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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 11. – 14. Bändchen – Kapitel I

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Elftes bis vierzehntes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

I. London

Als das Geräusch der Pferde sich in der Ferne verloren hatte, stieg d’Artagnan wieder zu dem Rand des Flüsschens hinauf und fing an, die Ebene zu durchlaufen, wobei er so gut wie möglich die Richtung von London in das Auge zu fassen suchte. Die drei Freunde folgten ihm schweigend, bis sie, nachdem sie einen großen Halbkreis beschrieben, das Städtchen weit hinter sich gelassen hatten.

»Diesmal«, sagte d’Artagnan, als er sich weit genug von dem Ausgangspunkt meinte, um vom Galopp in den Trab überzugehen, »diesmal glaube ich, dass entschieden alles verloren ist und dass wir nichts Besseres tun könnten, als uns nach Frankreich zuwenden. Was sagt Ihr zu dem Vorschlag, Athos? Findet Ihr ihn nicht vernünftig?«

»Ja, teurer Freund«, erwiderte Athos, »aber Ihr habt einst ein edleres, vernünftigeres Wort ausgesprochen. Ihr sagtet: ›Wir werden hier sterben.‹ Ich erinnere Euch an dieses Wort.«

»Oh!«, rief Porthos, »der Tod ist nichts, und er soll uns auch nicht beunruhigen, weil wir nicht wissen, was er ist, aber der Gedanke einer Niederlage peinigt mich. Nach der Wendung der Dinge sehe ich ein, dass wir mit London, mit den Provinzen, mit ganz England zu kämpfen haben und am Ende kann es nicht fehlen, dass wir geschlagen werden.«

»Wir müssen diesem großen Trauerspiel bis zum Schluss beiwohnen«, sprach Athos, »und werden, was auch kommen mag, vor seiner völligen Entwickelung England nicht verlassen. Denkt Ihr wie ich, Aramis?«

»In jeder Beziehung, Graf; dann gestehe ich Euch auch, es wäre mir nicht unangenehm, Mordaunt wiederzufinden. Es scheint mir, wir haben eine Rechnung mit ihm in Ordnung zu bringen, und es ist nicht unsere Gewohnheit, ein Land zu verlassen, ohne solche Schulden zu bezahlen.«

»Oh! Das ist etwas anderes«, sprach d’Artagnan, »dieser Grund leuchtet mir ganz ein. Ich bekenne, dass ich, um den fraglichen Mordaunt wiederzufinden, wenn es sein soll, ein ganzes Jahr in London bleiben werde. Nur müssen wir uns bei einem sicheren Mann und so einquartieren, dass kein Verdacht dadurch erregt wird, denn Monsieur Cromwell muss uns zu dieser Stunde suchen lassen. Und so viel ich zu beurteilen vermag, spaßt Monsieur Cromwell nicht. Athos, kennt Ihr in der ganzen Stadt eine Herberge, wo man weiße Leintücher, vernünftig gekochtes Roastbeef und Wein findet, der nicht von Hopfen oder Wachholder bereitet ist?«

»Ich glaube hierfür sorgen zu können«, erwiderte Athos. »Lord Winter hat uns zu einem Mann geführt, von dem er sagte, er wäre ein ehemaliger Spanier und nur durch die Guineen seiner Landsleute naturalisierter Engländer. Was meint Ihr, Aramis?«

»Der Gedanke, unser Quartier bei Señor Perez zu nehmen, scheint mir äußerst vernünftig. Ich trete demselben also für meine Person bei. Wir berufen uns auf den armen Winter, für den er eine große Verehrung zu hegen schien. Wir sagen, wir kommen als Liebhaber, um zu sehen, was vorgehe; wir geben bei ihm jeder eine Guinee im Tag aus und mithilfe dieser Vorsichtsmaßregeln können wir, glaube ich, ziemlich ruhig bleiben.«

»Ihr vergesst eine Vorsicht, Aramis, und zwar eine wichtige.«

»Welche?«

»Wir müssen die Kleider wechseln.«

»Bah!«, sprach Porthos, »warum die Kleider wechseln? Wir sind bequem in diesen.«

»Um nicht erkannt zu werden«, versetzte d’Artagnan. »Unsere Kleider haben einen Schnitt und beinahe eine gleichmäßige Farbe, wodurch sich der Franzmann beim ersten Blick verrät. Es ist mir aber nicht so viel an dem Schnitt meines Wamses und an der Farbe meiner Beinkleider gelegen, dass ich ihnen zuliebe mich der Gefahr aussetzen sollte, in Tyburn gehängt zu werden oder eine Reise nach Indien zu machen. Ich will mir ein kastanienbraunes Kleid kaufen, denn, ich habe gesehen, dass all die Dummköpfe von Puritanern diese Farbe wahnsinnig lieben.«

»Aber werdet Ihr Euren Mann wiederfinden?«, fragte Aramis.

