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Vergessene Helden 3

Kennen Sie Knatterton?

Er stammt von einem uralten Adelsgeschlecht bei Kyritz an der Knatter ab. Sein Vater war Kasimir Kuno Freiherr von Knatter, ein vermögender Baron, und seine Mutter eine Gräfin, die von früh bis spät Kriminalromane las. Er selbst, sein richtiger Name war Nikolaus Kuno Freiherr von Knatter, war nicht nur hochintelligent, sondern stöberte, seit er lesen konnte, in den Kriminalromanen seiner Mutter.

Eine Angewohnheit, die in ihm den Wunsch reifen ließ, Detektiv zu werden, wenn er einmal groß war. Seine Eltern waren nur einverstanden, wenn er nicht den Namen Freiherr von Knatter verwendete, und so wurde aus Nikolaus Kuno Freiherr von Knatter der Meisterdetektiv Nick Knatterton.

Als Manfred Schmidt in der Nachkriegszeit die Detektivserie Nick Knatterton erdachte, ahnte noch niemand, dass aus diesem Protagonisten einmal der berühmteste Detektiv Deutschlands werden sollte.

Aber der Reihe nach.

Schmidt, der am 15. April 1913 in Bad Harzburg geboren wurde und in Bremen aufwuchs, machte bereits als Jugendlicher auf sein zeichnerisches Talent aufmerksam. Er arbeitete lange Jahre als Zeichner und Reisejournalist, bis er Anfang der 50er Jahre Nick Knatterton kreierte. Der Anlass waren die amerikanischen, von Patriotismus und Heile Welt triefenden Heldencomics, die in diesen Jahren den deutschen Zeitschriftenmarkt überschwemmten. Nachdem sich Schmidt durch etliche dieser Werke hindurchgearbeitet hatte, kam er zu der Überzeugung, dass diese Art von Comics die wohl dümmste Literaturform war, die es gab.

»Lauter bunte Bildchen mit Superhelden und Superbösewichten mit Sprechblasen an den Ohren, in denen zu lesen war, was sie hörten, mit solchen am Kopf, wo man erfuhr, was sie dachten, und solchen, die mit Begriffen wie Knall, Bumm, Peng, Aarrgh und ähnlichem Schwachsinn gefüllt wurden.«

Schmidt kreierte eine Parodie darauf, um den Menschen einen Spiegel vorzuhalten, was für einen Schund sie da tagtäglich konsumierten. Angeregt durch Superman, Dick Tracy und Nat Pinkerton erschuf er einen Helden mit der Kombinationsgabe von Einstein, den stahlharten Muskeln eines Tarzans und einem weichen Herz, wenn es die Situation erlaubte. Heraus kam dabei eine Art Mischung aus Sherlock Holmes und James Bond, ein Unikat mit Hakennase, spitzem Kinn, Schirmmütze, Pfeife und einem gegen alle Gesetze der Zeichenkunst grünschwarzkariertem Knickerbockeranzug.

Dazu stattete Schmidt seinen Helden noch mit enormer Körperkraft, zehn legendären Arten des Kinnhakens, präzisem Seh-, Hör- und Riechvermögen und überlegenen, geistigen Fähigkeiten sowie einem Faible für Wortspielereien aus. So sagte er zum Beispiel: »Kombiniere, ich habe eine Rolle in dem Film«, nachdem man ihn überwältigt und in einen Teppich eingerollt hatte. Kombiniere war sein Lieblingsbegriff, den er in jedem seiner Fälle mehrfach benutzte und der sogar als geflügeltes Wort in den deutschen Sprachgebrauch einging.

Seine Gegenspieler waren kurvenreiche Fabrikantengattinnen, gerissene Unterweltschönheiten, prüde Kunstsammler und geldgierige Ganoven. Die Ausrüstung, die Schmidt seinem Protagonisten mit auf den Weg gab, war genauso haarsträubend wie die Handlung seiner Abenteuer.

Knatterton verfügte unter anderem über ausklappbare Räder an den Schuhen, einen Fallschirm im Hosenboden und einen kugelsicheren Hinterkopf.

Dazu stellte Schmidt seinem Detektiv noch mehrere, immer wieder erscheinende Protagonisten zur Seite, die wir dem Leser dieser Kolumne natürlich nicht vorenthalten wollen.

 

*

 

Juwelen-Jupp war der Hauptfeind Knattertons. Ein berüchtigter Juwelendieb mit einem Zwillingsbruder namens Miezen-Max und Chef der Unterwelt. Er hat einen Leberfleck auf der linken Hand. Seine Freundin ist Virginia Peng, geborene Schulze.

Miezen-Max, der Zwillingsbruder von Juwelen-Jupp, gleicht diesem aufs Haar, bis eben auf dessen Leberfleck. Da die Brüder auch stets gleich gekleidet sind, werden sie immer wieder für ein und dieselbe Person gehalten, wodurch der eine dem anderen jederzeit ein Alibi liefern kann.

Virginia Peng ist die Wirtin der Alibi-Bar und eine Gangsterbraut. Sie hat braunes, lockiges Haar und eine kräftige Figur. Außerdem hat sie eine Schwäche für Knatterton.

Schläger-Schorsch, Hinke-Hugo, Tresor-Theo sind ebenso wie Stiftzahn-Heini und Max Wachs Komplizen von Juwelen-Jupp und seiner Braut Virginia Peng.

