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Das Geisterschloss

Das Geisterschloss
Nach dem Französischen von F. A. Walter
Aus: Die Biene. Illustrierte Zeitschrift zur Unterhaltung und Belehrung für jedermann. Neutitschein (Nový Jičín). 1862.

Kläglich pfiff der Herbstwind durch die hell-entblätterten Zweige verkrüppelter Eichen der unfruchtbaren Sologne, kräuselte die schmutzigen Pfützen, welche faulend den fettigen Boden bedeckten und jagte stoßweise dichte Regenschauer die überschwemmte, von tiefen Geleisen durchfurchte Straße hinab.

Im Schlamm dieses verwünschten Landes watend, bei jedem Schritte fluchend, bald über einen auf der Erde liegenden Baumstamm stolpernd oder bis über die Knöchel in ein morastiges Loch versinkend, schritt ein Wanderer dahin. Der Regen peitschte ihm das Gesicht und die von Nässe schweren Kleider erschwerten ihm sein Weiterkommen von Minute zu Minute.

»Ach!«, murmelte ich, (denn der Reisende war ich), »nicht so leicht werde ich, auf die Reisebeschreibung eines britischen Freundes hin, mich wieder auf die hohe See begeben. Diese sogenannten Heerstraßen gleichen eher wüsten Steppen ohne Anfang und Ende. Dazu wird es, was dem Ganzen die Krone aufsetzt, immer dunkler, indes ich an einem Kreuzweg stehe, wo sich ein Dutzend Straßen schneiden. Welche soll ich einschlagen? Welche führt zum Schloss Malemort?1 Ein Name voll schöner Vorbedeutung. Ich glaube, dieser Name allein hat den kleinen zerlumpten Bauernlümmel in die Flucht gejagt, den mein Zureden und mein Geld endlich bestimmt hatten, mir zum Führer zu dienen; denn kaum war dieser Name über meine Lippen gekommen, als der kleine Dummkopf Fersengeld gab! Die Einladung dieses Arthur ist ein wahrer hinterlistiger Streich. Doch halt! Wiederholen wir uns seine Andeutungen. »Sobald Sie am Ende der Lichtung angekommen sind, halten Sie sich rechts, dann immer gerade aus.« Zum Teufel, das tue ich schon seit anderthalb Stunden! »Sie werden an einen Kreuzweg gelangen, von dort biegen Sie links ab.« Links abbiegen, von was. Von dem Weg, dem ich bis jetzt gefolgt bin, das ist klar. »Bald werden Sie das Haus erblicken, ein langes Viereck von der Gestalt eines Grabes, das von zwei Türmen gleich einer Avantgarde flankiert wird; sobald Sie einmal da sind, werden Sie sich leicht zurechtfinden.« Ja leicht, mithilfe der Sonne und des schönen Wetters, die mich beide im Stich gelassen und nicht den Anschein haben, dieses glückliche Land sehr oft mit ihren Besuch zu beehren! Doch dem Himmel sei Dank! Dort unten schimmert ein Licht durch den Nebel zu mir herüber, alles eins, Hütte oder Schloss, ich gehe darauf los, dort will ich schlafen und sollte ich mitten unter eine Räuberbande geraten.

Je weiter ich vorwärts schritt, desto bestimmter trat das Licht hervor; es schimmerte in einem halb gotisch, halb modern gebauten Turm, welcher den Eckvorsprung eines langen schwarzen Gebäudes bildete. Endlich, sprach ich, mir die Hände reibend, bin ich am Ziel. Nach der gefälligen Beschreibung Arthurs zu urteilen, dürfte das Malemort sein. Bald werde ich mich lachenden und heiteren Gesichtern gegenüber befinden. Ein freundlicher Empfang, ein gutes Feuer, ein weiches Bett und hauptsächlich eine kräftige Mahlzeit, werden bald die müden Glieder vergessen machen. Schon höre ich Miss Emmas schalkhaftes und munteres Lachen, schon ehe ich das Leuchten in den lieblichen Augen Miss Isabellas, ihrer ernstgestimmten älteren Schwester beim Aufzählen meiner tragikomischen Abenteuer. Wenn Vater und Brüder ein wenig zu förmlich sind, so sind dagegen die Mädchen umso reizender, darum vorwärts; ich werde das Vergnügen meiner Ankunft nicht zu teuer erkauft haben … wenn ich noch ankomme. Es scheint mir, dass ich zwischen mir und dem Schloss Wasser spiegeln sehe. Nichts fehlt dem Schloss, selbst nicht die Gräben. Ich hoffe wenigstens die Zugbrücke herabgelassen zu finden.

Nachdem ich vorsichtig an dem Wasser herumgegangen war, gelangte ich an eine schmale Steinbrücke, welche mich an eine Art Schlupftor brachte, das in der Tiefe der Mauer eingefügt war. Tappend suchte ich nach dem Klopfer und hämmerte mit doppelten Schlägen darauf los. Das Getöse verhallte; niemand kam. Der Regen strömte noch immer. Ich fing, jedoch mit ebenso geringem Erfolg wie früher, von Neuem zu klopfen an.

Nach einer Viertelstunde setzte sich endlich das Licht im Turm in Bewegung und eine dumpfe Stimme brummte auf der anderen Seite des Schlupftores: »Wer klopft denn so stark? Wer begehrt zu solcher Stunde und bei diesem Wetter Einlass?«

»Öffnen Sie zuerst, dann werden wir uns erklären.«

»Ich öffne nicht dem Erstbesten! Sie können bis zum nächsten Flecken gehen und dort übernachten, in einer kleinen Stunde sind Sie dort.«

Eine energische Protestation von meiner Seite lockte eine zweite Person an die oberen Fenster des Schlosses, welche mit rein englischer Betonung herabrief: »Ich glaube, es ist die Stimme meines Freundes Daniel! Öffne schnell, Brigitta, und führe ihn herein.«

Brigitta, offenbar durch den zwischen alten Dienerinnen und jungen Herrn herrschenden Geist der Feindseligkeit bestimmt, ging pflichtschuldig zur Küche, um die Schlüssel zu suchen, kam dann so langsam als möglich zurück und öffnete gemächlich und bedächtig die Schlösser und Riegel, welche die Festung sperrten. Als mich Arthur von Schmutz und Wasser triefen sah, drang er darauf, mich augenblicklich in das für mich bestimmten Zimmer zu führen. Es war ein großes Gemach mit grünen düsteren Tapeten und einem Himmelbett mit grünen Vorhängen; zwei oder drei Fauteuils, dann drei oder vier Stühle mit grünen Überzügen, welche sich Staub und Motten streitig machten, standen zerstreut in dieser Wüstenei. Der Eindruck dieses nackten Gemaches war ein trauriger, eisiger, schaudererregender. Arthur entschuldigte sich damit, dass er mich nicht mehr erwartet und gedacht habe, dass ich auf meinen Ausflug verzichtet hätte. Hätte mir der Himmel doch diesen glücklichen Einfall gegeben. Auch wären die Möbel nicht von Paris angekommen usw. Als die alte Brigitta aufgefordert wurde, Feuer zu machen, um mich trocknen zu können, zeigte sie viel guten Willen dazu, während ich zähneklappernd die etwas kurze Sommerhose und den etwas zu engen Überrock meines Wirtes anzog, welche Kleidungsstücke er mir freigebig zur Verfügung stellte. Kaum hatte ich meine improvisierte Toilette beendet, als mir ein unausstehlicher Rauch von feuchtem Holz die Kehle zuschnürte, sich stechend in meine Augen bohrte und mich zum Salon jagte. Dort hoffte ich Leben, Luft und Jugend zu finden, welche jeden anderen Teil des Schlosses zu fliehen schien. Kein Stimmengeräusch noch frisches schallendes Gelächter ließen mich einen freudigen Willkommen ahnen. Ich stieß einen Flügel der schweren Tür auf und ich sah einen Freund Arthur den Kopf in seinen Händen, die Ellenbogen auf einen Tisch gestützt am anderen Ende des Saales bei einem trübseligen Steinkohlenfeuer sitzen. Er schien in düstere Gedanken versunken zu sein. Er hörte mich nicht eintreten. Als ich mich an seiner Seite befand, sprach ich ihn an, er zitterte und erhob sich.

