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Der Wildschütz – Kapitel 11

Th. Neumeister
Der Wildschütz
oder: Die Verbrechen im Böhmerwald
Raub- und Wilddiebgeschichten
Dresden, ca. 1875

Elftes Kapitel

Die Falschmünzer

Nachdem wir in dem vorhergehenden Kapitel das Verschwinden Elisabeths erklärt haben, kehren wir zu der Umgebung des Wald­schlosses zurück.

Der Graveur Martin hatte an dem in der Bärenschänke von seinen Kameraden ausgeführten Verbrechen keinen Anteil genommen. Er war in jener Nacht vielmehr entfernt davon geblieben und lag auf seinem Bett, umgeben von seinen verwaisten Kindern. Ein er­quickender Schlummer hielt die Augen der Kleinen geschlossen, während der Vater nicht vermochte einzuschlafen. In seinem Herzen waren düstere Gedanken erwacht, die ihn mit Sorgen und Bangigkeit er­füllten. Die Ruhe, welche ihn in der bittersten Armut beseelte, war verschwunden. Das Gewissen, der ewig nagende Wurm, ver­scheuchte sie aus seiner Nähe und folterte ihn mit Befürchtungen einer baldigen Entdeckung des Verbrechens, bei welchem er beteiligt war.

Die große Müdigkeit, welche mehr und mehr überhandnahm, versetzte ihn endlich in einen Zustand zwischen Träumen und Wachen; seine Fantasie umringte ihn mit allerhand Spukgestalten, die sein Lager drohend umgaben, bald verschwanden und bald wieder in doppelter Anzahl vor ihm auftauchten.

Plötzlich schreckte ihn ein heftiges Gepolter auf. Er horchte ängst­lich und vernahm nun ganz deutlich wiederholtes Pochen an der verriegelten Tür.

Martin bebte zusammen. Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn und er fühlte nicht so viel Kraft in sich, um seine Anwesen­heit durch eine Antwort bemerkbar zu machen.

Endlich schob er das kleine Fenster des Schlafgemachs auf und fragte mit zitternder Stimme: »Wer ist da, und weshalb stört man mich mitten in der Nacht?«

»Mach auf«, flüsterte eine Stimme von außen, welche er sogleich für Bertholds erkannte. »Du musst uns unbedingt einlassen. Wenn du nicht willst, dass wir dir das Nest über dem Kopf anzünden sollen, um dich mit samt deinen Rangen wie am Spieß zu braten.«

»Geduldet Euch einen Augenblick, ich öffne sogleich«, versetzte Martin in bangendem Ton. Er verschwand an dem Fenster, worauf dann die Tür aufgeschlossen wurde.

»Brenne ein Licht an«, sagte Berthold, nachdem er in Begleitung Georgs und Julian hereingetreten war. Martin tat, wie ihm be­fohlen wurde, dann setzten sich die vier Männer an den Tisch. Georg zog eine volle Branntweinflasche heraus und die unheimlichen Gäste fingen an fleißig zu trinken.

»Es ist zwei Uhr vorüber«, bemerkte Julian nach einiger Zeit, »und wir dürfen uns nicht mehr lange aufhalten. Brechen wir bald auf.«

»Du hast recht«, versetzte Berthold, »wir müssen uns beeilen zu einem Geschäft wie dasjenige, was wir in dieser Nacht aus­geführt haben. Vernimm daher, Martin, weshalb wir jetzt bei dir eingesprochen haben.«

Martin ahnte im Voraus neues Unheil. Er richtete seinen Blick furchtsam gegen den Sprechenden, welcher fortfuhr: »Wir müssen fort aus dieser Gegend, und zwar noch ehe der Morgen anbricht; wenigstens darf man uns nicht mehr erblicken. Daher wollen wir uns vorläufig zu unserem Versteck begeben, wo wir vollkommen einige Zeit sicher sind. Du musst uns dahin folgen, und zwar noch ehe eine Viertelstunde vorübergegangen ist.«

»Wie! Ich sollte mit in den Wald?«, fragte Martin, während ein Schauer seine Glieder durchfuhr. »Nein, das geht nicht, ich werde hierbleiben; mag daraus entstehen, was immer will.«

»Ha, ha«, lachte Berthold höhnisch, während er seine Kumpane bedeutungsvoll anblickte. »Merkt ihr es, der Bursche fängt an, widerspenstig zu werden, und es ist Zeit, dass wir ihn den Trotz vertreiben. Elender Narr«, fuhr er heftig fort, »glaubst du etwa, wir hätten deine Bekanntschaft absichtslos gemacht? O nein, wir hatten alles dabei wohl berechnet und müssen nun vollends zur Ausführung unseres Planes schreiten, um dich von der Wahrheit des soeben Gesagten zu überzeugen. Glaubst du etwa, wir teilten aus Mitleid unsere Beute mit dir? Ho! Dann hast du falsch gerechnet. Du hättest unseret­wegen ruhig mit deiner Brut verhungern können; wir hatten nie nach dir gefragt, wenn du nicht der Mann gewesen wärst, dessen Talent für uns nützlich zu werden versprach. Mit einem Wort, wir wollen deine Kunst in der folgenden Nacht in Anspruch nehmen. Du wirst daher keine Einwendungen mehr machen.«

