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Der Hexer Band 12

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer, Band 12
Im Land der Großen Alten

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 03. September 1985, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: James Warhola

Das Ungeheuer stampfte heran – ein Berg aus Fleisch und Zähnen und grauen Panzerplatten. Die dreifingrigen, krallenbewehrten Pranken waren gierig ausgestreckt, und das gewaltige Maul klappte auf und zu wie eine überdimensionale Bärenfalle. Unter den Schritten des Giganten bebte die Erde, und in seinen kleinen, seelenlosen Augen loderte das einzige Gefühl, zu dem ein Koloss wie er überhaupt fähig war: Hunger.

Und die Beute, mit der dieser Tyrannosaurus seinen Hunger zu stillen gedachte, war ich …

Leseprobe

Die Welt des Hexers

Was in den letzten Bänden geschah:

Bei einer Séance kommt Robert Craven auf die Spur eines fremden Geistes, der sich im Körper eines lange verstorbenen Mädchens eingenistet hat. Er und Howard Lovecraft versuchen, das Geheimnis zu ergründen – und geraten in den Wirbel schrecklicher Geschehnisse.

Cindy – oder vielmehr Shadow, der Geist, der sich ihres Körpers bedient – sammelt eine graue Armee um sich: Millionen von Ratten! Als die Freunde ihre Pläne gefährden, wirft sie ihnen ihr Heer entgegen; nur knapp kommen sie mit dem Leben davon. Dann wird Lady Audley McPhaerson, Cindys Tante, von den Ratten entführt. Die Spur führt auf den Friedhof des kleinen Dorfes St. Aimes. Dort entsteht ein Durchbruch in eine andere Dimension, hinter dem Shub-Niggurath, einer der GROßEN ALTEN, seiner Wiedergeburt entgegenträumt. Um ihn zu erwecken, bringt Shadow Opfer dar; auch Lady Audley soll, zum Höhepunkt der Zeremonie, sterben! Robert Craven und Howard haben sich derweil getrennt. Während Robert das Erwachen des GROßEN ALTEN verhindern will, sucht sein Freund zusammen mit einem sonderlichen Ratten-Forscher nach der Königin des grauen Heeres. Dabei infiziert Stanislas Cohen einige der Ratten mit Tollwut. Doch er und Howard werden gefangen – und selbst mit der tödlichen Seuche angesteckt! Nur Howard gelingt die Flucht aus dem unterirdischen Höhlensystem, aber er ist dem Tode geweiht.

Auch Robert läuft in eine Falle – als Gefangener muss er die letzte Phase der Beschwörung miterleben! Doch als Shub-Niggurath erwacht, schleudert er einen seiner Shoggotensterne – und vernichtet den Körper des ALTEN. Dessen Geist jedoch kann in der Statue eines Stahlwolfes fliehen. In diesen schrecklichen Sekunden erkennt Robert Craven endlich Cindys wahre Absichten: Sie wollte Shub-Niggurath im Augenblick der Wiederkunft töten! Und er hat es durch sein Eingreifen verhindert!

Cindy – oder Shadow – ist ein ENGEL!

Und während Robert langsam die Tragweite seiner Tat erkennt, entpuppen sich die Ratten, die Shadow bisher halfen, als Verräter. Sie waren es, die Robert nach St. Aimes führten und Shadows Plan damit vereitelten. Ihre wahren Herren sind ein Volk, das mit ihnen tief unter der Erde lebt – die Jünger der geheimnisvollen THUL SADUUN. Und nun richten sie sich gegen Shadow! Robert, der Engel und Lady Audley stürzen durch eine Erdspalte in das Höhlensystem. Verzweifelt versuchen sie, den Ratten zu entkommen, dringen immer tiefer in den Bauch der Erde vor – und stoßen schließlich auf ein Tor der ALTEN, neben dem sich Shub-Niggurath einer Metamorphose unterzieht.

