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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 7. – 10. Bändchen – Kapitel XXI

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Siebentes bis zehntes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XXI. Die Edelleute

Während Mordaunt zu dem Zelt von Cromwell ging, führten d’Artagnan und Porthos ihre Gefangenen in das Haus, das ihnen von Cromwell als Wohnung in Newcastle angewiesen worden war.

Der Befehl, den Mordaunt dem Sergenten erteilt hatte, war dem Gascogner nicht entgangen. Er hatte deshalb Athos und Aramis mit dem Auge die strengste Klugheit empfohlen. Aramis und Athos gingen schweigend neben ihren Besiegern, was ihnen nicht schwer wurde, denn jeder hatte sich seine eigenen Gedanken zu beantworten.

War je ein Mensch erstaunt, so war es Mousqueton, als er von der Türschwelle aus die vier Freunde, gefolgt von dem Sergenten und etwa einem Dutzend Leuten, herbeikommen sah. Er rieb sich die Augen, denn er konnte sich nicht entschließen, an die Erscheinung von Athos und Aramis zu glauben, aber endlich musste er sich dem unwiderlegbaren Beweis fügen. Er war auch im Begriff, sich in Ausrufungen Luft zu machen, als ihm Porthos mit einem von jenen Blicken, welche keinen Widerspruch zulassen, Stillschweigen auferlegte.

Mousqueton blieb gleichsam an der Tür kleben, in Erwartung der Aufklärung einer so sonderbaren Sache. Hauptsächlich brachte es ihn in Verwirrung, dass die Freunde das Aussehen hatten, als wären sie sich gänzlich fremd.

Das Haus, in welches d’Artagnan und Porthos Athos und Aramis führten, war dasjenige, welches sie seit dem vorhergehenden Tag bewohnten; es bildete die Ecke einer Straße, hatte eine Art von Garten und einen Stall rückwärts zu der anderen Straße.

Die Fenster des Erdgeschosses waren, wie dies häufig bei den kleinen Provinzialstädten der Fall ist, vergittert und hatten dadurch große Ähnlichkeit mit denen eines Gefängnisses.

Die beiden Freunde ließen die Gefangenen vor sich eintreten und blieben auf der Schwelle stehen, nachdem sie Mousqueton den Befehl gegeben hatten, die vier Pferde in den Stall zu führen.

»Warum gehen wir nicht mit ihnen hinein?«, sprach Porthos.

»Weil wir zuvor sehen müssen«, antwortete d’Artagnan, »was der Sergent und die acht oder zehn Mann, die ihn begleiten, wollen.«

Der Sergent und die acht bis zehn Mann stellten sich im Garten auf.

D’Artagnan fragte sie, was sie wollten und warum sie hier blieben.

»Wir haben Befehl erhalten, Euch die Gefangenen bewachen zu helfen«, erwiderte der Sergent.

Hierüber war nichts zu sagen, es war im Gegenteil eine zarte Aufmerksamkeit, für die man erkenntlich zu sein sich den Anschein geben musste. D’Artagnan dankte auch dem Sergenten und schenkte ihm eine Krone, um auf die Gesundheit des General Cromwell zu trinken.

Der Sergent antwortete, die Puritaner tränken nicht, und steckte die Krone in seine Tasche.

»Ah!«, sprach Porthos, »was für ein abscheulicher Tag, mein lieber d’Artagnan.«

»Was sagt Ihr da, Porthos! Ihr nennt den Tag, an welchem wir unsere Freunde wiedergefunden haben, einen abscheulichen Tag?«

»Ja, aber unter welchen Umständen?«

»Die Konjunkturen sind allerdings etwas beklemmend«, versetzte d’Artagnan; »doch gleichviel, gehen wir immerhin zu ihnen hinein und suchen wir ein wenig klar in unserer Lage zu sehen.«

»Sie ist sehr verwickelt«, sprach Porthos, »und ich begreife jetzt, warum mir Aramis so dringend den furchtbaren Mordaunt zu erwürgen empfohlen hat.«

»Still, sprecht diesen Namen nicht aus.«

»Ich spreche doch Französisch, und sie sind Engländer«, entgegnete Porthos.

