Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 7. – 10. Bändchen – Kapitel XV

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Siebentes bis zehntes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XV. Der Wagen des Monsieur Koadjutors

Statt durch die Porte Saint-Honoré zurückzukehren, machte d’Artagnan, welcher Zeit vor sich hatte, einen Umweg und kehrte durch die Porte Richelieu zurück. Man erkannte ihn, und als man an seinem Federhut und an seinem galoppierten Mantel wahrnahm, dass er Offizier der Musketiere war, umgab man ihn, in der Absicht, ihn Nieder mit Mazarin! rufen zu lassen. Die erste Kundgebung beunruhigte ihn anfangs nicht besonders. Als er aber hörte, um was es sich handelte, rief er mit einer so schönen Stimme, dass auch die Schwierigsten zufrieden waren.

Er folgte der Rue de Richelieu und träumte über die Art und Weise, wie er nun die Königin ebenfalls wegbringen sollte, denn sie in einem Wagen mit dem Wappen von Frankreich fortzuführen, daran war nicht zu denken, als er vor der Tür der Villa von Frau von Guémenée eine Equipage erblickte.

Plötzlich erleuchtete ihn ein Gedanke.

»Ah! Bei Gott!«, sagte er, »das wäre dem Kriegsgebrauch gemäß.«

Er näherte sich dem Wagen und schaute das Wappen an den Schlägen und die Livree des Kutschers an, der auf dem Bock saß.

Diese Prüfung wurde ihm umso leichter, als der Kutscher fest schlief.

»Das ist der Wagen des Monsieur Koadjutors«, sprach er, »bei Gott, ich fange an zu glauben, dass die Vorsehung für uns ist.«

Er stieg sachte in den Wagen, zog an der seidenen Schnur, welche mit dem kleinen Finger des Kutschers in Verbindung stand, und sagte: »In das Palais-Royal!«

Plötzlich erweckt, wandte sich der Kutscher zu dem bezeichneten Punkt, ohne zu vermuten, dass der Befehl von einem andern als von seinem Monsieur herrührte. Der Portier war im Begriff, die Gitter zu schließen. Als er aber die prächtige Equipage erblickte, zweifelte er nicht daran, es wäre ein Besuch von Bedeutung, und ließ den Wagen durchfahren, der unter dem Säulengang anhielt.

Erst hier bemerkte der Kutscher, dass die Lakaien nicht hinter dem Wagen waren.

Er glaubte, der Monsieur Koadjutor hätte über sie verfügt, sprang von seinem Sitz herab, ohne die Zügel loszulassen, und öffnete.

D’Artagnan sprang ebenfalls zu Boden, und in dem Augenblick, wo der Kutscher, erschrocken, als er seinen Herrn nicht erkannte, einen Schritt rückwärts machte, fasste er denselben mit der linken Hand beim Kragen und setzte ihm mit der rechten die Pistole vor die Brust.

»Wage es nur, ein Wort zu sprechen«, sagte d’Artagnan, »und du bist tot.«

Der Kutscher sah an dem Gesichtsausdrucke desjenigen, welcher mit ihm sprach, dass er in eine Falle gegangen war, und sperrte Mund und Augen unmäßig weit auf.

Zwei Musketiere gingen im Hof auf und ab. D’Artagnan rief sie bei ihren Namen.

»Monsieur von Bellière«, sagte er zu dem einen, »habt die Güte, die Zügel aus den Händen dieses braven Mannes zu nehmen, auf den Bock der Kutsche zu sitzen, diese vor die geheime Treppe zu führen und mich dort zu erwarten. Es betrifft eine wichtige Angelegenheit und gehört zum Dienst des Königs.«

Der Musketier wusste, dass sein Leutnant unfähig war, einen schlechten Spaß in Beziehung auf den Dienst zu machen, und gehorchte, ohne ein Wort zu sagen, obwohl ihm der Befehl sonderbar vorkam.

Dann sich gegen den zweiten Musketier umwendend, sagte d’Artagnan:

»Monsieur du Verger, helft mir diesen Menschen in Gewahrsam bringen.«

Der Musketier glaubte, sein Leutnant hätte einen verkleideten Prinzen verhaftet, verbeugte sich und bedeutete durch ein Zeichen, er wäre bereit.