»Oh! Gewiss, er wohnte Green-Hall-Street, Bedford’s Tavern; überdies gehe ich mit geschlossenen Augen in die Cité.«

»Ich wollte, wir wären schon dort«, versetzte d’Artagnan, »und meiner Meinung nach wäre es das Beste, wenn wir London vor Tag erreichten, und sollten wir auch unsere Pferde zu Tode reiten.«

»Vorwärts!«, rief Athos, »denn, wenn mich meine Berechnung nicht täuscht, sind wir höchstens acht bis zehn Stunden davon entfernt.«

Die Freunde gaben ihren Pferden die Sporen und kamen wirklich gegen fünf Uhr morgens nach London. Bei dem Tor hielt man sie an und Athos antwortete in vortrefflichem Englisch, sie wären von dem Obersten Harrison abgeschickt, um seinen Kollegen, Monsieur Pridge, von der nahe bevorstehenden Ankunft des Königs zu benachrichtigen. Diese Antwort hatte einige Fragen über die Gefangennahme des Königs zur Folge; Athos gab jedoch die Umstände so genau und so bestimmt an, dass, wenn die Torwächter einen Verdacht gehabt hätten, derselbe völlig verschwunden sein müsste. Der Durchgang wurde also den vier Freunden mit allen Arten puritanischer Glückwünsche geöffnet.

Athos hatte die Wahrheit gesagt: Er ritt gerade auf Bedford’s Tavern zu und gab sich dem Wirt zu erkennen, der so sehr erfreut war, ihn in so zahlreicher und so schöner Gesellschaft wiederzusehen, dass er sogleich seine besten Zimmer in Bereitschaft setzen ließ.

Obwohl es noch nicht Tag war, so hatten die vier Freunde doch die ganze Stadt in größter Bewegung gefunden. Das Gerücht, dass sich der König, von dem Obersten Harrison geführt, der Hauptstadt nähere, hatte sich schon am Abend verbreitet und viele waren noch nicht zu Bett gegangen, aus Furcht, der Stuart, wie sie ihn nannten, würde bei Nacht ankommen, und sie könnten seinen Einzug verfehlen.

Der Plan, die Kleider zu wechseln, war, wie man sich erinnert, abgesehen von dem kleinen Widerspruch von Porthos, allgemein angenommen worden. Man beschäftigte sich also damit, denselben in Ausführung zu bringen. Der Wirt ließ sich Kleider von allen Sorten bringen, als wollte er seine Garderobe neu ausstatten. Athos nahm ein schwarzes Kleid, das ihm das Aussehen eines ehrbaren Bürgers verlieh; Aramis, der sich nicht vom Schwert trennen wollte, wählte ein dunkelgrünes Kleid von militärischem Schnitt; Porthos ließ sich durch ein rotes Wams und grüne Hosen verführen; d’Artagnan, dessen Farbe im Voraus bestimmt war, hatte sich nur noch um die Nuance zu bekümmern und stellte unter dem kastanienbraunen Rock, den er sich aussuchte, ziemlich genau einen Zuckerhändler vor.

Grimaud und Mousqueton trugen keine Livree mehr und waren auf diese Art völlig verkleidet. Grimaud bot den ruhigen, steifen Typus des umsichtigen Engländers, Mousqueton den des dickbäuchigen, aufgedunsenen, trägen Engländers.

»Nun zur Hauptsache«, sagte d’Artagnan, »schneiden wir die Haare, um nicht von dem Pöbel beschimpft zu werden. Da wir keine Edelleute mehr durch das Schwert sind, so wollen wir Puritaner durch den Schnitt unserer Haare sein. Das ist, wie Ihr wisst, der wichtige Punkt, der den Convenanter von dem Ritter unterscheidet.«

D’Artagnan fand Aramis in dieser Sache sehr unnachgiebig; er wollte mit aller Gewalt seine schönen Haupthaare behalten, auf die er die größte Sorgfalt verwandte, und Athos, für den all diese Fragen gleichgültig waren, musste das Beispiel geben. Porthos überließ ohne Widerstreben seinen Kopf dem getreuen Mousqueton, der mit voller Schere in das dicke, raue Haar fuhr. D’Artagnan schnitt sich selbst einen Phantasiekopf, wonach er ziemlich viel Ähnlichkeit mit einer Medaille aus der Zeit von Franz I. und Karl IX. hatte.

