillige Helfer, die ihr blindlings gehorchten.

Unterdessen kam Amalies Entbindung immer näher; ein Um­stand, der die Entrüstung des herzlosen Weibes aufs Höchste steigerte. Sie scheute sich nicht, sogar das Schlimmste zu unternehmen, um ihrem Stolz Genüge zu leisten.

Eines Tages ließ sie ihre Kammerfrau Elisabeth zu sich rufen, und als dieselbe hereintrat, fand sie ihre Gebieterin in der größten Aufregung auf und abgehend. »Höre mich an«, sagte sie nach einer Pause, während sie vor der Eingetretenen stehen blieb und mit durchdringenden Blicken betrachtete. »Du warst mir bisher eine treue Dienerin und würde ich mich wohl täuschen, wenn ich auch noch ferner auf deine Ergebenheit rechnen wollte!«

»O nein!«, entgegnete Elisabeth, »ich werde vielmehr stets bemüht sein, mich des geschenkten Vertrauens würdig zu zeigen.«

»Schön von dir, meine Liebe«, versetzte die Gräfin, »ich schenke deiner Versicherung vollen Glauben und will an deiner Aufrichtigkeit nicht im Geringsten zweifeln. Setz dich.«

Die Kammerfrau gehorchte. Sie wurde in der Tat von der Sprache der sonst so stolzen Frau überrascht und die Einleitung des Gesprächs überzeugte sie, dass die Gräfin irgendetwas zu bezwecken suche. Sie wollte sprechen, allein jene winkte ihr still zu schweigen und fuhr fort: »Unserem Haus droht eine schmachvolle Entehrung, und die hohe Stellung meiner Familie macht es mir zur Pflicht, das nahende Unheil abzuwehren. Ich darf nichts unterlassen, um unsere Ehre zu retten. Mein Sohn wurde durch die Künste einer gemeinen Kreatur geblendet und verführt; er liebt sie noch und zu meinem Entsetzen steht in kurzer Zeit die Niederkunft jener Landstreicherin zu erwarten; sie will auf den Grafen bekennen; er wird sich mit ihr vermählen und dieses Ereignis muss mich töten. Doch ich habe es beschworen, dass es dazu nicht kommen soll, es darf nicht geschehen und sollte ich dabei zu Grunde gehen. Ich werde dagegen protestieren und da­bei sollst du mir behilflich sein. Jenes Kind darf nicht vor den Blicken der Welt existieren. Elisabeth, hörst du es, bei Gott! Es darf nicht bekannt werden, dass mein Sohn eine so erniedrigende Verbindung gehegt hat.«

Die Sprechende sank vor Ermattung und Entrüstung auf einen Stuhl und starrte Elisabeth mit fragenden Blicken an.

»Sprich es aus«, fuhr sie nach einer kurzen Pause hastig fort, »willst du mir beistehen oder wirst du mich verraten – eines von beiden. Antworte mir, ich stehe auf glühendem Rost!«

»Gnädige Frau«, entgegnete Elisabeth, heftig erschrocken über die Aufregung ihrer Herrin, welche sich unterdessen erhoben hatte und Kein Auge von ihr hinweg wandte. »Ich will alles tun, was Sie von mir verlangen. Sprechen Sie, und Ihre Wünsche sollen womöglich von mir erfüllt werden.«

»So willst du mir denn doch behilflich sein«, rief die Gräfin. »Nun, bei Gott! Es soll dein Nachteil nicht sein, ich will dich glänzend dafür belohnen.«

Die bisherige Unterhaltung wurde in einem angrenzenden Zimmer fortgesetzt. Die Gräfin sprach dabei so leise, dass es nur von Elisa­beth verstanden werden konnte.

Nach einer halben Stunde verließ die Kammerfrau das Gemach und beim Hinausgehen sagte die Gräfin bedeutungsvoll: »Sie ist in unserer Gewalt und in Betracht meines treuen Bundesgenossen werde ich keinen Augenblick länger zögern, diese Ge­walt in Anwendung zu bringen.«

Einige Tage nach dieser Unterredung reiste Elisabeth in dem Wagen der Gräfin zu dem Waldschloss ab, wo sich Amalie, ihrer Freiheit beraubt, befand.