D’Artagnan stieg die Treppe hinauf, gefolgt von dem Gefangenen, hinter dem der Musketier ging, durchschritt das Vestibül und trat in das Vorzimmer von Mazarin.

Bernouin wartete mit Ungeduld auf Nachricht von seinem Herrn.

»Nun, gnädiger Monsieur?«, sagte er.

»Alles geht auf das Beste, mein lieber Monsieur Bernouin; aber hier ist ein Mensch, den Ihr an einen sicheren Ort bringen solltet!«

»Wohin, gnädiger Monsieur?«

»Wohin Ihr wollt, wenn nur der Ort, den Ihr wählt, Läden, die man mit dem Vorhängeschloss und eine Tür hat, die man mit dem Schlüssel schließen kann.«

»Wir haben dies«, erwiderte Bernouin.

Man führte den armen Kutscher in ein Kabinett, das vergitterte Fenster und große Ähnlichkeit mit einem Gefängnis hatte.

»Mein Freund«, sagte d’Artagnan, »ich ersuche Euch nun, mir zuliebe Euren Hut und Euren Mantel abzulegen.«

Der Kutscher leistete, wie man leicht begreift, keinen Widerstand. Er war über das, was ihm begegnete, so sehr erstaunt, dass er wankte und stammelte wie ein Betrunkener. D’Artagnan gab die Kleidungsstücke dem Kammerdiener unter den Arm.

»Monsieur du Verger«, sprach d’Artagnan, »schließt Euch mit diesem Menschen ein, bis Monsieur Bernouin Euch die Tür öffnet. Ich weiß, die Sache wird ziemlich lang dauern und nicht sehr belustigend sein, aber Ihr begreift«, fügte er ernst bei, »Dienst des Königs.«

»Zu Befehlen, mein Leutnant«, antwortete der Musketier, welcher sah, dass es sich um wichtige Dinge handelte.

»Versucht der Mensch zu fliehen oder zu schreien«, sagte d’Artagnan, »so stoßt ihm den Degen durch den Leib.«

Der Musketier machte mit dem Kopf ein Zeichen, welches sagen wollte, er werde pünktlich der Vorschrift nachkommen.

D’Artagnan entfernte sich mit Bernouin.

Es schlug Mitternacht.

»Führt mich in das Betzimmer der Königin«, sagte d’Artagnan. »Meldet ihr, dass ich da bin, und legt mir dieses Päckchen mit einer gutgeladenen Muskete auf den Sitz der Kutsche, welche unten an der Geheimtreppe wartet.«

Bernouin führte d’Artagnan in das Betzimmer, wo er sich nachdenkend niedersetzte.

Alles war im Palais-Royal wie gewöhnlich gewesen. Um zehn Uhr hatten sich, wie wir erzählt haben, alle Gäste zurückgezogen; diejenigen, welche mit dem Hof fliehen sollten, hatten das Losungswort, und jeder wurde aufgefordert, sich um halb ein Uhr in der Nacht im Cours-la-Reine einzufinden.

Um zehn Uhr ging Anna von Österreich zum König; man hatte Monsieur soeben zu Bett gelegt, und der junge Louis, welcher geblieben war, belustigte sich damit, Bleisoldaten in Schlachtordnung aufzustellen, eine Unterhaltung, die ihn sehr ergötzte. Zwei Ehrenknaben spielten mit ihm.

»La Porte«, sagte die Königin, »es wäre Zeit, seine Majestät zu Bett zu bringen.«

Der König bat, noch aufbleiben zu dürfen, da er noch keine Lust zu schlafen hätte, wie er sagte. Aber die Königin beharrte auf ihrem Willen.

»Müsst Ihr nicht morgen früh um sechs Uhr in Conflans baden, Louis? Ihr habt selbst darum gebeten.«

»Ihr habt recht, Madame«, sprach der König, »und ich bin bereit, mich in mein Zimmer zu begeben, wenn Ihr mich zu küssen die Güte gehabt habt. La Porte, gebt den Handleuchter dem Monsieur Chevalier von Coislin.«

Die Königin drückte ihre Lippen auf die weiße, glatte Stirn, welche ihr das erhabene Kind mit einem Ernst bot, an dem die Etikette nicht zu verkennen war.