D’Artagnan schaute Porthos mit jener Miene der Bewunderung an, welche ein vernünftiger Mensch Ungeheuerlichkeiten aller Art nicht versagen kann.

Da ihn Porthos ebenfalls anschaute, ohne sein Erstaunen begreifen zu können, so trieb d’Artagnan seinen Freund an, hineinzugehen.

Porthos trat zuerst ein, d’Artagnan folgte ihm. D’Artagnan schloss sorgfältig die Tür und umarmte die Freunde nacheinander.

Athos war von einer tödlichen Traurigkeit befallen. Aramis schaute abwechselnd Porthos und d’Artagnan an, ohne etwas zu sagen, aber sein Blick war so ausdrucksvoll, dass d’Artagnan ihn begriff.

»Ihr wollt wissen, wie es kommt, dass wir hier sind? Ei! mein Gott, das ist leicht zu erraten. Mazarin hat uns beauftragt, dem General Cromwell einen Brief zu überbringen.«

»Aber wie kommt es, dass Ihr Euch an der Seite von Mordaunt befindet«, sprach Athos, »von Mordaunt, von dem ich Euch sagte, Ihr sollet ihm misstrauen, d’Artagnan?«

»Den ich Euch zu erdrosseln empfahl, Porthos!«, sagte Aramis.

»Abermals Mazarin. Cromwell hatte ihn an Mazarin geschickt, Mazarin schickte uns an Cromwell. Es waltet ein Unstern in allem dem ob.«

»Ja, Ihr habt recht, d’Artagnan, ein Unstern, der uns trennt und in das Verderben stürzt. Sprechen wir also nicht mehr davon, Aramis, und bereiten wir uns darauf vor, uns dem Schicksal zu unterziehen.«

»Gottes Blut!«, rief d’Artagnan, »sprechen wir im Gegenteil davon, denn es ist ein für alle Mal abgemacht, dass wir immer zusammenhalten, wenn wir auch einer entgegengesetzten Sache dienen.«

»Ja, einer sehr entgegengesetzten!«, sprach Athos lächelnd, »denn ich frage Euch: Welcher Sache dient Ihr hier? Ah! D’Artagnan, seht, wozu Euch dieser elende Mazarin verwendet. Wisst Ihr, welches Verbrechens Ihr Euch heute schuldig gemacht habt? Der Gefangennahme des Königs, seiner Schmach, seines Todes.«

»Oh! oh!«, versetzte Porthos, »glaubt Ihr?«

»Ihr übertreibt. Athos«, sprach d’Artagnan, »wir sind noch nicht so weit.«

»Ei, mein Gott, wir sind im Gegenteil so weit. Warum nimmt man einen König gefangen? Wenn man ihn als einen Herrn achten will, kauft man ihn nicht als einen Sklaven. Glaubt Ihr, dass ihn Cromwell mit zweimal hunderttausend Pfund Sterling bezahlt hat, um ihn wieder auf den Thron zu setzen? Freunde, seid überzeugt, sie werden ihn töten, und das ist noch das geringste Verbrechen, welches sie begehen können. Es ist besser, einen König enthaupten, als ihn ohrfeigen.«

»Ich widerspreche Euch nicht, und es ist allem nach möglich«, sagte d’Artagnan, »aber was geht das uns an. Ich bin hier, weil ich Soldat bin, weil ich meinen Messieurs diene, das heißt denjenigen, welche mir meinen Sold bezahlen. Ich habe den Eid des Gehorsams geleistet und gehorche. Aber Ihr, die Ihr keine Eide geleistet habt, warum seid Ihr hier und welcher Sache dient Ihr?«

»Der heiligsten Sache, die es auf der Welt gibt«, erwiderte Athos, »der Sache des Unglücks, des Königtums, der Religion. Ein Freund, eine Gattin, eine Tochter haben uns die Ehre erwiesen, uns zu Hilfe zu rufen. Wir haben ihnen nach unseren schwachen Mitteln gedient, und Gott wird uns den Willen in Ermangelung der Kraft anrechnen. Ihr könnt auf eine andere Weise denken, d’Artagnan, Ihr könnt die Sachen auf eine andere Art ansehen, Freund, ich will Euch nicht davon abbringen, aber ich tadle Euch!«