Den drei Freunden bleibt nur noch ein Fluchtweg: das Tor! Und damit eine Reise durch Zeit und Raum. Niemand weiß, wo sie enden wird …

 

*

 

Ich rannte wie niemals zuvor in meinem Leben. Trotzdem schien die rettende Felswand einfach nicht näher zu kommen, und der Boden unter meinen Füßen bebte in jeder Sekunde stärker. Ich bildete mir fast ein, den fauligen Atem der Bestie bereits wie eine klebrige Hand im Nacken zu spüren. Das Ungeheuer bewegte sich alles andere als elegant, sondern stapfte mit plumpen, ja beinahe schwerfälligen Schritten hinter mir her – aber für jemanden mit Schuhgröße zweihundertdreißig – hätte er Schuhe getragen – war es auch nicht nötig, sich schnell zu bewegen. Obwohl ich wie von Sinnen rannte und mir vor Anstrengung schier die Lungen zu platzen schienen, schrumpfte die Entfernung zwischen uns mit jedem Schritt weiter.

Ich wusste, dass ich es nicht schaffen würde.

Der Tyrannosaurus Rex stieß einen schrillen, triumphierenden Schrei aus, hob den Schwanz und kippte gleichzeitig im Laufen nach vorne, dass ich dachte, er würde mich schlichtweg unter sich begraben wollen. Aber er fiel nicht, sondern verlagerte nur sein Körpergewicht, bis sein droschkengroßer Schädel direkt über mir hing und seine Vorderpfoten nach mir grabschten.

Verzweifelt warf ich mich zur Seite, entging dem tödlichen Zuschnappen seiner Klauen im letzten Moment und entdeckte einen Felsen, der wie eine steinerne Faust aus dem Boden ragte und in der Mitte gespalten war. Blindlings spurtete ich los, hechtete in den Spalt und kroch auf Händen und Knien so tief in den geborstenen Felsen hinein, wie ich nur konnte.

Mit dem Ergebnis, nach einem knappen Meter wie ein Korken in einem zu engen Flaschenhals steckenzubleiben.

Meine Trommelfelle schienen zu platzen, als der Raubsaurier einen neuerlichen, trompetenden Schrei ausstieß und mit dem Schwanz auf den Boden schlug. Die Erde, mein Felsenversteck und ich selbst hüpften einen guten halben Yard in die Höhe und fielen krachend zurück. Mein Hinterkopf prallte unsanft gegen den harten Fels; für einen Moment sah ich nichts als farbige Punkte und kreisende Spiralen.

Als sich das dumpfe Dröhnen zwischen meinen Schläfen legte, hörte ich das Schaben.

Genaugenommen war es nicht direkt ein Schaben. Es hörte sich eher an, als zertrümmere jemand mit einem riesigen Schaufelbagger einen noch größeren Berg.

Mühsam drehte ich mich in dem schmalen, nach unten und vorn enger werdenden Spalt herum, riss mir dabei Hemd und Haut an den Schultern auf – und begegnete dem Blick eines faustgroßen, kurzsichtig blinzelnden Schlangenauges.

Vorhin, als ich den Saurier das erste Mal gesehen hatte, hatte ich den Eindruck gehabt, dass seine Augen winzig wären. Aber in einem Wasserkopf, der die Ausmaße eines mittleren Zweispänners hatte, waren auch winzige Augen von beachtlicher Größe. Und sie waren nicht ganz so kurzsichtig, wie ich es gehofft hatte.

Zumindest sah er damit genug, um mich zu erkennen.

Fast eine halbe Minute lang starrte der Saurier auf mich herab. Sein riesiger Schädel pendelte dabei wie der Kopf einer Schlange hin und her, und sein Schwanz trommelte unablässig auf den Boden. Die furchtbaren Krallen an seinen Hinterläufen rissen halbmetertiefe Furchen in das steinhart gebackene Erdreich.

Schließlich trat er ein Stück zurück, warf den Kopf in den Nacken, stieß ein ungeheuerliches Brüllen aus – und schlug mit aller Macht auf den Felsen ein, in den ich mich verkrochen hatte.