Es konnte gegen Mitternacht sein, als der Wagen über die Zug­brücke des alten Schlosses fuhr, in welchem die tiefste Stille herrschte. Nur zuweilen huschte ein Nachtvogel, aufgestört durch das ungewöhnliche Geräusch, mit lautlosem Flug um die Mauern des düsteren Gebäudes.

Auf den Ton der Glocke erschien der Wächter, um den inneren Schlosshof zu öffnen. Es war ein alter Mann und nachdem er die Harrende eingelassen hatte, kehrte er brummend zu seiner Hütte zurück, um das Lager wieder zu suchen, das er voll Unwillen verlassen hatte.

Nachdem der Wagen das Schloss hinter sich ließ, um noch in derselben Nacht zum Landhause der Gräfin zurückzukehren, stieg Elisabeth die breite Treppe des Schlosses hinauf und nahm von einem Zimmer Besitz, das mit dem Gemach Amalies durch eine Tür in Verbindung stand. Dieselbe war bisher fest ver­schlossen gewesen. Die Kammerfrau führte jedoch den Schlüssel dazu bei sich und konnte nach Belieben Gebrauch davon machen. Nach­dem sie ein Licht angezündet und sich ihrer Reiseeffekten entledigt hatte, schlich sie leise an die erwähnte Tür und steckte den Schlüssel in das Schloss, um noch heute einen Besuch bei der Gefangenen zu machen.

Die Tür öffnete sich geräuschlos; die Kammerfrau trat hinein und schaute verstohlen umher. Amalie lag auf ihrem Bett und schlummerte, ihre Augen waren geschlossen, während die Hände ineinander, wie zum Gebet gefaltet, auf der Brust ruhten.

Das blasse Gesicht der jungen Dulderin trug einen Ausdruck in seinen Zügen, der Elisabeth zu mitleidsvollem Staunen bewegte. Es lag eine Erhabenheit in demselben, den das Weib scheuend machte bei dem Gedanken an den Auftrag, welchen ihr die Gräfin gegeben hatte. Lange stand sie im Anschauen der Schlummernden versunken. Ihr Blick schien wie durch eine geheime Gewalt auf das Gesicht der­jenigen gezogen, die sie verderben sollte. Endlich schlich sie hinweg, die Tür hinter sich schließend und in ihrem Zimmer angekommen, ging sie hastig auf und ab. Endlich blieb sie an einem der hohen Fenster stehen und in die Nacht hinausschauend seufzte sie aus schwerer Brust: »Armes Mädchen! Bei Gott, ich kann nicht, nein, ich kann es nicht, man müsste vernunftlos sein und kein fühlendes Herz im Busen mit sich tragen. Ich will mein Gewissen nicht durch eine so schänd­liche Tat beflecken. Ich danke es Gott, dass ich es vermag, dem armen verlassenen Wesen in der nahenden Gefahr beizustehen, obwohl die hartherzige Gräfin nichts erfahren darf, dass meine Absichten ihren Wünschen entgegenstehen. Möge ihr Gott das beabsichtigte Verbrechen verzeihen!

Am folgenden Morgen begab sich Elisabeth in Amalies Zimmer. Sie fand dieselbe mit verweinten Augen am Fenster sitzen, in einem anderen Teil des Gemachs verweilte die bisherige Wärterin der Gefangenen.

Das offene Wesen des unglücklichen Mädchens machte auf Elisabeth einen lebhaften Eindruck. Sie knüpfte ein Gespräch mit ihr an und die Bildung und Herzensgüte, die Amalie dabei immer mehr entfaltete, nahm Elisabeth vollkommen für sie ein, und sie fühlte sich noch mehr in ihrem Vorhaben bestärkt, der Bedrängten ihren ganzen Beistand zu gewähren.

Auf ihren Wink entfernte sich die anwesende Wärterin und nachdem beide allein waren, fasste Elisabeth die Hand Amalies, zog sie rasch mit einer schweigenden Bewegung an das Fenster. Hier teilte sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit, dass man mit ihr Schlimmes im Sinn habe. Sie unterließ es jedoch, diejenigen Personen mit Namen zu nennen, die ihr feindlich gegenüberstanden, und gab ihr das Versprechen, ihr als treue Freundin zur Seite zu stehen, wenn sie den Mut habe, sich ihrer Leitung gänzlich an­zuvertrauen.

