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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 4. – 6. Bändchen – Kapitel XI

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Viertes bis sechstes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XI. Die Fähre

Wir hoffen, der Leser hat den jungen Reisenden nicht ganz vergessen, den wir auf der Straße nach Flandern ließen.

Sobald Raoul seinen Beschützer, der ihm mit den Blicken, vor der Basilika stehend, folgte, aus den Augen verlor, gab er seinem Pferd die Sporen, einmal, um seinen schmerzlichen Gedanken zu entfliehen, und dann, um vor Olivain die Bewegung zu verbergen, welche mächtig auf seinen Zügen hervortrat.

Eine Stunde raschen Marsches zerstreute jedoch bald all die düsteren Dünste, welche die so reiche Einbildungskraft des Jünglings in Betrübnis versetzt hatten. Das unbekannte Vergnügen, frei zu sein, ein Vergnügen, das seine Süßigkeit selbst für diejenigen hat, welche nie unter einer Abhängigkeit litten, vergoldete für Raoul den Himmel und die Erde und besonders den fernen, azurblauen Horizont des Lebens, den man Zukunft nennt.

Er bemerkte jedoch nach verschiedenen Versuchen eines Gespräches mit Olivain, dass lange Tage auf diese Art zugebracht, sehr traurig sein müssten. Die so sanfte, so überzeugende Rede des Grafen kam ihm in das Gedächtnis, in Beziehung auf die Städte, die man durchzog, worüber niemand kostbarere Auskunft geben konnte, als ihm von Athos, dem Gelehrtesten und Unterhaltendsten von allen Führern, erteilt worden war.

Noch ein anderes Andenken machte Raoul traurig; nach Louves gelangend, hatte er, hinter einem Vorhang von Pappelbäumen verloren, ein kleines Schloss erblickt, das ihn so stark an la Vallière erinnerte, dass er Halt machte, um es wenigstens zehn Minuten anzuschauen und sodann seufzend seinen Weg fortsetzte, ohne nur Olivain zu antworten, der ihn nach der Ursache dieser Aufmerksamkeit fragte. Der Anblick der äußeren Gegenstände ist ein geheimnisvoller Konduktor, welcher mit den Fibern des Gedächtnisses in Verbindung steht; ist dieser Faden einmal erregt, wie der der Ariadne, so führt er in ein Labyrinth von Gedanken, worin man sich verirrt, wenn man dem Schatten der Vergangenheit folgt, den man Erinnerung nennt. Der Anblick dieses Schlosses hatte Raoul fünfzig Meilen nach Westen zu gebracht und ihn in seinem Leben zurückgehen lassen, von dem Augenblick, wo er von der kleinen Louise Abschied nahm, bis zu dem, wo er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Jedes Eichengebüsch, jede Wetterfahne auf einem Schieferdach erschaut, erinnerte ihn daran, dass er, statt zu den Freunden seiner Kindheit zurückzukehren, sich immer mehr von denselben entfernte, und dass er sie vielleicht für immer verlassen hatte.

Das Herz aufgeschwollen, den Kopf schwer, befahl er Olivain, die Pferde in eine kleine Herberge zu führen, die er an der Landstraße, ungefähr in einer halben Büchsenschussweite vorwärts von dem Ort erblickte, zu welchem man gelangt war. Er selbst stieg ab, blieb unter einer schönen Gruppe von blühenden Kastanienbäumen, um welche zahllose Bienen summten, und beauftragte Olivain, ihm durch den Wirt Briefpapier und Tinte auf einen Tisch bringen zu lassen, der wie zum Schreiben aufgestellt zu sein schien.

Olivain gehorchte und setzte seinen Weg fort, während Raoul die Ellbogen auf den Tisch gestützt dasaß, mit den Blicken hinausschweifend über diese schöne, ganz mit grünen Feldern und Baumgruppen durchzogene Landschaft, indessen von Zeit zu Zeit Blüten wie Schneeflocken auf sein Haupt herabfielen.

Raoul verweilte hier ungefähr zehn Minuten und war etwa fünf in seine Träumereien versunken, als er in dem Kreis, welchen seine zerstreuten Blicke umfassten, eine rötliche Figur sich bewegen sah, die, eine Serviette unter dem Arm, eine weiße Mütze auf dem Kopf, sich mit Papier, Tinte und Feder ihm näherte.

