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Der Welt-Detektiv Band 6

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Aus dem Wigwam – Der Fluss der kriegerischen Frau (Warwoman Creek)

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Zwanzig Sagen
Mitgeteilt von Kah-ge-ga-gah-bowh

Der Fluss der kriegerischen Frau (Warwoman Creek)

or vielen Jahren, zur Zeit des Entstehens der ersten Ansiedelungen in jener Gegend, griff eine umherstreifende Schar Cherokee die an der Grenze ihres Gebiets stehende Hütte eines Ansiedlers an, der gerade vom Haus abwesend war. Die Wilden massakrierten all seine Kinder, schlugen die Frau zu Boden und ließen sie für tot geglaubt liegen. Noch aber war die Frau nicht tot.

Kaum waren die Fußtritte der sich entfernenden Indianer verhallt, als sich die mit ihrem eigenen sowie mit dem Blut ihrer Kinder bedeckte, entstellte Frau erhob und zur Tür ging. Vorsichtig blickte sie durch die Spalten und als sie sich überzeugte, dass ihre Feinde sich wirklich entfernt hatten, löschte sie das Feuer, mit dem die Indianer das neue Blockhaus in Brand zu stecken gedachten, das aber die grünen Baumstämme, aus denen dasselbe gezimmert war, noch nicht ergriffen hatte. Nun wischte sie sich das warme Blut aus den Augen, welches von ihrem Scheitel über das Gesicht herunterrann, und blickte auf die blutenden, verstümmelten Leiber ihrer Kinder, die kaum eine Stunde zuvor noch vor der Haustür gespielt und deren fröhliches Ge­lächter ihr mütterliches Herz mit Freude erfüllt hatte. Wie einsam und öde, wie verlassen und elend war auf einmal die eben erst gegründete Heimat für sie geworden! Welche Qualen des Leibes und der Seele durchzuckten die arme Frau! Der letzte Hoffnungsschimmer erlosch in ihrer Brust und an dessen Stelle trat furchtbarer, grimmiger Hass. Ihre Züge verzerrten sich, ein unheim­licher, entsetzlicher Ausdruck trat auf ihr Gesicht, ihre Augen erglühten in wilder Wut gegen die Mörder ihrer unschuldigen Kinder. Sie glich nun einer Tigerin, der man die Jungen geraubt hat. Ein verzweiflungsvoller Entschluss gab sich in ihren Zügen zu erkennten. Sie verließ das Blockhaus, dessen Tür sie vollständig verschloss, und verfolgte den Pfad, auf welchem die Indianer den Rückweg angetreten hatten. Sie achtete ihrer Wunden nicht, sie achtete nicht des erlittenen Blutverlustes, des brennenden Durstes, des quälenden Hungers und ihres erschöpften Zustandes – nur ein Verlangen beseelte sie, nur der Durst nach Rache trieb sie an, nur die Hoffnung, sich an ihren Verderbern zu rächen, erhielt sie aufrecht. Unablässig folgte sie den Spuren ihrer Feinde, bei einbrechender Nacht holte sie dieselben eilt. Die Indianer hatten sich an den Rand des Flusses gelagert, der nun den von ihr herstammenden Namen führt. Sie kroch auf Händen und Füßen aus dem Schatten des Waldes heraus. Geräuschlos näherte sie sich dem dann und wann aufflackernden Feuer. Bei dem Schein der Flammen konnte sie die am Boden liegenden In­dianer erkennen, welche, ermüdet von den Strapazen des Tages, in tiefen Schlummer gesunken waren. Jeder hatte seine einzige Waffe, den Tomahawk, im Gürtel. Lange lauschte die Frau, bis sie sich endlich überzeugt hatte, dass alle Indianer wirklich schlafend dalagen. Dann schlich sie leise von einem In­dianer zum anderen und zog behutsam das Schlachtbeil aus dem Gürtel eines jeden derselben. Ein Teil behielt sie in der Hand, die Übrigen ließ sie ge­räuschlos in den Fluss gleiten. Nun trat sie kalt und besonnen an die schlafenden Indianer heran. Sie schwang den Tomahawk, an dem noch das Blut ihrer Kinder klebte. Mit einem einzigen Schlag trieb sie das Beil in den Schädel eines der Indianer. Die Rothaut verendete, ohne einen Laut von sich zu geben. Leise schlich die nun so furchtbare Frau von einem Schläfer zum anderen und einer nach dem anderen fiel ihrer Rache zum Opfer. Der letzte noch lebende Indianer wurde durch das Todesröcheln eines seiner Gefährten aus dem Schlaf emporgeschreckt. Mit Entsetzen bemerkte er seine gefährliche Lage. Er sprang auf und griff nach seinem Tomahawk – aber dieser lag längst in der Tiefe des Flusses. Die Frau führte einen gewaltigen Hieb nach ihm, dem er jedoch zur rechten Zeit auswich. Aber die zur höchsten Mut entflammte Mutter griff den Mörder ihrer Kinder mit einem Grimm und einer Beharrlichkeit an, die den Indianer aus der Fassung brachte. Bisher hatte er mit einem Feuerbrand die Hiebe der zur Furie gewordenen Frau pariert, nun aber griffen beide mit den Händen an und rangen miteinander. Sie stürzten zu Boden, denn der Indianer war schwer verwundet worden. Die heldenmütige Frau war durch ihren Blutverlust und die übermenschlichen Anstrengungen erschöpft. Beide waren zu schwach, um den Kampf fortzusetzen. Der verwundete Indianer raffte all seine Kräfte zusammen und entfernte sich, auf Händen und Füßen kriechend, von dem Kampfplatz. Bis zum Mittag des folgenden Tages blieb die Frau in ihrem hilflosen Zustand liegen, wo sie dann von einer herumstreifenden Schar weißer Leute entdeckt wurde. Mit Entsetzen erblickten dieselben die sterbende Frau und das furchtbare Werk, welches diese in der vergangenen Nacht vollbracht hatte. Nachdem die Un­glückliche mit gebrochener Stimme ihre Geschichte erzählt hatte, gab sie ihren Geist auf. Die Ansiedler suchten, nachdem sie die Frau an Ort und Stelle begraben hatten, den entflohenen Indianer einzuholen — jedoch vergebens. Die Rothaut erreichte seinen Stamm und nach seiner Erzählung benannten die Cherokee den Fluss, an dessen Ufern sich die schreckliche Begebenheit ereignete, den Fluss der kriegerischen Frau.