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Die Plauderstube – Die Abenteuer eines Leutnants – Kapitel 2

Die Abenteuer eines Leutnants
Novelle
Aus dem Schwedischen von E. Sickenberger
Sonntag, 3. März 1861

II.

Aber wir fürchten, die schönen Leserinnen werden wie unser Held des ewigen Fahrens auf der Landstraße müde sein, und so wollen wir uns nicht länger dabei aufhalten, sondern ihn samt seinem melodienreichen Bauernknecht verlassen, in der frohen Hoffnung, dass wir in Kurzem das Vergnügen haben werden, ihn wiederzusehen, und zwar, wenn auch anfangs nicht in eigener Person, so doch schriftlich.

Es schreibt nämlich Hjalmar nach Beendigung einer Parade seinem liebsten Jugendfreund Gustav Lindberg, der sich noch auf der Kriegsakademie befindet:

W…d. 18. Mai 184 …

Mein teurer Freund!

Du hast wahrscheinlich lange auf einen Brief von mir gewartet, aber du musst bedenken, dass ein neugebackener Unterleutnant, der eben von seiner ersten Parade herkommt, an ganz andere Dinge zu denken hat als an seine Korrespondenz. Nun endlich, nachdem ich vierzehn Tage lang meine Hände an dem armen Gewehrkolben wund geschlagen habe, ist mir einige Muße gegönnt, und meine erste freie Stunde ist dir, meinen getreuen, bewährten Freund geweiht. Indessen, verzeih! Ich will dich mit allen sentimentalen Ausdrücken von Freundschaft und Treue, von diesem und jenem, verschonen, denn das wissen wir beide im Voraus ebenso sicher und unerschütterlich, wie, dass Gott lebt, dass die Sonne scheint, und dass Adam Rieses und Cronstrands Rechenkunst tödlich langweilig sind. Ich will lieber, so gut ich kann, versuchen, scherzhaft zu sein, und deshalb gebe ich dir hier eine kurze Beschreibung meines ersten Eintritts im Regiment, samt dem, was mir sonst noch zugestoßen ist.

Den sechsten dieses, um die Mittagszeit, unter strömenden Regen, fährt ein Bauernkarren mit achteckigen Rädern zu einem der Tore W…s hinein. In diesem Karren sitzt meine eigene todmüde Person, durchnässt bis in mein innerstes Ich – kurz in einem höchst betrübten Zustand. Von dem kommandierenden Korporal des Torwachtpostens über die Lage des mir in Gnaden zugedachten Quartiers unterrichtet, begab ich mich eilig dahin, um mich in mein martialisches Kostüm zu werfen, weil auf 2 Uhr Parade angekündigt war, und ich zuvor noch meinen Kompaniechef aufzusuchen, respektive aus seinem Mittagsschlummer zu wecken hatte.

Es schlägt vier Uhr, der Regen hat aufgehört und es herrscht eine ganz unerhörte Bewegung in der guten Stadt, da das ganze Offizierskorps, Musik und Sappeurs heute auf den großen Marktplatz ausrücken, wo sie ihre so interessanten Exerzitien abhalten werden. Alle Schul- und Gassenjungen sind in eine ganz außerordentliche Ekstase geraten, denn sie machen, während sie neugierig jeder kleinen Truppenabteilung, die aufmarschiert, nachfolgen, die kühnsten Lustsprünge. Kleine Kinder, die kaum noch mit den erstere Lauten so vertraut sind, dass sie Papa oder Mama sagen können, stehen ganz entzückt auf den Haustreppen und trompeten: »Tett, terrä! Tett terrä!« Aus allen Fenstern sehen Frauenzimmergesichter heraus, hässliche und hübsche, alte und junge, durcheinander, und manche hübsche Wange färbt sich röter, manches feurige Auge leuchtet klarer, wenn einer oder der andere von den süßesten Ballhelden des Regiments vorbeimarschiert.

Ach! In unseren friedlichen Zeiten sind Mädchen und Kinder die einzigen, die noch dem Militär gewogen sind, wofür sie Gott reichlich belohnen möge! Sie können nun eines gewissen Putzes nicht entbehren, und die schwarzen Zivilfräcke sind doch wahrhaftig für die Dauer gar zu einförmig – das muss jeder Vernünftige zugeben. Und nur aus dieser rein ästhetischen Ursache war alles Junge und Schöne in der guten Stadt W… bei der angesagten Parade hocherfreut, wie bei einem geistigen und körperlichen Fest.