»Ah! Ah!«, sprach die Erscheinung, »man sieht, alle Edelleute haben dieselben Gedanken, denn vor kaum einer Viertelstunde hat ein junger Seigneur, gut beritten, wie Ihr, von vornehmen Aussehen, wie Ihr, und ungefähr von Eurem Alter vor dieser Baumgruppe Halt gemacht. Er befahl, diesen Tisch und diesen Stuhl zu bringen, speiste hier mit einem alten Monsieur, der sein Hofmeister zu sein schien, eine Pastete, von der sie kein Stückchen übrig ließen, und trank mit seinem Begleiter eine Flasche alten Macon-Wein, von der nicht ein Tropfen in der Flasche blieb; zum Glück haben wir noch von demselben Wein und ähnliche Pasteten, und wenn der gnädige Monsieur befehlen wollte …«

»Nein, mein Freund«, antwortete Raoul lächelnd. »ich danke Euch, ich bedarf für jetzt nur der Dinge, die ich habe verlangen lassen; freilich würde es mir sehr lieb, sein, wenn die Tinte schwarz und die Feder gut wäre; in diesem Falle würde ich für die Feder den Preis der Flasche und für die Tinte den Preis der Pastete bezahlen.«

»Ganz wohl, gnädiger Monsieur«, sprach der Wirt, »dann will ich die Pastete und die Flasche Eurem Bedienten geben. Ihr bekommt auf diese Art die Feder und die Tinte in den Kauf.«

»Macht es, wie Ihr wollt«, erwiderte Raoul, der seine Lehre bei dieser ganz besonderen Klasse der Gesellschaft begann, welche, als es auf den Landstraßen noch Räuber gab, mit diesen assoziiert war, und seitdem es keine mehr gibt, dieselben auf eine vorteilhafte Weise ersetzt hat.

Über seine Einnahme beruhigt, legte der Wirt Papier, Tintenfass und Feder auf den Tisch. Zufälligerweise war die Feder gut und Raoul schickte sich an, zu schreiben.

Der Wirt blieb vor ihm stehen und betrachtete mit einer Art von unwillkürlicher Bewunderung dieses reizende, so sanfte und zugleich so ernste Antlitz. Die Schönheit ist stets eine Königin gewesen und wird immer eine sein.

»Das ist kein Gast, wie der von vorhin«, sagte der Wirt zu Olivain, welcher wieder zu Raoul zurückgekehrt war, um zu sehen, ob er nichts bedürfe. »Und Euer junger Monsieur hat keinen Appetit.«

»Der Monsieur hatte noch vor drei Tagen, aber seit vorgestern hat er ihn verloren.«

Olivain und der Wirth wandelten zu der Herberge zurück, wobei Olivain, nach Art der über ihre Lage glücklichen Bedienten, dem Herbergsvater alles erzählte, was er in Beziehung auf den jungen Edelmann sagen zu können glaubte.

Mittlerweile schrieb Raoul:

Monsieur!

Nach einem Marsch von vier Stunden halte ich an, um Euch zu schreiben, denn Ihr fehlt mir jeden Augenblick, und ich bin immer im Begriff, den Kopf umzudrehen, wie um zu antworten, wenn Ihr mit mir sprachet. Ich war so betäubt von Eurem Abgang und wurde über unsere Trennung dergestalt von Kummer ergriffen, dass ich Euch nur schwach all das ausgedrückt habe, was ich an Zärtlichkeit und Dankbarkeit für Euch fühle. Ihr werdet mich entschuldigen, denn Euer Herz ist so edel, dass Ihr alles begreift, was in dem meinen vorging. Schreibt mir doch, ich bitte Euch, denn Eure Ratschlage bilden einen Teil meines Daseins; und dann, wenn ich es Euch gestehen darf, bin ich unruhig: Es kam mir vor, als schicktet Ihr Euch selbst zu einer gefahrvollen Unternehmung an, über welche ich Euch nicht zu befragen wagte, weil Ihr mir nichts davon sagtet. Ihr seht, ich bedarf sehr der Kunde von Euch. Seitdem ich Euch nicht mehr bei mir habe, befürchte ich jeden Augenblick zu fehlen. Ihr unterstütztet mich mächtig, Monsieur, und heute, ich schwöre es Euch, fühle ich mich sehr allein.

