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Der Hexer Band 41

Robert Craven (Michael Schönenbröcher)
Der Hexer, Band 41
Die phantastische Reise

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 28. Oktober 1986, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Tim & Greg Hildebrandt

Die Luft schmeckte nach Schnee und Frost. Kleine weiße Flocken wirbelten durch die zerbrochene Glastür ins Zimmer und ließen sich, einem hauchzarten Teppich gleich, auf den hölzernen Dielen nieder. Der junge, hochgewachsene Mann blieb einen Augenblick stehen und blickte hinaus in den Garten. Der Mond hatte die graue Wolkendecke für einen kurzen Moment durchbrochen und verwandelte die sorgsam angelegten Kaskaden und die knorrigen Obstbäume im fahlen Zwielicht dieser Neujahrsnacht zu drohenden, schemenhaften Riesen, die ihre dürren Geisterfinger nach im ausstreckten.

Leseprobe

Die Welt des Hexers

Wer mit diesem Roman die Fortsetzung von Howard Lovecrafts und Rowlfs Reise um die Erde erwartet hat, muss sich noch ein wenig gedulden. Wir überlassen die beiden erst einmal ihrem weiteren Schicksal und wenden uns wieder Robert Craven zu, der in der Arabischen Wüste um sein Leben kämpft. Ob Howard und Rowlf die Attacke der GROẞEN ALTEN überlebt haben – ob sie das SIEGEL erringen können, das sie in das verhängnisvolle Abenteuer lockte – ob Phileas Fogg und sein treuer Diener Passepartout ihre Reise fortsetzen und die Wette gewinnen können, in nur sechzig Tagen die Erde zu umrunden – dies alles wird Band 44 zeigen: Endstation Hölle. Nicht gerade ein ermutigender Titel, was?

Robert jedenfalls konnte nach vielen gefahrvollen Abenteuern in der Arabischen Wüste endlich das fünfte der SIEBEN SIEGELN DER MACHT erbeuten, die zusammengefügt den Kerker der GROẞEN ALTEN sprengen können. Nizar, der grausame Magier, ist tot, seine Mumienarmee vernichtet, die Tempelritter durch den Ausbruch magischer Energien, die das WESEN der Sandrose entfesselte, durch alle Epochen der Erde verstreut. Doch dieser Eingriff in das Gefüge der Zeit soll nicht ohne Folgen bleiben, wie sich schon in diesem Band zeigen wird.

Robert kann aus der zusammenstürzenden Sandrose entkommen – aber er ist nicht mehr allein. In seinem Kampf gegen die Templer und die bösen Mächte der Wüste hat er eine Mitstreiterin gewonnen: Sill el Mot, die Templerjägerin – eine kriegerische Amazone, nicht älter als Robert selbst, die den Kampf ihres verstorbenen Vaters gegen die Ritter des Templerordens weiterführt. Zusammen retten sie sich in die Wüste – um wenige Augenblicke später auf eine neue, schreckliche Gefahr zu treffen. Der Todeswind ist erwacht – ein Sandsturm von biblischen Ausmaßen und brachialer Gewalt.

Roberts magische Kräfte sind durch die geistige Verschmelzung mit dem mysteriösen WESEN fast erschöpft, das SIEGEL ist erloschen. Hilflos stehen die beiden Gefährten den Naturgewalten gegenüber …

 

*

 

Er jedoch sah eine ganz andere Welt dort draußen: grüne, mit saftigen Früchten beladene Bäume. Seltsam anmutende Pflanzen in reicher Blütenpracht. Flirrende, silberfarbene Libellen und Vögel, die den azurblauen Himmel bevölkerten.

Und Menschen; lachende, fröhliche Menschen, fast Kinder noch, in weite, farbige Gewänder gehüllt, die ihm entgegeneilten und die Arme nach ihm ausstreckten. Vorneweg sie, das blonde Haar im Winde flatternd, die großen blauen Augen voller Freude über seine Rückkehr, wie sie auf ihn zulief und seinen Namen rief …

»George!«

Die Stimme war nicht allein in seiner Traumwelt erklungen, in die er sich für Sekunden geflüchtet hatte, und nun wurden hinter ihm, jenseits der Türe zum Flur, Schritte laut; polternde, schwere Schritte, die schnell näher kamen.

Mit einem Ruck vertrieb der junge Mann die trügerischen Visionen, fuhr herum und drehte den Schlüssel im Schloss. Er würde sich nicht aufhalten lassen; jetzt nicht mehr.