»Schlaft bald ein, Louis«, sagte die Königin, »denn man wird Euch frühzeitig wecken.«

»Ich werde mein Möglichstes tun, um Euch zu gehorchen«, erwiderte der junge Louis, »aber ich habe noch keine Lust, zu schlafen.«

»La Porte«, sagte Anna von Österreich ganz leise, »gebt dem König ein recht langweiliges Buch zu lesen, kleidet Euch aber nicht aus.«

Der König entfernte sich, begleitet von dem Chevalier von Coislin, der ihm den Leuchter trug. Das andere Ehrenkind wurde in seine Wohnung zurückgeführt.

Dann begab sich die Königin wieder in ihr Gemach. Ihre Frauen, nämlich Frau von Bregy, Fräulein von Beaumont, Frau von Motteville und Socratine, ihre Schwester, die man wegen ihrer Weisheit so nannte, hatten ihr in die Garderobe Überreste von der Mittagstafel gebracht, welche sie gewöhnlich zu Nacht speiste.

Die Königin erteilte sodann ihre Befehle, sprach von einem Mahl, das ihr für den zweiten Tag der Marquis von Villequier angeboten hatte, bezeichnete die Personen, welche sie zu der Ehre, daran teilzunehmen, zuließ, kündigte für den nächsten Tag noch einen Besuch in Val-de-Grace an, wo sie ihre Andacht zu verrichten beabsichtigte, und gab Beringhen, ihrem ersten Kammerdiener, Befehl, sie zu begleiten.

Als das Abendbrot der Damen vorüber war, stellte sich die Königin sehr müde, und ging in ihr Schlafzimmer. Frau von Motteville, welche diesen Abend den Dienst hatte, folgte ihr, um sie entkleiden zu helfen. Die Königin legte sich zu Bett, sprach noch einige Minuten freundlich mit ihr und entließ sie sodann.

In diesem Augenblick kam d’Artagnan mit dem Wagen des Koadjutors in den Hof des Palais-Royal.

Eine Minute danach fuhren die Wagen der Ehrendamen ab und das Gitter schloss sich hinter ihnen. Es schlug Mitternacht.

Fünf Minuten später klopfte Bernouin, von dem geheimen Gang des Kardinals herkommend, an das Schlafzimmer der Königin.

Anna von Österreich öffnete selbst.

»Ihr seid es, Bernouin?« sagte sie. »Ist Monsieur d’Artagnan da?«

»Ja, Madame, in Eurem Betzimmer; er wartet, bis Euere Majestät bereit ist.«

»Ich bin es. Sagt La Porte, er solle den König wecken und ankleiden, von dort geht zu dem Marschall von Villeroy und setzt ihn in meinem Namen in Kenntnis.«

Bernouin verbeugte sich und ging ab.

Die Königin trat in ihr Betzimmer, das eine einfache Lampe von venezianischem Glas beleuchtete. Sie erblickte d’Artagnan, der auf sie wartete.

»Ihr seid es?«, sagte sie zu ihm.

»Ja, Madame.«

»Ihr seid bereit?«

»Ich bin es.«

»Und der Monsieur Kardinal?«

»Ist ohne Zwischenfall hinausgekommen; er erwartet Euere Majestät in Cours-la-Reine.«

»Aber in welchem Wagen gehen wir ab?«

»Ich habe alles besorgt, ein Wagen harrt unten Eurer Majestät.«

»Gehen wir zum König.«

D’Artagnan verbeugte sich und folgte der Königin.

Das Bett lag aufgedeckt; die Leinenlaken des Königs waren so abgenutzt, dass sie an verschiedenen Stellen Löcher hatten.

Dies war abermals Folge der Knauserei von Mazarin.

Die Königin trat ein und d’Artagnan blieb auf der Schwelle stehen. Als das Kind die Königin erblickte, entschlüpfte es den Händen von La Porte und lief auf sie zu.

Die Königin machte d’Artagnan ein Zeichen, näher zu kommen.

D’Artagnan gehorchte.