Wolltet Ihr wohl die Gefälligkeit haben, wenn Ihr Nachricht von Blois bekommt, mir einige Worte von meiner kleinen Freundin, Fräulein de la Vallière, zu schreiben, deren Gesundheit, wie Ihr wisst, bei unserer Abreise zu einiger Besorgnis Anlass geben konnte. Ihr begreift, Monsieur und teurer Beschützer, wie die Erinnerungen aus der Zeit, die ich bei Euch zugebracht habe, mir so kostbar und wesentlich sind. Ich hoffe, Ihr werdet auch zuweilen an mich denken, und wenn ich Euch zu gewissen Stunden fehle, wenn Ihr etwas wie einen kleinen Kummer über meine Abwesenheit fühlt, so wird mich Freude bei dem Gedanken erfüllen, dass Ihr meine Liebe und Ergebenheit für Euch empfunden habt, und dass ich sie Euch begreiflich zu machen verstand, während ich das Glück genoss, in Eurer Nähe zu leben.

Als dieser Brief vollendet war, fühlte sich Raoul ruhiger. Er schaute umher, ob Olivain und der Wirt ihn nicht betrachteten, drückte einen Kuss auf dieses Papier, eine stumme, rührende Liebkosung, welche Athos, den Brief öffnend, zu erraten fähig war.

Während dieser Zeit hatte Olivain seine Flasche geleert und seine Pastete gegessen; die Pferde waren erfrischt; Raoul machte dem Wirt ein Zeichen, herbeizukommen, warf einen Taler auf den Tisch, stieg wieder zu Ross und gab in Senlis den Brief auf die Post.

Die Ruhe, welche Pferde und Reiter genossen hatten, erlaubte ihnen, den Marsch ohne Aufenthalt fortzusetzen. In Berberie befahl Raoul Olivain, sich nach dem jungen Edelmann zu erkundigen, der ihm voraus reiste. Man hatte ihn vor drei Viertelstunden durchkommen sehen, aber er war gut beritten, wie der Wirt gesagt hatte, und marschierte in raschem Zug.

»Wir wollen diesen Edelmann einzuholen versuchen«, sprach Raoul zu Olivain, »er geht wie wir zum Heer und wird eine angenehme Gesellschaft für uns sein.«

Es war vier Uhr nachmittags, als Raoul nach Compiègne gelangte. Er speiste mit gutem Appetit zu Mittag und erkundigte sich abermals nach dem jungen Edelmann, der ihm vorausritt. Er hatte wie Raoul im Gasthof Zur Glocke und Flasche angehalten, welcher der beste in Compiègne war, und sodann seine Reise mit der Bemerkung fortgesetzt, er wolle in Noyon über Nacht bleiben.

»Bleiben wir auch in Noyon«, sprach Raoul.

»Gnädiger Monsieur«, erwiderte ehrfurchtsvoll Olivain, »erlaubt mir zu bemerken, wir haben diesen Morgen unsere Pferde bereits sehr angestrengt. Es wäre, glaube ich, gut, hier zu übernachten und morgen frühzeitig weiter zu reisen. Achtzehn Meilen genügen für eine erste Etappe.«

»Der Monsieur Graf de la Fère wünscht, dass ich mich beeile«, antwortete Raoul, »und ich soll am Morgen des vierten Tages den Monsieur Prinzen eingeholt haben. Reiten wir noch bis Noyon, das ist dann eine Etappe der ähnlich, welche wir bei unserer Reise von Blois nach Paris gemacht haben. Wir kommen um acht Uhr an; die Pferde haben die ganze Nacht, um auszuruhen, und morgen früh um fünf Uhr setzen wir uns wieder in Marsch.«

Olivain wagte es nicht, sich diesem Entschluss zu widersetzen, aber er folgte murrend.

»Geht, geht«, sprach er durch die Zähne, »werft Euer Feuer am ersten Tag weg. Morgen macht Ihr statt eines Marsches von zwanzig Meilen einen von zehn, übermorgen einen von fünf und in drei Tagen liegt Ihr im Bett. Ah! Ihr hättet sehr der Ruhe nötig; alle diese jungen Leute sind Prahler.«

Man sieht, dass Olivain in der Schule eines Planchet und Grimaud erzogen worden war.

