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Die Sternkammer – Band 4 – Kapitel 9

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 4
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Neuntes Kapitel

Das Urteil

Fünf Tage lang hatten König Jakob und die Her­ren des Staatsrates in der Sternkammer gesessen. De große Sache, die sie während dieser ganzen Zeit beschäftigt hatte, näherte sich ihrem Ende. Es blieb für Seine Majestät nichts mehr übrig, als das Urteil zu sprechen.

Die Sache, welcher Jakob und seine Räte solange ein geduldiges Ohr geliehen hatten, war keine andere als der Prozess der Gräfin von Exeter gegen Sir Thomas Lake und seine Gemahlin. Mochte er auf die Handlungsweise, die er befolgte, vorher vorbereitet sein oder nicht, so zeigte der Monarch doch während des ganzen Verlaufes große Klugheit und Scharfsicht. Vor dem öffentlichen Verhör und als ihm nur die vorläufigen Angaben vorgelegt wurden, beschloss er, die Sache persönlich zu untersuchen. Ohne jemand von seiner Absicht in Kenntnis zu setzen, ritt er von der Jagd zu der Wohnung des Grafen von Exeter in Wimbledon hinüber – wo, wie wir uns erinnern, das falsche Geständnis von der Gräfin sollte unterzeichnet worden sein – und begann jenes von Lady Lake und Sara Swarton als den Ort der Verhandlung bezeich­nete Zimmer genau zu untersuchen. Er war von Buckingham und einigen anderen Herren begleitet, die hoch in seiner Gunst standen. Es fand sich, dass das Zimmer von solcher Größe und der untere Teil dessel­ben, wo Sara sollte verborgen gewesen sein, so entfernt von dem großen Erkerfenster war, dass jede dort geführte Unterredung ihr hätte nicht hörbar sein müssen, worüber der König und seine Begleiter überdies einen Versuch anstellten. Aber der Hauptumstand war die Entdeckung, die Jakob selber machte, denn seine Hofleute waren zu bescheiden, um Anspruch daran zu machen, dass die Vorhänge zwei Fuß vom Fußboden entfernt waren und folglich keinen geheimen Zeugen hätten verbergen können, während man sich ferner überzeugte, dass die Vorhänge seit mehreren Jahren nicht verändert worden waren. Als Jakob diese Entdeckung machte, rieb er sich freudig die Hände und rief: »Aha! Lady Lake und ihr Kammermädchen mögen schwören, wenn sie wollen, aber sie werden mich nicht überzeugen. Sie können nicht bestreiten, was ich sehe.«

Diese Behauptung wiederholte er während des Verhörs, wo er sein eigenes Zeugnis zugunsten der Klägerin abgab. In der Tat war es von Anfang an klar, so sehr er es auch zu verstellen versuchte, dass er stark für die Gräfin gestimmt war. Nicht zufrieden mit der Entdeckung, die er in Wimbledon gemacht, hatte Jakob insgeheim einen Sergeanten nach Rom geschickt, wo Lord Roos, nachdem er England verlassen hatte, seinen Wohnsitz aufgeschlagen und von ihm und seinem vertrauten Diener Diego eine schriftliche Angabe erhalten, worin alle Schuld auf Lady Lake geworfen und das Geständ­nis für eine boshafte Fälschung erklärt wurde. Lucas Hatton, der, wie bereits angedeutet, zu der Seite der Gräfin übergegangen war und Sorge trug, seine eigene Mitschuld an der dunklen Sache zu verbergen und seiner Handlungsweise eine sehr verschiedene Färbung zu geben wusste , als ihr wirklich eigen war – Lucas Hatton, sagen wir, wurde ein höchst wichtiger Zeuge gegen die Lakes, und man sagte, infolge seiner listigen Andeu­tungen sei der König erst auf den Gedanken gekommen, Wimbledon zu besuchen.

Dessen ungeachtet waren viele Widersprüche da, die sich nicht wohl ausgleichen ließen. Der bekannte schlechte Ruf des Lord Roos, die grausame Behandlung seiner Gemahlin und seine leidenschaftliche Vorliebe für die Gräfin führten manche zu der Vermutung, dass er und Lady Exeter am Ende doch so schuldig wären, wie man sie darstelle. Überdies wurde Lucas Hatton von denen, die einige Kenntnis von dem Mann hatten, nicht für einen glaubwürdigen Zeugen gehalten und man glaubte allgemein, dass der König sein Zeugnis gar nicht oder doch nur mit der größten Vorsicht hätte an­nehmen sollen.