»Sie sind erstaunt, mich allein zu finden«, sprach er zu mir. »Mein Vater ist gestern mit meinen Schwestern in die Schweiz gereist, von da werden Sie wahrscheinlich nach Italien gehen, wo ich bald zu ihnen stoßen will. Ich will mein Möglichstes versuchen, die Honneurs dieses Hauses zu machen; es ist ein wahres Glück für mich, dass Sie gekommen sind, meine Einsamkeit zu unterbrechen. Doch lassen wir den Tee nicht kalt werden, bei diesem nassen Wetter werden Sie sich nach etwas Warmen sehnen.«

Ich verging fast vor Hunger; ich verschlang wider Willen das schale chinesische Gebräu und von den zwei mageren Butterschnitten, welche mir die alte Brigitta servierte, nur einen einzigen Bissen. Mein Wirt nahm es als abgemacht an, dass ich in Orleans, wo ich eilig nur einen Mundvoll zu mir genommen, gespeist habe; ich wollte ihn nicht enttäuschen.

»Wenn ich bitten darf, erklären Sie mir das plötzliche Aufgeben aller Ihrer Projekte?«, sprach ich zu ihm, nachdem wir unser frugales Mal beendet hatten. »Vor einem Monat schrieben Sie mir, dass Sie den ganzen Spätherbst hier zubringen, jagen und selbst Weihnachten, nach alter ländlicher Sitte feiern wollten. Ich bildete mir ein, hier jene fröhliche Gesellschaft zu finden, die Sie mir so oft geschildert haben. Ich glaubte hier ein Bild jenes großartigen Schlosslebens zu sehen, das man in England führt. Wie kommt es, dass ich Ihr Haus leer finde? Sollte Ihnen ein Unglück zugestoßen sein? Wer hat Ihren Vater und Ihre reizenden Schwestern in die Flucht gejagt?«

Arthur schwieg einige Sekunden, gleichsam fiel es ihm schwer zu antworten. Schon bereute ich meine Indiskretion, als er sich endlich zu sprechen entschloss.

»Die Ursache dieser plötzlichen Abreise ist so sonderbar und so peinlich, dass ich lieber schweigen möchte; doch da Sie mich fragen, lieber Daniel, so will ich Ihnen nichts verbergen: Vielleicht helfen Sie mir sogar, das geheimnisvolle Dunkel zu erhellen, das über dem Ereignis liegt. Als wir vor zwei Monaten hier einzogen, waren Isabella und Emma noch so, wie Sie dieselben in Paris gekannt haben. Sie lachten, waren munter, liebenswürdig, das Glück meines Vaters und die Freude des Hauses. Kaum waren sechs Wochen verflossen, als alles anders wurde. Emma war träumerisch und düster geworden; Isabella, welche lang widerstanden hatte, fiel endlich gleichfalls in eine Art Entkräftung. Ich überraschte sie, als sie die Augen voll Tränen hatten, konnte es aber nicht dahin bringen, ihnen ihr Geheimnis zu entreißen. Mein Vater befragte sie, aber mit ebenso viel Erfolg wie ich. Sie hätten, sagten sie, keinen Kummer, und dennoch wurden sie immer blasser, magerten ab und veränderten sich von Tag zu Tag. In einer Nacht wurde ich plötzlich durch herzzerreißendes Schreien geweckt. Ich erkannte Emmas Stimme; ich sprang zu ihrem nicht weit gelegenen Zimmer und fand sie im Kampf mit einem heftigen Nervenanfall. Sie wand sich in den Armen Isabellas, welche ihr Salze zu riechen gab. Das arme Kind hatte die Züge ganz entstellt, die Zähne zusammengepresst und die Augen verstört

Sobald sie sprechen konnte, zeigte sie nach den halb offenen Fenster und rief: ›Da! … da ist er hereingekommen und hinausgegangen!‹

Instinktmäßig und ohne zu überlegen, stürzte ich, wie sie sich denken können, zum Fenster. Ich sah weder Leiter noch Strick oder sonst ein anderes Zeichen; auch war das Fenster sechzig Fuß hoch über dem Schlossgraben gelegen, welcher voll Wasser war, weshalb es eine Unmöglichkeit schien, bis herauf gelangen zu können. Um wen, um was handelte es sich denn? Isabella gestand mir weinend, was ihr Emma anvertraut hatte. Nach unserer Ankunft im Schloss sah sie in der Nacht ein Gespenst vor ihrem Bett stehen, das nach und nach immer näher kam, sie mit seinen kalten Armen umfasste und ihr den Namen unserer vor drei Jahren an einem Brustübel verstorbenen Mutter mit eisigem Hauch in das Ohr flüsterte. Diese Erscheinung hatte sich zu bestimmten Zeiten wieder gezeigt und immer dasselbe Wort wie ein Leichengesang wiederholt. Emma sah darin einen Ruf, eine Mahnung des Todes. Das Schrecklichste bei der Sache ist, dass die so ernste besonnene Isabella diese Überzeugung endlich zu teilen begann«, fuhr Arthur die in Schweiß gebadete Stirn abwischend fort. »In der Hoffnung, ihre Schwester zu beruhigen, wollte sie bei ihr schlafen und sah in derselben Nacht gleichfalls das Gespenst. Es hatte sie mit seinen Knochenarmen umschlungen; sie hatte seinem tödlichen Atem in ihre Brust und durch alle Glieder dringen gefühlt. Vom Schrecken und einem schleichenden Fieber verzehrt, hatten sie geschwiegen, um den Vater keinen Kummer zu bereiten und den Schmerz in ihm nicht aufzufrischen, den ihm der Verlust der vortrefflichen Mutter verursacht hatte. Als ich Ihnen vorwarf, mich nicht gerufen zu haben, antworteten sie mir, dass ich nichts gegen ein Gespenst vermöge und dass keine irdische Macht das über sie verhängte Schicksal aufzuhalten imstande ist.«

»Das ist abgeschmacktes Zeug!«, rief ich. »Sind Sie überzeugt, dass niemand ein Interesse haben kann, Schrecken zu erregen? Auch sind derartige Halluzinationen häufig in Gefolge eines Fiebers, und man hat Beispiele genug, dass irgendetwas auf die Einbildung junger Leute so zu wirken vermochte, dass sie für solche Nervenanfälle empfänglich werden.«

»Ich habe häufig Nachsuchungen angestellt; ich habe gewacht und bin überzeugt, dass niemand, weder von außen noch von innen ein so gewagtes Spiel treiben konnte, das er mit dem Leben bezahlt haben würde, denn ich war entschlossen, auf das Gespenst zu schießen, wenn ich es erblickt hätte. Was die moralischen Ursachen anbelangt, so sind sie verschieden: Mein armer Vater hatte große Angst, dass das Brustübel, welches uns unsere gute Mutter geraubt hat, erblich sei. Das hat ihn bestimmt, in Frankreich zu bleiben; obwohl er nie vor den Schwestern davon sprach, so haben sie vielleicht die Ursache seiner Unruhe erraten und sind davon betroffen worden. Endlich haften noch alte Familiensagen an dem Schloss, welche abergläubische Furcht zu erregen imstande und von der Natur sind, dass sie auf empfängliche Gemüter den schlimmsten Eindruck machen.«

»Darf ich Sie, teurer Arthur, um einige Einzelheiten dieser Sagen bitten? Sie werden begreifen, dass es nicht müßige Neugierde ist, welche mich zu dieser Frage bestimmt.«

»Ich begreife es.«

Arthur schellte nach Brigitta, welche den Tisch abräumte, Kohlen in das Feuer zulegte und uns allein ließ. Kälte und nächtliche Dunkelheit lag in dem Salon, dessen von der Zeit geschwärzte eichene Felder dem Licht sehr schwer zugänglich waren.