Die Kompanien waren nun aufgestellt, und man wartete noch auf den gnädigen Herrn Obristen, denn große Herren lassen immer lange auf sich warten, wie du weißt. Aber nun hätte man die Gassenjungen sehen sollen! Ihre Freude fing an, alle Grenzen zu überschreiten, und sie brachen, nachdem sie die Inspektion der betressten Trommler und Pfeifer und der bärtigen Sappeurs beendet hatten, in einen so schallenden Jubel aus, dass sicherlich die Kinder Israel vor Jerichos Mauern nicht aus vollerer Kehle hatten schreien können. Auch die Dienstmädchen der Stadt hielten sich nicht weniger für berechtigt, diesen großartigen Auftritt mit anzusehen; ja sogar waren allerliebste Damenhütchen mit wallenden Federn unter den herumstehenden Scharen sichtbar, die, wenn die Neugier sie zu nahe an die Reihen unserer Helden herbeigetrieben hatte, von der unbarmherzigen Ordonnanz des Obristleutnants, die trotz des scharfen Windes in weißen Unaussprechlichen erschienen war, zurückgedrängt wurden. Eine Ordonnanz ist ein Hund mit zwei Beinen. Von Tagesanbruch bis in die sinkende Nacht muss sie, in ehrerbietiger Entfernung von vier Schritten, ihrem gelb befransten Vormann folgen oder vielleicht richtiger auf die Weide treiben, wohin dieser sich wenden mag. Das veranlasste auch eine der sentimentalen Mägde der Stadt, auszurufen: »Herr, mein Gott, wie schade um den geputzten Offizier dort, dass er nicht ein paar Schritte ohne Wache gehen darf! Was hat denn der Unglückliche verbrochen?«

Endlich wurde Achtung kommandiert, und ich hörte von fern her einen dumpfen Laut, ähnlich wie in einer Stampf- und Walkmühle. Ich war sehr erstaunt, woher wohl dieser schauerliche Klang rühren möge, aber bald war ich über die Ursache im Klaren. Es war des Obersten klumpiger Elefantenschritt, der gegen das Tor herantrabte. Um zu imponieren, verstehst du, suchte der bescheidene Mann seinen Gang donnerähnlich zu machen. Er kam nun näher. Die Kompanie schulterte, ich salutierte und sah vor mir eine mittelgroße, aufgedunsene Figur, die mich unwillkürlich an ein verklärtes Mitglied der Vogelgattung – den Vogel Dudu erinnerte. Der Tschako, den er, im direktesten Widerspruch mit dem Reglement, in einem fünfmal kühneren Winkel als der Turm von Pisa auf die Seite hängen ließ, bedeckte das ergraute Haupt, in dem Dünkel und Einbildung sichtbarlich ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten. Sein Gesicht, das, wiewohl ganz wohlgebildet, den einfältigsten Ausdruck hatte, der sich denken lässt, schien nichts anderes zu sagen als: »Seht mich an!« Und dass dieses von keiner Seite unterlassen wurde, davon darf der gute Mann fest überzeugt sein, denn wir alle wollen ja gerne sehen, was lächerlich ist. Aber ich dachte im Stillen bei mir: »Herr Gott, wenn du so ein Kerl wärest, wie der da zu sein glaubt!«

Nachdem der Obrist endlich die Front hinangetrabt war und die Kompanie inspiriert hatte, postierte er sich in der Mitte auf und fing an, seinen Degen zu ziehen. Ich sage, fing an, denn damit hörte er auf. Das eingerostete Schwert hatte nämlich keine Lust, sich seiner idyllischen Ruhe in der friedlichen Scheide entreißen zu lassen. Der Obrist zog, der Major zog, der Adjutant zog; aber alles vergeblich. Die hartnäckige Klinge wollte ihre Reize um keinen Preis entblößen, doch der Obrist wusste sich in diese verzweifelten Umstände zu finden, wie es sich einem großen Mann geziemt. Er rief nämlich mit hohler, affektierter Stimme und mit feierlich väterlicher Miene: »Gott segne Euch, meine Kinder!« Damit wandte er seinen Kindern den Rücken und trabte fort von der ganzen Parade. War das nicht eine feine Art, sich aus der Schlinge zu ziehen?

