Oberhessisches Sagenbuch Teil 125
Oberhessisches Sagenbuch
Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald
Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873
Der Helg in Burkhards
Die stumpfe Kirche unter Burkhards war endlich baufällig geworden. Man beschloss, auf den heutigen Kirchhof, der dem Ort näher liegt, die neue zu errichten, dazu aber das Material der alten zu benutzen. So brach man denn auch ein kleines uraltes und hochverehrtes Heiligenbild aus der dortigen Mauer und versetzte es an die neue Kirche. In jeder Nacht aber wurde das Bild von unsichtbaren Händen weggetan und man sah es wieder morgens am gewohnten alten Platz. Man mochte es dort noch so oft wegholen, immer war es morgens wieder daselbst, sodass man wohl einsah, dem Heiligen gefiele der frühere Wohnort besser als der ihm nun zugedachte.
Um ihn jedoch der neuen Kirche mit seinem Segen zu erhalten und an dieselbe zu fesseln, gelobten die Einwohner von Burkhards aus freiem Willen einen jährlichen Zehnten an Hafer zu geben zu Gottes Ehr und des Pfaffen Genies. Darauf verblieb ihrer Kirche das Heiligenbild und kehrte nicht mehr zurück. Noch heute wird dieser Helghafer geliefert. Der Helg dagegen befindet sich, nachdem auch jene Kirche verschwunden, vergessen und von Tünche überschmiert worden war, an einer Wand des jetzigen Gotteshauses, das mitten im Dorf steht.