»Mein Sohn«, sprach die Königin und deutete auf den Musketier, welcher ruhig, aufrecht, mit entblößtem Haupt in ihrer Nähe stand, »dies ist Monsieur d’Artagnan, ein Mann, so brav, wie einer von den alten, tapferen Rittern, deren Geschichte Ihr Euch so gern von meinen Frauen erzählen lasst. Erinnert Euch seines Namens und schaut ihn gut an, um sein Gesicht nicht aus dem Gedächtnis zu verlieren, denn er wird uns heute Abend einen wichtigen Dienst leisten.«

Der junge König schaute den Offizier mit seinem großen, stolzen Auge an und wiederholte: »Monsieur d’Artagnan?«

»So ist es, mein Sohn.«

Der junge König hob langsam seine kleine Hand auf und reichte sie dem Musketier; dieser setzte ein Knie auf die Erde und küsste sie.

»Monsieur d’Artagnan«, wiederholte Louis, »es ist gut, Madame.«

In diesem Augenblick hörte man, wie sich ein Geräusch näherte.

»Was ist das?«, fragte die Königin.

»Oh, oh!« antwortete d’Artagnan, zu gleicher Zeit sein feines Ohr und seinen scharfen Blick anstrengend, »es ist der Lärm des Volkes, das sich empört.«

»Wir müssen fliehen«, sagte die Königin.

»Eure Majestät hat mir die Leitung dieser Angelegenheit überlassen: Wir müssen bleiben und erfahren, was man will.«

»Monsieur d’Artagnan!«

»Ich stehe für alles.«

Nichts teilt sich rascher mit als das Vertrauen. Voll Mut und Kraft fühlte die Königin im höchsten Grad diese zwei Tugenden bei anderen.

»Handelt«, sagte sie, »ich verlasse mich auf Euch.«

»Will mir Eure Majestät erlauben, bei dieser ganzen Angelegenheit Befehle in Ihrem Namen zu geben?«

»Befehlt, Monsieur.«

»Was will denn dieses Volk wieder?«, fragte der König.

»Wir werden es erfahren, Sire«, antwortete d’Artagnan.

Und er verließ rasch das Zimmer.

Der Tumult hatte zugenommen, er schien gleichsam das ganze Palais-Royal einzuhüllen. Man hörte vom Zimmer aus Geschrei, dessen Sinn man nicht verstehen konnte; offenbar fand ein Aufruhr statt.

Der König, halb gekleidet, die Königin und La Porte blieben, jeder horchend und wartend, an dem Platz, wo sie sich befanden.

Comminges, der diese Nacht die Wache im Palais-Royal hatte, lief herbei; er hatte ungefähr zweihundert Mann in den Höfen und Ställen und stellte sie zur Verfügung der Königin.

»Nun?«, fragte Anna von Österreich, als sie d’Artagnan wieder erscheinen sah, »was gibt es?«

»Madame, es hat sich das Gerücht verbreitet, die Königin hätte, den König mit sich nehmend, das Palais-Royal verlassen, und das Volk verlangt den Beweis vom Gegenteil, oder es droht, das Palais-Royal zu zerstören.«

»Ah! Diesmal ist es zu stark und ich will ihnen beweisen, dass ich nicht abgereist bin.«

D’Artagnan sah an dem Gesichtsausdruck der Königin, dass sie irgendeinen heftigen Befehl geben wollte. Er näherte sich ihr und sagte ganz leise: »Hat Euere Majestät immer noch Vertrauen zu mir?«

Diese Stimme machte sie beben. »Ja, Monsieur, alles Vertrauen«, erwiderte sie.

»Wird Eure Majestät die Gnade haben, meinem Rat zu folgen?«

»Sprecht.«

»Eure Majestät wollen Monsieur von Comminges wegschicken und ihm befehlen, sich und seine Leute in der Wachtstube und in den Ställen eingeschlossen zu halten.«

Comminges schaute d’Artagnan mit dem neidischen Blick an, mit welchem jeder Höfling ein neues Glück auftauchen sieht.

»Ihr habt gehört, Comminges?«, sprach die Königin.

D’Artagnan ging auf ihn zu; er hatte mit seiner gewöhnlichen Scharfsichtigkeit diesen unruhigen Blick erkannt.

»Monsieur von Comminges«, sagte er zu ihm, »vergebt mir; wir sind zwei alte Diener der Königin, nicht wahr? Es ist heute die Reihe an mir, ihr nützlich zu sein.«

Comminges verbeugte sich und ging ab.

