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Der Detektiv – Band 24 – James Palperlons Vermächtnis – Teil 4

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 24
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
James Palperlons Vermächtnis

Teil 4

Harst war als Erster durch das Fenster gestiegen, rieb nun ein Streichholz an und zündete eine Wachskerze an. Bevor ich mich in dem mit Bambusmöbeln behaglich ausgestatteten Zimmer noch hatte umsehen können, hörte ich schon Harsts Stimme.

»Ah, wir haben Besuch!«

Von dem Bambussofa neben der Tür erhob sich ein einheimischer Polizist. Harst hatte Englisch gesprochen, und der Beamte sagte nun ebenfalls auf Englisch: »Ich verlange Ihre Papiere zu sehen. Zwei Europäer, die hier in der Schwarzen Stadt Wohnung nehmen und die verkleidet durch das Fenster sich entfernen, wie der Wirt beobachtet hat, sind stets verdächtig.«

»Allerdings!«, meinte Harst. »Es war ein Fehler, sich hier einzumieten. Wenn es nicht schon so spät wäre, würde ich noch in ein Hotel des Europäerviertels übersiedeln. Papiere? Hm, Sie meinen irgendeinen Ausweis. Damit kann ich leider nicht dienen.«

»Dann muss ich Sie verhaften. Sie haben sich dem Wirt gegenüber als französische Kaufleute namens Beroux und Maxim ausgegeben. Heißen Sie so?«

»Nein. Verhaften Sie uns nur. Bestellen Sie aber auf meine Kosten einen Wagen, der uns zum Polizeigebäude bringt. Hoffentlich kann ich Ihren Vorgesetzten noch sprechen.«

Harsts ganze Art machte den Beamten verwirrt. Aber er tat dann alles, was Harst wollte. Dass dieser hierbei eine bestimmte Absicht verfolgte, merkte ich sofort.

Wir fuhren also wieder zurück in die Europäerstadt. Im Polizeigebäude behandelte man uns höflich. Nach einer halben Stunde betrat Kommissar Jean Dalbott das Vernehmungszimmer, in dem wir auf einer Bambusbank saßen.

Harst bat, den Kommissar ohne Zeugen sprechen zu dürfen. Dieser schickte darauf den Beamten hinaus. Als er nun Harsts Ausweis mit der abgestempelten Fotografie darauf sehr genau geprüft hatte, wurde er sehr liebenswürdig. Nicht alle Herren von der Polizei, denen wir bisher begegnet waren, besaßen so viel weltmännische Höflichkeit wie dieser Monsieur Dalbott. Er führte uns sofort in sein Dienstzimmer, erklärte, uns in jeder Weise unterstützen zu wollen, falls wir hier etwa beruflich tätig seien, und ließ auch unser Gepäck aus dem Unterkunftshaus des neugierigen Chinesen holen.

Harst blieb etwas zurückhaltend, meinte, wir seien mehr als Vergnügungsreisende nach Pondicherry gekommen und hätten heute nur in der Verkleidung uns einige Opiumhöhlen ansehen wollen.

»Gibt es hier eigentlich auch Lasterstätten dieser Art für die Begüterteren?«, fragte er nun ganz beiläufig.

Der Kommissar lächelte vielsagend. »Es dürfte keine geben! Aber natürlich muss die Polizei beide Augen zudrücken, wenn sogar die höchsten Beamten und ihre Damen dem Opiumgenuss frönen. Sollten Sie Lust haben, Monsieur Harst, einmal eine Pfeife Opium in einer sehr eleganten Umgebung zu rauchen, so gehen Sie zu den Brüdern Vapaure zum Bahnhofsboulevard 19 und verlangen Sie in deren Konfitürengeschäft anregende Bonbons. Das ist das geheime Kennwort, das Ihnen zu dem vornehmsten Opiumsalon Zutritt verschafft. Sie werden staunen, wie schlau diese Herren Vapaure ihr Haus für diesen Zweck eingerichtet haben. Die Polizei muss diesem Treiben gegenüber den Blinden spielen, denn es wäre doch peinlich, bei einer Razzia die Frau des Polizeichefs mit aufzugreifen.«

»Wohl recht fragwürdige Leute, diese Vapaures?«, meinte Harst gleichgültig.