Amalie fasste Vertrauen zu der Sprechenden, welche zu viel Rührung zeigte, als dass sie hätte versteckte Falschheit vermuten sollen. Sie versprach ihr, ganz nach den Bestimmungen zu handeln, die Elisabeth anzuwenden für gut befinden werde.

Einige Zeit darauf sollte die bisherige Wärterin ihres Dienstes entbunden werden. Martha, dies war ihr Name, war von Charakter ein ehrliches Geschöpf; sie wurde von der Gräfin als unwissendes Werkzeug zu diesen Verrichtungen bestimmt und erst später überzeugte ­sie sich, dass irgendeine Intrige mit dem ihr unbekannten Mädchen im Spiel sein müsste.

Elisabeth und Martha waren durch früheren Umgang vertraute Freundinnen miteinander geworden. Beide plauderten gern und als sie sich hier in dem alten, verlassenen Schloss wiederfanden, betrachteten sie es als eine besondere Wohltat, sich die Einsamkeit durch Gespräche zu vertreiben. Diese Freundschaft erkaltete auch später nicht, was wir bei ihrem Zusammentreffen in der Residenz gesehen haben, obwohl die späteren Ereignisse auf dem Waldschloss von einer Art waren, die Martha mit düsterem Zweifel gegen Elisabeths Rechtlichkeit erfüllten.

Etwa einen halben Monat vor Amalies Niederkunft erhielt Martha den Befehl, sofort ihren bisherigen Aufenthaltsort zu ver­lassen und zum Wohnsitz der Gräfin Praßlin zurückzukommen. Sie musste gehorchen und Elisabeth hatte von nun an die Aufsicht ungeteilt über die Gefangene, und als die Letztere hierauf von einem kräftigen Knaben entbunden wurde, traf Elisabeth sofort Anstalten zu seiner Entfernung.

Die Niederkunft Amalies fand zufällig in der Nacht statt, ein Umstand, welcher den Plan ihrer Wärterin besonders begünstigte. Das Kind wurde hinweggebracht, während die Mutter bewusstlos war und als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, war Elisabeth mit dem Säugling verschwunden. Mit verzweifelten Blicken schaute die Verlassene in ihrer Umgebung umher und auf ihr Jammern erschien die Magd des alten Schlosswächters im Zimmer. Das Mädchen erschrak bei dem Anblick der aufgeregten Amalie heftig; sie wollte wieder forteilen, allein jene hielt sie fest, indem sie die Nägel in den Armen der Magd grub.

»Mein Kind! Mein Kind!«, schrie sie wie wahnsinnig, »ich lass dich nicht hinweg, wenn du es mir nicht zurückbringst.«

Die erschrockene Magd versuchte sich freizumachen, was ihr nach langem Ringen auch gelang. Sie floh aus dem Zimmer, nachdem sie Amalie erklärt hatte, dass ihr Kind gleich nach der Geburt gestorben sei.

Der Jammer der Gefangenen steigerte sich nun bis auf den höchsten Gipfel; sie sank in Ohnmacht und befand sich mehrere Tage in einem Zustand, der ihr Wiederaufkommen sehr zweifelhaft ließ.

Unterdessen war Elisabeth in dem Landhaus der Gräfin an­gekommen. Die Letztere ging ihr erwartungsvoll entgegen und nachdem sie allein waren, teilte ihr Elisabeth mit, dass das Kind tot und somit jede Maßregel gegen eine Beseitigung desselben überflüssig geworden sei.