Seine Vorderklauen, lächerlich klein im Verhältnis zu seinem Körper, aber noch immer doppelt so groß wie Schaufelblätter, trafen den Fels mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Ich sah, wie der massive Granit unter dem Hieb barst und Risse bekam. Hastig kroch ich noch ein Stück tiefer in den Felsspalt hinein und riss die Arme über den Kopf, um mein Gesicht vor dem Bombardement von Felssplittern und Steinen zu schützen, das auf mich herabregnete.

Der Saurier beugte sich vor und lugte mit einem Auge zu mir herein.

Ich zog meinen Degen, verrenkte mir in der Enge des Spaltes fast den Arm, um ihn zu heben, und stieß die dünne Klinge tief in seine Pupille. Der Saurier brüllte auf, warf den Kopf zurück und verschwand für einen Moment aus meinem Sichtfeld, aber ich hörte, wie er zu toben begann, und der Boden bockte und schüttelte sich wie bei einem Erdbeben.

Dann tauchte der Koloss wieder über mir auf. Ein dünner Blutfaden lief aus seinem linken Auge, und er blinzelte unablässig, doch er war keineswegs geblendet und noch viel weniger abgeschreckt. Im Gegenteil. Mein Hieb konnte für ihn wirklich nicht mehr als ein Nadelstich gewesen sein; aber ein sehr schmerzhafter Nadelstich, der ihn schier zur Raserei trieb.

Mit einem Schrei, der mir beinahe die Trommelfelle zerriss, beugte er sich vor, griff mit beiden Pfoten in den Felsspalt und begann zu zerren.

Der Granitblock stöhnte. Fingerbreite Risse klafften plötzlich in seiner Oberfläche, dann begann das ganze Felsgebilde zu zucken und beben – und brach krachend auseinander. Von einer Sekunde auf die andere war meine Deckung verschwunden, und ich lag auf einem Haufen zermalmter Steine, schutzlos dem Toben der prähistorischen Bestie preisgegeben.

Wahrscheinlich rettete es mir das Leben, dass das Ungeheuer für einen Moment genauso verblüfft war wie ich und nur blöde auf mich herabglotzte, statt mich zu verschlingen – was es in diesem Augenblick durchaus gekonnt hätte. Als die Erkenntnis, dass zwischen ihm und seinem Frühstück nun nichts mehr war, in sein primitives Bewusstsein drang, war ich bereits auf den Beinen und rannte weiter. Die Steilwand lag noch zwanzig Schritte vor mir. Zwanzig Schritte für mich.

Für den Saurier zwei.

Allerhöchstens.

Einen davon machte er, als ich knapp die halbe Entfernung überwunden hatte, stand unversehens wieder neben mir und versuchte mir den Kopf abzubeißen. Wieder entging ich dem Tod nur um Haaresbreite, indem ich mich in vollem Lauf zur Seite warf, ein Stück über den betonharten Boden schlitterte und nach einer verzweifelten Drehung wieder aufsprang. Der Saurier knurrte und hieb mit dem Schwanz nach mir.

Diesmal rettete mich wahrscheinlich die Tatsache, dass mein schuppiger Freund wohl an größere Beutestücke gewöhnt war. Ich duckte mich, ließ seinen Schwanz über mich hinwegpfeifen und rannte im Zickzack weiter. Die Echse blieb stehen und folgte mir mit ihrem Blick. Ihr Schädel pendelte hin und her. Offensichtlich reichten ihre Erfahrungen mit hakenschlagender Beute nicht sehr weit.

Endlich erreichte ich die Felswand und den Durchbruch, den ich kurz nach meiner Ankunft bemerkt hatte. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung sprintete ich los und warf mich in den Spalt. Der Tyrannosaurus brüllte, stampfte wütend mit dem Fuß auf und begann hinter mir her zu wanken. Ärgerlich trat er drei-, viermal hintereinander gegen die Wand, dass der gesamte Berg zu wanken schien, ließ einen letzten, fast enttäuscht klingenden Laut hören – und trollte sich.