Sie hatten ihre Chance gehabt. Er hatte ihnen nichts verschwiegen, nicht einmal den Zeitpunkt, an dem sein bester Freund umkommen würde, in jenem furchtbaren Krieg Mitte des nächsten Jahrhunderts. Und was war der Dank gewesen? Nicht nur, dass sie ihm nicht geglaubt hatten, nein. Sie hatten über seine Erfindung gelacht, hatten ihm allen Ernstes empfohlen, die nächsten Wochen auszuspannen, um wieder zu Sinnen zu kommen!

Vielleicht hatte von den vieren allein David Filby einen kleinen Teil dessen geglaubt, was er ihnen in den vergangenen Stunden erzählt hätte, und er war sich in diesem Moment fast sicher, dass es auch David sein musste, der nun doch zurückgekommen war.

Aber es war zu spät. Er würde gehen, und niemand konnte ihn jetzt noch aufhalten.

Die drei dicken Folianten, die er unter der Armbeuge trug, rutschten zur Seite, als er sich wieder umwandte und entschlossen in den Raum hineinschritt. Er nahm sie in beide Hände und legte sie behutsam auf den ledernen Sitz seiner Maschine.

Groß und dunkel und majestätisch stand sie im Raum, unbeweglich und doch von unsichtbarem, geheimnisvollem Leben erfüllt, das nur er allein wahrnehmen konnte. Das große Schwungrad an ihrem Heck stand still, und die drei farbigen elektrischen Leuchten, die über den Armaturen thronten, waren erloschen. Und doch – mit einer einzigen Handbewegung konnte er beides wieder zum Leben erwecken.

Noch aber war es nicht soweit. Von dieser Stelle aus konnte er seine Reise nicht beginnen. Der Platz, an dem er stand, war eine gigantische Falle (auch dies etwas, was nur er sehen konnte). Er musste die Maschine hinausschaffen in den verschneiten Garten, wollte er den Fehler der ersten Reise nicht noch einmal begehen.

Während die Schritte im Flur immer lauter wurden und schließlich hinter der Tür verharrten, trat er an die Rückfront seiner Maschine, maß mit raschem Blick die Stellung der stählernen Kufen ab und begann mit aller Kraft zu schieben. Es ging leichter, als er gedacht hatte; fast mühelos glitt das Gestänge über die Dielen und hinterließ schorfige Narben im schneebedeckten Holz.

»George!«, klang es von der Tür her. »George, bist du dort drinnen?«

Er drehte sich nicht einmal um, als die Klinke niederfuhr, zaghaft erst, dann, als der Mann auf der anderen Seite merkte, dass die Tür verschlossen war, wild und fordernd.

»George! Ich bin es; David! Um unserer Freundschaft willen.« David Filby brach ab, als er merkte, wie schal die Worte selbst in seinen eigenen Ohren klangen. Hatte er denn seine Freundschaft bewiesen in den letzten drei Stunden?

Eine andere Stimme kam hinzu: »Bitte machen Sie doch auf, Sir, ich bitte Sie!« Das war Mrs. Watchett, die Haushälterin; eine alte, treue Seele, die ihm stets zur Seite gestanden und zu ihm gehalten hatte. Obgleich auch sie nicht an seine Erlebnisse hatte glauben wollen …

Er hielt nicht in seiner Arbeit inne, bis die Maschine an der Schwelle zur gläsernen Gartentür stand. Nein, er hatte bereits Abschied genommen. Warum den Schmerz aufs neue entfachen, indem er nun wankelmütig wurde und die Freunde einließ?

Es dauerte nur wenige Sekunden, die Kufen über die Schwelle zu heben und das bizarre Gefährt vollends ins Freie zu schieben. Trotzdem keuchte er vor Anstrengung und innerer Erregung, als er endlich das Zentrum des kleinen Gartens erreichte und das Monstrum aus Messing und Eisen und Ebenholz herumdrehte, sodass seine Spitze in die Richtung wies, aus der er gekommen war.

Es gab zwei Gründe, warum er dies tat; einen rationalen … und einen höchst sentimentalen. Zum ersten hatte er so den Feind nicht im Rücken, wenn er seine Reise beendete (ein Umstand, der über Leben und Tod entscheiden konnte). Und er konnte während der Fahrt ein letztes Mal sein Heim betrachten, das er wohl nie mehr wiedersehen würde.

Noch während er das gewundene Geländer der Maschine zurückklappte, um auf dem Polster neben den drei Büchern Platz zu nehmen, hörte er dumpfe Schläge aus seinem Labor herüberhallen. David hatte damit begonnen, die Türe einzuschlagen. Er würde zu spät kommen.