Die Gräfin vernahm diese Nachricht mit zufriedenem Wesen. »Gott sei Dank!«, sagte sie, nachdem Elisabeth zu Ende gekommen war, »so wäre denn ein Hindernis leichter aus dem Weg geräumt, als man es hätte vermuten können. Doch was nun beginnen?«

Elisabeth antwortete nicht. Sie schien mit sich selbst zu über­legen. »Es steht zu befürchten«, sagte sie nach einiger Zeit, »dass das Mädchen infolge der letzten Ereignisse bis zur Verzweiflung gebracht wird.«

»Es ist nicht anzuraten, dass sie länger ohne Aufsicht bleibt. Ich würde daher lieber raten, dass die Frau Gräfin einige zuverlässige Wächter für sie besorgen lassen, um ärgerliche Auftritte zu vermeiden, die ich befürchte.«

Die Gräfin war damit einverstanden und noch an demselben Tag wurden zwei junge, kräftige Burschen zum Waldschloss geschickt.

Sie waren mit besonderen Aufträgen von ihr versehen, welche selbst Elisabeth nicht kannte. Ihre Herrin schien es für zu viel gewagt zu halten, Elisabeth mit allem vertraut zu machen, was sie auszu­führen gedachte. Sie hatte beschlossen, Amalie gänzlich zu entfernen, um so jedes Zusammentreffen derselben mit ihrem Sohn unmög­lich zu machen.

Kunz und Klaus bewachten die Wöchnerin streng. Niemand durfte sie besuchen und es war der Gefangenen nicht erlaubt, die nächste Umgebung des Schlosses zu betreten. Um diese Zeit kam ein Brief von dem Grafen an. Er war für Amalie bestimmt und wurde, wie die vorhergehenden, unter­schlagen und von der Gräfin gelesen und vernichtet. Die Rückkehr des Entfernten war baldigst zu erwarten und die Gräfin durfte nicht länger zögern, einen entscheidenden Schlag zu tun. Nach Verlauf von drei Wochen wollte er in der Heimat ankommen.

Acht Tage später wurde Amalie plötzlich aus dem Waldschloss in Begleitung ihrer Wächter hinweggebracht. Ein verdeckter Reise­wagen nahm sie auf und führte sie bis zu einer entfernten Hafen­stadt, wo sie von dem Kapitän eines Transportschiffes aufgenommen wurde, um sie nach Amerika hinüberzuschaffen.

Der Schiffskapitän, von Geburt ein Franzose, hatte sich längere Zeit in Deutschland aufgehalten. Er war mit der Gräfin von Praßlin bekannt geworden und lebte unter dem Namen eines Grafen von Falkland längere Zeit in ihrer Umgebung. Die Folge davon war, dass dieses Zusammenleben ein sehr vertrautes wurde und in Betracht dieser Umstände lässt es sich leicht erklären, warum sich der Graf Falkland zu einer so entwürdigenden Handlung entschließen konnte, ein verlassenes und angefeindetes Wesen dem Verderben in einem fremden Land zu überliefern. Amalie wurde förmlich mit Gewalt ihrem Vaterland gestohlen und trotz allen Sträubens fortgeschleppt, und als sie nicht ruhiger werden wollte, brachte man sie in einen abgelegenen Raum des Schiffes, um sie hier ihrem ungehörten Jammer zu überlassen.

Drei Tage später ging das Schiff unter Segel und Amalie be­trachtete durch eine kleine Luke das immer mehr und mehr entschwin­dende Vaterland mit verzweifelten Blicken. Endlich sank sie vor Schreck und Ermattung auf ihr Lager, welches aus einer alten schad­haft gewordenen Matratze bestand, und blieb regungslos liegen.

Wir dürfen nicht unbemerkt lassen, dass sich die bisherigen Wächter Amalies, Kunz und Klaus, mit ihr auf demselben Schiff befanden. Um sich dieser beiden Zeugen zu entledigen, scheute die Gräfin kein Geld und brachte es auch wirklich dahin, dass beide Männer sich zu einer Ansiedlung jenseits des Meeres entschlossen. Sie schieden mit der Versicherung, niemals wieder nach Europa zurückzukehren.

Einige Wochen nach Amalies Entfernung kehrte Herrmann nach der Heimat zurück. Er staunte bei der Nachricht von ihrem Verschwinden und noch mehr musste es ihn überraschen, als er ver­nahm, sie habe in Begleitung eines jungen, hübschen Mannes die Residenz verlassen, um ihren Liebhaber von den Verfolgungen der Behörden befreit zu sehen, die infolge einiger ausgeführten Streiche Jagd auf ihn machten.