Es dauerte einen Moment, bis ich überhaupt begriff, dass ich gerettet war. Und selbst dann blieb ich noch mehrere Sekunden reglos stehen und starrte der davonwankenden Raubechse fassungslos nach. Nach der Wut, mit der sie mich verfolgt hatte, erschien es mir fast unglaublich, dass sie jetzt so schnell aufgab.

»Dieses Verhalten ist typisch für sie, Robert«, sagte eine Stimme hinter mir. »Ihr Gehirn ist kaum so groß wie eine Walnuss, weißt du? Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber du hast trotzdem großes Glück gehabt.«

Langsam, die Hand noch immer um den Degenknauf geklammert, drehte ich mich herum; auf neue Schrecken gefasst.

Aber hinter mir stand kein weiteres Ungeheuer, sondern eine schlanke, dunkelhaarige Frau mit sanften Augen. Ein halb erleichtertes, halb amüsiertes Lächeln spielte um ihre vollen, sinnlichen Lippen.

»Shadow!«, flüsterte ich erleichtert. Es war der Engel, der zusammen mit Lady Audley und mir das Tor in Shub-Nigguraths Höhlen betreten hatte.

»Hast du jemand anderen erwartet?«, fragte sie spöttisch.

Ich wollte antworten, bekam aber nur einen halblauten, krächzenden Ton hervor und trat einen halben Schritt auf sie zu. Ihr Anblick erleichterte mich derart, dass ich für einen Moment ernsthaft in Versuchung war, sie schlichtweg in die Arme zu schließen und an mich zu drücken; aber dann fiel mir wieder ein, wer Shadow wirklich war, und ich führte die Bewegung nicht zu Ende, sondern beschränkte mich auf ein erleichtertes Aufatmen und ein – wenn auch etwas verunglücktes – Lächeln.

»Shadow!«, sagte ich noch einmal. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, dich zu sehen.«

»Wieso?«, fragte sie harmlos. »War dir langweilig?«

Ich grinste säuerlich, schob den Degen in seine Umhüllung zurück und versuchte, mir den gröbsten Staub aus den Kleidern zu klopfen – was einigermaßen albern war, denn meine Hosen und mein Hemd bestanden ohnehin nur noch aus Fetzen. »Wo warst du?«, fragte ich. »Und wo ist Lady Audley?«

»Nicht weit von hier«, antwortete Shadow mit einer Kopfbewegung tiefer in den Felsspalt hinein. Sie lächelte und beantwortete meine nächste Frage, noch bevor ich sie stellen konnte. »Es geht ihr gut«, sagte sie. »Ich habe für sie getan, was ich konnte.« Sie zögerte. Ein unsichtbarer Schatten schien über ihr Gesicht zu huschen. »Viel war es allerdings nicht«, fügte sie hinzu.

»Wird sie … sterben?«, fragte ich. Etwas in meinem Innern schien zu Eis zu gefrieren, als ich die Worte aussprach. Das Gefühl, dass ich dieser gutmütigen alten Frau entgegenbrachte, ging weit über das normale menschliche Mitgefühl hinaus. Der Gedanke, sie sterben zu sehen – und, wenn auch nur indirekt, mitschuldig an ihrem Tod zu sein – war mir unerträglich.

»Vielleicht«, antwortete Shadow. »Vielleicht könnte ein Arzt sie retten.«

»Aber bis zum nächsten Hospital ist es ziemlich weit, nicht wahr?«, setzte ich bissig hinzu. »So ungefähr zweihundert Millionen Jahre.«

»Nicht ganz«, antwortete Shadow.

Die großen Alten schlafen hinter den versiegelten Toren; seit Jahrmillionen schon. Wäre die Zeit ihrer Macht nicht vorüber, würden wir kaum noch leben …

»Vielleicht können wir Lady Audley helfen. Aber nicht hier; komm mit.«

Ich nickte, sah aber noch einmal in die Richtung zurück, in der die Echse verschwunden war. Die Sonne stand wie ein Feuerrad am Himmel, und der helle, beinahe weiße Wüstenboden reflektierte ihr Licht, so dass mir beinahe augenblicklich die Tränen in die Augen schossen und ich den Blick wenden musste.