Fast fiel es ihm schwer, den letzten Schritt zu tun und die Maschine in Gang zu setzen! Andächtig glitten seine Finger über den funkelnden Steuerkristall, der wie ein gläserner Dorn aus den Armaturen ragte. Zarte Schneeflocken schwebten herbei, legten sich über das Messingschild, in das die Zahlenfenster eingebettet waren, und rannen als winzige Tropfen von seiner Hand herab. Seine Finger zitterten leicht, doch es war nicht allein der Kälte wegen, die sich mit frostigen Stacheln durch seinen Mantel und in die Haut bohrte. Es war die gewaltige Macht, die in dieser Maschine steckte und die sein genialer Geist nutzbar gemacht hatte, die ihn schaudern ließ. Ein sanfter Druck nur, und die Reise würde beginnen …

Ein lautes Knirschen riss ihn aus seinen Gedanken, gefolgt von infernalischem Poltern, als sich die Tür zur Werkstatt endlich aus ihren Angeln löste und zu Boden krachte.

Er konnte nicht länger warten.

Entschlossen beugte er sich vor, schob gleichermaßen mit dem gestreckten Arm den Kristall nach vorn – und erweckte den geheimnisvollen Motor zu neuem Leben.

Langsam begann sich das große Schwungrad in seinem Rücken zu drehen. Das Gestänge erbebte unter der plötzlichen Bewegung, ächzte in den Schweißnähten, als das Rad mehr und mehr an Fahrt gewann und sich anschickte, die Gesetze der Natur zu seinen Gunsten zu verändern. Das blaue Licht an der Spitze der Armaturen glühte sanft auf und begann im Rhythmus des Schwungrades zu pulsieren. Die kleinste der fünf Zeitanzeigen sprang um eine Einheit nach vorn – eine Minute.

Plötzlich standen zwei Gestalten vor der Maschine. David Filby und Mrs. Watchett waren wie aus dem Nichts aufgetaucht. Wieder sprang der Zeitmesser um. Die beiden Menschen wechselten die Positionen, von einem Augenblick zum nächsten. Und jetzt konnte der Mann im Sessel der Maschine auch Wortfetzen von dem verstehen, was sie ihm verzweifelt zuriefen.

»George, bleib …«

»O mein Gott, was …«

»… bitte dich, um …«

»… mit Ihnen, Mr. Wells?«

Dann sprang die nächstgrößere der Anzeigen um eine Stelle vor – eine Stunde –, und die Gestalten verschwanden so plötzlich, wie sie gekommen waren. Das Rad hinter dem einsamen Mann rotierte nun immer schneller und schneller. Längst hatten sich die kunstvollen Gravuren darauf verwischt und in einen grauen, wirbelnden Schleier verwandelt, und auch das Schwungrad selbst schien mit jeder Sekunde durchscheinender und unwirklicher zu werden.

Herbert George Wells atmete tief ein – und schob den Kristall nun vollends bis zum Anschlag nach vorn. Ein heftiger Ruck ging durch die gesamte Konstruktion, als die Zeitmaschine sich wie unter einem Schlag aufbäumte. Der Stundenmesser übersprang gleich drei Einheiten auf einmal, und die Finsternis der Winternacht, die eben noch die Maschine wie einen schützenden Mantel umhüllt hatte, fiel so plötzlich von ihr ab, dass der Mann in den Lederpolstern geblendet die Augen schloss.

Der Schnee war in diesen wenigen Sekunden zu einer dicken Schicht angewachsen, die nun wie Zuckerwatte auf den Mauern und Ästen thronte – und im nächsten Moment wieder verschwunden war. Der gleißende Ball der Sonne stieg am östlichen Horizont auf, zog in wilder Hast seine Bahn über den Himmel und verschwand hinter dem Schieferdach des Hauses.

Und wieder Dunkelheit.

Und wieder Tag.

2. Januar 1885.

3. Januar … 4. Januar …

Das blaue Licht am Armaturenbrett erlosch, und die gelbe Lampe glühte auf. Das Schwungrad verschwand in einem Wirbel grauer Nebel. Der Wechsel von Tag und Nacht war nur mehr ein stetiges Flackern in der Wirklichkeit, die Sonne ein glühender Ring, der wie ein Reifen aus Licht um die Erde lag.

Februar … März … April …

Der Frühling währte nur Sekunden. Das Aufblühen der Natur war eine Eruption: Weißen Rauchwolken gleich stoben die Blüten aus den Kirsch- und Apfelbäumen, reiften die Früchte und fielen herab, schoss das Gras aus dem Boden und wuchs höher und höher, bis es verwelkte.

Und das Haus verfiel.