Die auf dem breiten Kaminmantel brennende Lampe und angezündeten Kerzen erschienen wie ebenso viele rote Punkte in der dicken Luft. Bei diesem zweifelhaften Licht konnte ich kaum die Züge meines immer ernster werdenden Freundes unterscheiden.

»Sie kennen«, sprach er zu mir, »die englischen Gesetze. Sie wissen, welche Vorrechte sie dem Erstgeborenen, dem Erben des väterlichen Titels und Vermögens gewähren. Zwischen ihm und seinen Brüdern besteht derselbe Unterschied wie im gesellschaftlichen Leben, welcher zwischen arm und reich die Grenze zieht. Dem Erstgeborenen gehören Ehren, Güter und die Freuden des Lebens; dem anderen das Ringen, Hindernisse, Entbehrungen; mit einem Wort alles, was er besiegen oder dulden muss, um sich seinen Weg zu bahnen. Diese Ungleichheit vergrößerte sich noch in der Familie meines Urgroßvaters durch die Vorliebe, welche man für den Älteren an den Tag legte. Bei jeder Gelegenheit wurde der Jüngere geopfert. Bei seiner Heftigkeit und seiner Neigung zum Zorn protestierte er gegen diese Ungerechtigkeit nach seiner Weise. Als er auf den Befehl des Vaters einst ein gewünschtes Spielzeug seinem Bruder überlassen musste, versetzte derselbe in einer Erbitterung seinem Bruder Robert einen Faustschlag, welcher weinend und zerschlagen bei seiner Mutter über den boshaften James Klage führte. Diese Szenen, welche sich täglich erneuerten, hatten die Folge, dass der jüngere Bruder aus dem Haus musste. Man schickte ihn zu einer armen Tante nach Irland und Robert, welcher mein Großvater väterlicher Seite war, blieb allein im Haus, das er despotisch beherrschte. Hochmütigen und schwachen Charakters wuchs er, ohne dass jemand seinen Launen sich entgegenstellte, unter der verweichlichenden Aufsicht eines gefälligen Hofmeisters auf. Sein geringsten Verlangen war Gesetz. James dagegen hatte bei seiner neuen Familie und durch seinen Eintritt in das Kollegium, den ersten Schritt in die Schule des Lebens getan. Seine Heftigkeit hatte sich ein wenig gelegt und sein erbittertes Gemüt sich unter dem Einfluss einer zärtlichen Neigung besänftigt. Zärtlich liebte er eine seiner Cousinen, die als Schwester aufgenommen und die Härte seiner Verbannung gemildert hatte. Ach! Wenn er eines Tages Emmas würdig und ein Vermögen erworben haben würde, um es ihr zu Füßen zu legen, wie gerne würde er Robert verzeihen, ihn aus dem väterlichen Haus gebannt zu haben! Dieser Jünglingstraum wurde die fixe Idee des angehenden Mannes. Als er die Universität verließ, erhielt er auf seine Bitte von dem Vater die Erlaubnis, in einer indischen Kompanie Dienste nehmen zu dürfen. Es war der erste Schritt, der ihn vorwärts bringen konnte. Da man, um wichtige Stellen zu besetzen, nur fähige Offiziere selbst unter den Bürgerlichen wählte, so öffnete sich diesen oft eine unbegrenzte Aussicht zu Ehre und Reichtum. James war tapfer bis zur Verwegenheit, unterrichtet und verliebt; das Glück konnte ihm günstig sein. Drei oder vier Jahre, welche er in Kalkutta zubrachte, entschieden über sein Schicksal. Voll Hoffnung reiste er ab. Bei seinem ersten Auftreten bemerkte er jedoch, dass er sich arg verrechnet habe. Er blieb der arme jüngere Sohn, den der unverschämte Luxus seiner betitelten und auf das Wärmste anempfohlene Kameraden mit Dreck bespritzte. Während des bengalischen Krieges nahm er jedoch Rache. Wenige derselben wollten ihr Leben einer Gefahr preisgeben. Es galt eine gefährliche Sendung auszuführen. James bot sich dazu an und entledigte sich derselben auf eine Art, welche die Aufmerksamkeit des Generalgouverneurs Lord Clive auf sich zog. Die Organisierung der Provinz Bahar wurde ihm teilweise anvertraut, denn in Indien ist es nicht selten, einen einfachen Lieutenant mit außergewöhnlichen Vollmachten zu treffen, wenn er das Vertrauen seines höchsten Chefs zu gewinnen wusste.