Raoul fühlte sich müde, aber er wünschte seine Kräfte zu versuchen. Genährt von den Grundsätzen von Athos, fest überzeugt, dass er ihn tausendmal von Etappen von fünfundzwanzig Stunden hatte sprechen hören, wollte er nicht unter seinem Musterbild bleiben. D’Artagnan, dieser Mann von Eisen, welcher ganz von Nerven und Muskeln gebaut zu sein schien, hatte seine Bewunderung hervorgerufen.

Er ritt also immer fort, wobei er von Zeit zu Zeit den Gang seines Pferdes, trotz der Bemerkungen von Olivain, zu beschleunigen versuchte und einer reizenden schmalen Straße folgte, welcher zu einer Fähre führte und den Weg um eine Meile abkürzte, wie man ihn versichert hatte, als er den Gipfel eines Hügels erreichend, den Fluss vor sich erblickte. Eine kleine Truppe von Männern zu Pferde hielt am Ufer, bereit, sich einzuschiffen. Raoul zweifelte nicht, es wäre der Edelmann und sein Geleit. Er rief, war aber noch zu weit entfernt, um gehört zu werden. Raoul setzte sein Pferd, so müde es auch war, in Galopp, doch eine wellenförmige Erhöhung des Bodens entzog ihm bald den Anblick der Reisenden. Als er auf eine neue Anhöhe gelangte, hatte die Fähre das Ufer verlassen und schwamm zu dem entgegengesetzten Gestade.

Als Raoul sah, dass er nicht zeitig genug hinabgelangen konnte, um mit den Reisenden über den Fluss zu setzten, hielt er an und wartete aus Olivain.

In diesem Augenblick hörte man einen Schrei, welcher vom Fluss zu kommen schien. Raoul wandte sich auf die Seite, von wo der Schrei erscholl, hielt die Hand über seine Augen, welche die untergehende Sonne blendete, und rief: »Olivain, was sehe ich da unten!«

Ein zweiter, noch durchdringenderer Schrei erscholl unten!

»Ei, gnädiger Monsieur«, sagte Olivain, »das Seil der Fähre ist gebrochen und das Schiff fällt ab. Aber was sehe ich im Wasser? Es kämpft!«

»Allerdings!«, rief Raoul, seine Blicke auf einen Punkt im Fluss heftend, welchen die Sonnenstrahlen glänzend beleuchteten, »ein Pferd, ein Reiter!«

»Sie sinken!«, rief Olivain.

Es war so, und Raoul hatte die Gewissheit erlangt, dass ein Unfall geschehen war und dass ein Mensch mit den Wellen kämpfte. Er ließ seinem Pferd die Zügel schießen, drückte ihm die Sporen in den Leib, und das Tier sprang, vom Schmerz angestachelt, über eine Art von Geländer, welches den Landungsplatz umgab, und fiel in den Fluss, wobei Schaumwogen in die Ferne spritzten.

»Ah, gnädiger Monsieur!«, rief Olivain, »was macht Ihr? Mein Gott und Vater!«

Raoul lenkte sein Pferd zu dem Unglücklichen, der in Gefahr schwebte. Es war dies übrigens ein ihm bekanntes Manöver. An den Ufern der Loire geboren, war er gleichsam in ihren Wellen gewiegt worden. Hundertmal hatte er sie zu Pferde, tausendmal schwimmend durchzogen. Die Zeit vorhersehend, wo er aus dem Vicomte einen Soldaten machen würde, hatte Athos ihn an alle diese Unternehmungen gewöhnt.

»O mein Gott!«, fuhr Olivain ganz in Verzweiflung fort, »was würde der Monsieur Graf sagen, wenn er Euch erblickte!«

»Der Monsieur Graf hätte es gemacht wie ich«, antwortete Raoul, sein Pferd kräftig antreibend.

»Aber ich, aber ich!«, rief Olivain, der sich ganz bleich am Ufer hin und hertrieb, »wie soll ich hinüberkommen?«

»Spring, Hasenherz!« rief Raoul, beständig schwimmend.