»Gut«, sprach d’Artagnan zu sich selbst, »nun habe ich einen Feind mehr.«

»Und nun«, sprach die Königin, sich an d’Artagnan wendend, »was ist zu tun? Denn Ihr hört, statt sich zu legen, verdoppelt sich der Lärm.«

»Madame«, antwortete d’Artagnan, »das Volk will den König sehen, es muss ihn sehen.«

»Wie, es muss! Auf dem Balkon?«

»Nein, Madame, hier, in seinem Bett, schlafend.«

»Oh! Eure Majestät. Monsieur d’Artagnan hat vollkommen recht!«, rief La Porte.

Die Königin dachte einen Augenblick nach und lächelte dann, wie eine Frau, der der Trug nicht fremd ist.

»Es geschehe«, murmelte sie.

»Monsieur La Porte«, sagte d’Artagnan, »geht durch das Gitter des Palais-Royal, kündigt dem Volk an, es solle zufrieden gestellt werden, es werde den König nicht nur sehen, sondern auch in seinem Bett sehen. Fügt bei, der König schlafe und die Königin bitte, man möge sich ruhig verhalten, um den König nicht aufzuwecken.«

»Aber nicht jedermann; eine Deputation von zwei, drei bis vier Personen?«

»Jedermann, Madame!«

»Bedenkt doch, sie werden uns bis zum Tag aufhalten.«

»In einer Viertelstunde sind wir mit ihnen fertig. Ich stehe für alles, Madame. Glaubt mir, ich kenne das Volk: Es ist ein großes Kind, dem man schmeicheln muss. Vor dem entschlummerten König wird es stumm, sanft und schüchtern sein, wie ein Lamm.«

»Geht, La Porte«, sagte die Königin.

Der junge König näherte sich seiner Mutter.

»Warum tut man, was diese Leute verlangen?«, fragte er.

»Es muss sein«, sprach Anna von Österreich.

»Aber wenn man mir sagt, es muss sein, so bin ich nicht mehr König.«

»Sire«, sprach d’Artagnan, »erlaubt mir Eure Majestät eine Frage?«

Ludwig XIV. wandte sich um, ganz erstaunt, dass man es wagte, das Wort an ihn zu richten. Die Königin drückte dem König die Hand.

»Ja, Monsieur«, erwiderte der junge König.

»Erinnert sich Eure Majestät, wenn sie im Park von Fontainebleau oder in den Höfen des Palastes von Versailles spielte, plötzlich wahrgenommen zu haben, wie sich der Himmel bedeckte und der Donner zu rollen begann?«

»Allerdings.«

»Nun gut, dieses Rollen des Donners wagte Eurer Majestät, so große Lust sie auch hatte, fortzuspielen: Kehrt zurück, Sire, es muss sein!«

»Das ist wahr, Monsieur, aber man sagte mir auch, das Getöse des Donners sei die Stimme Gottes.«

»Wohl, Sire«, versetzte d’Artagnan, »hört auf das Getöse des Volkes, und Ihr werdet finden, dass es große Ähnlichkeit mit dem des Donners hat.«

In diesem Augenblick machte sich ein furchtbarer Lärm, durch den Nachtwind herbeigetragen, hörbar.

Plötzlich trat eine Stille ein.

»Sire«, sprach d’Artagnan, »man hat soeben dem Volk gesagt, Ihr schliefet, und Ihr seht, dass Ihr immer noch König seid.«

Die Königin schaute voll Erstaunen diesen seltsamen Menschen an, den sein glänzender Mut den Bravsten, sein feiner, listiger Geist allen gleich stellte.

La Porte kehrte zurück.

»Nun, La Porte?«, fragte die Königin.