Die inneren Kriege, welche zwischen mehreren Hinduhäuptlingen ausbrachen und welche die Kompagnie in ihrem Interesse noch mehr anschürte, machten die Kommunikation unsicher. Die Nachrichten aus Europa gelangten sehr spät in das Inneren. So geschah es, dass mein Großonkel James erst nach achtzehn Monaten Kenntnis vom Tod seines Vaters und der bevorstehenden Vermählung seines Bruders, welcher Sir Robert Eglington geworden war, erhielt. Man legte seiner Rückkehr nach England, wozu er einen Urlaub angesucht hatte, Hindernisse in den Weg, und ängstlich wartete der Organisator von Bahar schon seit Langem auf seinen Stellvertreter. Wieder verstrichen Monate; endlich war er frei und konnte nach Irland reisen, wohin alle seine Wünsche und Neigungen gerichtet waren. Er kam an, er lief zum gastlichen Haus, wo er den größten Teil seiner Jugend zugebracht hatte. Leer, lautlos und verschlossen stand es da. Seine Tante und Cousine waren bereits seit einem Jahr nach England gegangen und wohnten in der Grafschaft Lancaster, wo James geboren war. Zweifelsohne hatte seine verwitwete Mutter seine Schwester zu sich gerufen. Diese Vereinigung konnte die Verwirklichung seiner teuersten Wünsche erleichtern. Er stieg an Land und legte in einer Stunde die fünfzehn Meilen zurück, welche Liverpool von Eglingtonhouse trennten. Er untersagte den Dienern, ihn anzumelden, er wollte die versammelte Familie im Salon überraschen. Mitten in dem um den häuslichen Herd gedrängten Kreis schaukelte eine Mutter ihr Kind in den Armen, welches ihr der Vater, über sie geneigt, unter Lachen und Scherzen streitig zu machen suchte. Bei dem Geräusch der aufgehenden Tür kehrten sich alle um. James blieb wie vom Blitz getroffen auf der Schwelle stehen. Er hatte alles erraten. Er kam zu spät: Emma war die Frau Sir Roberts! Als er die Sprache und den Gebrauch seiner Glieder wiedergefunden hatte, ging er gerade auf seinen Bruder zu, legte beide Hände auf dessen Schultern und beschuldigte ihn, mit seinen Blicken niederschmetternd, vor Gott und den Menschen an, ihm seine Stelle unter der Sonne gestohlen zu haben. Es sei nicht genug gewesen, ihm die Neigung der Eltern entzogen und ihn aus dem väterlichen Hause gedrängt zu haben, er musste ihm noch verräterisch das Herz entwenden, das er liebte. Er sei der Mörder seines Glücks; er habe ihm mehr als das Leben geraubt. Er nenne ihn Kain, den Brudermörder! Er verfluche seine unrechtmäßige Gefährtin und seine Nachkommenschaft. Bevor noch sein niedergeschmetterter Bruder den Mund öffnen konnte, ging er, Gott dankend hinaus, dass er keine Waffen bei sich gehabt habe. Seine Mutter stürzte ihm nach, er stieß sie jedoch zurück und warf ihr vor, die Mitschuldige des falschen, viel geliebten Erstgeborenen zu sein. Die Zeugen dieser schrecklichen Szene konnten mehr als zwanzig Jahre nachher nicht ohne Schauder davon sprechen, und mein Großvater erwähnte derselben erst dann, als er über den hintereinander folgenden Verlust mehrerer Kinder und seiner Frau von Schmerzen tief gebeugt war. Als er sein Ende herannahen fühlte, bat er meinen Vater, den einzig Lebenden von vier Söhnen, nichts zu unterlassen, um die Vergebung des beleidigten Bruders und den Widerruf des auf sein und des seinen Hauptes geschleuderten Fluches zu erlangen. Er war indessen weniger schuldig, als es den Anschein hatte. Misstrauisch und eifersüchtig hatte James seine Absichten niemanden anvertraut. Kaum hatte er sie jener ahnen lassen, welche er als seine Zukünftige betrachtete. Auf einer Reise nach Irland hatte Robert Emma gesehen, sich heftig in sie verliebt und ohne zu ahnen, dass er seinem jüngeren Bruder in das Gehege kam, um ihre Hand angehalten. Durch das lange Schweigen verletzt und sich vergessen glaubend, gab das Mädchen endlich dem Drängen der Eltern nach und willigte in die Heirat, welche, was Vermögen und Familie betrifft, nichts zu wünschen übrig ließ. Sir Robert schrieb, um sich zu entschuldigen; James schickte ihm jedoch seinen Brief ungeöffnet zurück und verließ sein Vaterland noch am selben Tag, wobei er schwur, keinen Fuß mehr auf Englands Boden setzen zu wollen. Er hielt Wort. Nachdem er vierzig Jahre in Indien zugebracht, wo er eine glänzende militärische Laufbahn zurückgelegt hatte, segelte der Major James Eglington von Pondichery. In Marseille angekommen, legte er den größten Teil seines Vermögens in Leibrenten an und kaufte durch Vermittlung seines Notars das Gut Malemort. Als mein Vater, welcher einige Male an seinen Onkel, ohne Antwort zu erhalten, geschrieben hatte, diese Umstände später in Erfahrung brachte, entschloss er sich, einen letzten Versuch zu machen, um zu ihm zu kommen. Er scheiterte an dem unbeugsamen Willen des zum Zorn geneigten Greises. Weder Geld noch Bitten konnten den Hindu Tolpak bestimmen, den Befehl seines Herrn zu übertreten. Dieser alte Diener, den der Major aus Bengalen mitgebracht und die alte Brigitta, welche er als Beschließerin von Malemort gefunden hatte, waren seine ganze Dienerschaft und trugen nicht wenig zum schlechten Ruf des Schlosses bei. Für die Landleute war die Erstere eine Hexe und der andere ein Zauberer. Wenn sie den Schlossherrn, den sie wegen seiner durch die Sonne Indiens bronzenen Gesichtsfarbe, den grünen Mann nannten, von einem bizarr gekleideten Läufer begleitet, über die Haide reiten sahen, da machten sie alle das Zeichen des Kreuzes und flohen nach allen Richtungen, um den Schlingen Satans und seiner Helfer zu entgehen. Möglich, dass der Major den abergläubischen Schrecken nicht kannte oder verachtete, er tat nichts, um ihn zu bekämpfen. Düster, schweigsam sprach er mit niemanden ein Wort, machte und empfing keine Visiten. Der Notar des benachbarten Fleckens, welcher meinem Vater all diese Einzelheiten mitteilte, sah ihn nur einmal im Jahr, um ihn das Lebenszertifikat unterschreiben zu lassen, das zur Auszahlung seiner Revenuen notwendig war. Sobald diese Formalität vorüber war, erhielt der Mann des Gesetzes durch eine gebieterische Gebärde seinen Abschied. Mein Vater begriff, dass jeder Versuch, in diese Festung zu dringen, vergeblich sei. Sechs Monate danach wurde er als der einziger Erbe des Verstorbenen nach Malemort gerufen und befand sich zum ersten und letzten Mal dem gefürchteten Anverwandten gegenüber. Die strengen Züge des Angesichts, aus dem das Leben gewichen war, hatten in ihrer konvulsivischen Verzerrung einen so entsetzlichen Ausdruck des Hasses an sich, dass mein Vater schaudernd zurücktaumelte. Ein schrecklicher Zweifel bemächtigte sich seiner. Er glaubte an die Möglichkeit eines Mordes. Die glasigen Augen des Toten schienen den Mörder zu verfolgen und zu bezeichnen. Dieser Eindruck war so stark, dass mein Vater mit dem Arzt davon sprach. Die genaueste Untersuchung lieferte jedoch nicht den kleinsten Beweis einer Gewalttat. Der Major Eglington war nachts einem Schlaganfall erlegen. Er hatte nicht einmal Zeit, seinen treuen, vor der Tür liegenden Hindu zu rufen. Ebenso wenig die alte Brigitta; Tolpak hatte nichts gehört und als beide am nächsten Morgen in das Zimmer ihres Herrn traten, fanden sie ihn tot im Bett. Der übermäßige Genuss des Opiums, welches der Major von Morgen bis zum Abend rauchte, und die Ursache eines nervösen Zitterns bei seinem Leben war, genügte, um die Verzerrung seines Gesichtes zu erklären. Bei dem Abgang eines Testamentes, nach dem man Nachforschungen anstellte, wurde mein Vater nach dem bestehenden Gesetz Herr des Schlosses samt Zugehör. Er wollte große Veränderungen vornehmen und war zu diesem Zweck hierhergekommen, als beklagenswerte Ereignisse, welche mich bestimmten, Ihnen diese Erzählung mitzuteilen, seine Pläne umstürzten und ihn veranlassten, das Gut zum Verkauf zu bringen. Nun, mein lieber Daniel, da Sie jetzt alles wissen, sagen Sie mir, ob Sie in diesem Labyrinth klarer sehen als ich?«

»Eine, obwohl untergeordnete Person Ihres Dramas macht mir zu schaffen«, antwortete ich, »es ist der Hindu. Welche Haltung hatte er beim Tod des Majors?«

»Eine vollkommen unantastbare. Ich habe gehört, dass der arme Teufel, welcher übrigens einen schleichenden, geräuschlosen Tritt besaß, in dem großen Gebäude wie eine arme Seele oder vielmehr wie ein Hund auf der Fährte des Herrn, dessen Hand ihn schlägt und die er leckt, herumgeirrt sein soll. Nach Brigittas Aussage schenkte ihm der Major keine Züchtigung; er beklagte sich nie darüber und brachte Tage und Nächte wie gewöhnlich auf der Schwelle eines Zimmers zu, wo mein Großonkel geschlafen hatte, welcher ebenso wie Ludwig XI. die Manier hatte, nie zwei Tage hintereinander in einem und demselben Zimmer zu schlafen. Bald benutzte er das eine, dann wieder das andere der dreißig Schlafzimmer des Schlosses.«

»Was ist aus dem Menschen geworden? Warum sprechen Sie so im Vorbeigehen von ihm?«

»Weil er vor acht Tagen an den Folgen eines Sturzes über die Turmtreppe gestorben ist. Die anderen Diener konnten ihn nicht leiden. Sie sagten, dass er ein Ungläubiger sei, hexen, und sich nach Belieben in einen Werwolf oder Eule verwandeln könne. Einige beteuerten sogar, ihn mehr als einmal unter dieser Gestalt gesehen zu haben. Ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn sie ihm hinterlistig eine Falle gestellt hätten. Er bedauerte sein Geburtsland ungemein: er hatte die fixe Idee, dahin zurückzukehren und rechnete zu diesem Zweck auf ein Legat des Majors. Er blieb daher bei seiner Meinung, dass es ein Testament geben müsse. Mein Vater, welcher dieses Vergessen meines Großonkels gutmachen wollte, hatte bereits Anstalten getroffen, um den Hindu in seine Heimat zurückzusenden, als er krank wurde und starb.«