Die Entrüstung des Grafen stieg auf das Höchste. Er konnte die übereinstimmenden Gerüchte fast nicht für wahr halten, wenn er sich das Wesen der verschwundenen Geliebten vor die Seele zurück­führte.

Der hauptsächlichste Punkt, welcher seinen Zweifel an Amalies Treue unterstützte, bestand in dem langen Schweigen. Er hatte keinen Brief von ihr wieder erhalten. Freilich dachte er aber nicht im Geringsten daran, dass seine eigene Mutter die Fäden einer so schändlichen Intrige gesponnen und geleitet habe. Sie zeigte bei seiner Ankunft die größte Unbefangenheit in ihrem Wesen, wodurch sich sogar die Kälte in seinem Inneren verlor, die er seit dem geschilderten Auftritt gegen seine Mutter fühlte.

Ein Jahr war unter beständigen Nachforschungen des Grafen vergangen, ohne dass sich ein Erfolg seiner Bemühungen zeigte.

Da erschien eines Tages Kapitän Falkland in dem Landhaus der Gräfin. Er wurde mit Auszeichnung empfangen und die Gräfin unterließ nichts, um den seltenen Gast, dessen Gesundheit sehr angegriffen schien, zu ehren. Sie brannte vor Ungeduld, um zu erfahren, was aus Amalie geworden sei, und als beide allein waren, drang sie sofort in ihren Freund, sie von dem Schicksal der Unglücklichen zu benachrichtigen. »Wir haben sie nicht über das Meer gebracht«, versetzte er in düsterem Ton. »Wir gerieten mit einem Freibeuter ins Gefecht und da ich schwer verwundet und überwältigt wurde und meine Leute meistens unter den Säbeln der Seeräuber fielen, kann ich über ihr Schicksal nichts Genaues berichten. Was in den Händen jener Barbaren aus ihr geworden sein mag, weiß ich nicht; aber so viel lässt sich wohl vermuten, dass ihr Los ein höchst trauriges geworden sein mag.«

Die Gräfin schien bei dieser Bemerkung einigermaßen betroffen. Sie betrachtete den Erzähler mit einem fast verächtlichen Blick, welchen jener sehr deutlich bemerkte. Dann entgegnete sie: »Ich glaube doch nicht, dass es Ihnen gegenwärtig innere Vorwürfe bereitet, unserer Ehre ein Opfer gebracht zu haben und«, fügte sie hinzu, »ebenso wenig will ich erwarten, dass Sie sich dadurch ihre Ruhe beeinträchtigt fühlen.«

»Was den ersten Punkt betrifft«, versetzte der Kapitän, »so würde ich alles unternommen haben, wenn es galt, Ihnen von Nutzen zu sein. Was die andere Bemerkung anbelangt, so muss ich dasjenige wiederholen. Ja, Gräfin!«, fügte er bitter hinzu, »glauben Sie mir oder glauben Sie mir nicht! Ich habe meine Ruhe für immer verloren! Erlauben Sie mir«, fuhr er fort, »dass ich dieses Bekenntnis vor Ihnen rechtfertigen darf. Es soll geschehen, denn ich habe triftige Gründe dazu. Ich wurde während der Fahrt bedenklich krank und hatte niemand zu meiner Pflege um mich. Da erinnerte ich mich an unsere arme Gefangene, welche im untersten Deck ihrem tiefen Jammer überlassen war. Sie wurde heraufgeholt, um mich in meiner Krankheit zu bedienen. Dadurch lernte ich das Mädchen näher kennen und achten. Sie lächeln, aber ich sage Ihnen, Sie würden gezittert haben in der Angst Ihres Herzens, hätten Sie dem Auftritt beigewohnt, als die Unglückliche während des wütenden Kampfes mit den Seeräubern gesehen hatte, wie sie mit fliegenden Haaren hände­ringend den Unmenschen durch einen Sprung in die Fluten zu ent­kommen suchte. Allein es gelang nicht; sie wurde fortgeschleift und nach dem fremden Schiffe gebracht. Sie können versichert sein, ich werde diese Reue niemals aus der Erinnerung meiner Seele ver­bannen können.«

Der Eintritt des Grafen unterbrach die Unterhaltung und das Gespräch wandte sich auf gleichgültige Dinge.