Dann sich an den Reisenden wendend, der sich zwanzig Schritte vor ihm abarbeitete, sprach er: »Mut, Monsieur, Mut, man kommt Euch zu Hilfe!«

Olivain ritt vor und wich wieder zurück, ließ sein Pferd sich bäumen und sich winden und stürzte endlich, von der Scham im Herzen ergriffen, wie Raoul in den Fluss, wobei er aber wiederholte: »Ich bin tot! Wir sind verloren!«

Die Fähre lief indessen rasch, von der Strömung erfasst, den Fluss hinab, und man hörte diejenigen, welche sie forttrug, laut um Hilfe rufen.

Ein Mann mit grauen Haaren war von der Fähre in den Fluss gesprungen und schwamm kräftig gegen die Person, welche dem Ertrinken nahe war. Aber er rückte nur langsam vorwärts, denn er musste gegen den Strom schwimmen.

Raoul setzte seinen Weg fort und kam sichtbar weiter, aber das Pferd und der Reiter, die er nicht aus dem Blick verlor, sanken offenbar immer mehr unter. Das Pferd hatte nur noch die Nüstern über dem Wasser und der Reiter, welcher bei der Anstrengung gegen die Wellen die Zügel losließ, streckte die Arme aus und hielt seinen Kopf vorwärts. Noch eine Minute und alles verschwand.

»Mut!«, rief Raoul, »Mut!«

Das Wasser lief über den Kopf des Ertrinkenden und erstickte seine Stimme im Mund.

Raoul warf sich von seinem Pferd, dem er die Sorge für seine Selbsterhaltung überließ, und in drei bis vier Stößen war er bei dem Edelmann. Er ergriff sogleich das Pferd bei der Kinnkette und hob ihm den Kopf über das Wasser. Das Tier atmete nun freier und verdoppelte seine Anstrengungen, als ob es begriffen hätte, man käme ihm zu Hilfe. Raoul fasste zu gleicher Zeit eine von den Händen des jungen Mannes und führte sie an die Mähne, an welcher sie sich mit der Festigkeit des Ertrinkenden klammerte. Überzeugt, dass der Reiter nicht mehr loslassen würde, beschäftigte sich Raoul nur noch mit dem Pferd, das er zu dem entgegengesetzten Ufer lenkte, wobei er es im Durchschneiden des Wassers unterstützte und mit der Zunge ermutigte.

Bald stieß das Tier auf einen festen Grund und fasste Fuß auf dem Sand.

»Gerettet!«, rief der Mann mit den grauen Haaren, welcher nun ebenfalls Fuß fasste.

»Gerettet!«, murmelte maschinenmäßig der Edelmann, ließ die Mähne los und glitt über den Sattel herab in die Arme von Raoul.

Raoul war nur zehn Schritte vom Ufer entfernt. Er trug den ohnmächtigen Jüngling dahin, legte ihn auf das Gras, riss die Schnüre seines Kragens auf und löste die Spangen seines Wamses.

Eine Minute danach war der Mann mit den grauen Haaren bei ihm.

Olivain hatte ebenfalls nach vielem Bekreuzigen das Ufer erreicht, und die Leute von der Fähre lenkten diese, so gut sie konnten, mithilfe einer Stange, welche sich zufällig in dem Schiff befand, zum Ufer.

Allmählich kehrte durch die Bemühungen von Raoul und dem Mann, welcher den jungen Kavalier begleitete, das Leben auf die bleichen Wangen des Sterbenden zurück, welcher nun die Augen wieder öffnete, ganz verwirrt umherschaute, dann aber bald seine Blicke auf denjenigen heftete, welcher ihn gerettet hatte.

»Ah, Monsieur!.« rief er, »Euch suchte ich. Ohne Euch wäre ich tot, dreimal tot!«

»Aber man erwacht wieder, wie Ihr seht, Monsieur«, antwortete Raoul, »und wir sind mit einem Bad davongekommen.«

»Welchen Dank sind wir Euch schuldig!,« rief der Mann mit dem grauen Haar.

»Ihr seid hier, mein guter d’Arminges! Ich habe Euch sehr bange gemacht, nicht wahr? Aber das ist Euer Fehler: Ihr wart mein Lehrer, warum habt Ihr mich nicht besser schwimmen gelehrt?«

»Ah, Monsieur Graf«, sprach der Greis, »wenn Euch Unheil widerfahren wäre, ich hätte es nie wieder gewagt, mich vor dem Monsieur Marichall zu zeigen!«

»Aber wie hat sich denn diese Sache ereignet?«, fragte Raoul.