»Versah er Dienste in Ihrem Haus und insbesondere bei ihren Schwestern?«

»Keinesfalls; sie sahen ihn kaum und ich glaube nicht, dass er je in ihr Zimmer gekommen ist. Auch fühlte Emma gegen diesen Menschen einen instinktartigen Widerwillen. Sie fand in seinem Gesicht den Ausdruck des Jaguars und in seinen langsamen und geschmeidigen Bewegungen, etwas pantherartiges. Doch ich lasse mich nicht weiter fortreißen, es hat Mitternacht geschlagen und Sie werden schlafen wollen.«

Ich war tatsächlich müde und zerbrochen. Arthur begleitete mich durch Labyrinth von Gängen, wohin eine Reihe von Zimmern aus mündete, welche der rachsüchtige James Eglington abwechselnd bewohnt hatte, und wünschte mir gute Nacht, als wir an die Schwelle des meinen gekommen waren. Das Feuer war erloschen. Der dichte Nebel, welcher über der Gegend lag, war bis in das Innere des Zimmers gedrungen. Eine ungesunde Feuchtigkeit fiel auf meine Brust und trübte den Spiegel über dem Kamin. Durch diesen Dunstschleier erschien mein Gesicht so fahl und angegriffen, dass ich mich unwillkürlich umsah, um mich zu versichern, dass niemand anderes an meinem Platz stand. Das große Himmelbett nahm den dunklen Hintergrund des Zimmers ein. Die Vorhänge desselben waren sorgsam geschlossen. In diesem Zustand bot es den unheimlichen Anblick eines Katafalks dar. Während ich so absichtslos um mich blickte, kam es mir vor, das rachsüchtige Antlitz des Alten zwischen den düsteren Falten hervorschauen und verschwinden zu sehen. Ich dachte an die bleichen Mädchen, welche ich frisch und rosig gesehen und welche der Tod an diesem unheimlichen Ort als seine Beute bezeichnet hatte. Ich versuchte diese schwarzen Bilder zu verjagen. Je mehr ich mir jedoch Mühe gab, desto beharrlicher verfolgten sie mich. Nach und nach erfasste mich eine unbestimmte Angst. Es ist die Wirkung der Kälte und Ermüdung, dachte ich. Rasch entkleidete ich mich, schob hastig einen Bettvorhang zur Seite und fiel, nachdem ich die Kerze, welche die Finsternis ohnedies nicht zu erhellen vermochte, ausgelöscht hatte, müde in das Bett zurück.

Hier begann für mich eine neue Qual. Ich fühlte einen scharfen, unbeschreiblichen Geruch, der sich mit dem Schimmel, dem Rauch verband und Betten, Vorhänge wie Decken durchdrang. In der Angst, diesen ekelhaften Geruch einatmen zu müssen, wagte ich den Mund nicht zu öffnen. Mein feiner Geruchsinn kanalisierte ihn gegen meinen Willen und fand Leichenduft heraus, welcher an den Wandfüllungen des Saales haftete. Wenn ich nur wenigstens schlafen könnte! Der Faden meines Ideenganges riss ab, knüpfte sich wieder an und entschlüpfte mir, als mich eine Regung über meinem Haupt aus der Betäubung aufschreckte. Ich träumte nichts, der Betthimmel bewegte sich und diese Bewegung teilte sich den stützenden Säulen mit. Befand ich mich zufällig unter einer Höllenmaschine, welche die Bestimmung hatte, den allzu sorglosen Schläfer zu erdrücken? Eine fürchterliche Geschichte dieser Art war mir erzählt worden und ich gestehe die Erinnerung daran, eine Gänsehaut bei mir hervorrief. Ich dachte daran, auf die Straße zu springen. Ich streckte einen Fuß aus dem Bett. Mein Fuß berührte etwas Kaltes und ein Hauch streifte über mein Gesicht. Entsetzt warf ich mich zurück. Die Angst kennt keine Überlegung. Ich machte keinen Versuch, mich zu vergewissern, ob ich mit einem Körper oder Gespenst zu tun habe. Ich wartete auf das, was kommen sollte, mit schrecklichem Herzklopfen. Von allen Seiten ertönte sonderbares Getöse, es war, als ob eine dämonische Jagd von bösen Geistern abgehalten würde. Man vernahm schwaches schrilles Geschrei, Schritte, das Getöse eines Kampfes und das Krachen zerbrochener Knochen. Da ich es nicht aushalten konnte, streckte ich nicht ohne Furcht den Arm zu dem Feuerzeug bei meinem Bett.

Ich versuchte zwanzig, dreißig Streichhölzchen, alle versagten. Es blieb nur noch eines übrig; es zündete.: Bei seinem bläulichen Schein sah ich eine unförmliche Gestalt auf dem Boden sich gegen mich heranwälzen. Gleich darauf versank alles wieder in Nacht. War ich durch meine Einbildung betrogen oder das Spiel eines entsetzlichen Traumes? Nein; ich war nur zu wach. Ich hörte die Ringe an den Vorhangstangen klappern und klirren, als ob eine unsichtbare Hand sich an die Vorhänge klammern würde. Das war für einen angegriffenen Kopf und leeren Magen zu viel. Mir schwindelte, eine gänzliche Erstarrung fesselte meine Glieder. In diesem gemischten Zustand von Schlaf und Wachen folgte eine Vision der anderen. Der grüne Mann warf mir vor, sein Bett usurpiert zu haben und umstrickte mich, für den Bruder haltend, den er verflucht hatte, mit immer engeren Umschlingungen, die mich erstickten. Der Hindu kam ihm zu Hilfe und schlug seine Pantherklauen in meine Kehle. Mein Puls schlug hundertmal in der Minute, als Arthur mit dem Morgengrauen in mein Zimmer trat. Er schlug mir eine Jagd auf Wildenten vor, um, wie er sagte, die düsteren Gedanken des Abends aus dem Kopf zu bekommen und den Geist zu erfrischen. Ich bat um Nachsicht. Ein heftiger Fieberanfall, mit Steifheit in den Gliedern verbunden, welche ihre Ursache in dem gestern zurückgelegten Marsch haben konnte, ließ mir gerade so viel Kraft übrig, um aufzustehen und zurückreisen zu können. Ich wollte ihm in seiner Einsamkeit nicht noch die Sorge für einen Kranken aufbürden. Karren, Kutsche, alles war mir recht, um damit nach Orleans zu kommen, von wo aus ich Paris leicht erreichen konnte. Schwach kämpfte er gegen meinen festen Entschluss an. Ein Gefühl falscher Scham und die Gewissheit, dass er meine bizarren Visionen dem Fieberdelirium zuschreiben würde, hinderten mich, ihrer Erwähnung zu tun. Übrigens war nicht die geringste Spur einer Unordnung in dem Gemach zu bemerken. Es bot denselben eisigen, düsteren, nackten Anblick dar, welcher mich beim Eintritt betroffen gemacht hatte; der Gestank allein war zurückgeblieben. Wollüstig atmete ich daher auch die neblige Morgenluft ein, als ich in eine Wolldecke gehüllt in den Wagen stieg und Abschied von meinem Freund Arthur und seinem unheimlichen Schloss nahm. Noch hütete ich acht Tage danach, von einem hartnäckigen Wechselfieber befallen, das Bett, als mich Heinrich M…, ein Kamerad aus dem Kollegium, besuchte. Es war ein offenherziger, entschlossener und sehr fleißiger junger Mann. Von Glück und Umständen begünstigt, im Besitz eines schönen Vermögens, hatte er nur einen Wunsch, was in solchen Verhältnissen selten, sich auszubilden. Seiner Meinung zufolge war ein reicher Müßiggänger ein Unsinn. Gelehrt und positiv in seiner Anschauungsweise stellte er die Behauptung auf, dass die ganze schwarze Kunst keine Viertelstunde einer chemischen Analyse oder einer genauen Forschung widerstehen könne. Ich ließ mich verleiten, umständlich mit ihm über meinen Besuch in Malemort zu sprechen.

»Sie, der Sie nicht an übernatürliche Dinge glauben, wie wollen Sie die Erscheinung, welche die armen Mädchen und dann das, was ich sah, erklären?«, fragte ich ihn.