»Oh! oh!«, sprach d’Artagnan, »was geht es mich am Ende an, dass Cromwell, der ein Engländer ist, sich gegen seinen König, einen Schottländer, empört? Ich bin Franzose, all diese Dinge berühren mich nicht, warum wolltet Ihr mich also dafür verantwortlich machen?«

»Allerdings«, sagte Athos, »weil alle Edelleute Brüder sind, weil Ihr ein Edelmann seid, weil die Könige aller Länder die Ersten unter den Edelleuten sind, weil der blinde, undankbare, alberne Pöbel immer ein Vergnügen daran findet, das Erhabene zu erniedrigen … und Ihr, d’Artagnan, der Mann der alten Ritterlichkeit, der Mann mit dem schönen Namen, der Mann mit dem guten Schwert, Ihr habt dazu beigetragen, einen König Bierbrauern, Schneidern und Kärrnern auszuliefern. Ah! d’Artagnan, als Soldat habt Ihr vielleicht Eure Pflicht getan, aber als Edelmann habt Ihr Euch mit einer Schuld befleckt, das sage ich Euch.«

D’Artagnan kaute an einem Blumenstängel, antwortete nicht und fühlte sich unwohl, denn als er seinen Blick von Athos abwandte, begegnete er dem Blick von Aramis.

»Und Ihr, Porthos«, fuhr der Graf fort, als hätte er Mitleid mit der Verlegenheit von d’Artagnan, »Ihr, das beste Herz, der beste Freund, der beste Soldat, den ich kenne, Ihr, den sein Gemüt würdig machte, auf den Stufen eines Thrones geboren zu sein, und der Ihr früher oder später von einem verständigen König Euren Lohn empfangen werdet, Ihr, mein lieber Porthos, ein Edelmann durch die Sitten, durch den Geschmack und durch den Mut, Ihr seid ebenso schuldig wie d’Artagnan.«

Porthos errötete mehr aus Vergnügen als aus Scham, senkte aber doch den Kopf, als wäre er sehr gedemütigt.

»Ja, ja«, sagte er, »ich glaube, Ihr habt recht, mein lieber Graf.«

Athos erhob sich.

»Hört«, sprach er, auf d’Artagnan zugehend und ihm die Hand reichend, »schmollt nicht, mein teurer Sohn, denn alles, was ich Euch gesagt habe, habe ich, wenn nicht mit dem Ton, doch mit dem Herzen eines Vaters gesagt. Glaubt mir, es wäre mir leichter gewesen, Euch dafür zu danken, dass Ihr mir das Leben gerettet habt, und nicht ein Wort von meinen Gefühlen zu sprechen.«

»Gewiss, gewiss, Athos«, erwiderte d’Artagnan, ihm ebenfalls die Hand drückend, »Ihr habt aber auch Teufel von Gefühlen, die nicht jedermann haben kann. Wer kann sich einbilden, ein vernünftiger Mensch werde sein Haus, Frankreich, seinen Mündel, einen reizenden jungen Menschen, verlassen – wir haben ihn im Lager besucht – um wohin zu eilen? Einem verfaulten, wurmstichigen Königtum zu Hilfe, das eines Morgens wie eine alte Baraks zusammenstürzen wird. Das Gefühl, von dem Ihr sprecht, ist allerdings schön, so schön, dass es übermenschlich erscheint.«

»Wie dem sein mag«, erwiderte Athos, ohne in die Falle zu gehen, die d’Artagnan mit seiner gascognischen Geschicklichkeit seiner väterlichen Liebe für Raoul stellte, »wie dem sein mag, Ihr wisst, dass dieses Gefühl richtig ist; aber ich habe unrecht, mit meinem Herrn zu streiten … d’Artagnan, ich bin Euer Gefangener, behandelt mich als solchen.«

»Ah, bei Gott!«, versetzte d’Artagnan, »Ihr wisst wohl, dass Ihr nicht lange mein Gefangener sein werdet.«

»Nein«, sagte Aramis, »denn man wird uns ohne Zweifel behandeln, wie diejenigen, welche man in Philipps Haus gefangen genommen hat.«

»Wie hat man diese behandelt?«, fragte d’Artagnan.

»Man hat die eine Hälfte gehängt und die andere erschossen«, erwiderte Aramis.