Der Eingetretene schien im Laufe eines einzigen Jahres gänzlich verändert. Sein ganzes Wesen war in düsteren Unmut gehüllt und der gewöhnliche Frohsinn hatte ihn verlassen. Er grüßte den Kapitän mit Kälte, sprach nur Weniges und entfernte sich bald wieder.

Die Gräfin blickte ihrem Sohn mit einem Seufzer nach und schwieg einige Augenblicke, worauf sie begann: »Sie haben ihn jetzt gesehen, Herr Kapitän, und Sie werden an meinem Kummer gewiss Anteil nehmen. Ach! So ist er seit jenem Tag, an welchem er zu mir zurückkehrte. Es kann ihn nichts von seiner traurigen Gemütsstimmung befreien. Ich bin sehr für seine Gesundheit besorgt.«

»Sie werden dieselbe nicht verbessern, wenn er mit den eigentlichen Umständen der Unglücklichen bekannt würde«, sagte der Kapitän.

Die Gräfin unterbrach ihn rasch. »Ich bitte Sie dringend, schweigen wir davon. Was geschehen ist, kann nicht geändert werden und«, fügte sie hinzu, sich stolz erhebend, »lieber will ich dem Sarg meines Sohnes zur Gruft seiner Ahnen folgen, als unsere Ehre be­leidigt und geschändet sehen.«

Bald darauf verließen beide das Zimmer. Die Gräfin begab sich in ihr Gemach, während der Kapitän in den Park hinab­stieg, um sich in der reinen Luft nach der langen, beschwerlichen Reise durch eine Promenade zu erholen.

Etwa eine Stunde später entstand in dem Bereich des Land­hauses ein ungemein reges Leben. Boten zu Fuß und zu Pferd wechselten miteinander ab, endlich kam der Graf hastig in den Hof gesprengt. Er eilte ins Haus und fand seine Mutter als Leiche. Ein plötzlich erfolgter Blutschlag hatte sie getötet, als sie im Begriff stand, ihre Toilette zu machen. Der Körper lag regungslos am Boden und kein Zeichen verriet das geringste Leben. Sie starb, ohne ein Bekenntnis ihrer Schuld abgelegt zu haben.

Kapitän Falkland stand mit den Gefühlen eines reuigen Sünders neben dem Leichnam. Graf Herrmann betrachtete ihn mit feindlichen Mienen. Er konnte den Verehrer seiner Mutter nur verachten. Noch an demselben Tagetrennten sie sich voneinander. Beide trugen nagende Erinnerungen mit sich umher. Der Kapitän zog sich zu der Residenz zurück, während Graf Praßlin nach dem Be­gräbnis seiner Mutter eine weite Reise antrat, von welcher er erst nach 4 vollen Jahren zurückkehrte. Er fühlte sich jedoch noch immer nicht geheilt von der Wunde, welche in seinem Herzen brannte. Oftmals verwünschte er sich und Amalie und grollte gegen sie wegen der begangenen Untreue. Dann stritten sich seine Gefühle wieder dagegen und er machte sich deshalb bittere Vorwürfe.

So trieb er es lange Zeit, bis er sich endlich zu dem Wald­schloss in die Einsamkeit zurückzog. Hier duldete er nur wenig Personen um sich und brachte die Zeit mit ungestörten Beschäftigun­gen in seiner Bibliothek zu, die er zum Schloss bringen ließ.

Er brachte ohne Unterbrechung eine große Anzahl von Jahren zu, gepeinigt von dem Gedanken an Amalie, von welcher er nicht die geringste Spur ausfindig zu machen vermochte.

Unter solchen Umständen wurde der Graf nach und nach ein Menschenfeind. War er doch auf alle nur mögliche Weise betrogen worden und glaubte nun Grund genug zu haben, seine Mitmenschen zu meiden und zu verachten. Er war dabei kein Geizhals, was man von ihm behauptete, sondern gab mit mürrischem Gesicht reichlich, wo es nötig war; aber wehe demjenigen, der sich verleiten ließ, sein Eigentum im Geringsten zu verlegen. Er duldete es nicht, dass man den kleinsten Baumstamm forttrug, den der Sturm ent­wurzelt hatte, und wenn seine Jäger jemand im Wald ertappten, der sich in der kalten Jahreszeit einige Reiser mühsam zusammengesucht hatte, der wurde ohne Rücksicht hart bestraft. Diese Strenge sollte den Grafen sogar zum Mörder machen.