»Vor allem müsste man den Schauplatz und die Personen kennen«, antwortete Heinrich, »denn bei allen Geistergeschichten spielt immer ein mehr oder weniger geschickter Schauspieler die Hauptrolle.«

»Es ist eine Unmöglichkeit, dem ernsten Arthur zumuten zu wollen, mich derartig mystifiziert zu haben!«

»Ich spreche nicht von Ihnen, mein Lieber, sondern von den beiden Engländerinnen. Für mich unterliegt es keinem Zweifel, dass man mittelst einer plumpen Fantasmorgie in irgendwelcher Absicht auf Ihre Einbildungskraft zu wirken versuchte, vielleicht wollte man sie entfernen. Was weiß ich? Was ihre Halluzinationen betrifft, so glaube ich, dass Sie wahrscheinlich ein wenig zu viel soupiert haben dürften?«

»Sie Unglückseliger, ich war nüchtern und hatte ebenso wenig Halluzinationen wie Sie! Nur zu genau habe ich das klägliche Geschrei und das Klappern zerbrechender Knochen gehört.«

Heinrich begann lachen.

»Wetten wir, dass sich ein Lieblingshund des verstorbenen Majors unter ihrem Bett eingenistet und dort an Knochen, welche er aus der Küche gestohlen, genagt hat.«

Ohne mich zu schämen, gestand ich, vor dem Schlafengehen unter das Bett gesehen zu haben. Überdies konnte diese ganz gewöhnliche Auslegung, welcher ich keineswegs beipflichtete, weder die Bewegung des Betthimmels noch den eisigen Hauch erklären, der über mein Gesicht gestrichen oder den pestilenzialischen Geruch wegzuleugnen, bei dessen Erinnerung mir das Herz zu klopfen beginnt.

»Das tut nichts. Ich bleibe dabei, an einfache Ursachen zu glauben«, gab mir Heinrich zur Antwort. »Sie wissen, ich habe eine positive Anschauungsweise. Wenn Ihr englischer Baronet sich seines Gutes um einen annehmbaren Preis entschlagen will, würde ich Malemort gern kaufen. Ich habe Gelder anzulegen. Die Sologne ist von Paris nicht weit entfernt, und für agronomische und chemische Versuche, welche mich anlocken, ein jungfräulicher Boden. Der Ruf des letzten Besitzers ist Reiz mehr für mich; er hat seine Leute nicht verwöhnt. Es ist leicht, der Nachfolger eines ungehobelten Gesellen zu sein, denn man erntet schon dafür Dank, ihm nicht ähnlich zu sein. Und dann habe ich meine Gespensterpassionen, sodass es mir gar nicht unlieb wäre, mich einmal mit einem solchen Nase an Nase zu sehen. Geben Sie mir eine Zeile für Ihren Arthur und ich reise. Versprechen Sie mir jedoch, wenn ich die Angeleinheit zu einem guten Ende bringe, mein Schloss im Frühjahr mit einem Besuche zu beehren. Dagegen verspreche ich, Ihnen das Resultat meiner Nachforschungen mitzuteilen, die ich in meinen Mußestunden anzustellen beabsichtige.«

Das Geschäft wurde angebahnt und zur Zufriedenheit beider Teile abgemacht. Arthur, welcher mit Vollmachten seines Vaters versehen war, trat das Eigentumsrecht des Gutes Malemort an Heinrich M… ab und begab sich nach Genua, wo seine Familie den Winter verbrachte. Der Gesundheitszustand seiner beiden Schwestern war noch immer sehr beunruhigend. Ich hatte Mitleid mit ihren Leiden, da ich es selbst erfahren hatte, welche Qualen eine Reihe von schrecklichen Visionen, besonders bei nervösen und zarten Personen erzeugen könne.

Mein Fieber, das sich lange Zeit gegen die Verordnung des Arztes aufgelehnt hatte, wich es endlich dem Chinin. Ich konnte die Rechtsstudien wieder aufnehmen und meine gewöhnliche Lebensweise beginnen. Vier Monate waren bereits seit meiner unglücklichen Reise nach Malemort verstrichen, ohne dass ich von dem neuen Besitzer etwas gehört hätte. Eines Tages jedoch erhielt ich einen Brief.

»Kommen Sie, mein lieber Daniel, und verlieren Sie keinen Augenblick«, schrieb er mir. »Ich habe interessante Mitteilungen zu machen. Ich habe ihr Gespenst gefasst und aus ihm einen spiritus familaris gemacht. Mehr noch, ich glaube durch sprechende Tatsachen die verwundete Einbildungskraft der jungen Engländerinnen heilen zu können. Bei dieser Aussicht werden Sie wohl kaum zögern. Bringen Sie mir Sir Eglingtons Adresse mit. Seine Anwesenheit ist hier unumgänglich notwendig. Ein guter Wagen wird Ihnen bis Orleans entgegenkommen und ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich Sie nicht in dem grünen Zimmer einlogieren will.«

Am dritten Tag kam ich in Malemort an.

Das äußere Aussehen des Schlosses hatte sich gänzlich geändert. Ein lebendiger Strom ersetzte das schlammige Wasser, das sonst in den Schlossgräben stand, über welche jetzt eine elegante Hängebrücke zu dem geräumigen Schlossportal führte. Die halb verfallene Steinwölbung der alten Brücke mit dem schmalen Schlupftor war verschwunden. Die großen, offen stehenden Fenster luden die warmen Strahlen der Märzsonne ein und Schwalben flogen zwitschernd um die alten Mauern, das beste Plätzchen für ihr zu erbauendes Nest aussuchend. Alles atmete Leben und Bewegung.

An der Schwelle des umgewandelten Herrenhauses stand Heinrich, an eine Arbeitergruppe seine Befehle austeilend. Er empfing mich mit offenen Armen und führte mich in einen lichten, freundlichen Speisesaal, welchen er dem düsteren Vorhaus abgewonnen hatte; eine reichliche Mahlzeit erwartete uns.

»Sie haben Wunder gewirkt«, sprach ich zu ihm.

»Oh! Es ist nur mein Scharfsinn, der Ihrer Bewunderung wert ist. Doch ich will keinen nüchternen Magen zum Verbündeten haben. Wenn Sie sich erholt haben, werde ich auf das Kapitel meiner Entdeckungen kommen.«

Ich hatte mehr Neugierde als Hunger und drängte daher mit meinen Fragen.

»Wissen Sie mein lieber Freund«, begann er, »dass Sie in der Nacht, welche Sie hier zugebracht haben, beinahe vergiftet worden wären.«

»Vergiftet!«, schrie ich entsetzt auf.

»Kommen Sie und sehen Sie.«

Er öffnete die Tür, welche zu seinem Studierzimmer führte und zeigte mir mitten in einer Sammlung von Retorten und Schmelztiegeln einen Kolben, welcher mit grünlichem Staub gefüllt war.

»Hier sehen Sie«, sprach er, »einen kleinen Teil dessen, was man in Ihrem Zimmer aufgelesen hat und in dieser Schale, was ich an reinen Grünspan extrahiert habe.«

Es war erschreckend; es war genug, um ein Dutzend kräftiger Menschen, wie ich war, zu vergiften.

Durch sechs bis acht Stunden haben Sie dieses feine Gift geatmet und geschluckt, welches durch die mephitischen Ausdünstungen des sumpfigen Grabens noch wirksamer gemacht wurde. Hier war Stoff genug, um Schwindel und Gebrechen zu erzeugen.«

Heinrich erklärte mir, wie dieses hinterlistige Kupferoxid in starker Menge in gewissen grünen Malereien auftrete. Das grüne samtartige Papier, die grünen Möbel, alles war in diesem verfluchten Zimmer damit gesättigt.

»Gehen wir auf das Gespenst über«, sagte ich.

