Hanns Heiling … – Teil 15

Friedrich Wilhelm Bruckbräu
Hanns Heiling, vierter und letzter Regent der Erd-, Luft-, Wasser- und Feuergeister und sein Kampf mit den Teufeln der Hölle
Eine höchst merkwürdige, abenteuerliche und wundervolle Ritter-, Räuber-, Geister- und Teufelsgeschichte
Verlag der J. Lutzenberger’schen Buchhandlung, Altötting, 1860

Der Zwerg

Achtzehn Jahre lang führte nun Hanns Hei­ling das glücklichste Leben an der Seite seiner viel­geliebten, immer schönen Rosalie, die im ersten Jahr ihrer Ehe ihm einen wunderschönen Sohn geboren und denselben in allen Tugenden erzogen hatte. Er war nun ein Jüngling, wegen seiner Herzensgüte von allen geliebt, die ihn kannten, am innigsten auch von seiner Großmutter Amiranda, die fast täglich zu ihm kam oder er zu ihr. Sie trafen sich auch oft bei den Pflegeeltern seines Vaters, die bereits tief in den Achtzigern, aber noch recht gesund und rüstig waren. Der Sohn hieß Hanns, wie sein Vater.

Hanns Heiling wünschte eines Tages sich an dem prachtvollen Anblick des Meeres zu ergötzen.

In einer bequemen Sänfte wurde Hanns Hei­ling schnell auf den Gipfel eines hohen Berges gebracht, von wo er das große Meer mit den Inseln weit übersehen konnte. Nach Entlassung der Luftgeister samt der Sänfte mit dem Auftrag, auf seinen Ruf sogleich wieder pünktlich zu erscheinen, lehnte er sich an einen Palme, betrachtete die Felsenwand hinter ihm mit ihren vielen Grotten und Höhlen und schaute dann sinnend auf das unermessliche Meer hinaus an das Ende desselben.

»Heil dir, mächtiger Regent und mein Gebieter, denn du hast auch die Herrschaft über alle Zwerge der Erde, sei mir gegrüßt und gnädig!«, rief ein alter Zwerg mit einem Gesicht voll Runzeln und tückischem Blick. »Ich habe deine Ankunft bemerkt und mich be­eilt, dich nach meinen schwachen Mitteln zu bewirten.«

Der Zwerg war hinter seinem Rüden vorgetreten und hatte mit seinen Fingern auf ein prächtiges offenes Zelt gedeutet, worin eine mit köstlichen Speisen ge­deckte Tafel stand.

»Wie heißt du?«, fragte Hanns.

»Tobi«, erwiderte der Zwerg.

»Bist du allein auf diesem Berg?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil ich von allen anderen Zwergen mich abgrenzen wollte, die es nicht gut mit dir meinen, wohl wissend, dass ich der Einzige unter ihnen bin, der dir aufrichtigen Rat zu deinem Besten erteilen möchte. Deswegen hasten und verfolgten sie mich.«

»Ich werde mich mit dir näher befreunden«, entgegnete Hanns Heiling, »aber jetzt will ich essen und trinken, weil du mir diese Speisen so freundlich anbietest.«

Er setzte sich. Während er aß und trank, schielte der bedienende Zwerg mit grimmiger Gier auf den blitzenden Zauberring am Zeigefinger der rechten Hand des Regenten.

Heiling, nachdem er Bescheid getan hatte, stand auf und ging an den Rand des Berges, vom Zwerg be­gleitet, und sah ein furchtbares Gewitter heranziehen, das auch rasch mit aller Gewalt losbrach. Ein Schiff eilte mit vollen Segeln dem Hafen einer nahen Insel zu, deren Einwohner händeringend am Ufer standen, denn die Leute auf diesem Schiff waren größtenteils Verwandte und Freunde von ihnen, die nun dem Tod verfallen schienen.

»Rette dieses vom Untergang bedrohte Schiff, mächtiger Regent, rette es schnell«, bat der Zwerg ins­tändig, »sonst scheitert es und versinkt in den Abgrund, mit allen, die auf dem Schiff leben! Du wirst eine gute Tat tun, die deiner Macht und deines Herzens würdig ist!“

Dem Gebot des mächtigen Regenten gehorchend, machten die Geister der vier Elemente das bedrohte Schiff sturmfrei und lenkten es glücklich in den Hafen der Insel deren am Ufer befindlichen Einwohner, die in ein bankbares Freudengeschrei ausbrachen, als sie die Gelandeten und Geretteten umarmten. Im nämlichen Augenblick jauchzte die Hölle und stieß ein Triumphgeschrei aus, denn die Mehr­zahl der Schiffsmannschaft war von der Pest befallen, welche sie nach ihrer Rettung den Einwohnern mitteilen mussten, die größtenteils unvorbereitet in ihren Sünden starben und dadurch eine Beute der Hölle wurden.