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Die Plauderstube – Die Abenteuer eines Leutnants – Kapitel 3

Die Abenteuer eines Leutnants
Novelle
Aus dem Schwedischen von E. Sickenberger
Sonntag, 3. März 1861

III.

Aus vorstehendem Brief kann der Leser schließen, dass unser Held sich nicht so außerordentlich glücklich fand, wie neugebackene Leutnants im Allgemeinen zu sein pflegen. Sein freier Sinn fügte sich wohl jeder menschlichen Ordnung, aber er verachtete jede unnötige Quälerei und insbesondere jeden gemeinen Missbrauch der beinahe unbegrenzten Macht, die die Kriegsartikel in die Hände der Vorgesetzten gelegt haben. Dazu kamen aber noch andere Kümmernisse. Er war, was man nennt, abgebrannt, und noch nie in seinem Leben war er in den Fall gekommen, jene edle Kunst üben zu müssen, welche in eingeweihtem Kreis Pumpen genannt wird. Viel lieber wäre er auf eine feindliche Batterie losgegangen, als zu einem Geldmann, um eine Anleihe zu negoziieren, von der er nicht wusste, ob er sie würde zurückzahlen können.

Verstimmt durch diese allerdings etwas trübseligen Gedanken, die den liebenswürdigen Leserinnen ganz fremd sind, ging er eines Nachmittags aus, um seine Schwermut durch einen Spaziergang in freier Luft zu erleichtern. Er hatte vorher seine kleine Kasse überzählt, und wie er auch zählen wollte, die Summe war bei drei Reichstaler Banco stehen geblieben. Was konnte man damit anfangen? Und am nächsten Tag sollte Propretätsparade sein! Das sah wirklich betrübt genug aus, und wir können es Hjalmar nicht verdenken, wenn er so tief und schwer seufzte, als ob der ganze Chimborasso auf seiner Brust läge. Wir haben bereits gesagt, dass er nie vorher auf Pump ausgegangen war. In der Jugend, wo man keinen Kredit hat, lebt man in einer glücklichen Unwissenheit über dieses gefährliche Manöver; ist man aber einmal in die Welt eingetreten, so hat der Mittellose kein anderes Mittel, das er ergreifen könnte.

»Hu! Es ist schwer, auf dieser Erde zu wandeln, im Mönchsgewand und Peregrinus heißen!«, sagt Nicander in seinem Runenschwert, aber tausendmal schwerer ist doch »auf dieser Erde wandeln« in des Könige Uniform und Borgias, oder etwas dergleichen heißen. Der erste Gang ist bei allen Dingen der schlimmste, und besonders auf dem Weg der Anlehen. Hat man der Schande nur einmal den Kopf abgebissen, so geht es danach schon leichter, und heutzutage geht es für einen großen Teil unserer jungen Herren sogar so leicht, dass sie das Pumpen für ein Vergnügen und Bezahlen für eine ganz überflüssige Sache ansehen.

Unser Freund Hjalmar gehörte keineswegs zu diesem Kaliber. Er konnte weder eine Anleihe negoziieren noch hätte er, wenn er dieses auch gekonnt hätte, gewusst, wo er hätte leihen können. Er wusste nur eines, dass er Geld brauchte – und dieses Bedürfnis ist weitaus hinreichend, um den Stempel des Kummers selbst dem fröhlichsten Gesichte aufzudrücken.

Er ging gerade in seine düsteren Gedanken vertieft und sah betrübt zu Boden, als er plötzlich eine muntere Stimme rufen hörte: »Bist du der fidele Lingen oder ein neuer Sirtus, der die Schlüssel zum Himmelreich sucht! Gib Antwort, Menschenskind! Bist du verrückt geworden?«

Hjalmar sah auf und der lustige poetische Leutnant, dessen er in seinem Brief erwähnte, stand vor ihm. In seiner augenblicklichen schweren Gemütsstimmung konnte nichts willkommener sein als diese Begegnung. Er umarmte ihn deshalb herzlich und fragte ihn, wohin er ginge.

»Dumme Frage!«, antwortete der lustige Vogel, »aufs Pumpen gehe ich, versteht sich. Wie unerträglich einförmig wäre nicht das Leben, hätte ich nicht meine Schulden, die bisweilen meine Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nehmen?«

Hjalmar seufzte.

»Du seufzt! Bist du vielleicht in derselben Klemme? Das wäre verteufelt schön von dir, denn ich habe schon einige kleine Pläne auf dich gebaut.«

»Auf mich?«, fragte Hjalmar, »bei Gott, ich habe selber nichts.«

»Das weiß ich so gut wie du!«,  fuhr der andere fort, »aber weißt du, ich habe so einem kleinen dummen Kerl von einem Spießbürger, der zugleich die Eigenschaft eines schmutzigen Wucherers besitzt, weiß gemacht, du seiest ungeheuer reich und hättest große, große Güter und Werke da droben in Nordland.«

»Aber das ist ja eine großmächtige Lüge«, wandte Hjalmar ein.