»Geduld, ich komme dazu. Ich selbst habe mich von demselben narren lassen. Als ich von dem Gut Besitz nahm, wählte ich natürlich das am wenigsten unerquickliche Gemach, nämlich das Zimmer Ihres Freundes Arthur zu meiner Wohnung, welches im rechten Turm liegt. Die erste Nacht schlief ich gut und hörte nichts. Die zweite Nacht wurde ich durch schleichende Schritte geweckt. Man stieg vorsichtig die Treppe herauf. Ich rief ›Wer da?‹ Keine Antwort. Ich zündete die Kerze an, öffnete die Tür und sah niemanden. Ich durchsuchte den Turm von oben bis unten, jedoch ohne Erfolg. Vielleicht hatte ich geträumt. In der folgenden Nacht lag ich jedoch auf der Lauer. Beiläufig um dieselbe Stunde, um Mitternacht, der herkömmlichen Geisterstunde, hörte ich die Treppen herabgehen und sich nach dem Gang wenden, welcher nach ihrem Zimmer führte. Ich vergaß Ihnen zu sagen, dass ich aus Gesundheitsrücksichten Tag und Nacht alle Fenster und Türen offen stehen ließ, um die Zirkulation der Luft zu vermitteln, damit dieselbe selbst in die entferntesten und seit Jahren unbewohnten Winkel des Schlosses dringen könne. Ich bin gewiss, dass die Luft ebenso wie das Wasser ins Stocken geraten und sich mit mephitischen Ausdünstungen schwängern kann und so den ersten Anlass zu tödlichen Krankheiten gibt, deren Ursachen unbekannt bleiben. Der größte Teil der Wasserpflanzen haucht eine Quantität Kohlensäure, ein schreckliches Gift aus. Die Sumpffieber, welche man in Louisiana gelbes Fieber, in Italien Malaria, und Typhus in England nennt, haben keine andere Ursachen. Doch kommen wir auf unseren Gegenstand zurück. Ich folgte dem Geräusch, ohne diesmal etwas zu bemerken. In der vierten Nacht ließ ich Johann den Gärtner mit der Weisung in einem anstoßendem Zimmer schlafen, bei meinem ersten Ruf bereit zu sein. Ich lud meine Pistolen und setzte mich völlig angekleidet in den Kaminwinkel. Es schlug Mitternacht, eine Stunde und wieder eine halbe verging, ohne dass etwas die Stille des Hauses unterbrochen hätte. Ich begann mich ernstlich zu beunruhigen; mein Gespenst, das ich sicher abzufassen hoffte, hatte Wind bekommen. Irgendwelche Unvorsichtigkeit hatte Johanns Anwesenheit im Schloss laut werden lassen. Der Tölpel, welcher sich in seiner Rolle als Zauberer gefiel, wird Angst bekommen haben. So weit war ich in meinen Mutmaßungen gekommen, als ein leichtes Krachen der Treppe meine Aufmerksamkeit erregte. Ich rührte mich indes nicht. Ich wollte dem Gespenst Zeit lassen, sich in einen Strick zu verwickeln, den ich in kurzer Entfernung vom Boden über den Gang gespannt hatte. Die ungemein leichten Schritte nahmen die gewohnte Richtung. Ich horchte auf das Geräusch des Sturzes: nichts. Ich ging, in der einen Hand das Licht, der anderen das Pistol haltend, hinaus. Der Strick war noch über den Gang gespannt. Ich bückte mich, um ihn zu untersuchen. In diesem Augenblick pfiff eine schärfere Luft über meinen Kopf und löschte das Licht aus. Etwas Kaltes strich über mein Gesicht. Ich dachte an Sie, streckte die Arme aus und faste – nichts. Ich hatte jedoch das Bewusstsein, dass ein Schatten oder Körper vor mir fliehe. Ich verfolgte ihn bis an die Tür Ihres Zimmers. Hier entschlüpfte er mir. Ich schloss die Tür und rief Johann mit Licht herbei. Wir gingen hinein; das Gemach war vollkommen leer, nackt, kalt, hässlich, wie Sie es verlassen haben. Ich sah unter das Bett, hinter die Vorhänge und ließ sogar Betten und Stroh herauswerfen. Es blieb nur noch der Baldachin zu untersuchen übrig. Ich schickte um eine Leiter; ich stellte sie gegen eine Säule und stieg hinauf. Noch war ich mit meinen Augen nicht in die Höhe der Vorhänge gekommen, als durch die Dunkelheit zwei andere Augen leuchten sah …!«

»Sie rufen mir da eine unbestimmte Erscheinung vor Augen in das Gedächtnis, welche mich aus den angelaufenen Spiegel ansah!«

»Wahrscheinlich waren es dieselben. Sie waren rund, bestürzt und gehörten einem ziemlich hässlichen Gesicht. Wie ich, mein Lieber, so hatten auch Sie es mit einer Nachteule der größten Gattung zu tun, welche sich auf dem Baldachin wohnlich eingenistet hatte und mitten unter den schmutzigen Überresten ihrer Mahlzeiten, den Knochen von Mäusen, Feldtieren, Ratten und selbst jungen Kaninchen nistete, die jenen fauligen Gestank von sich gaben, über den Sie sich so sehr beklagt haben. Seit dieser Zeit habe ich von der alten Brigitta erfahren, dass dieser Vogel der Liebling des Hindu Tolpak gewesen sei, mit ihm ein Zimmer bewohnt und seit dem Tod desselben verschwunden war. Daraus schließe ich, das er seinen Gewohnheiten treu, den Turm weiter bewohnt und in der Nacht seine Runde durch das Schloss gemacht habe, um sich mit jener höllischen Jagd zu beschäftigen, welche Sie so sehr geängstigt hat.«

Ich war ein wenig verwirrt, meine heldenmütig ertragene Angst auf so geringfügige Ursachen zurückgeführt zu sehen; ein Zweifel war jedoch nicht möglich. Unstreitig waren es die seidenartigen, weichen Flügel der Eule, welche mir über das Gesicht strichen und mit unhörbaren Schlägen den eisigen Luftzug verursachten. Die formlose Gestalt, welche ich im unsicheren Schein des Schwefelhölzchens auf mich zukommen sah, war der Nachtvogel, welcher seine Beute bis hinter die Vorhänge verfolgte und sich an selbe anklammerte, um in sein Nest zu kommen.

»Ich hoffe, Sie haben diesen nichtswürdigen Vieh den Hals umgedreht?«, rief ich in meiner Wut aus.

»Das habe ich bleiben lassen. Habe ich Ihnen nicht geschrieben, dass ich aus dem Gespenst einen spiritus familaris gemacht habe? Diese Eule ist mir bei der Ausrottung all dieser Tiere zu nützlich, welche Einsamkeit und Nachlässigkeit überhand nehmen ließ. Mehr noch, der Schutz, den dieser Vogel im Schloss genießt, ist für den Landmann ein vortrefflicher Fingerzeig, welcher diese Nachtvögel unter dem ungereimten Vorwand, dass sie Unglück bringen, quält und an sein Scheuertor nagelt, während ein Einziger genügen würde, das ganze Ungeziefer zu vertilgen, das seine Ernten vernichtet.«

»Nun, da mein Kapitel erledigt ist«, fuhr ich fort, »sagen Sie mir doch gefälligst, welche Entdeckung Sie hinsichtlich der Familie Eglington gemacht haben.«

