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Der Welt-Detektiv Band 6

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Secret Service Band 1 – Kapitel 6

Francis Worcester Doughty
Secret Service No. 1
Old and Young King Brady Detectives
Black Band
Oder: Die zwei King Bradys gegen eine unnachgiebige Bande
Eine interessante Detektivgeschichte aus dem Jahr 1899, niedergeschrieben von einem New Yorker Detektive

Kapitel 6

Die beiden King Bradys bluffen

Nun wollen wir den Schauplatz unserer Erzählung zurück in die Metropole verlegen. Dorthin waren unsere Detektive verschwunden.

Sicherlich waren sie zunächst ein wenig verärgert über ihr Versagen in Marble Manor.

Doch schon bald erkannte Old King Brady, dass er mit der Aufklärung dieses Falles am Anfang stand.

In diesem Gewirr gab es viele Fäden. Ständige Entwicklungen brachten diese ans Tageslicht.

Er besuchte nicht das Hauptquartier des Geheimdienstes, obwohl Young King Brady versuchte, ihn dazu zu bewegen. Der alte Detektiv schüttelte den Kopf und sagte: »Noch nicht, junger Mann. Wenn ich etwas Berichtenswertes bekomme, dann wird der Chef von mir hören – erst dann.«

»Aber der Chef hat vielleicht einige Anhaltspunkte«, sagte der junge Detektiv.

»Hm!« Old King Brady zuckte die Achseln.

Der jüngere Detektiv wusste, dass es nichts nützt, das Thema weiter zu vertiefen, also ließ er es fallen.

Ein paar Tage vergingen.

Melburne Jayne war aus der Stadt verschwunden.

Old King Brady wartete geduldig auf seine Rückkehr.

Er wusste, dass er sicher bis zum 14. des Monats zurück sein würde. Denn an diesem Tag sollte sich Jayne als Gastgeber unter seinen Trickbetrüger-Freunden zeigen.

Diese waren von einer Klasse, vor der der gewöhnliche seriöse junge Mann zurückgeschreckt wäre.

Sie gehörten zur Gruppe von Lebemännern und Schnöseln und waren eine ziemlich besessene Bande.

Im Sherry’s wollte der junge Halunke mit diesen Freunden dinieren. Ein privater Bankettsaal und einige Varietékünstler waren bereits gebucht worden.

Old King Brady wusste also, dass es das Beste war, geduldig bis zum 14. zu warten, da er glaubte, dann eine wirkungsvolle Aktion durchführen zu können.

Getreu der Vorhersage des alten Detektivs tauchte Melburne Jayne um dieses Datum herum in New York auf.

Der alte King Brady sah ihn in einem stattlichen Wagen über den Madison Square fahren.

Mit ihm war einer seiner Gefolgsleute, und sie sahen beide ziemlich verwegen aus. Mit Zigarren im Mund und vom Wein geröteten Wangen, war es offensichtlich, dass sie es eilig hatten.

Der junge Jayne baute zweifellos auf seine Aussicht auf zukünftigen Reichtum, wenn es ihm gelingen sollte, die Kontrolle über die Millionen seines Onkels zu erlangen.

In der Tat sah es sehr zu seinen Gunsten aus, dass es ihm gelingen würde, dies zu verwirklichen.

Denn nur die King Bradys, außerhalb der Blade Band, wussten, dass er noch lebte.

Old King Brady beobachtete den Wagen.

Er folgte ihm und sah, wie er vor dem Hoffman House anhielt.

Die Insassen stiegen aus.

Sie betraten den prächtigen Barraum des bekannten Etablissements.

Dann schaute Old King Brady auf die andere Straßenseite. Ein sehr protziger junger Mann in einem karierten Anzug mit feinem Seidenhut und Gehstock, der ein Monokel im Auge trug, ging gemächlich dahin.

Sein Blick traf den des Old King Brady.

Es war offensichtlich, dass sie sich kannten.

Denn es gab nur einen kleinen Austausch von Nicken, dann betrat auch der junge Stutzer den Schankraum.

Old King Brady schlenderte gemächlich in die Seitenstraße und trat durch eine andere Tür ein.

Er sah Jayne und seinen Freund an der Bar etwas trinken.

Der aufgeblasene junge Mann, der von ihrer Sorte zu sein schien, stand in ihrer Nähe und zündete sich eine Zigarre an. Old King Brady ging auf ihn zu.

Inzwischen war der alte Detektiv überall in New York eine bekannte Persönlichkeit.

Fast jeder kannte die hochgewachsene Gestalt mit dem starken Gesicht, dem stahlgrauen Haar und dem weißen Filzhut mit der enorm breiten Krempe.

Der junge Stutzer zündete seine Zigarre nicht mehr an und starrte Old King Brady an.

»Was wollen Sie von mir?«, sagte er scharf und zornig.