»Bah! Das will nichts bedeuten! Wer ist wohl einem Wucherer Wahrheit schuldig? Ich meine, es ist genug, wenn man ihm Geld schuldig ist. Aber höre nun, wie echt diplomatisch ich mir die Sache ausgedacht habe: Der Wucherer glaubt nämlich, du seist ungeheuer reich, du leistest Bürgschaft, ich nehme das Anlehen und uns beiden ist geholfen. Spreche ich nicht wie ein Engel? Sag an!«

»Aber du musst das Anlehen ja zurückbezahlen!«, wandte Hjalmar ein.

»Ja, das pflegt gewöhnlich bei Anlehen der Fall zu sein, aber wir können die Sache ja so einrichten, dass wir uns nicht zu übereilen brauchen. Der Mann wartet so gerne, wenn er nur monatlich seine zwei Prozent bekommt. Du bist doch dabei, oder wie?«

»Not hat keine Tugend«, sagte Hjalmar seufzend, »gehen wir! Aber ich schäme mich wirklich, jetzt in Wuchererhände zu geraten.«

»Wuchererhände! Was schwafelst du da! Wucherer sind die liebenswürdigsten Menschen auf der Welt und tausendmal besser als diese sogenannten, ehrsamen, reichen Sechsprozentmänner, die einem versichern, sie würden einem bedrängten armen Teufel so ungeheuer gern helfen, die es aber gleichwohl nie und nimmermehr tun, weil sie zufällig für den Augenblick gar kein Geld haben. Es gibt wahrhaftig keine unbarmherzigeren Kerle als diese Ehrenmänner, vor denen uns Gott in Gnaden behüten und bewahren möge! Wie könnte ein Soldat sich ohne Wucherer und Marketender durchschlagen! Aber sieh, hier wohnt der Ehrenmann. Gehen wir hinein!«

Vor Scham errötend trat Hjalmar an der Seite seines Mephistopheles in einen dunklen schmutzigen Winkel, wo ein kleiner Mann über ein großes Kontobuch gebückt saß.

Der lustige Leutnant ging eiligen Schrittes zu dem Geldmann, schlug ihn auf die Schulter und hob an:

Hör mich, du Mann der güld’nen Gulden,
Schließ auf die Pforten deines Ohrs;
Du weißt, die Söhne des Majors
Sind arm an Geld, doch reich an Schulden.

So öffne deine vollen Kisten,
Lass deinen Talern freien Lauf!
Nimmst du mich nicht in Gnaden auf,
Wird mich das Unglück überlisten.
Halb bin ich schon im Garn des Bösen,
Doch du hast Macht, mich zu erlösen!

»Der Herr Leutnant sind immer so aufgeräumt«, sagte der Wucherer keuchend, »aber ich habe wirklich für den Augenblick keinen Heller.«

»Besudle deine edlen Lippen nicht mit einer Unwahrheit«, rief der Leutnant. »Sie ohne Geld? Gott ver … doppele meine Einnahmen! Eher wird der Wenersee kein Wasser, Schweden keinen Branntwein und ich selbst keine Schulden mehr haben als Sie, liebenswürdigster aller Sterblichen, kein Geld.«

»Ich versichere Sie, dass das wahr ist«, sagte der Wucherer.

»Ist das wahr, so ist es eine verd… Lüge«, wandte der Leutnant ein. »Aber öffnen Sie jetzt Ihre Ohren, damit sie Vernunft trinken! Sehen Sie diesen jungen Mann hier, den Leutnant Lingen. Der könnte diese ganze elendige Stadt kaufen, wenn er wollte. Und merken Sie auf, dieser Mann will Bürgschaft für mich leisten. Was haben Sie dagegen einzuwenden?«

Der Wucherer machte dem reichen Hjalmar eine tiefe Verbeugung. »Aber da der werte Herr Kamerad so reich ist, warum leihen Sie nicht von ihm?«, wandte er ein.

»O, Sie verstockter, hartherziger Mann, dem ich sonst meine ungeteilte Hochachtung in so gehäuftem Maße schenken wollte, begreifen Sie nicht, dass sogar ein reicher junger Mann, der sein Gut nicht gegen ehrliche Zinsen ausleiht, wie Sie, bisweilen auch ohne Überfluss des Geldbeutels sein kann? Leutnant Lingen erwartet täglich einen bedeutenden Wechsel, aber er ist bis jetzt ausgeblieben, sicherlich durch Versäumnis seines Kommissionärs. Sonst könnten Sie vollkommen überzeugt sein, dass ich Sie nicht mit meinem Besuch beehrt hätte.«

»Aber hat denn der Herr Leutnant seinen rekommandierten Brief, den ich heute auf der Post sah, nicht abgeholt?«, fragte der Wucherer.