»Oh! Diese Ungelegenheit ist viel ernster«, entgegnete Heinrich. »Sie hatten nur zu sehr Ursache, sich um den Hindu zu bekümmern. Es war ein elender Wicht. Ich vermute, dass er seinen Herrn ermordet hat, um ihn bestehlen und nach Indien zurückkehren zu können. In einem ausgehöhlten Balken des Speichers, den er bewohnte, habe ich  eine sorgsam versteckte Guttaperchaschlinge gefunden, mit welcher man leicht einen schlafenden Menschen, ohne eine sichtbare Spur zu hinterlassen, erwürgen könnte. War es Misstrauen gegen den Hindu oder ein anderer Grund, der Major hatte nie Bargeld bei sich und zahlte seine Bedürfnisse auf den Fleischer und Bäcker herab, mit Anweisungen auf seinen Bankier. Der Hindu jedoch glaubte an einen verborgenen Schatz und suchte unter dem äußeren Anschein tiefer Betrübnis; denselben beharrlich, vorzugsweise in dem südlich gelegenen Zimmer, wo er sich nach dem Tod seines Herrn ganze Tage lang unter dem Vorwand einschloss, sich den Andachtsübungen seiner Religion hinzugeben, um die erzürnten Ahnen des Verstorbenen zu besänftigen, dem er nicht auf den Scheiterhaufen, wie es die Hindureligion vorschreibt, nach der anderen Welt hatte folgen können. Brigitta, welche ihn fürchtete, hütete sich, ihn zu stören. Die Ankunft der Familie Eglington, und vorzüglich die Benutzung des Zimmers, wo er sich festgesetzt hatte, zerstörte seine Pläne und drohte seine Hoffnung zu vernichten. Es musste daher ein Mittel gefunden werden, um seine Nachforschungen fortsetzen zu können, und er war entschlossen dazu. Er benutzte den rachsüchtigen Ruf des Majors, um abergläubische Seelen mit Schrecken zu erfüllen. Mithilfe einer verborgenen Falltür, welche dem Eichengetäfel des Plafonds eingefügt war und mit dem darüber befindlichen Speicher in Verbindung stand, gelang es ihm, in das Zimmer der Mädchen zu dringen. Ein dünner Knotenstrick, welcher innen solide befestigt war oder nach außen heraushing, erlaubte ihm willkürlich entweder durch die Falltür oder durch das Fenster zu erscheinen und zu verschwinden. Für die Hindu, welche alle mehr oder wenige Jongleure sind, und deren Behändigkeit sprichwörtlich ist, sind derartige Kunststücke nur Kinderspiel. Was das notwendige Geisterkostüm anbelangt, so war ein faltenreiches Tuch hinreichend.«

»Sie geben mir aber da nichts als Vermutungen?«

»Welche auf unumstößlichen Beweisen beruhen. Sie selbst sollen urteilen.«

Heinrich führte mich durch mehrere Zimmer, wo er mir tiefe, mit einem feinen Bohrer, und wahrscheinlich in der Absicht angebrachte Löcher zeigte, die Mauern und das Getäfel zu sondieren. In den Alkoven, wo die beiden Mädchen schliefen, zählten wir mehr als hundert.

»Diese Spuren einer hartnäckigen fortgesetzten Arbeit waren für mich eine Enthüllung«, begann Heinrich wieder. »Ich schloss daraus, dass der Hindu Tolpak seine Ursachen haben müsse, auf Entdeckung auszugehen. Darauf begann ich zu suchen. Ich durchforschte die Wände und den Boden. Nicht die geringste Spalte war zu bemerken, und doch war das Holz alt. Da ich ein wenig Tischler bin und niemanden in das Geheimnis ziehen wollte, so nahm ich mir Zeit und ging mit Umsicht an das Werk. Ich ließ diesen Teil unberührt und machte eine unterirdische Mine, welche mich bald zu der Entdeckung führte, dass unter einem Stützbalken ein Koffer von indischem Holz eingefügt sei, welcher die von den Hindu gesuchten Schätze enthalten mochte. Sie begreifen, dass meine Neugierde nicht weiter gegangen ist. Schreiben Sie augenblicklich an Sir Eglington. Erzählen Sie ihm alles, was die schwarzen Schatten beschwören kann, welche die beiden Mädchen verfolgen, beweisen Sie Ihnen, dass die Erscheinungen, welche sie geschreckt haben, das wohlberechnete Werk eines Betrügers waren. Sagen Sie ihm ferner, dass ich es nicht erwarten kann, ihm meinen Fund in Ihrer Gegenwart, und zwar so bald als möglich zu übergeben, weil ein aufbewahrtes Gut, dessen Wert man nicht kennt, eine beunruhigende Sache in einem Haus ist, das in Reparatur begriffen, folglich jedermann offen steht.«

Wir berechneten, dass acht Tage genügen dürften, um Sir Eglington zu verständigen und zurückzubringen. Ich benutzte diese Zeit, um mit Heinrich auf dem Gut umherzustreifen und die Verbesserungen in Augenschein zu nehmen, die in Angriff genommen waren.

Am neunten Tag kam Sir Eglington an. Aus vollem Herzen dankte er Heinrich für den unermesslichen Dienst, dem Komplott des Hindu Tolpak auf die Spur gekommen zu sein. Seine Töchter hätten sich bereits beruhigt und er hoffe alles von der Zukunft. Heinrich zeigte ihm die ganze Zurüstung, welcher sich der Elende bedient hatte, den Knotenstrick, die Löcher in den Wänden und die Falltür, durch welche er in das Gemach gelangte, wo sich das geheimnisvolle Versteck befand. Heinrich hatte alles in demselben Zustand versetzt, wie er es gefunden hatte. Vor unseren Augen hob er die Dielen auf, förderte er eine Kassette von kleinem Umfang, aber desto größerem Gewicht zutage. Man musste das Schloss sprengen. Als der Deckel nachgab, waren wir durch den Haufen kostbarer Steine und Rupien, welche in diesem Raum aufgehäuft waren, ganz geblendet. Ein zusammengefaltetes Papier enthielt einige mit Bleistift geschriebene Worte. Sir Eglington entfaltete es und begann laut zu lesen.

Diesen Geldkasten verberge ich an einen nur von mir allein gekannten Ort, und hoffe dadurch der über meinem Haupt schwebenden Gefahr zu entgehen, von meinem treuen Hindu Tolpak, welcher würdig ist, der Thugsekte anzugehören, falls er nicht ein Mitglied derselben ist, gewürgt zu werden. Ich hätte mich des schurkischen Kerls entledigen können, indem ich ihn in seine Heimat zurücksende, aber ich finde seinesgleichen nicht für meine Opiumpfeife. Der Schlaf und das Vergessen ist alles, was mir ein älterer Bruder von den Freuden der Welt gelassen hat. Sein Sohn hat mir geschrieben, um meine Vergebung und eine Unterredung mit mir zu erlangen. Ich habe es abgeschlagen. Vielleicht sieht er seiner Mutter ähnlich! … Meinen Groll will ich jedoch nicht in das Grab mitnehmen, ich nehme den Fluch zurück, den ich an einem unheilvollen Tag auf das Haupt meines Bruders und seiner Nachkommenschaft geschleudert habe. Möge mein Neffe mit dem Gut Malemort auch diesen Reichtum erben und in dessen Verwendung das Glück finden, das mir entflohen ist.

James Eglington

Nachschrift. Ein Situationsplan, den ich beständig bei mir trage, wird den Verwahrungsort der Kassette angeben.

Von diesem Plan war keine Spur zu finden, wahrscheinlich hatte ihn der Hindu geraubt, ohne ihn entziffern zu können. Sir Eglington bestand darauf, dass der neue Besitzer von Malemort einen Teil des von ihm auf so sinnreiche Weise gefundenen Schatzes für sich behalte. Heinrich schlug es aus und war nur mit großer Mühe zu bestimmen, einen wertvollen Diamanten anzunehmen. Der Baronet teilte reichlich Spenden an die Ortsarmen aus und offerierte mir unter dem Titel einer Erinnerung einen wertvollen Stein.

Auf diese Art kam es, dass Heinrich, welcher auf Edelsteine gar keinen Wert legt, dennoch an seinem Hemd von feiner Leinwand eine ausgezeichnete Diamantnadel trägt und ich den kleinen Finger mit einem Saphir von reinstem Wasser geschmückt habe, welcher eines Tages die Neugierde einer Person so in Anspruch nahm, dass ich den drängenden Fragen nachgab und mich der Mühe unterzog, diese Erzählung zur Langeweile der Leser niederzuschreiben.

Ende

[1] Malemort bedeutet: Der schlimme Tod

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  1. Malemort bedeutet: Der schlimme Tod