»Madame«, antwortete er, »die Prophezeiung von Monsieur d’Artagnan ist in Erfüllung gegangen. Sie haben sich wie durch einen Zauber beruhigt. Man öffnete ihnen die Pforten und in fünf Minuten werden sie hier sein.«

»La Porte«, sagte die Königin, »wenn wir ihnen einen von Euren Söhnen an die Stelle des Königs legen würden? Wir könnten während dieser Zeit abreisen.«

»Wenn es Eure Majestät befiehlt«, versetzte La Porte, »so sind meine Söhne wie ich zu den Diensten der Königin.«

»Nein«, sprach d’Artagnan, »denn würde einer Seine Majestät kennen und den Betrug wahrnehmen, so wäre alles verloren.«

»Ihr habt recht, Monsieur, immer recht«, sprach Anna von Österreich, »bringt den König zu Bett.«

La Porte legte den König ganz angekleidet, wie er war, in sein Bett; dann bedeckte er ihn bis an die Schultern mit dem Leinentuch.

Die Königin beugte sich über ihn herab und küsste ihn auf die Stirn.

»Stellt Euch, als ob Ihr schliefet«, sprach sie.

»Ja, aber es soll mich keiner von diesen Menschen berühren.«

»Sire, ich bin da«, versetzte d’Artagnan, »und ich stehe Euch dafür, dass der Erste, der diese Keckheit hätte, es mit dem Leben bezahlen müsste.«

»Was soll nun geschehen?«, fragte die Königin, »denn ich höre sie.«

»Monsieur La Porte geht ihnen entgegen und empfiehlt ihnen abermals Stillschweigen. Madame wartet dort an der Tür. Ich stehe zu den Häupten des Königs, bereit, für ihn zu sterben.«

La Porte ging ab, die Königin stellte sich an die Tür, d’Artagnan schlüpfte hinter den Bettvorhang.

Man hörte sodann den dumpfen Tritt einer großen Menge von Menschen. Die Königin hob selbst den Türvorhang auf und legte einen Finger auf ihren Mund.

Als diese Menschen die Königin sahen, blieben sie in ehrfurchtsvoller Haltung still stehen.

»Tretet ein, Messieurs, tretet ein«, sagte die Königin.

Es trat nun unter all diesem Volk ein Augenblick des Zögerns ein, der einer Art von Scham glich. Es war auf Widerstand gefasst; es glaubte, die Gitter sprengen und die Wachen niederwerfen zu müssen; diese Gitter hatten sich ganz allein geöffnet und der König halte an seinem Bett, wenigstens scheinbar, keine andere Wache als seine Mutter.

Die Leute, welche an der Spitze standen, stammelten und versuchten es, zurückzuweichen.

»Tretet ein, Messieurs, da es die Königin gestattet«, sagte La Porte.

Da wagte es einer, der wohl kühner war, als die anderen, die Schwelle zu überschreiten und ging auf Fußspitzen vor. Alle anderen ahmten ihn nach, und das Zimmer füllte sich still, als ob alle diese Menschen die demütigsten, ergebensten Höflinge gewesen wären. Außerhalb der Tür erblickte man die Köpfe von denjenigen, welche, da sie nicht mehr eintreten konnten, sich auf den Fußspitzen erhoben.

D’Artagnan sah alles durch eine Öffnung, die er im Vorhang gemacht hatte. In dem Menschen, welcher zuerst eintrat, erkannte er Planchet.

»Monsieur«, sagte die Königin, welche begriff, dass er der Anführer der ganzen Bande war, »Ihr habt den König zu sehen gewünscht, und ich wollte ihn Euch selbst zeigen. Nähert Euch, schaut ihn an und sagt mir, ob wir aussehen wie Menschen, welche entfliehen wollen?«

»Nein, gewiss nicht«, antwortete Planchet, etwas erstaunt über die unerwartete Ehre, die ihm zuteilwurde.

»Ihr werdet also meinen guten und getreuen Parisern sagen«, versetzte Anna mit einem Lächeln, in dessen Ausdruck d’Artagnan sich nicht täuschte, »Ihr habt den König schlafend in seinem Bett gesehen und die Königin bereit, sich ebenfalls niederzulegen.«

»Ich werde es sagen, Madame, und meine Begleiter werden dasselbe tun. Aber …«

»Aber was?«, fragte Anna von Österreich.

»Eure Majestät verzeihe mir, doch ist es auch wirklich der König, der in diesem Bett liegt?«

Anna von Österreich bebte und erwiderte: »Ist einer unter Euch, der den König kennt, so nähere er sich und sage, ob dies wirklich Seine Majestät ist.«

Ein Mann, in einen Mantel gehüllt, mit dem er sich das Gesicht verbarg, trat näher, beugte sich über das Bett und schaute.