Das Regiment retirierte nun, von den Vertretern der Jugend und Schönheiten der Stadt gefolgt, zur Kaserne. Die Offiziere aber sammelten sich um den Obristleutnant, um sich unter seiner Führung dem Obristen vorzustellen. Ich versammelte mich also gemäß erhaltener Ordre um den Obristleutnant, bei welcher Gelegenheit ich dir eine kurze Beschreibung des Mannes geben will, den mein unseligen Geschick wie einen dunklen Schatten mir in den Weg geworfen hat. Stelle dir also, wenn möglich, einen Hummer vor, der aufrecht, d. h. den Schwanz zuoberst auf seinen Scheren steht – und du kannst dir einen einigermaßen richtigen Begriff von der Figur dieses gewaltigen Mannes machen. Wie der aufrecht stehende Hummer ist er über die Schultern am schmalsten und just an der Stelle am breitesten, wo der Körper schlank sein sollte. Seine langen, schmalen, schwankenden Spindelbeine haben fast ebenso viel Mühe, das Oberteil zu tragen, wie der Rumpf des Hummers seine Scheren. So viel über die Figur des Mannes.  Nun zu seinem Gesicht! Lieber Freund, du erinnerst dich, dass wir oft darüber disputierten, ob es noch böse Geister gebe oder nicht. Ich widersprach dir da immer, weil ich bis dahin nur Gelegenheit hatte, gute Geister kennen zu lernen. Aber nun bin ich vollkommen zu deiner Ansicht gekehrt. Als ich in die unförmlich großen, starren, widerlichen, hellgrauen Augen des vor mir stehenden Obristleutnants, welche in dem bleichen Gesicht wie zwei ostindische Teetassen hingen, hineinsah, befiel mich ein erstickendes Gefühl, dem ähnlich, das, wie ich mir vorstelle, den befällt, dem ein Gespenst erscheint. Unwillkürlich trat ich ein paar Schritte zurück. Mein Mann bemerkte dieses, und ich glaube bestimmt, dass sich von diesen Augenblick die Antipathie datiert, die für nun an, nur mit Gottes Hilfe auch ferner zwischen uns herrschen wird. Aber, wiewohl ich dabei schauderte, konnte ich doch nicht unterlassen, fortwährend die gefährlichen Augen zu betrachten. Es lag in ihnen ein unbeschreiblicher Ausdruck: eine seltsame Verbindung von Hohnlächeln und Feigheit, Trotz und List. Übrigens war das Gesicht, wie man sagte nobel sogar gut gebildet, aber die Basiliskenaugen und der spöttische, echt aristokratische Zug um den zusammengekniffenen Mund machte, dass man seinen Blick mit Freude und einer gewissen Erleichterung davon abwandte. Da hast du nun ein Portrait, wie ich es in Eile entwerfen konnte, aber ich wünsche aufrichtig, du möchtest nie in dem Fall sein, weder das Original sehen zu müssen noch mit ihm in Berührung zu kommen.

Wir waren nun alle versammelt, und den Basilisk an der Spitze setzten wir uns nach der Wohnung des Obristen in Bewegung. Wie ein halbwüchsiger Gänserich ging ich meinen eigenen Weg, denn ich kannte noch keinen Einzigen von meinen vierzig Kameraden. Hu! Es ist ein eigenes Ding, so einen frischen Ankömmling zu spielen; der Gegenstand so vieler neugieriger Blicke zu sein, als wäre man ein Wundertier. Die unbehaglichen Gedanken, denen ich mich in meiner bevölkerten Einsamkeit überließ, müssen sich eben auf meiner sonst ziemlich heiteren Physiognomie ausgedrückt haben, denn ein schwarzbrauner Leutnant mit einem lebhaften, munteren Gesicht schloss sich eilig an mich an und führte sich mit dem Kompliment ein, dass er glaube, an mir eine gewisse Lebensfrische und Aufgeräumtheit bemerkt zu haben.

»Sonderzweifel«, antwortete ich im nämlichen Ton, »wer wird unter so vielen alten Bekannten und bei einer so munteren Unterhaltung Langweile haben?«

»Höre«, sagte der Leutnant und blieb stehen, »ich erinnere mich nicht, jemals mit jemand, besonders aber einem Leutnant länger bekannt gewesen zu sein, ohne dass ich Bruder mit ihm gewesen wäre. Guten Tag, mein Herzensbruder, wie geht es dir in der Welt, alter Geselle.« Dabei reichte er mit seine Hand, die ich lachend drückte, und unsere Bruderschaft war besiegelt.

»Aber, zum T…, wie heißt du nur eigentlich! Ich habe gewiss deinen Namen schon auf dem Tagesbefehl gelesen, aber das Namensgedächtnis ist nie meine starke Seite gewesen, besonders seit der Zeit, wo ich auf der Realschule war, wo die studierenden Bauernsöhne ihre Namen in jedem Jahr wenigstes dreimal wechselten. Ich erinnere mich an einen, der erst Jönsson, dann Kollegiander, dann Kreidmahr, weil Papa Jönsson ein Gastwirt war, darauf Kolberg, dann Zederbaum und sechstens Lagerlund hieß. Aber, Donnerwetter! Deinen Namen wollte ich wissen, und nicht meine Geschichte erzählen. Lingen, sagst du? Ein charmanter Name! Wie einfältig von mir, dass ich es nicht gleich getroffen habe. Bist du doch auch auf der Realschule gewesen! Lingen?