Jeder im Barraum hörte seine Stimme, und neugierige Blicke wurden ihm zugewandt.

»Das werden Sie schon noch erfahren, Mr. Hector Reid, der Fälscher!«, sagte der alte Detektiv scharf.

»Was!«, fauchte der Schnösel. »Sie wagen es, mich einen Fälscher zu nennen?«

»Ich werde doch wohl das Recht haben, Sie vor der Öffentlichkeit als solchen zu bezeichnen.«

Von den Anwesenden in der Bar waren Melburne Jayne und sein Begleiter am meisten erschrocken und interessiert.

Sie drehten sich abrupt um und starrten Old King Brady und den jungen Hector Reid an.

Der Detektiv nahm sie scheinbar nicht wahr.

Seine ganze Aufmerksamkeit schien sich auf den jungen Reid zu konzentrieren. Letzterer war das Opfer einer hässlichen Laune.

»Du verdammter alter Halunke!«, zischte er wütend, »nimm das für deine Unverschämtheit! Wage es nicht, mir weiter auf den Fersen zu bleiben!«

Er schlug dem Old King Brady seinen Handschuh kräftig und energisch ins Gesicht.

Das Geräusch war im ganzen Raum zu hören. Es ließ die Wangen des alten Detektivs fahl werden.

Alle warteten auf Vergeltung.

Der alte Detektiv war groß und stark genug, um zwei wie den Dandy Hector zu erledigen.

Seine schlanke Gestalt richtete sich in die Höhe und zitterte wie eine Espe.

Einen Moment lang schien es, als wolle er den Schlag wirklich erwidern, aber er tat es nicht.

Stattdessen drehte er den Kopf und überflog den ganzen Raum mit einem erhabenen, verächtlichen Blick.

Dann machte er auf dem Absatz kehrt, ging durch die Tür und hinaus auf die Straße.

Hector Reid schickte ihm ein höhnisches Lachen hinterher. Dann drehte er sich um und sah, wie Jayne und sein Begleiter ihm eifrig hinterher schauten.

»Der alte Fuchs!«, rief er triumphierend. »Ich habe ihm eine ordentliche Portion verpasst, und er hat es sich redlich verdient. Kennen Sie ihn?«

»Nun«, sagte Jayne mit einem tiefen Atemzug, »ja, ein wenig.«

Er und sein Begleiter tauschten Blicke aus. Hector Reid sah sie aufmerksam an.

»Ich verstehe«, sagte er mit einem Unterton. »Sie sind in Ordnung. Haben Sie etwas zu trinken?«

»Danke«, antwortete Jayne, »wir haben uns gerade etwas genehmigt.«

»Rauchen Sie wenigstens mit mir eine Zigarre.«

»In Ordnung.«

Zigarren wurden angezündet und Reid schien sehr gesprächig zu werden. Er schien in der Tat Jaynes Geschmack zu treffen.

In wenigen Augenblicken waren sie so bon comarade, wie man es sich nur vorstellen kann. Dann ließ sich Reid scheinbar unbedacht auf das Erzählen aller möglichen Eskapaden ein, was Jayne und seinen Begleiter, der Victor Hall hieß, bald davon überzeugte, dass Reid einer der Jungs war.

Das Ergebnis war, dass Reid sich mit Jayne und Hall zusammentat. Die drei zogen los, um im vulgären Sprachgebrauch die Stadt unsicher zu machen.

Jayne und Hall waren ziemlich beschwipst.

Sie zogen von Ort zu Ort und trafen sich schließlich in einem Lokal im Stadtteil Tenderloin. Es war ein eher schäbiger Barraum.

Hier rutschte Hall unter den Tisch. Jayne war betrunken, aber seltsamerweise war Reid nüchtern wie ein Fisch.

Die Wahrheit war, dass er keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte.

Wenn man es ihm reichte, schaffte er es immer, das Glas fallen zu lassen und den Schnaps in ein Spucknapf oder in das Sägemehl unter dem Tisch zu leeren.

Aber die ganze Zeit über war er damit beschäftigt gewesen, Jayne Eskapaden zu erzählen und dessen Geschichten zu lauschen.

Schließlich streckte Jayne eine Hand über den Tisch und flüsterte: »Reid … hick … ich mag dich, verdammt, wenn nicht, werde ich … werde ich dich in unsere Gang aufnehmen. Das ist der Tod für die King Bradys. Willst du mitmachen?«

Reid lächelte auf eine eigentümliche Art und Weise und antwortete: »Natürlich möchte ich.«

»Gut! Wir sind die Black Band. Jeder kennt uns; aber wir sind Schlitzohren, das sind wir! Wir haben das ganze Land getäuscht. Ich sage euch, Ike Partland, unser Anführer, ist ein Teufelskerl. Und dann ist da noch Muggie Mansur.  Muggie ist ein Dandy, sage ich euch! Nächstes Jahr werden wir uns aufteilen und auflösen. Es wird ein Vermögen für uns alle geben – du bist einer von uns!«

»Sicher!«, sagte Reid begeistert. »Wann werde ich die Aufnahmeprüfung ablegen?«

»Hick … verflixt, du brauchst keine. Du bist in Ordnung, so wie du bist. Ich bezeuge es dir. Hier ist meine Hand.«

Sie fassten sich an den Händen.

