Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Adventskalender 2021 – 21. Türchen

Der falsche Weihnachtsmann
Eine heitere Weihnachtsgeschichte von Fritz Ginzel
Aus: Coburger Zeitung vom 25.12.1908

Zu keiner Zeit des Jahres denke ich so viel an mein Heimatstädtchen wie zur Weihnachtszeit. Welch ein Unterschied zwischen ihm und der lichterdurchfluteten Großstadt! Beinahe aufdringlich laden hier die reich geschmückten Schaufenster die Menschen zum Kauf ein. Überall weisen Schilder auf besondere Geschenke für die Kinderwelt hin. Auch mein Heimatstädtchen stattet die Auslagen zu dieser Freudenzeit reicher aus. Mancher Kaufmann leistet sich einmal den Luxus, seinen Laden mit Reserve-Petroleumlampen zu versehen, aber jede Aufdringlichkeit liegt ihm fern. Instinktiv fühlt er, dass eine obige Aufschrift Geschenke für die Kinder der klugen Jugend die Poesie des Weihnachtsfestes zerstören könnte. Buchstabiert sich nicht solch ein kleiner Abc-Schütze sonst alles Geschriebene auf der Straße zusammen? Wie umso mehr zur Weihnachtszeit, wo seine Fantasie durch all die ausgestellten Herrlichkeiten noch stärker gereizt wird. »Der Weihnachtsmann wird von allein wissen, welche Geschenke für ihn passen und wo er sie zu kaufen hat«, so sagt sich mit Recht der kleine Kleinstädter. Auch die Eltern sind dort vorsichtiger. Nur flüsternd wird auf der Straße wie im Haus von den Geschenken, mit welchen man seine Lieblinge bedenken will, gesprochen. Erst wenn die Kleinen schlafen, geht es an die Einkäufe. Man trabt durch die schneebedeckten Gassen – in meinem Städtchen schneit es nämlich wirklich noch zur Weihnachtszeit – und feilscht auch dann nur halblaut bei den Kaufleuten, als könnten einen die träumenden Kinder zu Hause hören. Wie lange glauben aber auch dafür die Kinder in einem solch kleinen Nest an den Weihnachtsmann.

Wir waren zwei Jungens und ein Mädchen. Von meinen jüngeren Geschwistern gar nicht zu reden, war auch für mich Zwölfjährigen das Bestehen des Weihnachtsmannes eine unumstößliche Tatsache. Vielleicht wäre auch ich, der ich doch ein heller Junge war, früher aufgeklärt gewesen, wenn nicht ein Weihnachtstrick meiner Eltern, nach Muster der besseren Familien unseres Städtchens, dies verhindert hätte.

Eine Stunde von uns, oben in den Bergen, wohnte ein alter Holzsammler, der eine überraschend ähnliche Physiognomie des Weihnachtsmannes besaß. Zur Weihnachtszeit bekam nun der Alte jedes Mal eine einträgliche Nebenbeschäftigung. Dutzende von Eltern pilgerten zu ihm hinaus, um ihm die Weihnachtsgeschenke für ihre Kleinen zu übergeben, die er dann am Christabend, geschickt als Weihnachtsmann ausstaffiert, in die Häuser bringen musste. Der arme Holzsammler bekam für diese Gänge reichliche Geldgeschenke, die zusammen wohl eine größere Summe ausmachten, als sein ganzer Holzhandel einbrachte. Auch meine Eltern bedienten sich dieses, allerdings nicht allzu klugen Alten. Aber da ein Weihnachtsmann nicht viel zu sprechen braucht, so ging die Sache noch immer glimpflich ab. Der alte Kampel erschien, stellte seinen Sack mit Geschenken nieder, sagte »für die artigen Kleinen« und verschwand – in die Küche, wo er seinen Obolus entgegennahm. Jahrelang ging alles gut. Wir Kinder hielten tatsächlich Herrn Kampel für den Weihnachtsmann. Die Täuschung war umso leichter, als wir den Alten das ganze Jahr über nicht zu Gesicht bekamen, denn den Vertrieb des Holzes in der Stadt besorgte seine Frau.

Es war an einem der frostreichsten Christabend und wir Kinder erwarteten mit großer Spannung das Erscheinen des Weihnachtsmannes. Stundenlang vorher wurden mein Vater und meine Mutter mit den üblichen kindlichen Fragen bestürmt. Wie alt er sei? Ob er eine schöne Wohnung hätte? Und schließlich fragte ich, als der im Ideengang am weitesten Vorgeschrittene, ob der Weihnachtsmann verheiratet sei? Mein Vater wusste darauf nicht gleich eine Antwort und als sie dann erfolgte, lautete sie verneinend. Zur Zeit der Dämmerung klopfte es und Herr Kampel erschien auf das »Herein, lieber Weihnachtsmann« im Zimmer. Der Sack mit den Geschenken polterte auf die Erde, die auswendig gelernten Worte »für die artigen Kleinen« erklangen und der Alte verschwand. Wir Kinder stürzten uns auf den Sack, um ihn seiner Schätze zu berauben, aber o Schreck – was enthielt er? Statt der gewünschten Eisenbahn, Trommel und Puppe fielen zwei Zöpfe, Hausschuhe und dergleichen heraus. Wir Kinder waren sprachlos! Nur meinem Vater war die Situation sofort klar – der Weihnachtsmann hatte die Säcke vertauscht und unser Sack gehörte wahrscheinlich den beiden älteren Damen über uns, die sich auch immer den Scherz mit dem Weihnachtsmann leisteten. Mein Vater stürzte fort, um den alten Kampel noch zu erreichen. Wir aufgeregten Kinder ihm nach, aber an der Tür prallten wir alle mit Frau Kampel zusammen. Frau Kampel, die von ihrem Mann immer zur Beihilfe des Tragens mitgenommen wurde, blieb bei den Weihnachtsgängen des Alten gewöhnlich vor dem Haus stehen. Doch kaum als Meister Kampel bei uns eingetreten war, hatte seine Frau seinen Irrtum bemerkt und war dadurch, kopflos geworden, heraufgeeilt. Puterrot übergab sie meinem Vater den richtigen Sack. Meine Geschwister bestürmten den guten Vater sofort mit Fragen, wer denn die Frau sei. Mein Vater wusste nicht ein noch aus und sagte endlich, dass dies die Frau vom Weihnachtmann wäre. Aber meine Schwester, die schon etwas argwöhnisch wurde, entgegnete ihm darauf, dass er mir doch vorhin gesagt hätte, der Weihnachtsmann wäre unverheiratet. Doch mein Vater hatte darauf noch nichts erwidert, als ich, der ich bisher stumm in einer Ecke gestanden hatte, mich umdrehte und kurz erklärte: »Ich glaube nicht mehr an den Weihnachtsmann! Denn siehst du, Papa, die Frau, die uns da den Sack übergeben hat, verkauft jeden Tag in unserer Schule für vier Groschen Holz. Glaubst du, dass das die Frau des reichen Weihnachtsmannes täte?« So verloren wir Kinder durch die Ungeschicklichkeit des alten Kampel den Glauben an den Weihnachtsmann.