Mir will’s nicht gelingen,
Auf den Namen Lingen
Schnell ein Lied zu singen!
Dass die Verse springen,
Und melodisch klingen,

Ist vor allen Dingen …

Doch halt! Jetzt finde ich keinen Reim! Nun, ich hoffe, du wirst gemerkt haben, dass ich Poet bin. Nicht wahr? Zweimal habe ich schon an unsern General-Divisionskommandanten, der, in Parenthese gesagt, ein alter feiger Hase ist, Dichtungen gerichtet, und ihm darin folgende Namen gegeben:

Ein alter Löwe, der
als Sieger kommt daher;
Und seine Siegestrophäen
Am Rhein und Elbe stehen.

Gegenwärtig bin ich mit einem großen Heldengedicht in vierundzwanzig Gesängen, welchen den Titel Polycarpustade führen wird, beschäftigt. Es beschreibt eine gewisse Heldentat, die ein gewisser Graf und Obristleutnant bei einer gewissen Eisfahrt auf einem gewissen Fluss im Land Schoonen, vor einigen Jahrzehnten ausführte. Ein andermal will ich dir den pompösen Eingang zu dieser unsterblichen Dichtung zitieren, denn jetzt habe ich keine Zeit dazu, denn sieh, wir stehen bereits vor dem Palast seiner eingebildeten Majestät. Tritt ein, glücklicher Jüngling, und sonne dich in dem Glanz dieses unvergleichlichen Herrschers

Unter einem herzlichen Lachen über die Munterkeit des unermüdlichen Schwätzers schlich ich, der Geringste, der Letzte in den Saal, wo nun die große Aufwartung vor sich gehen sollte.

Nach minutenlangem Warten ließ sich endlich der oben beschriebene, trabende Schritt im angrenzenden Zimmer hören. Die Tür ging auf und der Obrist stand mitten unter uns, stolz wie ein Kaiser unter seinen getreuen Vasallen. Seinem dreimaligen äußerst gnädigen Blicken folgten die tiefsten Verbeugungen – und wie tief – und nun trat der Obristleutnant vor, um die Probe seiner Beredsamkeit abzulegen. Zu diesem Ende hustete er, erhob seine widerwärtige kratzende Stimme und hob an, indem er mit einem schlecht verborgenen Hohnlächeln sprach:

»Herr Oberst und Ritter!

Das Offizierskorps hat die Ehre, dem Herrn Obersten seine Aufwartung zu machen; dem Herrn Obersten, dem es so außerordentlich verbunden ist, dem Herrn Obersten, dem es nie genug Dank wissen kann für seine unermüdliche Tätigkeit, den beispiellosen Eifer, die seltene Geschicklichkeit, womit ihm der Herr Oberst seit einer Reihe von Jahren vorsteht. Bereits in seiner Jugend mit dem Heldenlorbeer, gewonnen in Germaniens blutigen Schlachten, geschmückt, hat der Herr Oberst dazu in seinen reiferen Jahren noch die Eichenlaubkrone friedlicher Heldentaten als Staatsmann, Denker und Beamter gefügt. Der Herr Oberst kann vollkommen überzeugt sein, dass wir die unvergleichlichen Verdienste des Herrn Obersten nach Gebühr und aus ganzer Seele bewundern. Leider fühle ich mich zu schwach, diesen Gefühlen erschöpfende Worte zu leihen, aber von diesen Gefühlen auf das Wärmste durchdrungen, lässt das ganze hier versammelte Offizierskorps durch mich dem Herrn Obersten die Bitte unterbreiten, fortwährend der Gnade teilhaftig zu werden, in des Herrn Obersten hohe Gunst und Wohlwollen eingeschlossen zu sein.«

»Das gefällt dem Alten, so ist es ihm recht«, flüsterte mein neuer Bruder, »aber es ist doch schamlos, mit den schwachen Seiten unseres guten Alten so unverantwortlich umzugehen. Wenn er es nur nicht gar merkt!«

Aber die Furcht des guten Leutnants war durchaus überflüssig, denn der werte Oberst nahm das alles mit einer Leichtigkeit hin, die mich staunen machte. Während des Anhörens dieser grausam ironischen Rede hatte sich seine Brust bei jeder besonders geputzten Phrase gehoben und bei dem Schluss der Harangue glaubte ich einen Augenblick, sie werde bersten. Mit einem Kopfnicken, stolzer als das, womit der Selbstherrscher aller Reusen seine Russen empfängt, dankte er dem sich tief verbeugenden Offizierskorps und rief dann: »Auditor, mein Promemoria bringen.«

»Ich kann es durchaus nicht bei den übrigen Aktenstücken finden«, antwortete der Auditor nach langem Suchen.