Einen Augenblick glaubte d’Artagnan, dieser Mann hätte eine schlimme Absicht, und legte die Hand an seinen Degen. Aber bei der Bewegung, die der Mann in dem Mantel sich bückend machte, gewahrte er einen Teil seines Gesichtes und d’Artagnan erkannte den Koadjutor.

»Es ist allerdings der König«, sprach dieser Mann, sich erhebend, »Gott segne Seine Majestät!«

»Ja«, sagte mit halber Stimme der Führer, »Gott segne Seine Majestät!«

Und alle diese Menschen, welche wütend herbei gekommen waren, segneten, vom Zorn zum Mitleid übergehend, ebenfalls das königliche Kind.

»Nun lasst uns der Königin danken, meine Freunde, und abgehen«, sprach Planchet.

Alle verbeugten sich und zogen allmählich und geräuschlos, wie sie kamen, wieder ab. Planchet, der zuerst eingetreten war, ging zuletzt weg.

Die Königin hielt ihn zurück und sagte zu ihm: »Wie heißt Ihr, mein Freund?«

Planchet wandte sich, sehr erstaunt über diese Frage, rasch um.

»Ja«, sprach die Königin, »ich halte mich für ebenso geehrt, Euch empfangen zu haben, als ob Ihr ein Prinz wäret, und wünsche Eueren Namen zu wissen.«

Ja, dachte Planchet, um mich zu behandeln, wie einen Prinzen, ich danke!

D’Artagnan hatte bange, Planchet würde, verlockt, wie der Rabe in der Fabel, seinen Namen sagen, und die Königin könnte, diesen Namen erfahrend, wissen, dass Planchet ihm gehört hätte.

»Madame«, antwortete Planchet ehrerbietig, »ich heiße Dulaurier, Euch zu dienen.«

»Ich danke, Monsieur Dulaurier«, versetzte die Königin, »und was treibt Ihr?«

Madame, ich bin Tuchhändler in der Rue des Bourdonnais.«

»Mehr wollte ich nicht wissen«, sagte die Königin. »Sehr verbunden, Monsieur Dulaurier, Ihr werdet von mir sprechen hören.«

»Schön, schön«, erwiderte d’Artagnan, hinter dem Vorhang hervortretend, »Meister Planchet ist offenbar kein Dummkopf, und man sieht, dass er in guter Schule erzogen worden ist.«

Die verschiedenen Darsteller dieser seltsamen Scene verharrten einen Augenblick einander gegenüber, ohne ein einziges Wort zu sprechen: die Königin bei der Tür flehend, d’Artagnan halb aus seinem Versteck hervorgetreten, der König halb auf dem Ellenbogen erhoben und bereit, bei dem geringsten Geräusch, das die Rückkehr der Menge anzeigen würde, wieder in das Bett zurückzufallen. Statt aber näher zu kommen, entfernte sich das Geräusch immer mehr und erlosch am Ende gänzlich.

Die Königin atmete auf, d’Artagnan wischte sich seine feuchte Stirn ab. Der König glitt von seinem Bett herab und sagte: »Gehen wir nun.«

In diesem Augenblick erschien La Porte wieder.

»Nun«, sagte die Königin.

»Madame«, antwortete der Kammerdiener, »ich bin ihnen bis an die Gitter gefolgt. Sie teilten all ihren Kameraden mit, sie hätten den König gesehen und die Königin hätte mit ihnen gesprochen, sodass sie sich ganz stolz und triumphierend entfernten.«

»Oh, die Elenden!«, murmelte die Königin, »sie sollen ihre Kühnheit teuer bezahlen!«

Dann sich gegen d’Artagnan umwendend: »Monsieur, Ihr habt mir diesen Abend die besten Ratschläge gegeben, die mir in meinem ganzen Leben erteilt worden sind. Fahrt fort. Was haben wir nunmehr zu tun?«

»Monsieur La Porte«, sprach d’Artagnan, »kleidet Seine Majestät vollends an.«

»Wir können also abreisen?«, fragte die Königin.

»Wann Eure Majestät will. Sie mag nur die geheime Treppe hinabsteigen und wird mich an der Tür finden.«

»Geht, Monsieur«, sprach die Königin, »ich folge Euch.«

D’Artagnan ging hinab, der Wagen war an seinem Posten, der Musketier saß auf dem Bock.