»Im Gegenteil – im Gegenteil! Sehr angesehen hier, sehr! Oh, ich denke anders über sie. Europäer, die nachts so oft in aller Stille alle möglichen zerlumpten Inder empfangen und bei sich behalten, sind anrüchig! Aber ich will mir die Finger nicht verbrennen. Wer so mächtige Gönner hat wie die Vapaures, der belächelt einen simplen Polizeikommissar.«

»Schmuggler?«, fragte Harst kurz.

Dalbott schüttelte den Kopf. »Nein. Das würde nicht lohnen.«

»Hehler?«, meinte Harst

Der Franzose zog die Schultern hoch. »Ich weiß nichts und will nichts wissen!«

Gleich darauf begleitete er uns zum nahen Hotel de Paris, wo wir, obwohl es nach Mitternacht war, sofort zwei Zimmer im ersten Stock erhielten.

Als Dalbott sich verabschiedete, sagte Harst nach einigen Dankesworten, die des Kommissars Liebenswürdigkeit galten: »Wir werden vormittags mal zu den Vapaures gehen. Dürfte ich Sie dann mittags zum Diner hier im Speisesaal des Hotels einladen, Monsieur Dalbott? Vielleicht hätte ich für Sie einiges Interessante in Bereitschaft.«

Dalbott schaute Harst prüfend an. Er merkte, dass wir doch nicht als Touristen hier waren. »Ich nehme mit Dank an«, äußerte er. »Hoffentlich können wir so ein wenig zusammenarbeiten!«, erklärte er mit feinem Lächeln.

Als wir allein waren, meinte Harald. »Siehst du, mein Alter, nun haben wir hier einen ganz brauchbaren Verbündeten gefunden und auch eine Rückversicherung abgeschlossen.«

»Rückversicherung?«

Harst begann sich bereits zu entkleiden. »Ja, Rückversicherung. Hoffentlich brauchen wir sie nicht. Sollten die Umstände aber danach sein, so wird sie sich als nützlich erweisen. Dieser Dalbott ist ja nicht auf den Kopf gefallen.«

Ich verstand ihn nicht. Aber ich sollte ihn sehr bald verstehen und Gelegenheit haben, seinen weitschauenden Geist zu bewundern.

Der Laden der Brüder Vapaure hätte auch in Paris den Besitzern Ehre gemacht. Drei Steinstufen führten zum Geschäftseingang hinauf, einer breiten Glasflügeltür, auf deren Scheiben in Porzellanbuchstaben je ein scherzhafter französischer Spruch stand, der auf die Süßigkeiten des Lebens Bezug hatte.

Wir traten ein. Innen eine Einrichtung, wie sie kaum geschmackvoller und intimer sein konnte.  Hinter dem Ladentisch stand Ellen. Es musste Ellen, die Tochter Palperlons, sein. Ich hatte gestern Abend richtig gemutmaßt: Sie war nicht gerade eine Schönheit, aber hold und lieblich wie ein Gemälde des Pariser Genremalers Baptiste Greuze, dessen Brustbilder von jungen Frauen noch heute unübertroffen sind.

Harst stellte sich vor.

»Mademoiselle, mein Name ist Harald Harst.«

Sie wich sofort zurück, erblasste, versuchte umsonst ihre Verwirrung zu verbergen.

Bevor Harst noch etwas hinzufügen konnte, teilte sich ein kostbarer indischer Vorhang an der linken Wand und ein älterer, schlanker Herr mit offenbar gefärbtem Haar und Bart schoss förmlich hinter den Ladentisch, dienerte und fragte nach unseren Wünschen, sagte im gleichen Atem zu Ellen: »Geh nach oben und besorge mir das Frühstück.«

Das junge Mädchen zog sich widerstrebend zurück. Bevor sie den Vorhang zufallen ließ, warf sie noch einen langen keineswegs freundlichen Blick auf Harst.

Charles Vapaure dienerte abermals. »Womit kann ich dienen, Messieurs?«

Harst sagte leise: »Wir möchten Sie privat sprechen. Sie sind Herr Vapaure?«

»Jawohl, Charles Vapaure.«

Ich hatte das schon gewusst. Viktor trug einen Spitzbart. Ebenso hatte ich das Gefühl, dieser Charles müsste hinter dem Vorhang gestanden und gehört haben, wie Harst seinen Namen Ellen nannte. Diese Hast, mit der Charles Vapaure hier erschienen war, ließ den Schluss zu, dass er eine Unterhaltung zwischen Ellen und Harst hatte unmöglich machen wollen.