»Verdammt«, rief der Obrist, »das habe ich zu Hause vergessen. Ja, nun fällt es mir ein, das kommt daher, dass ich vergessen habe, auf das Promemoria besondere zu bemerken, dass man es hierher bringen solle. Doch, das hat nichts zu sagen. Ich hoffe, auch ohne Promemoria fertig zu werden.« Nun warf er sich in eine stolze, theatralische Stellung und hob an:

»Meine Herren!«

»Wer Ohren hat, zu hören, der höre«, lispelte der mutwillige Leutnant.

»Meine Herren!

Es ist ein seit Jahrhunderten anerkannter und von den weisesten Männern, die die Welt kennt, sowie auch von mir, nie geleugneter Satz, dass … dass … dass, mit einem Wort, dass, meine Herren, kein Resultat, meine Herren, existieren kann, ohne Prämissen, meine Herren. Denn, gleich fest wie den Himmels azurfarbene Wölbung, meine Herren, die sich von Sonnenaufgang im … im … im Westen, meine Herren, die sich erstreckt, sage ich, bis zu Sonnenuntergang im Osten, meine Herren – gleich fest steht der ewige, sublime Satz, dass die Prämissen sich verhalten zum Resultat, meine Herren, wie … wie … das Resultat sich verhält zu den Prämissen, meine Herren. Der Herr Obristleutnant hat sich soeben, ebenso einzig wie würdig über meine Tätigkeit, meine Herren, meinen Eifer, meine Herren, und meine Geschicklichkeit mit gebührendem Lobe ausgesprochen. Was sind nun wohl diese gepriesenen Eigenschaften, die ich, wie ich gerne zugebe, wirklich besitze, was sind sie anderes, meine Herren, als … als Prämissen, meine Herren. Und das Resultat, meine Herren, das Resultat ist diesen, dass ich das mir in Gnaden anvertraute Regiment, meine Herren, zu einer vorher nie geahnten Höhe und Vollkommenheit erhoben habe, meine Herren. Ich hoffe, die Herren werden mich verstehen. Gleich wie die Wassermelonen emporstreben zu jenen erstickenden Luftteilchen der Atmosphäre, die wir Wolken nennen, meine Herren, so … so … so, meine Herren, geht das genannte Resultat wie geläutertes Gold aus dem Tiegel der Prämissen hervor, meine Herren. Ich hoffe, die Herren werden mich verstehen. Und nun, da die Herren meine unvorgreifliche Meinung gehört haben, habe ich nichts mehr beizufügen. Gott zum Gruß, meine Freunde!«

»Was sagst du zu unserem neuen Demosthenes?«, lispelte mir mein neuer Freund in dem allervorsichtigsten Ton von der Welt ins Ohr, »und ich muss dir gestehen, dass ich die größte Mühe hatte, den mir auf den Lippen liegenden Lachkrampf während des Anhörens dieses gefährlichen Kauderwelsch zu bemeistern.«

»Wie in Gottes Namen ist denn so etwas möglich!«, fragte ich und biss auf die Lippen, dass das Blut herauszuspringen drohte.

»Ach, mein Freund! Diese Rede war noch gar nichts gegen manche andere derselben werten Person, die ich in meine Sammlung von Raritäten aufgenommen habe. Dieses war noch weitaus die vernünftigste, die ich ihn jemals habe halten hören. Sein Bild von den Wasserkolonnen war einzig. Wasserkolonnen! Ha, ha! Wo hat er dieses Wort wohl aufgeschnappt?«

Nun sah ich zu meinem Schrecken den Obristleutnant wackelnd auf mich zukommen. Er heftete seinen widerlichen Basiliskenblick auf mich und fragte: »Ist dies Unterleutnant Lingen?«

»Ja, Herr Obristleutnant.«

»Warum hat der Unterleutnant vor Beginn der Parade mir und seinem Chef seine Aufwartung nicht gemacht?«

»Weil ich erst vor ein paar Stunden von Stockholm ankam«, antwortete ich.

»Diese Entschuldigung gilt nicht. Unterleutnant hätte so viel Verstand haben sollen, dass er seine Reise früher hätte antreten müssen, um eine so unumgängliche Pflicht erfüllen zu können.«

Diesen Verstand haben sollen« pikierte mich; aber dennoch verbeugte ich mich und antwortete demütig! »Ich glaubte … «

»Ein Unterleutnant hat nichts zu glauben«, unterbrach mich der Basilisk.