D’Artagnan nahm das Päckchen, das er Bernouin zu dem Musketier zu legen befohlen hatte. Es enthielt, wie man sich erinnern wird, den Hut und den Mantel des Kutschers von Monsieur von Gondy. Er nahm den Mantel um seine Schultern und setzte den Hut auf den Kopf.

»Monsieur«, sprach d’Artagnan, »Ihr gebt Eurem Gefährten, der den Kutscher bewacht, wieder die Freiheit. Ihr steigt sodann zu Pferde, reitet zur Rue Tiquetonne zum Gasthaus Zur Rehziege, nehmt dort mein Pferd und das von Monsieur du Vallon, sattelt und zäumt sie kriegsmäßig, verlasst dann Paris, dieselben an der Hand führend, und begebt Euch nach dem Cours-la-Reine. Findet Ihr in Cours-la-Reine niemand mehr, so reitet Ihr bis Saint-Germain. Dienst des Königs.«

Der Musketier legte die Hand an seinen Hut und entfernte sich, um die Befehle zu erfüllen, die er erhalten hatte.

D’Artagnan stieg auf den Bock.

Er hatte ein Paar Pistolen in seinem Gürtel, eine Muskete unter seinen Füßen, seinen bloßen Degen hinter sich.

Die Königin erschien. Ihr folgten der König und der Herzog von Anjou, sein Bruder.

»Der Wagen des Monsieur Koadjutors!«, rief sie, einen Schritt zurückweichend.

»Ja, Madame«, sprach d’Artagnan, »aber steigt mutig ein, ich führe ihn.«

Die Königin stieß einen Schrei des Erstaunens aus und stieg in den Wagen. Der König und Monsieur stiegen hinter ihr ein und setzten sich an ihre Seite.

»Kommt, La Porte«, sagte die Königin.

»Wie, Madame?«, rief der Kammerdiener, »in denselben Wagen mit Eurer Majestät?«

»Es handelt sich diesen Abend nicht um die königliche Etikette, sondern um das Heil des Königs. Steigt ein, La Porte.«

La Porte gehorchte.

»Schließt die Schirmleder«, sagte d’Artagnan.

»Wird das nicht Misstrauen einflößen?«, versetzte die Königin.

»Eure Majestät mag unbesorgt sein«, erwiderte d’Artagnan, »ich bin auf eine Antwort gefasst.«

Man schloss die Leder und entfernte sich im Galopp durch die Rue de Richelieu. Als man an das Tor gelangte, rückte der Anführer des Posten an der Spitze von etwa zwölf Mann, eine Laterne in der Hand haltend, vor.

D’Artagnan bedeutete ihm durch ein Zeichen, er möge sich nähern.

»Erkennt Ihr den Wagen?«, sagte er zu dem Sergenten.

»Nein«, antwortete dieser.

»Schaut das Wappen an.«

Der Sergent hielt seine Laterne an den Schlag.

»Es ist das Wappen des Monsieur Koadjutors«, antwortete er.

»Still, er steht in Gunst bei Frau von Guémenée.«

Der Sergent lachte.

»Öffnet das Tor«, sagte er, »ich weiß, wer es ist.«

Dann näherte er sich dem herabgelassenen Schirmleder und sprach: »Viel Vergnügen, Monseigneur.«

»Vorlauter!,« rief d’Artagnan, »Ihr macht, dass man mich fortjagt.«

Die Barriere ächzte aus ihren Angeln und d’Artagnan peitschte, als er den Weg offen sah, kräftig seine Pferde, die in starkem Trab sich von der Stadt entfernten.

Fünf Minuten danach hatte man den Wagen des Kardinals eingeholt.

»Mousqueton!«, rief d’Artagnan, »hebt die Schirmleder von dem Wagen Seiner Majestät auf.«

»Er ist es!«, sagte Porthos.

»Als Kutscher!«, rief Mazarin.

»Und mit dem Wagen des Koadjutors!,« sagte die Königin.

»Corpo di Dio! Monsieur d’Artagnan«, sprach Mazarin, »Ihr seid nicht mit Gold zu bezahlen!«