Nicht, dass ich irgendetwas versäumte. Die Ebene, die sich jenseits des Felsdurchlasses erhob, war die mit Abstand ödeste Landschaft, die ich jemals zu Gesicht bekommen hatte. Es gab buchstäblich nichts außer betonhart zusammengebackenem und wie ein gewaltiges Spinnennetz gerissenem Erdreich und einer Handvoll stacheliger, seltsam drahtig aussehender Büsche. Wenn diese Landschaft überhaupt einen Sinn hatte, dachte ich, dann nur den, Leere zu demonstrieren.

Hintereinander gingen wir durch den allmählich breiter werdenden Spalt. Auch hier war der Boden hart wie Stahl, wenn auch nicht mehr von zahllosen Rissen und Sprüngen durchzogen, sondern gewellt wie ein zu Stein erstarrtes Meer. Hier und da gähnten schwarze, wie ausgestanzt wirkende Löcher im Boden, um die Shadow einen großen Bogen schlug. Ich fragte sie lieber nicht, warum, sondern tat es ihr gleich.

Die Felsspalte begann sich rasch zu einem Tal, schließlich zu einem annähernd runden, mehr als hundert Yards durchmessenden Kessel zu erweitern, dessen Wände lotrecht in die Höhe strebten und wie die Felsbarriere auf der anderen Seite von Rissen, Sprüngen und finsteren Höhleneingängen durchbrochen war. Etwas Dunkles, mehr als Mannsgroßes erhob sich aus einer dieser Höhlen und flatterte lautlos davon, als wir näher kamen.

»Wo sind wir hier?«, fragte ich, als Shadow stehenblieb und sich umwandte. »Oder sollte ich besser fragen – wann?«

»Du wirst alles erfahren, Robert«, antwortete sie ausweichend. »Aber zuerst müssen wir hier weg. Es gibt eine Menge gefährlicher Tiere und Pflanzen hier.«

»Das habe ich gemerkt«, sagte ich säuerlich, aber Shadow blieb vollkommen ernst, deutete nur mit einer Handbewegung auf einen runden, gut mannshohen Höhleneingang und wartete, bis ich gebückt hineingetreten war.

Ein muffiger, nach Fäulnis und Verwesung riechender Lufthauch schlug mir entgegen. Trotzdem blieb ich nach ein paar Schritten stehen, atmete erleichtert ein und richtete mich auf. Ich spürte erst jetzt, wie heiß es draußen in der Sonnenglut wirklich gewesen war. Selbst im Halbschatten der Felsspalten mussten an die vierzig Grad Celsius herrschen.

Shadow drängte sich an mir vorbei, bedeutete mir mit ungeduldigen Gesten, nicht stehenzubleiben, und lief gebückt voraus. Irgendwo in unbestimmbarer Entfernung vor uns war eine Insel flackernder Helligkeit; Brandgeruch mischte sich in den Geruch des heißen Felsens, und schließlich erreichten wir eine halbhohe, kuppelförmige Höhle, in deren Mitte ein kleines, säuberlich aufgeschichtetes Lagerfeuer brannte.

Shadow bückte sich nach einem brennenden Scheit, hielt ihn wie eine Fackel in die Höhe und gestikulierte mir, es ihr gleichzutun. Ohne uns länger als unbedingt nötig aufzuhalten, verließen wir die Höhle durch einen anderen Ausgang und begannen im Inneren des Berges weiter in die Höhe zu klettern.

Der Tunnel führte in zahllosen Windungen und Kehren durch den Fels, und trotz des nur schwachen Lichtes glaubte ich zu erkennen, dass seine Wände stellenweise glatt und wie glasiert waren. Zudem war dieser eine Stollen nicht der einzige; wir passierten mehrere Abzweigungen und Kreuzungen, und ein paarmal mussten wir eng an die Wand gepresst weitergehen, um nicht in einen der Schächte zu fallen, die im Boden gähnten. Der ganze Berg schien von diesen Gängen und Stollen durchzogen zu sein, dachte ich schaudernd.