Martin atmete schwer auf. »Was mögt ihr wieder im Schilde führen«, sagte er dann mit einem Seufzer, »bedenkt, dass es einmal übel ablaufen muss.«

»Schweig«, erwiderte Berthold, »du braucht uns keine Sitten zu predigen; was wir tun wollen, wirst Du nicht verhindern und obwohl das, was wir zu tun entschlossen sind, wenig besser ist als das Werk dieser Nacht, so werden wir es dennoch ausführen, und zwar mit deiner Hilfe. Kennst du das?«, fuhr er mit einem wilden Blick gegen Martin fort, während er ihm eine verschlossene Geldkatze vorhielt. »Nein, ich weiß nicht, wem es gehört haben mag«, erwiderte der Gefragte.

»Du hast doch den Pächter Andreas gekannt?« fuhr jener fort.

»Allerdings«, sagte der Graveur mit zitternder Stimme.

»Nun, dann ist es genug, wenn ich bemerke, dass dieses saubere Ding da mit dem Dickwanst in steter Verbindung stand. Doch haben wir uns nun beide voneinander getrennt; er wird seiner niemals wieder bedürfen. Jetzt komm und folge uns in den Wald.«

»Heiliger Gott! Was habt ihr getan!«, rief Martin voll Entsetzen.

»Das geht dich nichts an. Jetzt komm mit uns.«

»Meine Kinder!«, stammelte Martin, »was soll den armen Würmern geschehen, wenn ich sie auch nur auf einige Tage verlasse! Die Lebensmittel sind aufgezehrt und es kümmert sich niemand um sie, wenn ich weg bin.«

»Hol sie alle der Kuckuck!«, rief Berthold voll Unwillen. »Über­lasse es mir, sie zu pflegen; ich will schon dafür sorgen, dass sie weder dir noch mir lange Zeit zur Last fallen.« Und der fürchterliche Mensch zog ein kurzes, scharfes Messer aus der Kleidung.

»Du bist ein vollendetes Ungeheuer«, rief Martin höchst entrüstet über diese Bemerkung. »Deine Natur ist die des eingefleischten Tigers und du würdest vor keinem Verbrechen zurückschrecken. Aber das wirst du nicht wagen, deine Hand an die meinen zu legen; bei meiner armen Seele, es würde zwischen dir und mir ein Kampf auf Leben und Tod stattfinden, und dazu möge es nicht kommen.«

»Schweig«, versetzte Berthold lachend, »es ist nicht mein Ernst gewesen und ich will den jungen Teufeln auch nicht ein Haar mit der Spitze meines guten Messers krümmen. Sie haben von mir nichts zu befürchten, denn die Freude soll ihnen nicht durch mich benommen werden, den frommen Vater am Galgen hängen zu sehen. Eine Erhöhung, die ihm einmal doch zuteilwerden wird.«

»Wenn es geschehen sollte«, sagte Martin, »dann hoffe ich be­stimmt darauf, dass du an jenem Tag nicht weit von mir entfernt sein wirst. Es müsste der Satan dein Schutzengel sein, wenn dein Schicksal milder für dich wäre, als das Los derjenigen, die du in dein Net gezogen hast.«

»Du bist ein Feigling, und obwohl dir der Mut zum Ver­brechen mangelt, so ist doch dein Charakter gerade schlecht genug zu Schurkereien«, entgegnete Berthold mit Verachtung, »und ich trage fast Bedenken, dich der Mitwissenschaft eines Geheimnisses zu wür­digen, dessen Bewahrung so ungemein schätzbar ist.«

»Ich mache keine Ansprüche auf das Zutrauen, welches du mir zu erweisen Bedenken trägst. Lasst mich hier allein und ich sehne mich nicht, dasjenige zu wissen, was hinter euren schwarzen Ränken verborgen liegt.«

»Nein, nein, du musst mit uns gehen«, riefen nun alle drei, »wir wollen uns nicht der schwankenden Laune einer elenden Memme Preis geben, die uns beim ersten Anlass verraten würde, um sich selbst vom Galgen loszukaufen. Nimmermehr, entweder du gehst sogleich mit uns hinweg oder du bist in der nächsten Minute ein Opfer deiner Feigheit.«

Martin durfte sich nun nicht länger weigern, seinen Gefährten zu folgen. Er lief Gefahr, seinen Tod herbeizuführen und er machte sich daher marschfertig. Sie verließen hierauf die Hütte und erreichten unter dem Schutz der Nacht glücklich das mehrmals erwähnte Versteck in den Felsenhöhlen.

