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Nach Amerika! – Zweiter Band – 01

Friedrich Gerstäcker
Nach Amerika!
Zweiter Band
Leipzig, Berlin, 1855

Die Seestadt

Am 29. August abends zehn Uhr rasselten zwei Droschken durch die engen, noch ziemlich belebten Straßen Bremens und hielten dicht hintereinander vor dem offenen Torweg des Hannoverschen Hauses, aus dem ein paar geschäftige Kellner sprangen, die Neuangekommenen in Empfang zu nehmen.
»Um wie viel Uhr fährt morgen früh die Heidschnucke ab?«, fragte ein älterer Herr, der in einen weiten Mantel gewickelt hastig aus dem ersten Wagen stieg, indessen aus dem anderen ein paar Damenhüte schauten, als ob sie noch unschlüssig wären, hier auszusteigen oder weiterzufahren.
»Heidschnucke?«, sagte der Oberkellner etwas verblüfft den Fremden und dann den ebenfalls herzugekommenen Hausknecht anschauend, »Heidschnucke
»Weet ick nich«, erwiderte dieser kurz angebunden und fing an, ohne weiter zu fragen, die verschiedenen, vorn auf dem Bock aufgehäuften Koffer und Hutschachteln von diesem herunterzuziehen.
»Das Schiff Heidschnucke, Kapitän Siebelt, nach New Orleans bestimmt«, erklärte der Fremde – ein alter Bekannter von uns, Professor Lobenstein – dem Kellner indessen. »Der Abgang war auf morgen früh bestimmt, und ich wollte schon gestern hier sein, bin aber um einen Tag aufgehalten worden.«
»Ach, Sie meinen ein Seeschiff«, sagte der Kellner beruhigend, »da brauchen Sie keine Angst zu haben; die gehen selten so pünktlich – befehlen Sie zwei oder drei Zimmer?«
»Ja, selten so pünktlich«, wiederholte der Professor ungeduldig, »darauf kann ich mich nicht einlassen He! Sie da – wo laufen Sie denn mit den Sachen hin? Lassen Sie mir das erst alles einmal auf dem Hausflur stehen, bis Sie weiteren Bescheid bekommen. Wo wohnt denn wohl der Reeder der Heidschnucke
»Der Reeder der Heidschnucke?«, wandte sich der Oberkellner wieder fragend an den Hausknecht. »Wer hat denn die Heidschnucke eigentlich?«
»Weet ick nich«, sagte der Hausknecht wieder, wie vorher kurz angebunden.
»Ferdinand Hessburg«, kam ihm der Professor hierbei zu Hilfe, »die Firma heißt, glaube ich, Hessburg & Sohn.«
»Ach, ich weiß schon«, erwiderte der zweite Kellner jetzt,» das Geschäft ist in der Seemannsstraße, aber Hessburgs wohnen am Wall.«
»Kann ich jemand bekommen, der mich dorthin begleitet?«, fragte der Professor.
»Es ist zehn Uhr vorbei«, sagte der zweite Kellner achselzuckend.
»Ich muss jemanden aus dem Geschäft noch diesen Abend sprechen«, beharrte aber der Professor in der einmal gefassten Furcht, dass er die Abfahrt des Schiffes versäume. »Können Sie nur jemand von hier mitgeben, so mögen meine Damen solange in das Gastzimmer gehen und sich ein wenig restaurieren. Ist es dann nötig, so nehmen wir nachher Extrapost und fahren nach Bremerhaven hinaus.«
Die Damen waren indessen ausgestiegen, und die verschiedenen Collis in dem Gastzimmer, an dessen Abendtafel es ziemlich lebhaft herging, neben dem Ofen aufgetürmt worden zu augenblicklicher Weiterbeförderung, falls diese nötig werden sollte, bereit zu sein. Der Professor Lobenstein aber ging raschen Schrittes, mit dem einsilbigen Hausknecht als Führer, die Straßen entlang, dem bezeichneten Stadtviertel zu, bis Jahn, wie der Hausknecht hieß, vor einem sehr eleganten Haus Halt machte und dort auch, ohne weiter ein Wort zu sagen, mit solcher Gewalt an dem Messinggriff der Klingel riss, dass das ganze Haus von dem so plötzlich geweckten Geläute widerschallte.
»Aber um Gottes Willen«, rief der etwas rücksichtsvolle Fremde erschreckt.
»Dat sollen se woll ‘hört hebben«, meinte aber Jahn ruhig und schob seine Hände, wie vollständig mit sich zufrieden in die Taschen, während drinnen im Haus ängstlich bestürzte Stimmen laut wurden und Leute hin und wieder liefen. Oben in der ersten Etage öffnete sich aber auch gleich darauf ein Fenster, und eine ziemlich ärgerliche Bassstimme fragte herunter, wer da wäre und wo es brenne.
»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung«, sagte aber der Professor, unwillkürlich in der Dunkelheit seinen Hut abnehmend, »mein Führer hier hat so entsetzlich an der Klingel gerissen.«
»Zu wem wollen Sie?« fragte der Bass oben, die Entschuldigung unten kurz abschneidend, »hier wohnt kein Doktor.«
»Habe ich das Vergnügen, mit Herrn Hessburg zu sprechen?«, fragte aber der Professor zurück.
»Mein Name ist Hessburg«, sagte der Bass.