Eines Tages, als er von düsteren Gedanken erfüllt den stillen Wald durchschritt, bemerkte er einen Menschen, welcher im Begriff stand, ein soeben erlegtes Reh auszuweiden. Der Graf wurde bei diesem Anblick von einem heftigen Grimm erfasst. Er griff schnell nach der Büchse des Wildschützen, die an einem Baum, und zwar wenige Schritte von ihrem Besitzer, stand.

In demselben Augenblick zeigte jedoch der erschrockene Wilddieb zu dem gegenüber befindlichen Dickicht. Der Graf folgte mit den Augen dieser Bewegung und erblickte nun einen zweiten Wildschütz, der mit gespanntem Hahn auf ihn anlegte.

Dieser gefahrdrohende Moment erschütterte den Grafen, ohne ihn jedoch zu entmutigen; er musste das Schlimmste befürchten, falls er die beiden Wagehälse in die Enge zu treiben suchte.

»Hinweg mit der Waffe, Bube!«, rief der Graf, »es soll dir nichts geschehen, und wenn wir in der nächsten Minute in Begleitung meines Jägers wieder zusammenstoßen – aber wage es nicht wieder!«

»Wohlan denn!«, antwortete jener, seine Büchse herabnehmend, »nur unter dieser Bedingung sollen Sie Ihr Leben erkaufen.«

Der Graf wandte sich hinweg und ging langsam zum Schloss zurück, ohne die geringste Furcht zu zeigen.

Einige Zeit darauf traf er zum zweiten Mal mit einem von jenen beiden Männern zusammen, und zwar mit demselben, welcher bei dem erwähnten Anlass auf ihn zu schießen drohte. Der Wild­dieb war eben bemüht, einen jungen Baum zu roden und arbeitete rasch fort, ohne den Grafen zu bemerken, der indessen zwei seiner Knechte im Wald getroffen hatte und nun rasch heranzukommen versuchte, bevor der Dieb zu entkommen Gelegenheit fand.

Es gelang alles nach Wunsch. Der Mann wurde von den Knechten ergriffen, zu Boden gerissen und mit Knitteln so lange geschlagen, bis er bewusstlos liegen blieb.

Dieser Umstand bewog die Leute des Grafen, ihre Misshand­lungen einzustellen. Der Geschlagene erwachte auch bald darauf und schaute seine Gegner mit bittendem Auge an.

»Habt Erbarmen!«, stammelte er, sich vor Schmerz auf dem Boden umberwindend. Der Graf zeigte sich jedoch gänzlich gegen diese Bitte verhärtet; er befahl von Neuem mit der Züchtigung fortzufahren. Die Auf­geforderten durften nicht zögern, und als es dem Grafen schien, als beobachteten sie zu viel Schonung, da riss er einem der Knechte den blutig gefärbten Knittel aus der Hand und schlug mit eigener Hand den Ächzenden vollends nieder, sodass er sein Leben unter den er­littenen Misshandlungen aushauchte.

Von Entsetzen ergriffen standen die Untergebenen des Grafen neben dem blutigen Leichnam. Auch der Letztere schien seine Ver­nunft zu sammeln. Er erkannte es nun, sich eines grässlichen Ver­brechens schuldig gemacht zu haben.

Die Folgen dieses Ereignisses wurden höchst bedenklich. Es wurde ein langwieriger Prozess gegen ihn eingeleitet; ja er kam später zur Haft und es kostete ihn große Summen, um sich von dem drohenden Henkerschwert loszukaufen. Der Erschlagene besaß eine zahlreiche Familie und dem Grafen lag die Verpflichtung auf, die­selbe alljährlich mit einer bestimmten Summe zu unterstützen; dann wurde er noch dazu verurteilt, ein Zeichen am Hals zu tragen, welches ihm von der Hand des Henkers umgelegt wurde.