»Wohl, ich stehe Euch dafür, dass Ihr, solange ich einen Tropfen Blut in meinen Adern habe, weder gehängt noch erschossen werden sollt«, sprach d’Artagnan. »Gottes Blut! Sie mögen kommen! Überdies, seht Ihr diese Tür, Athos?«

»Nun?«

»Ihr geht durch diese Tür, wann Ihr wollt, denn von diesem Augenblick seid Ihr und Aramis frei wie die Luft.«

»Daran erkenne ich Euch, mein braver d’Artagnan«, erwiderte Athos, »aber Ihr seid nicht mehr Monsieur von uns: Diese Tür wird bewacht, Ihr wisst es wohl, d’Artagnan.«

»Gut, Ihr sprengt sie«, sagte Porthos. »Was ist dabei? Höchstens zehn Mann.«

»Das wäre nichts für uns vier, es ist aber zu viel für zwei. Nein, seht, geteilt, wie wir jetzt sind, müssen wir untergeben. Erinnert Euch des unseligen Beispiels: Auf der Straße wurdet Ihr, d’Artagnan, der Brave, und Ihr Porthos, der Mutige, Starke, geschlagen. Heute sind wir es, die Reihe ist an mir und Aramis. Nie aber ist uns dies begegnet, wenn wir alle vier vereinigt waren; sterben wir also, wie Lord Winter gestorben ist; ich meinerseits erkläre, dass ich nur zu einer Flucht einwillige, wenn wir alle vier miteinander fliehen.«

»Unmöglich«, sprach d’Artagnan, »wir stehen unter dem Befehl von Mazarin.«

»Ich weiß es und dringe nicht weiter in Euch; meine Beweisgründe haben keine Folgen gehabt, ohne Zweifel waren sie schlecht, da sie keine Herrschaft über so große Geister wie die Euren gewinnen konnten.«

»Hätten sie auch eine Wirkung hervorgebracht«, versetzte Aramis, »so ist es doch das Beste, wir gefährden zwei so vortreffliche Freunde wie d’Artagnan und Porthos nicht. Seid unbesorgt, Messieurs, wir werden Euch sterbend Ehre machen. Ich meines Teils fühle mich stolz, den Kugeln und sogar dem Strang mit Euch, Athos, entgegenzugehen, denn Ihr seid mir nie so groß vorgekommen wie heute.«

D’Artagnan sagte nichts, aber nachdem er den Stängel seiner Blume zerkaut hatte, kaute er an den Nägeln.

»Ihr denkt, man werde Euch töten«, sprach er endlich. »Warum dies, wer hat ein Interesse bei Eurem Tod? Überdies seid Ihr unsere Gefangenen.«

»Tor, dreifacher Tor!«, entgegnete Aramis, »kennst du Mordaunt nicht? Ich habe nur einen Blick mit ihm gewechselt, und in diesem Blick las ich, dass wir verurteilt sind.«

»Es tut mir in der Tat leid, dass ich ihn nicht erwürgte, wie Ihr es haben wolltet, Aramis«, versetzte Porthos.

»Ei, ich kümmere mich den Henker um Mordaunt«, rief d’Artagnan. »Gottes Blut! Kitzelt mich dieses Insekt zu sehr, so zermalme ich es. Flüchtet Euch also nicht, es ist unnötig, denn ich schwöre Euch, Ihr seid hier ebenso sehr in Sicherheit, wie Ihr es vor zwanzig Jahren, Ihr Athos, in der Rue Feron, und Ihr, Aramis, in der Rue Vaugirard ward.«

»Halt!«, sprach Athos, seine Hand nach einem von den vergitterten Fenstern ausstreckend, welche das Zimmer erhellten, »Ihr werdet sogleich erfahren, woran Ihr Euch zu halten habt, denn er eilt eben herbei.«

»Wer?«

»Mordaunt.«

Der Richtung folgend, welche die Hand von Athos andeutete, sah d’Artagnan wirklich einen Reiter im Galopp herbeisprengen.

Es war in der Tat Mordaunt.

D’Artagnan stürzte aus dem Zimmer.

Porthos wollte folgen.

»Bleibt«, sagte d’Artagnan, »und kommt erst, wenn Ihr mit den Fingern an die Tür trommeln hört.«