»Ich heiße Harald Harst«, erklärte dieser nun leise.

Sofort rief Vapaure: »Ah, endlich, endlich! Sie kommen wegen des Testaments Palperlons. Eine sehr merkwürdige Angelegenheit – sehr! Aber bitte, wollen die Herren mir freundlichst in unser Privatkontor folgen. Dort sind wir ungestört. Mein Bruder wird mich hier vertreten.«

Er führte uns durch die durch den Vorhang verdeckte Tür in einen kleinen Salon und dann nach rechts in ein größeres Zimmer, das halb elegantes Herrenzimmer, halb Kontor war.  Hier erhob sich von einem Schreibtisch der andere Vapaure – Viktor. Nachdem Charles ihn uns vorgestellt und Harst auch meinen Namen genannt hatte, ging Viktor in den Laden hinüber.

Wir waren mit Charles allein. Wir saßen in sehr schönen Klubsesseln. Charles bot uns Zigarren, Zigaretten und Likör an. Harst nahm nur eine Zigarre; ich desgleichen. Den Likören traute er wohl ebenso wenig wie dem gefärbten, geschmeidigen Franzosen.

Charles Vapaure begann dann sofort über Palperlon zu sprechen.

»Er war unser Schwager. Dass er ein so gefährlicher internationaler Verbrecher war, erfuhren wir zu spät. Nun zu dem Testament …«

Es ging aus seinem ganzen Verhalten klar hervor, dass er Harst nicht recht zu Wort kommen lassen wollte.

»Ja – dieses Testament!«, fuhr er fort. »Sie haben es ja nun in Ihrem Besitz, Monsieur Harst. Oder genauer gesagt: die andere Hälfte.«

Ich schaute Harst überrascht an. Aber Harald nickte nur. Was sollte das? Die andere Hälfte! Da hatte Harst mir doch offenbar wieder etwas verschwiegen.

»Haben Sie diese Hälfte bei sich, Monsieur Harst?«, fragte Vapaure nun. Ich merkte, wie begierig er auf die Antwort war.

»Ja, ich habe das Testament bei mir«, sagte Harst kurz. »Wollen Sie mir Ihre Hälfte bitte zeigen …«

»Sofort, ich habe sie gut verborgen. James händigte sie uns vor einem Jahre aus. Er gab dazu nur folgende Erklärung ab: ›Ich werde gerade den Mann, der mein gefährlichster Feind ist, zu meinem Testamentsvollstrecker machen: Harald Harst! Er wird sich nach meinem Tod – denn ich rechne mit einem baldigen Ende so oder so – hier bei euch einfinden und die Ergänzung zu dem von mir mitten durchgerissenen Schriftstück bringen, das ohne diese Ergänzung ohne Wert ist.‹ Das war alles, was er sagte.«

Charles Vapaure trat an die Wand und nahm ein kleines Ölbild vom Nagel. Dahinter befand sich ein verstecktes Fach in der Mauer. Er öffnete es mit einem langen, dünnen Schlüssel und nahm ein Stück Papier heraus, reichte dieses Harst und sagte: »Bitte, es ist das Original!«  Ich stellte mich hinter Harsts Sessel und schaute ihm über die Schulter.

Das Papier war ein dreieckiges Stück gewöhnliches weißes Schreibpapier. Es war etwa 20 Zentimeter breit und lang, während die Grundlinie dieses Dreiecks, und das war die Rissstelle, vielleicht 28 Zentimeter maß.

Das, was auf diesem Papier geschrieben stand, lautete auf Deutsch folgendermaßen:

Pondicherry
Mein letzter Wun
In der Überzeugung, dass sofort
erreicht, bestimme ich, falls
meine Hinterlassenschaft in
unter Mitwirkung un
viele Millionen in
leicht zu finden
geteilt zwischen
Harst stets
niemals ge
Millionen
selten so
reich
bis

Der Inhalt dieses Dreiecks war also vollständig unklar. Lediglich, dass es sich um eine Millionenerbschaft handelte, schien daraus mit Sicherheit hervorzugehen.

