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Der Hexer 29

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer, Band 21
Krieg der Götter

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 21. Januar 1986, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Sebastia Boada

Das Wesen bewegte sich träge in der Strömung. Sein Leib, aufgequollen und unförmig, erinnerte eher an ein von der Brandung zerschlagenes Stück Treibholz, eingewoben in ein Netz von Fäden und knotigen Anhängseln, die sich erst bei genauerer Betrachtung als Gliedmaßen erwiesen. Endlos lange hatte es wie tot dagelegen, nicht geatmet, sich nicht bewegt. Nur die Strömung hatte dann und wann mit einem seiner Glieder gespielt, die mächtigen, ledrigen Schwingen gepackt und entfaltet oder seinen gewaltigen Leib gegen den Felsen geschleudert. Und doch lebte es. Ein schreckliches, unheiliges Leben …

Leseprobe

Die Welt des Hexers

Krakatau, die Insel, auf die es Robert Craven verschlagen hat, ist dem Tode geweiht. Der mächtige Vulkan, für die Eingeborenen ein Gott, für Dagon Mittel zum Zweck, die THUL SADUUN zu erwecken, steht kurz vor seinem Ausbruch. Eine Explosion, die fast die gesamte Insel vom Antlitz der Erde tilgen wird.

Howard Lovecraft und Kapitän Nemo, die Robert in die Vergangenheit gefolgt sind, wissen davon; sie kennen sogar den genauen Zeitpunkt der Katastrophe. Robert, der seinen Freund Shannon aus Dagons Händen befreien will, bleiben knapp 24 Stunden, um zur NAUTILUS zurückzukehren.

Hätte er geahnt, wie sehr seine Freundschaft zu Shannon enttäuscht würde – er hätte sich den Weg erspart. Denn in Shannons Körper wohnt ein anderer Geist; ein abgrundtief böser Geist, den Robert nur zu gut kennt: Necron, der Herr der Drachenburg. Er und Dagon haben sich verbündet, doch jeder von ihnen sieht nur den eigenen Nutzen in dieser Partnerschaft. Fast gelingt es Robert, die beiden gegeneinander auszuspielen. Fast …

Zur selben Stunde erwacht rund um die NAUTILUS das Grauen: untote Piraten tauchen auf und kapern das holländische Kriegsschiff ZUIDERMAAR, das neben Nemos Boot vor Anker liegt. Welche Rolle die lebenden Leichen in diesem Spiel der Götter innehaben, wird (noch) nicht klar; jedenfalls entern sie die ZUIDERMAAR, setzen deren Mannschaft auf Krakatau ab und segeln davon, ohne dass Nemo es verhindern kann.

Da bittet, besser zwingt Jennifer, Dagons ehemalige Braut, die Besatzung der NAUTILUS zu einem unerhörten Wagnis. Sie verlangt, dass Howard sie und das Boot weiter zurück in die Vergangenheit bringt – um 250 Millionen Jahre! Was sie damit bezweckt? Howard kann es nur vermuten. Mit ihrer Hilfe schafft er die furchtbare Anstrengung, die ihn fast das Leben kosten wird.

In den Lavahöhlen unter dem Krakatau muss Robert inzwischen hilflos mitverfolgen, wie Dagon und Necron beginnen, die THUL SADUUN zu erwecken, als plötzlich … Jennifer aus dem Lavapfuhl auftaucht. Dieselbe Jennifer, die noch Minuten und doch Jahrmillionen zuvor in den Krater des Vulkanes stieg. Aber es ist nicht die Jennifer, die Dagon zu seiner Braut machte und die Robert damals rettete. Es ist eine Hülle – eine neue Schachfigur im Krieg der Götter – eine weitere Gestalt des Wesens, das Robert schon an Bord des Weltenschiffes DAGON beistand.

Es vereitelt die Zeremonie, doch Necron entkommt durch ein hastig errichtetes Tor. Mit dem zweiten SIEGEL DER MACHT …

 

*

 

Jetzt, nach einer Ewigkeit, öffnete es träge ein Auge. Die Bewegung hätte auf jeden Beobachter harmlos gewirkte ein Reflex vielleicht auf den Schmerz, den ihm die scharfkantigen Felsen zufügten, gegen die es immer wieder geworfen wurde.

Aber das war es nicht.

Es war schlimmer. Tausendfach schlimmer. Wie der erste Stein, der noch harmlos zu Tal rollt und doch eine vernichtende Lawine auslösen kann, war dieser eine Lidschlag der erste Akt in einem Geschehen, das sehr wohl das Schicksal der ganzen Welt verändern mochte. Der erste Schritt, den es wenig später tat, war der erste Zug in einem Krieg, der hier, auf dieser unscheinbaren kleinen Insel in der Sundastraße, seinen Anfang nehmen sollte.

