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Deutsche Märchen und Sagen 160

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

207. Jäger verschwindet

Ein sehr mächtiger Ritter war der Jagd über die Maßen ergeben und zwang tagtäglich viele seiner Untertanen, ihn auf seinen Zügen zu begleiten. Dadurch versäumten diese Leute aber ihre Geschäfte und ihren Ackerbau und sanken langsam mit ihren Familien in die tiefste Armut. Eines Tages zog der Ritter wieder zur Jagd und hatte einige der seinen nur mit sich genommen. Kaum war er im Wald, als ihm ein Wild aufstieß, auf welches er die Hunde hetzte und es dann selbst auf seinem Pferde sitzend verfolgte. Den ganzen Tag war er schon hinter dem Tier her, konnte es aber nicht einholen. Wütend, es immer so vor sich laufen zu sehen, setzte er mit seinen Begleitern ihm auch die Nacht hindurch noch nach. Was da aber weiter aus ihnen geworden ist, das weiß kein Mensch, denn nimmer hat man sie wieder gesehen. Einige sagen, die Erde habe sie lebendig verschlungen und sie seien also zur Hölle gefahren.

208. Spukfrau in der Johannisnacht

Zwei Knappen ritten am Vorabend von Sankt Johann Baptist nach Sonnenuntergang am Ufer eines Bächleins in der Nähe der Abtei Prüm in der Eifel umher und sahen eine Frau in weißem Linnenkleid am anderen Ufer sitzen, und ich weiß nicht, was sie trieben.

Da sprach einer von ihnen: »Sicherlich ist die Frau mit Zaubereien beschäftigt, denn in dieser Nacht besonders pflegen viele derselben.«

Sogleich beschlossen beide, die Frau zu fassen, und durchritten den Bach. Die Frau aber hob ihr Gewand und floh, und wiewohl die Renner der beiden Knappen als die schnellsten bekannt waren, konnten sie die Frau doch nicht einholen, die wie ein Schatten immer vor ihnen herschwebte.

Da hob der eine Knappe an und sprach: »Das geht nicht mit richtigen Dingen zu.«

Sie bekreuzigten sich und im selben Augenblick verschwand die Frau. Die Knappen als auch die Pferde blieben aber noch länger denn ein Jahr danach siech und schwächlich.