Molly Moll ist ein Fotomodell, die wiederholt in den Geschichten auftaucht und meist nur halb bekleidet dargestellt wird. Ihr wichtigstes Merkmal ist wohl ihre Naivität. Molly Moll hat blonde Haare, die sie sich später braun färben lässt, worauf sie sich dann Dolly Dur nennt.

Und dann gibt es da noch Konrad Knicker, ein Millionär, der so geizig ist, dass er sich keinen Wachhund kauft, sondern stattdessen ein Tonband mit Hundegebell benutzt.

Sie alle zusammen bildeten gemeinsam mit Nick Knatterton das Gerüst von Manfred Schmidts Persiflage, mit der er nicht nur die amerikanischen Heldencomics, sondern auch das damalige deutsche Wirtschaftswunder, das Finanzamt und den damaligen Bundeskanzler Adenauer samt seinem Gefolge im wahrsten Sinne des Wortes durch den Kakao zog.

Die Comics um Nick Knatterton erschienen zunächst wöchentlich mit jeweils zwei Bildstreifen in der damals populären Zeitschrift Quick. Aber Schmidts Plan schlug fehl, die Leserschaft nahm seine Serie als das an, was er verhindern wollte. Sein Werk wurde nicht als Parodie, sondern als innovatives, freches Superheldencomic verstanden, das zu unterhalten wusste, ohne dass man großartig nachdenken musste.

Der Erfolg, der sich schon bald danach einstellte, war riesig.

 

*

 

Von 1950 bis 1964 zeichnete Manfred Schmidt über 500 Folgen von Nick Knatterton. Die Abenteuer des ungewöhnlichen Detektivs verkauften sich nicht nur in Deutschland wie geschnitten Brot. Auch in der Türkei, wo die barocken Formen der Protagonistinnen sogar noch verstärkt wurden, während man sie in den Niederlanden, etwas vorsichtig ausgedrückt, glättete.

Nick Knatterton wurde nicht nur als Comicfigur, sondern auch als Merchandising-Artikel ein voller Erfolg. Egal ob in Form einer Puppe, als Spiel, Waschlappen oder auch als spezieller Knatterton-Schnaps. Der Bund deutscher Kriminalbeamter erschuf zu diesem Zweck sogar eine Nick-Knatterton-Ehrenmütze und ja, Knatterton wurde sogar zum Politikum.

1955 machte sich in Bayern die Münchner Straßenbahn AG die Bekanntheit von Nick Knatterton zunutze und warb auf ihren Tickets für die städtischen Freibäder mit Nick Knatterton und üppig gezeichneten Badenixen a la Virginia Peng und Molly Moll. Sofort wetterte die CSU-Stadträtin Centa Hafenbrädl gegen Unzucht auf Kinderfahrscheinen. Der Fall ging damals sogar vor das Bundesverfassungsgericht, das allerdings aufseiten von Nick Knatterton stand und ihn vom Vorwurf der Schlüpfrigkeit und von Schund freisprach.

Der Siegeszug von Knatterton war nun nicht mehr aufzuhalten.

Zu den bis 1964 gezeichneten Folgen in der Quick kam 1959 noch eine Knatterton-Realverfilmung mit dem Titel Nick Knattertons Abenteuer – Der Fall Gloria Nylon hinzu, in dem die Creme de la Creme der damaligen deutschen Schauspielergilde mitwirkte. Stars wie Gerd Fröbe, Karl Lieffen, Günter Pfitzmann und der Kabarettist Wolfgang Neuss gaben sich hier unter der Regie von Hans Quest ein Stelldichein, der nicht nur die legendäre Peter-Alexander-Komödie Charlys Tante und den Rühmann-Film Wenn der Vater mit dem Sohne inszeniert hatte, sondern in späteren Jahren auch mehrere Folgen von Sonderdezernat K 1.

Nach diesem Kinofilm folgte 1978 bis 1980 eine von der ARD ausgestrahlte Zeichentrickserie, die mit der 15. Folge mit dem Titel Flinten Flirts und Filmemacher ein Ende fand. Im März 2007 veröffentlichte Der Audio Verlag (DAV) zwei Hörspiele auf CD, als da wären Der Schuss in den künstlichen Hinterkopf sowie Der indische Diamantenkoffer, denen im Februar 2008 zwei weitere mit den Titeln Die Erbschaft in der Krawatte und Die Million im Eimer folgten.

Danach flaute das Interesse jedoch langsam ab.

2013 gab es zwar noch in Hannover im Wilhelm Busch Museum und 2014 im Karikaturmuseum in Krems eine Ausstellung über Nick Knatterton, aber seither herrscht Stille.

Manfred Schmidt, der Mann, der Knatterton erschuf, ist heute so gut wie unbekannt, Knatterton ebenfalls, jedenfalls bei dem Teil der Bevölkerung, der in diesem Jahrhundert das Licht der Welt erblickte.

Eigentlich schade.

Quellenhinweis:

In der nächsten Kolumne über vergessene Helden stellen wir euch einen der berühmtesten Hunde der Film-, Fernseh- und Comicgeschichte vor. Und nein, es ist weder Lassie noch Idefix, nicht Scooby Doo und auch nicht der Schäferhund Kommissar Rex. Obwohl, gewisse Ähnlichkeiten mit Letztgenanntem sind nicht zu leugnen. Mehr wird jetzt aber nicht verraten. Wer neugierig geworden ist, sollte demnächst einfach wieder beim Geisterspiegel reinlesen.

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