»So, und nun Ihre Hälfte, Monsieur Harst«, meinte Charles Vapaure förmlich zitternd vor Ungeduld. »Erst das Ganze wird uns ja darüber Aufschluss geben, wo diese Millionen zu finden sind.«

Harst blickte nicht auf, sagte nur nachdenklich: »Bitte einen Augenblick. Ich muss mir erst klar darüber werden, ob ich befugt bin, Ihnen das zu zeigen, was James Palperlon mir anvertraute.«

»Befugt? Befugt?«, rief Vapaure. »Sie sind verpflichtet, Ihre Hälfte diesem Stück hinzuzufügen! Wir sind genauso Palperlons Testamentsvollstrecker wie Sie! Ich müsste die Hilfe der hiesigen Behörde anrufen, die mir rücksichtslos beistehen würden, falls …«

Harst hatte eine sehr energische Handbewegung gemacht.  »Regen Sie sich nicht auf. Mir droht man nicht. Das ist sehr unzweckmäßig!«, sagte er kalt. »Ich kenne nun Palperlons letzten Wunsch. Bitte, hier haben Sie Ihre halbe Urkunde zurück.«

Er stand auf. Charles Vapaure war blass geworden.

»Ich fordere Sie nochmals auf, mir …«

Er kam nicht weiter, Harst hatte aufgelacht. »Niemals!« sagte er so höhnisch, wie ich ihn noch nie ein Wort hatte aussprechen hören.

Der Franzose hatte sich auf die Lehne eines Sessels gestützt. Wir standen mitten im Zimmer.

Da flog ein fast diabolisches Grinsen über Vapaures Gesicht.

»Nun, wie Sie wollen!«, meinte er eisig. »Sie werden …«

Dann … dann war es mir, als ob eine unsichtbare Gewalt den Teppich, auf dem wir standen, an den Rändern hochschnellen ließ. Ich wurde gegen Harst geworfen. Dunkel wurde es um uns her. Nun ein harter Anprall mit den Füßen – so stark, dass die Erschütterung mir fast die Besinnung raubte.

Erst nach Sekunden spürte ich, dass man uns, die wir in den Teppich ganz eingehüllt waren, noch mit Stricken umwand. Ich wurde so eng gegen Harst gepresst, dass mein Gesicht auf seine Brust zu liegen kam. Gerade im Genick fühlte ich einen Strick, der mit aller Kraft angezogen wurde.

Dann warf man uns wie ein Bündel in irgendeinen engen Behälter. Ein Deckel flog knallend zu; schaukelnde Bewegungen folgten; nach einer Weile pendelte der Behälter hin und her, schlug irgendwo auf, blieb nun in derselben Lage.

Harst hatte sich bisher nicht gemeldet. Sollte er etwa ohnmächtig sein.

»Harst?«, fragte ich. »Harst, bist du …«

»Ja, ich bin recht zufrieden jetzt«, führte er meinen Satz zu Ende. »Die Schufte haben sich nun verraten. Deshalb trat ich auch so unhöflich auf. Dass die Vapaures etwas derartiges planten, ahnte ich. Ich wusste nur nicht, was es sein würde. Nicht umsonst habe ich mir heute früh, als du dich noch rasiertest, ein paar Stahlfeilen, eine kleine Stahlsäge und ein kleines Federmesser gekauft, das ich geöffnet im Ärmelaufschlag verbarg. Ich wollte für alle Fälle gerüstet sein. Nun wissen wir auch, was es mit der frischen Erde auf sich hatte. Die Vapaures haben unter den Dielen ihres Privatkontors ein großes Loch ausgegraben, das mit dem Keller in Verbindung steht. Den Fußboden hatten sie zur Falltür umgewandelt. Wir versanken blitzschnell, und der Teppich rutschte mit hinab und wickelte uns ein. Unten wurden wir erwartet. Nun dürften wir uns an Bord eines kleineren Fahrzeugs befinden. Ein Seitenkanal fließt am Garten der Vapaures vorbei. Nun, ich beginne bereits, den Teppich und die Stricke zu zerschneiden. Halte nachher deine Pistole bereit. Sobald der Deckel dieser Kiste geöffnet wird, schnellen wir hoch. Sollte die Situation dann bedenklich aussehen, so knalle sofort los. Nur keine Rücksicht hier!«