»Warst du jemals in Westchester County?«, flüsterte Jayne.

Reid war ganz aufmerksam.

»Ja«, antwortete er.

»Kennst du … hick … White Plains?«

»Ja.«

»Dort gibt es eine alte Taverne, die von Jed Dune betrieben wird. Er ist einer von uns. Das ist gerade unser Treffpunkt. Ich habe den alten Mann dort … hick … gefesselt. Er muss viel blechen, dann schlitze ich ihn auf und kriege alles.«

»Wie edel!«, sagte Reid, mit einem Zittern. »Er ist dein Onkel?«

»Ja!«

»Ich habe von dem mysteriösen Verschwinden von James Whittridge gehört.«

»Das ist der Kerl. Aber ich habe jetzt einen anderen reichen Mann an der Hand.«

Reid zeigte sich interessiert.

»Ah«, sagte er leise, «was ist es?«

»Weißt du’s – ich bin verliebt.«

»Hm?«

»Ha … ha … hick, komisch, nicht wahr? Aber ich bin total verknallt in das hübscheste Society-Girl in New York. Sie ist Miss Janet Pell. Ah, sie ist eine Lady, sag ich dir!«

»Und du hast die Absicht, sie zu erobern?«

»Will ich das? Warum sollte ich nicht?«

»Ist sie gewillt?«

»Willig? Hick! Sie ist ein richtiger Hitzkopf. Hat sich auf mich gestürzt wie ein Haufen Ziegelsteine. Nein, ich kann sie nicht dazu bringen, zuzustimmen. Aber ich werde sie trotzdem bekommen.«

»Wie schön! Du bist ein Prachtkerl, Jayne.«

»Bin ich das? Na, und ob! Meinst du nicht, dass Melburne Jayne, der Neffe von James Whittridge, gut genug für Miss Janet Pell ist? Man stelle sich die Gesellschaft vor! Heiraten: Mr. Melburne Jayne und Miss Janet Pell. Keine Karten! Langes Leben und Glück!«

»Aber wie willst du dein Vorhaben vollenden?«

Jayne warf einen finsteren Blick in die Runde.

»Habe ich nicht die Black Band an meiner Seite!«, sagte er.

»Gut für dich! Was könnte romantischer sein als eine Entführung. Ganz im Stil eines Kavaliers. Ein echter Hauch vom alten Spanien. Oh, du Brigant, ich bewundere dich.«

»Und ich bin ganz vernarrt in sie, Reid. Kommt zu meinem Bankett am vierzehnten im Sherry’s

»Mit Vergnügen, ganz sicher!«

»Hier ist eine Karte. Sei dabei und wir lassen es krachen. Du bist einer von uns!«

»Darauf kannst du wetten!«

»Nun«, sagte Jayne schwerfällig, »ich denke, ich werde nach Hause gehen. Kannst du eine Kutsche rufen?«

»Gewiss!«

Zehn Minuten später brachte eine geschlossene Kutsche Jayne und Hall in einem Zustand rührseliger Trunkenheit nach Hause.

Aber Hector Reid ging mit dem leichten Schritt eines Nüchternen davon. In einer stillen Ecke einer dunklen Gasse entfernte er den angeklebten Schnurrbart und die Perücke.

Als er zurück ins Tageslicht trat, war er trotz seiner Verkleidung für einen Mann auf der anderen Straßenseite, der ihm zuwinkte, leicht zu erkennen.

»Harry«, sagte Old King Brady, als er auf ihn zukam.

»Was für einen Erfolg hattest du?«

»Weit über meine kühnsten Hoffnungen hinaus!«, antwortete Young King Brady. »Unser Bluff im Barraum des Hoffman House hat wunderbar funktioniert. Jayne zählt Hector Reid jetzt zu seinen besten Freunden und hat ihn zum Mitglied der Black Band gemacht.«

Der alte Detektiv schnappte nach Luft.

»Er ist einfältig«, sagte er umständlich. »Was hast du noch erfahren?«

»Die Bande ist in Dune’s Taverne in White Plains. Außerdem gibt es einen weiteren geheimnisvollen Plan, der sich auf Miss Janet Pell bezieht.«

Old King Brady hörte der spannenden Geschichte des jungen Detektivs aufmerksam zu.

Dann pfiff er, verzog sein wettergegerbtes Gesicht, nahm einen Bissen von einem großen Stück Tabak und sagte: »Harry, das ist die beste Tat des Tages, die wir je vollbracht haben!«