»Ich hoffte … «

»Ein Unterleutnant hat nichts zu hoffen.«

»Das ist hart«, antwortete ich gereizt.

»Ah, so, ich glaube der Unterleutnant will noch räsonieren?«, brach der Basilisk heraus und schoss einen Blick voll des entschiedensten Hasses auf mich.

»Im Gegenteil, ich bin so einsilbig wie möglich«, antwortete ich und sah ihm unerschrocken in die entsetzlichen Augen.

»Der Unterleutnant ist widerspenstig, merke ich, wie alle entlaufenen Kadettenbuben. Ich kenne diese Herren schon. Sie taugen zu gar nichts, haben aber eine gewaltige Einbildung von sich.«

»Wenn diese Beschreibung nicht wahr wäre«, antwortete ich außer Stande, meinen Zorn länger zu unterdrücken, »so habe ich alle Ursache zu vermuten, dass der Herr Obristleutnant selbst Kadett war.«

Nun solltest du den Basilisken gesehen haben! Er sagte kein Wort, aber die schmalen Spindelbeine fingen an zu schwanken, wie die Binsen beim Wind, und aus seinem Auge schoss ein langer, langer Strahl, an dem ich deutlich sehen konnte, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Feind, einen unversöhnlichen Feind bekommen hatte. Aber schnell hatte er seine Selbstbeherrschung wieder gewonnen, und mit einem kalten Hohnlächeln sagte er: »Es handelt sich hier um nichts anderes, als dass der Unterleutnant einen Formfehler begangen hat. Solche Fehler in unserem Stand, wo die Formen eine so wichtige Rolle spielen, müssen gestraft werden, und deshalb, Unterleutnant wird mich verstehen und deshalb setze ich mich, gegen meinen Willen, genötigt, dem Unterleutnant einen Arrest von vierundzwanzig Stunden, nach Schluss der Aufwartung zu diktieren. Jetzt aber folgen Sie mir, ich will Sie dem Herrn Regimentschef vorstellen.«

Der Regimentschef, der sich kaum darum kümmerte, ob er mich sah oder nicht, hatte für mich ein leichten, fast unmerkliches Nicken und damit war die ganze Vorstellung abgemacht. Ich ging zu meinem Platz zurück und dachte bei mir selbst: Also in Arrest geschickt, gleich in der ersten Stunde, wo ich in Dienst trete, und das obendrein gegen den Willen des Obristleutnants. Ein hübscher Anfang, bei meiner Seele!

»Was hat der Obristleutnant von dir gewollt?«, fragte der schwarzbraune Leutnant.

»Ach, er gab mir einen elfstündigen Arrest, weil ich ihm nicht noch vor Anfang der Parade meine Aufwartung gemacht habe«, antwortete ich.

»Ha, wie der Mann gut ist! Dein edles Herz verleugnet sich nie. Auch mir hat er schon oft diese angenehme Muße verschafft, die zur Anstellung religiöser, philosophischer und poetischer Betrachtungen so geeignet ist. Er ist mit diesen Gaben so verschwenderisch wie unser Herr mit seiner Barmherzigkeit, und das Sonderbare dabei ist, dass

So viel er auch mag spenden
Er wird niemals erschöpft,

wie Tegnér sagt. Aber da sehe ich, dass der werte Mann in Frage schon durchgebrannt ist, da ihn jetzt die Reihe trifft, die Aufwartung des Offizierskorps unter Anführung des zweiten Majors entgegenzunehmen. danach werden wir, geführt vom dritten Major dem zweiten Major unsere Aufwartung machen, dann, den ältesten Hauptmann an der Spitze, dem dritten Major, und so weiter in infinitum. Du hast also einen langen Marsch vor dir, ehe du in deine Freistätte, die dir die Güte des Obristleutnants eröffnet hat, eingehen darfst. Komm nun! Ich sehe, dass unsere Kameraden schon bereit sind. Ich will dein guter Mentor sein, gleichwie du dich als folgsamen Telemach zeigen wirst.«

»Aber warum können denn alle diese Aufwartungen nicht hier und auf einmal vor sich gehen?«, fragte ich in meiner Einfalt meinen neuen Freund, während wir aus zum Vorzimmer hinaus drängten. Aber, o Unglück! Ein nicht eben zärtlicher Hauptmann, der unmittelbar vor mir ging, hatte meine Frage gehört. Wie ein Blitz wandte sich das umfangreiche Haupt um, und ich hörte die mit vielem Nachdruck gesprochenen Worte: »Es steht dem jüngsten Leutnant durchaus nicht an, hier zu räsonieren.« Und damit war ich getötet, wie man sagt.