Noch ahnte niemand etwas davon. Noch spürten die Menschen, die hoch über der Höhle das Erwachen der Sonne beobachteten, allenfalls eine gewisse Beunruhigung, die sie sich nicht zu erklären vermochten – aber der Krieg der Götter hatte in diesem Augenblick begonnen.

 

*

 

Über der Insel brannte der Himmel. Tiefhängende, von glühender Vulkanasche blutig rot gefärbte Wolken brodelten wie kochender Nebel dicht über den Wipfeln der Urwaldriesen. In fast regelmäßigen Abständen erzitterte die Erde wie unter dem Tritt eines unsichtbaren Giganten, und manchmal zerrissen grelle Blitze die dräuenden Wolken. Das Meer, das nur manchmal hinter diesem Vorhang aus Chaos sichtbar wurde, schien zu kochen, und etwas, das wie Nebel aussah, stieg von seiner Oberfläche auf und verband sich mit den Wolken.

Mehr als zwei Stunden war ich gelaufen, um die Küste zu erreichen, immer in Gefahr, von stürzenden Bäumen oder herunterprasselndem Geäst erschlagen zu werden, in jäh aufklaffende Erdspalten zu stürzen oder von einem der glühenden Brocken getroffen zu werden, die wie brennende Meteore aus den Wolken herabregneten.

Die Insel starb einen langsamen, qualvollen Tod. Krakatau, der Gott der Majunde, hatte seine schreckliche Stimme erhoben, und mit jedem Schrei des Vulkans kam das Ende näher. Ganz gleich, was Jennifer gesagt hatte – es begann nicht erst morgen bei Sonnenaufgang, sondern schon jetzt. Das Chaos hatte seine Hand bereits nach Krakatau ausgestreckt, und sein Griff war fürchterlich.

Ich erreichte den Waldrand, lehnte mich gegen einen Baum, der mir massiv genug erschien, nicht beim nächsten Erdstoß umzukippen und mich unter sich zu begraben, und rang einen Moment keuchend nach Atem. Meine Lungen brannten. Die Luft schmeckte bitter und heiß, und die schwarze Lavaasche tanzte wie finsterer Regen vor mir auf und ab.

Alles, was ich anfasste, fühlte sich heiß und schmierig an. Der Dschungel dampfte, und immer wieder flackerten kleinere Brände auf. Die meisten erloschen sofort wieder, denn Krakatau war von einem tropischen Regenwald bedeckt, der mit Feuchtigkeit vollgesogen war wie ein großer grüner Schwamm. Aber wenn die Hitze weiter so anstieg, dann würde es nicht mehr lange dauern, bis die ganze Insel wie eine gigantische Fackel in Flammen aufging; lange, bevor der Krakatau eruptierte.

Ich versuchte, den Gedanken zu verscheuchen, atmete tief ein und lief weiter. Die Sonne war vor zwei Stunden aufgegangen, und wenn Howard seine Drohung wahrgemacht hatte, dann würde ich den Strand leer vorfinden. Die Frist, in der er auf mich warten wollte, war abgelaufen. Aber irgendwie konnte ich nicht so recht daran glauben, dass er mich im Stich lassen würde. Vielleicht wollte ich es auch nicht.

Die letzten Bäume wichen zur Seite, als ich rücksichtslos durch das Unterholz brach, und dann lag die Stadt vor mir – oder das, was davon übrig geblieben war. Der Feuerregen und die unablässigen Erdstöße hatten das, was der Brand übersehen hatte, endgültig vernichtet. Der Ort lag in Trümmern. Überall qualmte und brannte es, und quer über die Hauptstraße zog sich ein meterbreiter, klaffender Riss, aus dem Funken und fettiger schwarzer Qualm emporstiegen.

Die Küste war hinter einem Vorhang aus Rauch und brodelndem Dampf verschwunden, sodass ich die ZUIDERMAAR nur als verschwommenen schwarzen Schatten erkennen konnte, der ab und zu auftauchte und sofort wieder hinter kochenden Schwaden verschwand.

Der Umstand, das Schiff noch immer hier vorzufinden, hätte mich warnen müssen. Schließlich hatte Nemo die ZUIDERMAAR schlichtweg gekapert, um sie zur Rettung der Inselbewohner einzusetzen. Aber ich war im Moment viel zu erleichtert, überhaupt noch ein Anzeichen menschlichen Lebens zu sehen, um mehr als einen Gedanken darauf zu verschwenden.

So schnell ich konnte, rannte ich weiter, setzte mit einem gewagten Sprung über die Erdspalte hinweg und lief durch eine bizarre Allee aus brennenden Häusern weiter zur Küste herab.