Seine letzte Fahrt hatte George Wells in seiner Werkstatt begonnen, hatte von dort nach draußen geblickt und den Wandel der Zeiten erlebt. Nun erst sah er das Haus in seiner Gesamtheit, wie die Mauern sich mit wildem Efeu überzogen, wie sich die Farbe von den Wänden löste, wie sich Fenster und Türen schließlich wie von Geisterhand mit Brettern verschlossen.

Seine Augen brannten, doch er wagte kaum, sie für einen Moment zu schließen, aus Furcht, er könnte ein wichtiges Ereignis versäumen, jetzt, da ein Jahr nur wenig mehr als zwanzig Sekunden währte.

Januar 1886 … Februar … März …

Und das Haus stand noch immer. Sie wagten nicht, es niederzureißen, in der Hoffnung, er könnte eines Tages zurückkehren.

Aber sie würden vergebens ausharren. Eine neue Welt wartete auf ihn; ein Paradies, in dem er ein Lehrer sein würde über Hunderte von Menschen. Über Kinder, nicht älter als siebzehn Jahre, die vom Leben nicht mehr wussten, als dass es irgendwann begonnen hatte und irgendwann enden würde, noch bevor sie das achtzehnte Jahr erreichten. Ein Leben, das sie nur zu einem einzigen Zweck gelebt hatten: als Nahrung für eine Rasse fetter, bleichhäutiger Kreaturen, die in der Degeneration ihrer moralischen Werte zu Kannibalen geworden waren.

Aber dieses Joch war nun vorbei. Natürlich lebten viele der Morlocks noch, obwohl er selbst die Revolte der friedlichen Eloi gegen die Herrscher in der Tiefe angeführt und etliche von ihnen getötet hatte. Aber der Bann, der aus den Menschen über Jahrhunderte hinweg tumbes Schlachtvieh gemacht hatte, war gebrochen. Und durch die Bücher, die er mit auf diese zweite Reise genommen hatte, würde eine neue, bessere Epoche für die Eloi anbrechen, eine Zeit des Lernens und der Rückbesinnung auf die Errungenschaften der früheren Welt.

Wieder blickte George auf die Zeitmesser vor sich. Eben sprang die Anzeige auf den September des Jahres 1886 um. Wenn seine Berechnungen stimmten, musste nun das rote Licht aufglühen und anzeigen, dass die Maschine ihre Endgeschwindigkeit erreicht hatte: in jeder Sekunde ein volles Jahr!

Und trotzdem würde die Fahrt noch Stunden dauern, denn sein Ziel war die Welt des Jahres 802701 – eine kaum mehr vorstellbare Zukunft, in der Weena auf ihn wartete. Weena, die er vor dem Ertrinken gerettet und die als einzige der damals noch apathischen Eloi seinen Wissensdurst über die Wunder dieser für ihn so fremden Welt gestillt hatte! Weena, die er aus den Klauen der Morlocks befreien konnte, als sie längst verloren schien. Weena, in die er sich unsterblich verliebt und die seine Liebe erwidert hatte …

Ein furchtbarer Schlag riss ihn aus seinen Erinnerungen. Die Maschine schwankte; Funken stoben hinter seinem Rücken auf, als das Schwungrad aus seiner Bahn gerissen wurde. Ein helles, durchdringendes Kreischen wie von einem bremsenden Zug erfüllte die Luft. Blitzschnell griff George Wells nach dem gläsernen Steuerkristall – die einzige Chance, die Maschine zu stoppen –, doch es war zu spät.

Die Zentrifugalkraft wirbelte das Rad herum, hob die gesamte Konstruktion zwei Yards vom Boden ab – und stürzte mit zerstörerischer Gewalt zurück auf die Erde.

Herbert George Wells blieb nicht einmal die Zeit, einen Gedanken daran zu fassen, was eigentlich geschehen war. Das letzte, was er sah, war, dass sich die Umgebung rasend schnell veränderte. Hatte ihn während der bisherigen Reise stets das Bild seines Hauses und Gartens in London begleitet, so war nun plötzlich eine weite, grasbewachsene Ebene um ihn herum … dann ein graues Häusermeer … eine zerklüftete Schlucht … und schließlich – Fels.

Das Schwungrad schlug auf, grub sich tief in den Boden – und zerbrach. George Wells wurde aus dem Sitz geschleudert, wirbelte haltlos durch die Luft und auf eine steinerne Wand zu.

Nicht nur in der Zeit! war sein letzter, erstaunter Gedanke. Ich bin auch durch den Raum gereist!

Der furchtbare Aufprall löschte sein Gedächtnis aus …