»Da hast du die Antwort, mein alter Knabe«, lispelte mein Begleiter mit unnachahmlich leiser Stimme. »Du hast dich, merke es dir gut, über gar nichts zu verwundern, was da auch kommen möge. Du wirst wissen, dass dies ein Regiment ist, welches, um des Obristen eigene Worte zu gebrauchen, auf eine vorher nie geahnte Höhe von Vollkommenheit gebracht worden ist, und deshalb ist unser Diensteifer, der einen vorher nie geahnten Grad von Vollkommenheit erreicht hat, auch so beispiellos vollkommen. Aber du bist jung und kannst leicht springen. Ich für meinen Teil habe bereits angefangen, diesen Torheiten zu entwachsen. Es ist die hübsche Uniform, in die wir in unserer Jugend so vernarrt sind, dass wir Soldat werden, und zwar lediglich des schönen Geschlechtes wegen, dessen liebenswürdige Repräsentantinnen, von Kindheit auf an ihre hübschen Puppen gewöhnt, später in der Zeit, die ewig grünen bleiben möge, ein anderes Spielwerk haben wollen, wie z. B. Epauletts und Schnurrbärte. Und wahrhaftig, der Böse soll es mir anhaben, wenn eine einzige Christenseele Soldat bleiben möchte, wenn auf einmal der Befehl erschiene, dass alle Männer dieselbe Uniform tragen und mit Schnurrbärten versehen sein müssten. Denn dann hätten ja unsere Schönen Spielzeug genug, um sich damit zu unterhalten, und brauchten ihre Seligkeit nicht in der Armee zu suchen. Ja, das war diese vermaledeite Liebe, die eines Tages das Quarre, wodurch ich mein Leutnantherz gesichert glaubte, durchbrach – und nun, was bekam ich? Viele, viele tausend Küsse, das versteht sich, ja, und vielleicht sogar auch das Herz, aber, siehst du, die Hand mit allem Übrigen, was ich gerade haben wollte, die bekam eines schönen Morgens ein reicher Fabrikbesitzer, und ich armer Teufel stand da, beschämt, mit meinem Degen und meinen betrogenen Hoffnungen. Da erst fing die glänzende Uniform an, mich wie eiserne Fesseln zu drücken, und in einer poetischen Stunde floss folgendes unsterbliche Gedicht aus meiner Feder, das übrigens, wie man mir später sagte, mit der Jeremiade eines gewissen Leporello große Ähnlichkeit haben soll. Nun große Geister streben sich entgegen, das wirst du aus den Strophen am besten beurteilen können:

Ehrenvoll, so prahlt man,
Ist der Kriegerstand, der hehre;
Gott segne diese Ehre!
Mich geht’s wahrlich nimmer an.

Keine Ruh’ bei Tag und Nacht,
Schweiß durch alle meine Poren,
Ew’ge Grobheit von Majoren,
Und gleich heißt es: »zur Stockwacht!«

Schlechten Sold und kein Kredit,
Exerzieren, Arrestieren;
Nein, der müsste delirieren,
Den’s zu
dieser Ehre zieht!

»Aber nun stehen wir vor der Wohnung unseres gemeinsamen Freundes. Die Fortsetzung ein andermal«, sagte mein geschwätziger Freund, der vor anderen seines Gleichen wenigstens das Verdienst voraus hatte, dass man ihm gerne zuhörte.

Ich will dich mit der Beschreibung dieser, als der darauffolgenden Aufwartungen verschonen, noch weniger aber die hinreißenden Reden anführen, die dabei hervorgehustet und herausgezwängt wurden. Genug davon; nach ein paar Stunden war die große Runde gemacht, und ich befand mich im Arrest auf meinem Zimmer, doch nicht einsam, weit entfernt! Denn eine Menge jüngerer Kameraden, mit denen mich mein Mentor bekannt gemacht hatte, teilten getreulich meine Gefangenschaft. Bouteillen wurden requiriert, Smollis getrunken, dem Obristleutnant ein Pereat gebracht, Oppositionspläne geschmiedet, und ich muss gestehen, ich hatte selten einen vergnügteren Abend erlebt. Die Kameradschaft ist das Einzige, was das Militärleben wert macht, und ohne diese wäre es eine Hölle auf dieser Welt.

Du wunderst dich vielleicht darüber, dass ich, ein so junger Offizier, schon zu dieser trübseligen Erfahrung gekommen bin, aber wenn du nur einen einzigen Tag unter meinem hochwohlgeborenen Obristleutnant Dienst machen müsstest, würdest du gewiss auf meine Ansichten eingehen.

Des anderen Tages morgens sammelten wir uns zum Exerzieren auf dem Marktplatz, wo wir nun zum allgemeinen Spektakel für Gassenjungen, Dienstmägde und Ladendiener dressiert wurden.