»Ein rekommandierter Brief an mich? Das ist unmöglich!«, rief Hjalmar.

»Ich kann Sie versichern, dass ich diesen Brief mit meinen eigenen Augen gesehen habe«, sagte der Wucherer. »Ich pflege immer das Postbuch zu studieren, um über meine Kunden eine sichere Kontrolle zu führen, verstehen Sie. Hi, hi! Und ich sah deutlich in dem Postpaket von Göteborg: H. Lingen. Rekommandiert!«

»Da gehen wir gleich, um unseren Brief abzuholen«, rief ihm der Leutnant rasch im barschen Ton zu. »Leben Sie wohl, knauseriger Blutsauger! Der Wechsel ist da, und Sie sollen erfahren, wen Sie beleidigt haben. Nichts für ungut! Adieu, Geldwurm!«

Mit diesen Worten fasste der Leutnant den bestürzten Lingen unter dem Arm und ging hinaus, fast ebenso hochtrabend und aufgeblasen, wie der Obrist selbst.

»Aber wie in aller Welt ist es möglich, dass ich einen rekommandierten Brief bekommen haben soll?,« fragte Hjalmar verwundert. »Ich kenne weder in Nord noch Ost noch West jemanden, von dem ich auch nur einen Heller erwarten könnte.«

»Der tausend!«, sagte sein Freund bestimmt, »vielleicht enthält der Brief eine für dich wichtige Urkunde, wie es scheint. Da wären wir hübsch angekommen!«

»Ich erwarte ebenso wenig Akten. Ich habe, Gott sei Dank, noch mit keinem Menschenkind auf Gottes Erde Geschäfte gehabt.«

»Dann muss der Brief Geld enthalten«, prophezeite der Leutnant, »aber das Rätsel ist gleich gelöst, denn hier ist das Postbüro. Tritt ein, und möge Fortuna deine Schritte begleiten.«

Kaum hatte Hjalmar die Tür geöffnet, als ihm der Postmeister entgegen rief: »Sie haben einen rekommandierten Brief bekommen, Herr Leutnant. Ich dachte gerade daran, Sie davon in Kenntnis setzen zu lassen. Sehen Sie, hier!«

Hjalmar nahm den Brief und öffnete das Kuvert nicht ohne ein gewisses Zittern. Nicht minder ängstlich sah sein munterer Kamerad dieser Verrichtung, die ihm viel zu langsam vor sich zu gehen schien, zu. Aber wie leuchteten nicht beider Blicke, da ein, zwei, drei, vier, fünf große Kassascheine auf den Boden fielen!

»Ach sieh, Zettel!«, rief der Leutnant außer sich vor Freude und küsste die papierenen Zauberer. »Seit drei Tagen habe ich nur mehr drei Schillinge, mit denen ich mich durchbringen soll. Ach, sieh da, Bankozettel! Bankozettel!«

Hjalmar hatte indessen den Inhalt des Briefes übersehen. Ein leichter Seufzer, wie von inniger Dankbarkeit, entstieg seiner Brust. Schweigend steckte er die Bankozettel und den Brief zu sich und ging natürlich in Begleitung seines teuren Kameraden, der nun ganz besonders seinen guten Grund hatte, seinen Freund nicht zu verlassen. Kein Wort konnte Hjalmar, während er so weiter ging und den Weg zu seiner Wohnung einschlug, hervorbringen. Alles Husten und Räuspern seines Freundes konnte ihn nicht aus den tiefen Gedanken, in die er versunken war, wecken.

»Aber was in Himmels Namen ist über dich gekommen?«, fragte endlich sein Begleiter, außer Stande, länger dieses Schweigen zu beobachten. »Du hast Geld wie ein Nabob und doch schweigst du wie ein Stock. Wie ist das möglich?« Bin ich einmal bei Kasse, hui! Da geht’s in Saus und Braus. Nein, Gott ver … dopple meine Einkünfte, aber das geht nicht mit rechten Dingen zu!«

Nun bleibt der närrische Junge stumm,
Und hat doch multum, plus, plurimum
Bekommen aus Elysium!
Ich wäre schon im Delirium!
Nun wohl, so geh auf dein Zimmer drum;
Und bleibe dort so stumm und dumm!

»Ja ich wünsche wirklich, auf eine Stunde allein zu sein«, sagte Hjalmar lächelnd dem kühnen Reimer.

»Aber du kannst mir doch wohl sagen, von wem der Brief ist«, entgegnete dieser.