»Monsieur, auf die einfachste Weise«, antwortete derjenige, welchem man den Grafentitel gegeben hatte. »Wir hatten ungefähr den dritten Teil des Flusses erreicht, als das Seil der Fähre riss. Bei dem Geschrei und den Bewegungen der Ruderer scheute mein Pferd und sprang in den Fluss. Ich schwimme schlecht und wagte es nicht, mich in das Wasser zu werfen. Statt die Bewegungen meines Rosses zu unterstützen, lähmte ich sie und war nahe daran, auf das Allerschönste zu ertrinken, als Ihr gerade zur rechten Zeit kamt, um mich aus dem Fluss zu ziehen. Wenn Ihr wollt, Monsieur, so gehören wir uns von nun an auf Leben und Tod.«

»Monsieur«, sprach Raoul, sich verbeugend, »ich bin, das versichere ich Euch, ganz und gar Euer Diener.«

»Ich heiße Graf von Guiche«, fuhr der Reiter fort. »Mein Vater ist Marschall von Grammont. Und nun, da Ihr wisst, wer ich hin, so werdet Ihr mir wohl die Ehre erzeigen, mir zu sagen, wer Ihr seid.«

»Ich bin der Vicomte von Bragelonne«, sprach Raoul, errötend, dass er seinen Vater nicht nennen konnte, wie es der Graf von Guiche getan hatte.«

»Vicomte! Euer Antlitz, Eure Güte und Euer Mut ziehen mich zu Euch hin, Ihr habt bereits meine ganze Dankbarkeit. Umarmen wir uns, ich bitte Euch um Eure Freundschaft.«

»Monsieur«, erwiderte Raoul, dem Grafen seine Umarmung zurückgebend, »auch ich liebe Euch bereits mit meinem ganzen Herzen. Gebraucht mich, ich bitte Euch, wie einen ergebenen Freund.«

»Und nun, wohin geht Ihr?«, fragte von Guiche.

»Zum Heer des Monsieur Prinzen, Graf.«

»Ich ebenfalls«, rief der junge Mann, im höchsten Maße erfreut. »Schön, schön, wir tun den ersten Pistolenschuss miteinander.«

»So ist es gut; liebt Euch!«, sprach der Hofmeister. »Beide noch jung, habt Ihr ohne Zweifel ein Gestirn und musstet Euch treffen.«

Die zwei jungen Leute lächelten mit dem Vertrauen der Jugend.

»Nun aber«, sprach der Hofmeister, »müsst Ihr die Kleider wechseln. Eure Lakaien, denen ich in dem Augenblick, wo sie die Fähre verließen, Befehl gegeben habe, müssen bereits im Gasthof angelangt sein. Frische Wäsche und Wein erwärmen. Kommt!«

Die jungen Leute hatten gegen diesen Vorschlag keine Einwendung zu machen, sie fanden denselben im Gegenteil vortrefflich, stiegen wieder zu Pferde und schauten sich beide einander bewundernd an. Es waren in der Tat zwei schmucke Reiter von schlankem, hohem Wuchs, zwei edle Gesichter mit freier Stirn, sanftem, stolzem Blick, redlichem, feinem Lächeln. Von Guiche mochte ungefähr achtzehn Jahre alt sein, aber er war kaum größer als Raoul, welcher erst fünfzehn zählte.

Sie reichten sich mit einer unwillkürlichen Bewegung die Hand, spornten ihre Pferde und ritten nebeneinander vom Fluss zu dem Gasthof. Der eine fand dieses Leben, welches er beinahe hätte verlassen müssen, schön und lachend; der andere dankte Gott, dass er bereits hinreichend gelebt hatte, um imstande gewesen zu sein, etwas zu tun, wodurch er seinen Beschützer erfreuen würde.

Olivain war der Einzige, den diese schöne Handlung seines Herrn nicht völlig befriedigte. Er drehte die Ärmel und Schösse seines Kleides und dachte dabei, dass ein Halt in Compiègne ihn nicht allein vor dem Unfall, welchem er nun entgangen war, sondern auch vor Brustflüssen und Rheumatismen geschützt hätte, welche eine natürliche Folge seines Bades sein müssten.

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