Der geheime Zugang wurde sorgfältig verrammelt. Dann be­gaben sie sich zu dem Versteck. Die Höhle enthielt noch einen Raum, welcher bisher der Aufmerksamkeit Martins entgangen war; hier hinein begab man sich diesmal.

Der Graveur schaute voll Überraschung umher. Der aufge­häufte Vorrat von Werkzeugen und Lebensmitteln erregte seine Ver­wunderung aufs Höchste. In der Mitte befand sich ein grob gezimmerter Tisch und auf demselben war eine Maschine angebracht, deren Bestimmung deutlich genug zu erkennen war und die Aus­übung eines Verbrechens verriet, welches das Gesetz mit harter Strafe belegt – das Verbrechen der Falschmünzerei.

An der hinteren Felsenwand hatte man einen Felsblock zu einem Feuerherd umgeformt. Blasebälge, Zangen und Schüreisen befanden sich in dessen Nähe, Formen und Stempeleisen lagen auf dem Tisch umher zerstreut.

»Sieh her«, begann Berthold den erschrockenen Martin fast mit Gewalt herbeiziehend, »dies soll von nun an deine Werkstatt, dein Aufenthalt sein. Hier wirst du Proben ablegen von deiner Ge­schicklichkeit und den Beweis liefern, dass du Meister in deiner Kunst bist.«

Martin bebte zurück. Er betrachtete den Gauner mit Entsetzen.

»Also auch das noch«, sagte er hierauf, während Julian und Georg ihn schweigend umstanden.

»Wenn wir einst bei unserem Verbrechen überrascht werden sollten, dann würde uns kein Weg zur Gnade offenstehen.“

»Einerlei«, rief Berthold. »Unsere Handlungen haben uns längst schon von diesem Weg getrennt. Wer will, wer könnte uns über­haupt hier verraten; kein Mensch ist es imstande. Deine ge­schwätzige Zunge wissen wir zu zügeln; denn wisse, dein Fuß wird nimmer diesen Ort wieder verlassen, du wirst hier leben; weder Tag noch Nacht wird für dich Unterschied haben und der Strahl deiner Lampe wird von nun an deine Sonne sein.«

»Entsetzliches Ungeheuer!«, rief Martin, von Schrecken erfasst. »Du wolltest mich hier zurückhalten in diesen schauervollen Räumen? Nein, das wirst du nicht; das kannst du nicht, du wirst noch Erbarmen haben, wenn ich dich um meiner Kinder willen darum anflehe. Auch du bist ein Mensch, du hattest ja auch einen Vater, eine Mutter; darum bringe mich nicht zur Verzweiflung!«

»Für deine Familie ist gesorgt«, erwiderte Berthold, »und zwar besser, als wenn du selbst für ihre Pflege zu sorgen hättest. Schlage dir deshalb die Grillen aus dem Kopf. Mit dem nächsten Morgen beginnt deine Beschäftigung und du wirst im Verein mit uns Formen stechen und Münzen prägen, dem wachenden Gesetz zum Trotz, dessen Spürhunde niemals diesen Ort beschnüffeln werden.«

»So soll ich also für immer hier schmachten?«, jammerte Martin. »Ach Gott, das kann ich nicht lange aushalten und schon nach kurzer Zeit werde ich mein Leben enden! Wie könnte ein Menschenleben an diesem Ort dauern. O habt Mitleid mit mir, ich gelobe unverbrüch­liches Stillschweigen über das, was ich jetzt zu sehen Gelegenheit fand.«

»Dein Verlangen kann nicht in Erfüllung gehen«, sagte Bert­hold, „du musst hierbleiben, bis wir unsere Aufgabe gelöst haben. Wir wollen dich für deine Arbeit reichlich bezahlen; aber ehe du frei wirst, kann eine lange Zeit vergehen. Auch wird einer von uns beständig in deiner Nähe sein, um dich zu bewachen und deinen Fleiß anzuspornen. Doch für jetzt sei es genug, wir wollen uns schlafen legen. Die Bewohner der Unterwelt haben nichts gemein mit denen auf der Oberfläche der Erde; sie schlafen, wenn jene wachen und schaffen im Schweigen der Nacht, während die anderen sich dem Schlummer überlassen.«

Mit diesen Worten entfernte sich Berthold. Martin warf sich hierauf auf einen Haufen Haidegras und ohne einzuschlafen, überließ er sich seinen Gedanken und den Erinnerungen an seine nun gänzlich verwaisten Kinder, denen sein plötzliches Verschwinden ein unlösbares Rätsel bleiben musste.