»Von Gott«, sagte Hjalmar leise. »Mehr kann, will und darf ich dir nicht sagen.«

»Alle gute Gabe und alles vollkommene Gute kommt von oben«, sprach der Schwätzer. »Diese Antwort ist klar und befriedigend, bei meiner Seele, aber ich bin wahrhaftig nicht neugierig.«

»Das ist schön von dir, aber du würdest mir wirklich einen großen Dienst erweisen, wenn du keinem Menschen etwas von diesem Brief sagst.«

»Parole d’honneur! Kein Wort?«, beteuerte der Leutnant.

»Nun, Lebewohl! Auf Wiedersehen heute Abend!«

»Noch ein Wort, mein Herzensbübchen«, sagte der Leutnant und fasste Hjalmar am Rockschoß. »Du wirst dich erinnern, Liebenswürdigster, dass wir soeben auf Pump ausgegangen waren. Nun gut! Vorhin war ich es, der dir Geld beschaffen wollte, und nun vermute ich, du werdest zu demselben Gegendienst bereit sein. Nicht wahr? Du Fortunas erstgeborener Sohn! Ich bin vollkommen zufrieden mit einem einzigen dieser gelben Vögel. Nächstens kriege ich schon wieder einen anderen dran, und sollst du, längstens in einem Monat, dein Eigentum zurückerstattet erhalten.«

»Du sollst ihn haben, « antwortete Hjalmar, »aber heute Abend. Besuche mich dann! Adieu!«

Auf seinem Zimmer angekommen, tat Hjalmar etwas, worüber sicherlich viele seiner Waffenbrüder gelacht haben würden. Er fiel nämlich auf die Knie und dankte Gott in einem warmen Gebet für die unvermutete Hilfe, die ihm, gleichsam vom Himmel selbst, gespendet worden war. Mit Tränen in den Augen, aber mit fröhlicher heiterer Miene stand er denn auf, zog den rätselhaften Brief hervor und durchlas ihn von Neuem.

Der Inhalt war folgender:

Herr Leutnant!

Ein sehr intimer Freund Ihres verlebten Vaters ist kürzlich unvermutet in den Besitz eines großen Vermögens gekommen, und er glaubt, einen geringen Teil davon nicht besser anwenden zu können, als, indem er damit einen jungen Mann unterstützt, der, nach allem, was er gehört hat, so gute Hoffnungen von sich erweckt. Fahren Sie fort, den Weg der Tugend zu betreten, lieben Sie Freude und Vergnügen, aber jene Freude, der nicht die Reue folgt, und jenes Vergnügen, das nicht die Seele vergiftet, und Sie können versichert sein, dass Ihres Vaters und Ihr eigener Freund, der bis auf Weiteres unbekannt bleiben will, allen Ihren Unternehmungen mit der wärmsten Teilnahme folgen wird. Eine gleich große Summe, wie die inliegende haben Sie mit Anfang des nächsten Jahres zu erwarten, gleichwie künftig zweimal des Jahres, wenn Sie dem Rat folgen, den ich Ihnen zu geben mir die Freiheit genommen habe.

Er beruht auf einigen höchst wichtigen, noch in der Hand der Zukunft liegenden Umständen, ob oder wann ich das Vergnügen haben kann, mich Ihnen persönlich erkennen zu geben. Aber dass dieser Tag einmal kommen wird, dessen bin ich gewiss. Bis dorthin leben Sie wohl! Geben Sie sich keine Mühe, nach mir zu forschen; das wäre vergeblich.

Schließlich bitte ich Sie auf das Wärmste, keinen Augenblick Bedenken zu tragen, diese kleine Summe anzunehmen, die Ihnen anbieten zu können ich das Glück habe, denn ich kann Ihnen die heilige Versicherung geben, dass ich dadurch nur zu einem geringen Teil eine große unvergessliche Schuld abtrage.

Ihr unbekannter, aber von Herzen ergebener

Freund …

»Wie sonderbar«, sagte Hjalmar für sich selbst. »Aber ich habe eine neue Stütze für den schönen Glauben bekommen, dass man nie verzweifeln soll, ohne sein Vertrauen auf den allerbarmenden Vater dort oben zu setzen. Just als meine Verlegenheit am größten war, kam die Hilfe. Ich habe also einen Gönner, der durch eine außerordentliche Freigebigkeit sein Interesse an meiner geringen Person beweist. Aber, was kann er wohl für eine Ursache haben, sich nicht zu erkennen zu geben? Es beruht auf Umständen, sagte er. Nun, Gott gebe es, dass diese Umstände baldig aufhören, damit ich von ganzem Herzen meinem edlen Wohltäter danken kann, von dessen Güte ich ohne Bedenken Gebrauch mache, denn was so herzlich gegeben ist, ist auch leicht anzunehmen. Indessen, wer ist glücklich, wenn nicht ich?«