Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Carrier, der Erzteufel – Teil 4

Carrier, der Erzteufel, in eine Menschenhaut eingenäht, der in wenigen Monaten in der französischen Stadt Nantes mehr als fünfzehntausend Menschen von jedem Alter und Geschlecht erwürgen, ersäufen, erschießen, martern und guillotinieren ließ, ein blutdürstiges Ungeheuer und höllischer Mordbrenner
Zur Warnung vor blutigen Revolutionen
Von Dr. F. W. Pikant (Friedrich Wilhelm Bruckbräu)
Verlag der J. Lutzenbergerschen Buchhandlung, Altötting, 1860

Die Weinkneipe Zum ewigen Rausch

Zwei Treppen unterhalb der Erde in der beliebten Weinkneipe Zum ewigen Rausch lag eine geräumige Felsenkammer, wo hinab eine verborgene Falltür mit einem Flaschenzug führte, und so auch wieder zurück. Nie drang ein Strahl der Sonne oder des Mondes in diese unheimliche Tiefe. Rings umher liefen hölzerne Bänke, mit ordinärem, aber sehr haltbarem Leder überzogen. In der Mitte stand ein großer langer Tisch mit einer steinernen Platte, umgeben von Stühlen. 4 kleinere Tische zu 4 bis 8 Gedecken konnte auf überzogenen Rädern für kleinere Gruppen in irgendeinem beliebigen Winkel geschoben werden. Quer von einer Wand zu der anderen hinüber hing eine Öllampe, die man zum Füllen, Anzünden und Auslöschen an einer Schnur herablassen und wieder hinaufziehen konnte.

Hier saßen drei Männer bei vollen Flaschen Wein, Austern, marinierten Aalen, geräucherten Fischen und Käse und ließen es sich wohl sein. Es waren drei zur Guillotine Verurteilte, Entwischte und hier Verborgene, wo kein Maulwurf sie hätte finden können. Ihre Familien hatten nur den Trost, dass sie fern von Nantes in voller Sicherheit lebten, empfingen sogar, zum Beweis dessen, Briefe von ihnen, eigenhändig, ohne Adresse, ohne Unterschrift, um vor Nachforschungen sicher zu sein.

»Es kommt mir jetzt schon bald recht langweilig in dieser Spelunke vor«, sagte Richard, »in welcher wir gleichsam begraben liegen.«

»Hast du etwa Lust, oben im Sonnenlicht an den reizenden Ufern der Loire spazieren zu gehen?«, fragte ihn lachend Duprier.

»Morgen kommt Carrier nach Nantes, wie uns heute unser Wirt zum Frühstück erzählt hat«, äußerte Brochard, »den könnten wir einziehen sehen, wenn wir Lust hätten, unseren letzten Spaziergang zu machen.«

»Jawohl, gewiss der letzte«, erwiderte Duprier, »die Republikaner sollen sogar von der Absicht Carriers sprechen, alle Lebenden in Nantes umbringen und die Stadt dem Boden gleichmachen zu lassen. Die gänzliche Niederlage der Bendeer bei Savenay wird die übergroße Zahl der Gefangenen, die bereits alle Gefängnisse anfüllen, noch vermehren. Seit einigen Tagen werden sie Tag und Nacht in großen Transporten in die Stadt geschleppt, mit gebundenen Händen, aber anstatt wie Kälber auf Wagen zu legen, müssen sie zu Fuß gehen, gleichviel ob gesund oder schwer verwundet. Glücklich diejenigen, welche unter Weges an ihren Wunden sterben, da sie dadurch einem viel grausameren Tod entgehen! Denkt an meine Worte, Freunde, Carrier wird einen Strom von Blut vergießen, der mit der Loire wetteifern kann!«

»Hat denn niemand den Mut, dieses Scheusal umzubringen?«, fragte Brochard.

»Es würde nichts helfen und der Ermordete bald durch tausend andere Bluttiger ersetzt werden, der edle Vollstrecker einer vermeintlich rettenden Tat aber auf eine furchtbare, qualvolle Art den Tod erleiden müssen. Was half es, dass die schöne und mutige Charlotte Gorday den blutgierigen Teufel Marat im Bad erstach? Nichts! Ihr Kopf fiel unter der Guillotine und die Mörderwirtschaft ging fort, wie zuvor, nur noch hundertmal ärger«, sagte Richard. »Ich bin fest überzeugt, dass die ganze Hölle nun leer ist und alle Teufel in derselben in die Leiber dieser Bestien gefahren sind. Ich weiß dies alles sehr genau, da ich seit dem Anfang der blutigen Revolution bis vor l4 Tagen in Paris gewesen bin und alles mit angesehen und selbst erlebt habe. Um keinen Verdacht auf mich zu laden, trieb ich mich als Tagelöhner in lumpiger Kleidung herum, denn nur die Hefe des Volkes bleibt frei von den Verfolgungen der Tyrannen. Ich könnte euch Dinge erzählen, dass euch die Haare zu Berge stehen, meine Freunde, vorzüglich aber auch von Carrier, dem verfluchtesten Teufel, der im Nationalkonvent, dieser Hölle auf Erden, sitzt, wenn er nicht irgendwohin gesendet wird, um Menschenvernichtung in Masse zu vollziehen.«

»Erzähle, Freund Richard, erzähle!«, versetze Brochard. »Ich bin mit dem Entstehen und Fortgang der französischen Revolution nur wenig bekannt.«

»Ja, erzähle«, fügte Duprier bei, »damit wir nicht vor Langeweile einschrumpfen!«