Aber die für Lady Lake und ihren Gemahl günsti­gen Ansichten erlitten gleich zu Anfang des Verhörs eine völlige Veränderung, als zur Überraschung aller und zum unaussprechlichen Schrecken ihrer Eltern Lady Roos, die von der Gräfin mit in den Prozess eingeschlossen war, ein Geständnis ablegte, worin sie zugestand, da das von ihrer Mutter gegen Lady Exeter vorgebrachte Dokument nachgemacht sei und dass alle Umstände, die damit sollten in Verbindung gestanden haben, grundlos und erdichtet gewesen seien. Der Beweggrund der unglücklichen Dame zu dieser Eröffnung war der Wunsch, ihren Gatten zu schützen. So verblendet war sie von ihrer Liebe zu ihm, dass sie sich, wie man sagte, durch die listigen Vorspiegelungen Lucas Hattons überre­den ließ , dass dies das Mittel sein werde, ihre Wiedervereinigung zu bewirken und dass sie durch seine zurück­kehrende Achtung für ihre Anhänglichkeit würde belohnt werden. Wenn dies ihre Erwartung war, so sollte sie schwer getäuscht werden. Sie sah ihn nie wieder. Lord Roos starb bald nach der Untersuchung im Ausland; auch überlebte ihn seine unglückliche Gattin nicht lange.

So sehen wir, dass den Lakes alle Umstände ent­gegen waren. Aber ungeachtet aller Schwierigkeiten, die sie umgaben, und ungeachtet alles wahren oder falschen Zeugnisses, welches gegen sie vorgebracht wurde, konnte man kein Zugeständnis von Lady Lake erhalten. Sie behauptete entschlossen ihre Unschuld und wendete die stärksten Ausdrücke gegen ihre Ankläger an. Sie wider­sprach ihrer Tochter geradezu und überschüttete sie mit furchtbaren Schmähungen und Verwünschungen, womit sie nicht eher innehielt, als bis sie durch den Befehl des Königs zum Schweigen gebracht wurde. Die furchtba­ren Anklagen, die Ihre Herrlichkeit gegen Lucas Hatton erhob,  brachten einige Wirkung hervor und wurden an­gehört. Da sie aber nur von ihr und Sara Swarton unterstützt werden konnten, blieben sie unberücksichtigt; auch weigerte sich Lady Roos , als Zeugin gegen ihren Gemahl aufzutreten.

Sir Thomas Lake, der die Schuld seiner Gemah­lin nicht zugeben wollte, obwohl er vom König dazu aufgefordert wurde, um sich zu retten, war nicht imstande, eine genügende Verteidigung vorzubringen. Er schien so sehr von Kummer und Verlegenheit niedergebeugt, dass man allgemeine Anteilnahme für ihn empfand. In der Tat gab ihm sein würdevolles Benehmen und seine Zurückhaltung einigen Anspruch an Achtung.

Auf diese Weise wurde das Verhör nach einer Dauer von drei Tagen zu Ende gebracht.

Nun müssen wir einen Blick auf das Zimmer wer­fen, in welchem die Richter ihr Urteil berieten.

Es war die Sternkammer.

An der südöstlichen Seite von Westminster Hall, in der Nähe des Flusses befindlich, zeichnete sich dieses Zimmer, worin die geheimen Beratungen über das Wohl des Königreichs schon während der früheren Regierungen gehalten wurden, mehr durch die Schönheit seiner Decke als durch Größe oder Glanz aus. Jene Decke war von Eichenholz, mit Schnitzwerk und Vergoldung reich verziert und in Quadrate abgeteilt, in deren Mitte sich Rosen, Granaten und Lilien befanden. Über der Tür, die zu diesem Zimmer führte, sah man einen Stern als Anspielung auf den Namen mit der Jahreszahl 1602 . Die Wände waren mit alten gewirkten Tapeten bedeckt und es hatte viele Fenster von bemaltem Glas, die auf den Fluss hinausgingen.

