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Deutsche Märchen und Sagen 146

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

189. Kurfürst Gebhards Bildnis zu Lechenich

Der Kurfürst und Erzbischof von Köln, Herr Gebhard Truchsess von Waldburg, hatte seinen Glauben abgeschworen und war der neuen Lehre zugetreten. Danach heiratete er, das Maß seiner Sünden ganz voll zu machen, gar die schöne Agnes von Mansfeld. Zur Strafe für solch erschreckliche Gräuel und Missetaten wird sein Bildnis im Rittersaal der Burg Lechenich bei Köln stets schwarz, wie oft man es auch hat weiß machen wollen.

190. Das verlorene Kind

In der Kapelle des Schlosses Veldense findet sich ein altes Bild der Mutter Gottes, die das Jesuskind im Arme hält. Es ist nicht schön von Gestalt, doch mit großer Wunderkraft begabt. Eine Frau aus dieser Burg, welche in dem Bistum Trier liegt, stand eines Tages in der Kapelle und das Bild beschauend sprach sie: »Was mag wohl der alte Rumpel hier zu stehen haben.«

Darüber war das Gnadenbild so entwürdigt, dass es zu einer anderen Frau sprach: »Die N. N. hat mich Rumpel geheißen; dafür wird sie in Elend kommen und darin bleiben, so lange sie lebt.«

Besonders berühmt aber wurde dies Bild durch die folgende Geschichte:

Eine Frau des Schlosses, namens Jutta, welche sehr fromm und gottesfürchtig war und eine große Andacht zu dem Bild trug, hatte ihr kleines Töchterchen einem Weib in einem nahen Dorf in die Kost gegeben. Eines Tages spielte das Kind, welches eben drei Jahre zählte, auf der Straße, als plötzlich ein Wolf herbeistürzte, es beim Hals griff, auf seinen Rücken warf und in den Wald mit ihm lief. Wohl folgten mehre Leute dem Tier, doch vergebens; sie mussten zurückkehren, ohne das Kind retten zu können. Einer von ihnen lief auf das Schloss und erzählte das Unglück der Frau, welche eben am Mahl saß.

»Frau«, rief er, »der Wolf hat Euer Kind gefressen.«

In größter Herzensangst sprang die Frau auf und rief: »Nein, das ist nicht wahr, der Wolf fraß mein Kind nicht.«

Ihr erster Gang war zur Kapelle. Da lief sie in der Bitterkeit ihres Herzens auf das Gnadenbild zu und entriss ihm das Jesuskind, indem sie sprach: »Du bekommst deinen Sohn nicht wieder, Maria, wenn du mir mein Töchterchen nicht wiederbringts.«

Und – wie mild ist nicht die Himmelsherrin – anstund gebot Maria dem Wolf, das Kind loszulassen und ihm kein Leides zu tun. Mehrere Leute hatten inzwischen die Spuren des Untiers verfolgt, um wenigstens die zerrissenen Gliederchen des Kindes aufzusammeln und zu begraben; doch siehe, da fanden sie das Kind unversehrt im Baumgarten herumgehen.

»Wo warst du denn, Kind, und woher kommst du?«, fragten sie.

Das Kind antwortete: »Mummart hat mich gebissen.«

Als sie es näher beschauten, sahen sie an seinem Hals noch die Zeichen der Zähne des Wolfes in der Haut. Erfreut trugen sie das Töchterchen der Mutter zurück, welche ganz außer sich war vor Glück, dankerfüllten Herzens in die Kapelle lief und, dem Gnadenbild das Jesuskind zurückgebend, rief: »Da, du hast mir mein Töchterchen wiedergeschenkt, nun nimm auch deinen Sohn zurück!«

Dies hatte Abt Hermann von Heisterbach mir häufig erzählt. Er sah das Kind mit eigenen Augen und hörte die Geschichte aus dem Munde der Mutter.