»Wir sehen abscheulich aus«, sagte Athos.

»Mir kommt es vor, als ob wir nach dem Puritaner röchen, dass es einem übel werden könnte«, versetzte Aramis.

»Mich friert in den Kopf«, rief Porthos.

»Und ich bekomme Lust zu predigen«, sagte d’Artagnan.

»Nun, da wir uns selbst nicht mehr erkennen«, sprach Athos, »und folglich nicht bange haben, wir könnten von anderen erkannt werden, wollen wir den König einziehen sehen. Ist er die ganze Nacht marschiert, so muss er unweit von London sein.«

Die vier Freunde hatten sich nicht zwei Stunden unter die Menge gemischt, als ein gewaltiges Geschrei und eine große Bewegung die Ankunft des Königs verkündeten. Man hatte ihm einen Wagen entgegengeschickt, und der riesige Porthos, welcher alle Köpfe um einen Kopf überragte, kündigte von Weitem an, er sehe die königliche Karosse kommen; d’Artagnan erhob sich auf den Fußspitzen, während Athos und Aramis horchten, um die öffentliche Stimmung zu erforschen. Man erblickte Harrison an einem Kutschenschlag und Mordaunt an dem anderen.

Das Volk, dessen Eindrücke Athos und Aramis studierten, ergoss sich in tausenderlei Verwünschungen gegen den König.

Athos kehrte in Verzweiflung zurück.

»Mein Lieber«, sagte d’Artagnan zu ihm, »Eure Beharrlichkeit ist vergeblich, ich schwöre Euch, die Lage der Dinge ist sehr schlimm. Ich meinerseits halte nur Euretwegen und aus einem gewissen Standesinteresse als Musketier bei der Sache aus, denn ich finde, es wäre lustig, allen diesen Brüllern ihre Beute zu entreißen und sie zu verhöhnen. Ich werde mir die Sache überlegen.«

Schon am anderen Morgen hörte Athos, an dem Fenster stehend, das nach den volkreichsten Quartieren der City ging, die Bill des Parlaments ausrufen, welche den Exkönig Karl I., angeblich des Verrats und des Missbrauchs der Gewalt schuldig, vor die Schranken zog.

D’Artagnan war in seiner Nähe, Aramis betrachtete eine Karte, Porthos wurde von den letzten Leckerbissen eines saftigen Frühstücks in Anspruch genommen.

»Das Parlament!«, rief Athos, »das Parlament kann unmöglich eine solche Bill erlassen haben.«

»Hört«, sprach d’Artagnan, »ich verstehe wenig Englisch, aber da das Englische nur schlecht ausgesprochenes Französisch ist, so verstehe ich doch Parlisments bill, das heißt Bill des Parlaments. Gott soll mich verdammen, wie sie hier zulande sagen.«

In diesem Augenblick trat der Wirt ein; Athos bedeutete ihm durch ein Zeichen, er möge näherkommen.

»Hat das Parlament diese Bill erlassen?«, fragte er in englischer Sprache.

»Ja, Mylord, das reine Parlament.«

»Wie, das reine Parlament? Es gibt also zwei Parlamente?«

»Mein Freund«, unterbrach ihn d’Artagnan, »da ich im Englischen nicht bewandert bin, wir aber alle Spanisch verstehen, so macht uns das Vergnügen, uns in dieser Sprache zu unterhalten, welche Ihr, da sie die Eure ist, gern sprechen müsst, wenn Ihr Gelegenheit dazu findet.«

»Ah! Das ist vortrefflich«, sagte Aramis.

Was Porthos betrifft, so blieb seine ganze Aufmerksamkeit, wie gesagt, auf ein Kotelettbein gerichtet, das er seiner fleischigen Hülle zu berauben beschäftigt war.

»Ihr fragtet also?«, sagte der Wirt auf Spanisch.

»Ich fragte«, erwiderte Athos in derselben Sprache, »ob es zwei Parlamente, ein reines und ein unreines gebe?«

»Oh! Was das seltsam ist«, sagte Porthos, langsam den Kopf erhebend und seine Freunde mit erstaunter Miene anschauend, »ich verstehe also das Englische jetzt, ich begreife, was Ihr sprecht.«

»Weil wir Spanisch sprechen, lieber Freund«, erwiderte Athos mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit.