Gestalten tauchten aus dem kochenden Gemisch aus Nebel und Vulkanstaub auf, verschwanden wieder und erschienen erneut. Es waren Männer in den blauweiß gestreiften Hemden der niederländischen Marine, dazwischen aber auch vereinzelte Matrosen, die ich von der NAUTILUS her kannte. Ich hob im Laufen die Arme und schrie aus Leibeskräften, aber das Brüllen des Vulkans verschluckte jeden anderen Laut; wahrscheinlich sahen mich die Männer inmitten des Chaos überhaupt nicht.

Ich schluckte einen Fluch herunter, rannte schneller und erreichte den schmalen weißen Sandstreifen, der vor der Brandungslinie lag. Der Geruch nach heißem Wasser und brennender Erde nahm mir den Atem. Die Gischt spritzte hoch auf, und das Meer war aufgewühlt, als winde es sich in Krämpfen. Das gestrandete Boot, das ich am Tage zuvor bemerkt hatte, brannte lichterloh, von einem Lavabrocken in zwei Teile zerschmettert und in Brand gesetzt, und ein Stück vor der Küste musste eine unterseeische Magmaader aufgebrochen sein, denn das Meer kochte und spie Dampf und kleine zischende Steinbrocken in den Himmel.

Ich wandte mich nach links, sah den Schatten der ZUIDERMAAR wie einen Schemen hinter den grauschwarzen Schwaden auftauchen und lief darauf zu, so schnell ich konnte.

Wieder bebte die Erde wie unter einem Hammerschlag, und diesmal vermochte ich der Erschütterung nicht mehr standzuhalten. Ich stolperte, fiel der Länge nach ins knietiefe Wasser und kam keuchend und nach Atem ringend wieder hoch. Eine Welle brühheißer Luft fauchte von der Insel herab aufs Meer hinaus, versengte meinen Rücken und trieb die Nebelschwaden auseinander, und plötzlich konnte ich die ZUIDERMAAR in aller Deutlichkeit erkennen.

Genauer gesagt, das, was ich für die ZUIDERMAAR gehalten hatte. Das Schiff war ein Wrack. Nicht sehr weit von der Küste entfernt und mit deutlicher Schlagseite dümpelte es im Meer, Rumpf und Aufbauten so dick mit Algen und Tang überwuchert, dass seine ursprüngliche Farbe nicht mehr zu erkennen war, die Masten schräg und verbogen, als wären sie von einem ungeschickten Riesenkind in den Rumpf gerammt worden, das Segelzeug nurmehr Fetzen, die vor Schmutz allein standen.

Und langsam, ganz langsam, begriff ich …

Das Schiff, von dem ich mir Rettung versprochen hatte, war nicht die ZUIDERMAAR. Es war nichts anderes als die VAN HELSING, De Cruyks schwimmender Mülleimer, mit dem er vor der Küste der Insel kreuzte und nach Opfern für seine teuflischen Rituale suchte. Nachdem Tergard und seine verbrecherischen Organisationen dorthin gegangen waren, wo sie hingehörten – nämlich zum Teufel – hatte ich den schweinsäugigen Piratenkapitän glatt vergessen.

Aber jetzt war er da – und wenn ich mir von ihm Hilfe erwartete, konnte ich genauso gut nach R’lyeh schwimmen und Cthulhu selbst um Beistand anflehen …

Als wäre dieser Gedanke ein Stichwort gewesen, auf das das Schicksal nur gewartet hatte, hörte ich plötzlich Stimmen, und ein gutes halbes Dutzend Männer tauchte links von mir aus dem Nebel auf. Ich sprang vollends hoch, hob die Hände und wich ein paar Schritte zurück, entschlossen, mein Leben so teuer wie nur möglich zu verkaufen.

Aber es waren keine von De Cruyks Schmuddel-Piraten, sondern Männer der ZUIDERMAAR, angeführt von einem von Nemos Matrosen. Sie schienen genauso überrascht zu sein, mich zu sehen, wie ich umgekehrt sie, denn sie blieben abrupt stehen. Zwei oder drei von ihnen begannen auf Holländisch zu schnattern, während sich der Matrose der NAUTILUS nach kurzem Zögern aus der Gruppe löste und auf mich zukam.

»Sie, Monsieur?«, fragte er verwirrt. »Wir … wir hielten Sie für tot!«

»Viel hat auch nicht gefehlt«, antwortete ich grimmig. »Was ist geschehen? Wo sind die ZUIDERMAAR und die NAUTILUS, und wie kommt dieses Schiffswrack hierher?«

Der Mann blickte mich mit sonderbarem Ernst an, atmete hörbar ein und begann mit leiser, fast ausdrucksloser Stimme zu erzählen …