Nach einer Weile tauchte ein münzgroßer Fleck hellen Tageslichtes schräg über uns am Ende des Stollens auf, und ich blieb unwillkürlich stehen. »Was ist das hier?«, fragte ich. Der gekrümmte Gang fing meine Stimme auf und warf die Worte tausendfach gebrochen und verzerrt zurück, und für einen ganz kurzen Moment hatte ich das Gefühl, dazwischen noch einen anderen Laut zu hören; ein Geräusch wie von großen, schuppigen Körpern, die über harten Stein glitten.

Shadow blieb stehen und sah mich nachdenklich an. »Ich habe doch gesagt, dass wir hier nicht bleiben können«, sagte sie, ohne direkt auf meine Frage einzugehen. »Genaugenommen dürften wir nicht einmal hier sein. Aber wir haben Glück: Die Sterne stehen günstig, und es dauert noch lange, bis die Sonne untergeht. Trotzdem – komm.«

Ich verstand kein Wort von dem, was sie meinte, aber vor meinem inneren Auge entstand plötzlich das Bild eines ausgehöhlten Berges, in dessen Innerem sich blinde schwarze Riesenwürmer durch den Fels fraßen. Ich vertrieb die Vorstellung. Wenigstens versuchte ich es.

Der helle Fleck über uns wurde größer, und nach einer Weile legte Shadow ihre Fackel so zu Boden, dass sie nicht verlöschen konnte, winkte noch einmal auffordernd mit der Hand und trat vor mir aus dem Berg.

Was ich bisher für einen Berg gehalten hatte, war in Wahrheit Teil eines gewaltigen, weit über hundert Yard hohen Kraterwalles, dessen Grat so breit wie der Piccadilly-Circus und nahezu vollkommen eben war. Auch hier wirkte der Fels stellenweise, als wäre er sorgsam glattpoliert und hinterher mit einer hauchdünnen Glasschicht überzogen worden, und auch hier gewahrte ich eine enorme Anzahl verschieden großer, runder Löcher. Es sah aus, als wäre der Berg überall angebohrt worden.

Shadow wartete, bis ich mich vollends auf die Beine erhoben und den überraschenden Anblick einigermaßen überwunden hatte, winkte mir mit der Linken, neben sie zu treten, und deutete mit der anderen Hand nach Norden. Das Bild ließ mir den Atem stocken. Das Wort fantastisch kann den Anblick, der sich uns bot, nur unzureichend beschreiben.

Es war nicht nur wie ein Bild aus einer fremden Welt – es war eine fremde, vollkommen fremde, bizarre Welt, die sich unter uns ausbreitete.

Der Krater musste einen Durchmesser von mindestens hundert Meilen haben; wahrscheinlich mehr. Sein Inneres lag tiefer als die Ebene auf der anderen Seite, und die gegenüberliegende Seite des Kraterwalles verschwamm im Dunst der Entfernung. Die Luft flimmerte vor Hitze, so dass alles, was weiter als ein paar Dutzend Schritte entfernt war, hinter einem Vorhang aus wirbelndem Wasser verborgen schien.

In der Mitte des Kraters erhob sich ein Berg. Jedenfalls dachte ich im ersten Moment, dass es ein Berg wäre. Dann erkannte ich, was es wirklich war.

Eine Stadt.

Eine Stadt? Nein. Es war mehr als das, mehr als ein Bauwerk, mehr als irgendetwas, das ich jemals zu Gesicht bekommen hatte. Es war ein Ungeheuer aus Stein und gestaltgewordenen Schatten, zu groß, um allein von Menschenhand erschaffen worden zu sein, terrassenförmig angelegt und auf schwer in Wort zu fassende Weise verbogen und verzerrt, als hätte ein Gigant einen Berg genommen und so lange zusammengepresst, bis dieses gewaltige Alptraumgebilde daraus geworden war.

»Mein Gott«, flüsterte ich. »Was ist das?«

»Maronar«, antwortete Shadow.

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