»Ah! Teufel«, rief Porthos, »das ist mir leid, es wäre eine Sprache mehr für mich gewesen.«

»Wenn ich sage, das reine Parlament, Señor«, versetzte der Wirt, »so verstehe ich darunter das von dem Obersten Pridge gereinigte.«

»Ah! In der Tat, diese Leute sind sehr erfinderisch«, sprach d’Artagnan, »wenn ich nach Frankreich zurückkomme, muss ich dieses Mittel Monsieur von Mazarin und dem Monsieur Koadjutor mittheilen. Der eine wird im Namen des Hofes, der andere im Namen des Volkes reinigen, und so wird es gar kein Parlament mehr geben.«

»Wer ist der Oberste Pridge?«, fragte Aramis, »wie hat er es gemacht, um das Parlament zu reinigen?«

»Der Oberste Pridge«, antwortete der Spanier, »ist ein ehemaliger Kärrner, ein Mann von viel Geist, der seinen Karren führend eines wahrnahm, nämlich, dass es, wenn sich ein Stein auf seinem Weg fand, viel kürzer war, den Stein wegzunehmen, als es zu versuchen, das Rad darüber gehen zu lassen. Von zweihunderteinundfünfzig Mitgliedern, aus denen das Parlament bestand, waren ihm nun hunderteinundachtzig hinderlich und hätten seinen politischen Karren umwerfen können. Er nahm sie, wie früher die Steine, und warf sie aus der Kammer.«

»Hübsch«, sagte d’Artagnan, der vor allem ein Mensch von Witz war und den Witz auch überall hochschätzte, wo er ihn fand.

»Und alle diese Ausgetriebenen waren Stuartisten?«, fragte Athos.

»Allerdings, Señor; Ihr begreift, dass sie den König gerettet hätten.«

»Bei Gott«, sprach Porthos mit großartigem Ton, »sie bildeten die Majorität.«

»Und Ihr denkt, er werde sich herablassen, vor einem solchen Parlament zu erscheinen?«, sagte Aramis.

»Er wird wohl müssen«, erwiderte der Spanier, »versuchte er Widerstand, so würde ihn das Volk zwingen.«

»Ich danke, Meister Perez«, sprach Athos, »ich bin nun hinreichend unterrichtet.«

»Glaubt Ihr endlich, dass es eine verlorene Sache ist«, sagte d’Artagnan, »und dass wir mit den Harrison, den Joyce, den Pridge und Cromwell nie uns messen können?«

Der König wird dem Parlament überantwortet werden«, sagte Athos. »Das Stillschweigen seiner Parteigänger verkündet ein Komplott.«

D’Artagnan zuckte die Achseln.

»Aber wenn sie es wagen, ihren König zu verurteilen, so werden sie ihn höchstens zur Verbannung oder zum Gefängnis verurteilen.«

D’Artagnan pfiff seine Ungläubigkeitsmelodie.

»Wir werden es wohl sehen«, sprach Athos, »denn ich denke, wir gehen in die Sitzungen.«

»Ihr habt nicht lange zu warten«, versetzte der Wirt. »Sie beginnen morgen.«

»Ah!«, rief Athos, »der Prozess wurde also instruiert, ehe der König gefangen war?«

»Allerdings, man fing an dem Tag an, an welchem man ihn erkauft hatte.«

»Ihr wisst«, sagte Aramis, »dass unser Freund Mordaunt, wenn auch nicht den Vertrag abgeschlossen, doch wenigstens die ersten Unterhandlungen in dieser Angelegenheit eröffnet hat.«

»Ihr wisst«, sprach d’Artagnan, »dass ich diesen Monsieur Mordaunt töte, wo er mir in die Hände fällt.«

»Pfui!«, rief Athos, »einen so elenden Menschen.«

»Gerade weil er ein Elender ist, töte ich ihn«, entgegnete d’Artagnan. »Ah, lieber Freund, ich füge mich genugsam Eurem Willen, dass Ihr etwas nachsichtig gegen den meinen sein müsst. Übrigens erkläre ich diesmal, mag es Euch gefallen oder nicht, dass er nur von mir getötet werden wird.«

»Und von mir«, sagte Porthos.

»Und von mir«, versetzte Aramis.

»Rührende Einhelligkeit«, rief d’Artagnan, »wie es sich für gute Bürger unserer Art geziemt. Lasst uns einen Gang durch die Stadt machen; Mordaunt wird uns selbst auf drei Schritte bei diesem Nebel nicht erkennen. Lasst uns ein wenig Nebel trinken.«

»Ja, sprach Porthos, »das ist eine Abwechselung vom Bier.«

Die vier Freunde gingen aus, um, wie man gewöhnlich sagt, Luft zu schöpfen.