Auf einem Prachtsessel, höher als der Tisch, um welchen die Lords des Gerichts versammelt waren, und unter einem Thronhimmel saß der König, sie ruhig beobachtend, als sie ihre Beratungen fortsetzten. Er selbst war fest entschlossen wegen des Urteils, welches er aussprechen wollte, doch sah er von Zeit zu Zeit Lady Lake und ihren Gemahl an, die hinter einer Schranke saßen, welche das Zimmer unterhalb des Ti­sches durchschnitt. Die Beklagten oder Gefangenen – denn das waren sie in der Tat –wurden von einem Staatsboten und einem Sergeanten bewacht. Ein wenig weiter hinter ihnen stand Sara Swarton, aber ob­wohl matt und erschrocken und kaum imstande, sich aufrecht zu halten, wurde es ihr nicht erlaubt, sich nie­derzusetzen. Auf einer erhöhten Bank zur Seite saß die schöne Gräfin von Exeter, strahlend von Lächeln und Triumph. Sie empfing die Glückwünsche mehrerer Damen hohen Ranges, von welchen sie umgeben war. Unter den Richtern befanden sich der Lordkanzler, der, seinen Stab und sein Siegel vor sich, unmittelbar un­ter dem König saß, der Lordschatzmeister und der Lordsiegelbewahrer, der Präsident, die Richter, der Erzbischof von Canterbury, acht Bischöfe und andere Prälaten sowie all die Herzoge, Marquis, Grafen und Barone, die den Staatsrat bildeten und sich auf vierzig beliefen. Außer diesen waren zugegen: der Prinz Karl, drei fremde Gesandte und mehrere andere ausge­zeichnete Personen. Obwohl alles ihr entgegen war, blieb Lady Lakes Geist noch ungebeugt und sie sah das Gericht gebieterisch an; aber die Blicke ihres Mannes waren auf den Boden gerichtet und sein Kopf ruhte auf seiner Brust.

Nachdem die Richter noch einige Zeit nutzlos da­mit zugebracht hatten, dem König ihre Ansichten vor­zutragen, bereitete er sich vor, das Urteil auszusprechen. Hierauf standen die Beklagten auf und es herrschte eine tiefe Stille in der Versammlung, als Jakob sie anredete.

Das Urteil lautete folgendermaßen. Es wurde Sir Thomas eine Geldstrafe von zweiundzwanzigtausend Pfund auferlegt und er auf unbestimmte Zeit, bis es dem König gefallen würde, ihn in Freiheit zu legen, zur Gefangenschaft im Tower verurteilt. Lacy Lake sollte seine Gefangenschaft teilen. Sie sollten öffentlich ihr Vergehen anerkennen und der Gräfin für ihre beleidigte Ehre auf die Weise, welche Seine Majestät bestim­men würde, Genugtuung leisten. Sara Swarton sollte in das Fleetgefängnis gebracht, an einen Karren gebunden und von dort nach Westminster und später von dort nach Cheapside gepeitscht werden. In Cheapside sollte sie mit den Buchstaben F. A. (falsche Anklage), einen Buchstaben auf jeder Wange, gebrandmarkt wer­den. Dann hatte sie in der St. Martinskirche öffent­lich Buße zu tun. Darauf sollte man sie bis auf weitere Bestimmung im Fleetgefängnis behalten und endlich nach Bridewell schicken, um dort ihr Leben zu enden.

Als das arme Mädchen dieses strenge Urteil hörte, stieß sie einen Schrei vor Verzweiflung aus und fiel ohnmächtig auf den Boden nieder. Hierauf wurden die Delinquenten entfernt. Als Lady Lake weggeführt wurde, wechselte sie einen Blick mit der Gräfin, die ungeachtet ihrer Zuversicht blass wurde und zitterte.

In einem sehr merkwürdigen Brief, den Lady Lake später an ihre siegreiche Gegnerin richtete, sagte sie: »Ich wünschte, meine Unterwerfung könnte Euch unschuldig machen und Euch so weiß waschen wie ein Schwan; aber es muss Eure eigene Unterwerfung un­ter Gottes Willen sein. Doch dies könnt Ihr nur durch viele Gebete, Tränen und Reue bewirken, indem Ihr Euer Herz prüft, an vergangene Zeiten denkt und Euch erinnert, was ich Euch schon früher geschrieben habe. Dasselbe tue ich jetzt wieder, denn ich zweifle nicht, dass die Wahrheit lebt, obwohl Lord Roos im Ausland gestorben ist.» Die Wahrheit aber kam nie vollständig ans Licht, und jene Gerechtigkeit, welche die rachsüchtige Dame erwartete, wurde ihr verweigert.