So gebrandmarkt vermied er seit jener Begebenheit jede Ver­bindung mit seiner Umgebung. Es kam fast niemand in das öde Waldschloss; jedoch zu bestimmten Zeiten erschien der verhängnisvolle Bote des Blutgerichts, um ihn daran zu erinnern, dass er sein Leben der Gnade des Gesetzes zu verdanken habe.

Der Leser wird sich nun den Auftritt erklären können, welchen wir im fünften Kapitel geschildert haben.

Wir haben die Angelegenheiten des Grafen kürzlich bis auf den Punkt geführt, um die folgenden Ereignisse, ohne weitere Abbrechung anknüpfen zu können und wollen nur noch wenige Worte, Elisabeths Schicksal betreffend, hinzufügen. Ihr Gatte, welcher, wie schon bemerkt, in den Diensten des Grafen stand, wurde kränklich und musste seine Stellung aufgeben. Eine Folge davon war, dass auch Elisabeth bewogen wurde, das Landhaus der Gräfin zu verlassen, um den Gatten zu pflegen. Der Letztere starb und die Witwe zeigte keine Lust zurückzukehren, sie mied vielmehr die Nähe der Hauptstadt und zog sich auf ein entfernt liegendes Dorf zurück, wo sie eine Verwandte besaß, die sie freudig aufnahm und bei der sie zu bleiben beschloss. Hierher hatte sie auch ein Kind gebracht, welches nach ihrer Angabe von hoher Abkunft war und für dessen Pflege sie alles aufbot, was in ihren Kräften stand.

Zwei Jahre beinahe lebte sie hier ungekannt in Zufriedenheit; da raffte eine schnelle Krankheit die Freundin hinweg und Elisabeth sah sich genötigt, den Ort zu verlassen, indem die nächsten Ver­wandten der Gestorbenen auftraten, um das hinterlassene Erbe der­selben unter sich zu teilen. Sie sah sich daher genötigt, mit ihrem Pflegling, welcher damals etwa zwei und ein halbes Jahr alt sein konnte, den friedlichen Ort wieder zu verlassen. Mit Tränen in den Augen setzte sie ihren Wanderstab weiter fort.

Nach vielen Mühseligkeiten gelangte sie in der Gegend des Wald­schlosses mit ihrem Kind an. Es war finstere Nacht geworden, als sie aus dem Wald heraustrat, nicht wissend, wo sie bleiben sollte. In ihrer traurigen Lage bemerkte sie den flimmernden Schein eines Lichtes in geringer Entfernung. Sie ging darauf zu und gelangte zu­fällig vor die Tür des schwarzen Bären. Leonhard war damals noch ein rüstiger Mann; sein Haus stand im besseren Ruf, als es später der Fall war; er nahm die Pilgerin auf und trug für ihr Unterkommen Sorge. Man überließ ihr gegen eine geringe Pacht die einsam gelegene Hütte in dem erwähnten Moorgrund, wo sie wohnen blieb.

Hier erzog sie ihren Pflegebefohlenen und sorgte für sein Wohl so gut wie möglich. Curt war ein munterer Knabe, allein je älter er wurde, desto mehr bildete sich die Eigenschaft zur Wildheit aus, und Elisabeth hegte oftmals bange Sorgen für die Zukunft des Buben. Er wollte von einer friedlichen Beschäftigung nichts wissen und schon mit seinem vierzehnten Jahr streifte er im Wald umher, mehrere Tage ausbleibend. Dieser Hang bildete sich mehr und mehr bei ihm aus und so wurde denn Curt mit dem siebzehnten Jahr als ein berüchtigter Wildschütz bekannt. Er trieb das verbotene Hand­werk mit der größten Keckheit noch mehrere Jahre, bis endlich die Jäger des Grafen ein scharfes Auge auf ihn richteten und seine Gefangennahme in der Wohnung seiner Mutter veranstalteten.

Die Art und Weise, wie er aus dem Gefängnis des Schlosses wieder befreit wurde, ist dem Leser bekannt und wir wollen seine Geschichte in dem nächsten Kapitel aufnehmen.