Der Obristleutnant kommandierte uns, und ich konnte bald sehen, welch guten Freund ich an ihm gewonnen hatte, denn wie ich mich auch stellen mochte, immer hagelten Bemerkungen auf den unglücklichen Leutnant Lingen. Bald saß meine Schärpe schief, bald meine Mütze, bald war die rechte Achsel aus dem Glied, bald die linke, bald hatte ich mein Feldherrnkinn zu sehr erhoben, bald zu tief gesenkt, und als ich gar am Ende während eines Balancemarsches an einem Stein ausglitt, rief der Basilisk außer sich vor Zorn: »Was tausend hat denn der Leutnant Lingen! Leutnant verdirbt das ganze Defilee. Leutnant marschiert nicht im Glied etc. etc. Kommen Sie hierher, ich will Sie gehen lernen.«

Ich folgte dem Befehl, aber als ich zu ihm herangetreten war, sagte ich leise: »Herr Obristleutnant, ich bitte zu bedenken, dass wir hier auf offenem Markt stehen, und was Ihre Güte betrifft, mich gehen lehren zu wollen, so glaube ich, aufrichtig gesagt, dass meine Beine für diese Kunst besser passen als die des Herrn Obristleutnant.«

»Ins Glied!« rief er und schoss einen der Blicke aus mich, von denen ich schon gestern einen erhalten hatte.

Daraus sollte das Rechtsumkehrt! besser einstudiert werden, aber vorher gab der Obristleutnant folgende Instruktion: »Der Fuß darf nicht höher als ein Briefbogen gehoben werden. Also gut! Rechtsum kehrt euch!«

Außer Stande, diese sonderbare Instruktion zu fassen, hob ich meinen Fuß gute neun Zoll, aber, hilf Himmel!, wie schrie jetzt der Befehlshaber: »Was zum T…! Hat Leutnant Lingen keine Ohren? Ich sagte ein Briefbogen! Hat der Leutnant nicht gehört. Reden Sie!«

»Ja, ganz gewiss habe ich es gehört, aber ich konnte nicht wissen, ob der Herr Obristleutnant die Länge, die Breite oder Dicke des Bogens gemeint hat.«

Alle Offiziere brachen in ein schallendes Gelächter aus, und der Obristleutnant schleuderte mir wieder einen seiner verteufelten Blicke zu. So ging es schon am ersten Tag zu. Was weiter?

Aber nun genug von diesen Kleinigkeiten, deren du jetzt sicherlich überdrüssig sein wirst. Ich habe sie nur deshalb niedergeschrieben, damit du dir lebhafter vorstellen kannst, in welcher lieblichen Lage sich dein unglückseliger Freund befindet. Für mich, der bisher an eine humane Behandlung vonseiten unserer Vorgesetzten gewöhnt war, ist dieser Unterschied doppelt fühlbar, aber man gewöhnt sich an alles, sogar an die Basiliskenblicke des Obristleutnants.

Die Poststunde naht, und ich bin deshalb verhindert, dir über unsere Regimentsschule eine so ausführliche Beschreibung zu geben, wie ich es wünschte, denn du wirst wissen, dass hier jeden Vormittag Unterricht gegeben wird, wobei unser aimabler Obristleutnant unseren Schulmeister macht. Es ist kläglich und lächerlich zu gleicher Zeit, wenn man sieht, wie die alten grauhaarigen Hauptleute, mit Brillen auf den Nasen, dasitzen und vor dem Examiniert werden bange haben, wenn ihnen der Examinator so eine kitzlige Frage über den Felddienst vorlegt, und wie betrübt sie werden, wenn sie einen strengen Verweis bekommen, rascher zu arbeiten und ihre Lektionen besser zu lernen. Ich fühle wahrhaftig ein kleines Mitleid mit diesen fünfzigjährigen Schuljungen, aber wenn sie solche offenbare Schikanen ertragen, so verdienen sie wirklich ihr Schicksal.

Da ich mich nun einmal in diese dürre Pedanterie und diese elende nichtssagende Geschäftigkeit, die im Friedensdienst herrscht, nicht finden kann, so habe ich mich schon hin und her besonnen, ob ich nicht nach Frankreich durchbrennen soll, um dort in die Fremdenlegion zu treten. Dort kann ein Mann mit Herz und Brust wenigstens beweisen, dass er noch zu etwas Besserem taugt als zum Auswendiglernen von Lektionen und zum Briefbogenexerzieren. Aber dazu braucht es Geld, um bis dorthin zu kommen. Doch, kommt Zeit, kommt Rat. Lebewohl! Vergiss nicht

deinen bergfesten Freund Hjalmar.