»Dann sind Sie wohl so freundlich, mir zu sagen, um welche Tageszeit die Heidschnucke morgen segelt«, sagte der Professor, froh endlich an den rechten Mann gekommen zu sein, »und ob ich noch zur rechten Zeit komme, wenn ich jetzt Extrapost nehme und die Nacht durch nach Bremerhaven fahre – ich habe mich um einen Tag verspätet und möchte das Schiff nicht versäumen.«
»Extrapost nehmen?«, fragte die Stimme oben erstaunt, »morgen früh um sechs und mittags um elf geht ja ein Dampfboot nach Bremerhaven. Warum wollen Sie denn nicht mit dem fahren?«
»Aber komme ich dann noch zur rechten Zeit?«
Die Stimme oben murmelte etwas, das der Professor unten nicht verstehen konnte. »Sind Sie ein Passagier der Heidschnucke?«, fragte er dann wieder lauter.
»Aufzuwarten – Professor Lobenstein aus Heilingen.«
»Ah – bitte um Entschuldigung, Herr Professor, dass ich Sie habe so lange da unten stehen lassen. Marie, machen Sie einmal unten die Tür auf.«
»Bitte, bitte« rief aber der Professor, »ich will Sie keineswegs mitten in der Nacht belästigen – also komme ich noch früh genug wenn ich morgen um sechs Uhr mit dem ersten Boot abfahre?«
»Die Heidschnucke wird wohl kaum vor Abend in See gehen – der Wind ist noch nicht ganz günstig«, sagte der Bass oben. »Wenn Sie um 11 Uhr fahren, haben Sie vollkommen Zeit – das Schiff liegt vor Brake und wird morgen früh noch einige verspätete Fracht an Bord nehmen.«
»Vor Brake?«, wiederholte der Professor, mit der Geografie der Weser noch nicht so weit bekannt.
»Der Hafen diesseits Bremerhaven«, sagte der Bass, »die Leute auf dem Dampfboot kennen den Ort und das Schiff …«
»Ich bin Ihnen sehr verbunden …«
»Bitte Herr Professor – Sie werden entschuldigen …«
»Bitte sehr – ich habe um Entschuldigung zu bitten, Sie in so später Nachtzeit noch gestört und belästigt zu haben.«
»Oh – war mir sehr angenehm, Ihre werte Be…« Das Übrige verschwamm in einem dumpfen, unverständlichen Murmeln, unter dem sich das Fenster oben langsam wieder schloss. Der Professor bedeutete seinen Führer, ihn so rasch wie möglich, zum Hotel zurückzubringen.
Lobensteins hatten dort indessen, so gut das in dem ziemlich besetzten Speisesaal eben gehen wollte, einen der Ecktische in Besitz und Platz daran genommen und sich Tee und Butterbrot geben lassen, auf eine mögliche Nachtfahrt mit Extrapost wenigstens in etwas vorbereitet zu sein. Die beiden jüngsten Kinder, Carl und Gretchen mussten dabei im Schlaf in die Stube getragen und konnten kaum munter erhalten werden, noch etwas zu sich nehmen, und legten sich dann mit den Köpfchen, Carl auf den Tisch und Gretchen in Mutters Schoß, um weiter zu schlafen.
Der Aufenthalt in dem großen, heißen Saal, mit den vielen Menschen, dem lauten Reden und Lachen und dem fast undurchdringlichen Tabaksqualm, die ganze fremde Umgebung dazu mit dem unbestimmten Gefühl, das Schiff, mit dem ihre sämtlichen Sachen befördert worden waren, am Ende gar schon versäumt zu haben, auch das Übernächtige einer späten Fahrt, auf der mit bleierner, peinlicher Schwere der kaum überstandene Abschied aus der Heimat lag, das alles vereinigte sich, sie niederzudrücken und ernst und traurig zu stimmen. Das einfache Abendbrot wurde schweigend verzehrt. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken viel zu sehr beschäftigt, sich dem anderen mitzuteilen.
Nur Eduard, Professor Lobensteins ältester Sohn, der Einzige vielleicht von der ganzen Familie, der sich wirklich auf die Reise freute und gern das regelmäßige, ihm entsetzlich langweilig vorkommende Schulwesen verlassen hatte, einem anderen, freieren Lebensberuf zu folgen, gab sich in dem Reiz der Neuheit, der die Jugend über so manches hinwegsetzt, den fremdartigen Eindrücken selbst mit einigem Behagen hin. Die Rücklehne seines Stuhles gegen die Wand lehnend, überschaute er die bunten, sich vor ihm wie auf einem aus der Erde heraufbeschworenen Theater bewegenden Gruppen und lauschte den sich fast sämtlich um Amerika und die Reise drehenden Gesprächen der ihm nächsten Gäste und Fremden, bis sein Blick endlich auf einen kleinen Mann fiel, der ihnen gerade gegenüber und das Gesicht ihnen zugewendet, seinen Platz genommen hatte und sie auf das Aufmerksamste zu betrachten schien.
Der Fremde saß verkehrt auf seinem Stuhl, die Arme auf die Lehne desselben und sein Kinn wieder auf diese stützend, und schien sich in der Tat von der übrigen Gesellschaft ganz zurückgezogen oder abgewandt zu haben und die neuangekommene Familie auf das Genauste zu betrachten.
Es schien übrigens, wie er so dasaß, ein kleines schmächtiges Männchen von vielleicht vierzig bis vierundvierzig Jahren, mit grauer runder Mütze und schwarzem, vorn fast spitz zulaufendem Schild, grauem Frack, grauer Hose, grauer Weste, grauem Halstuch und grauen Zeugstiefeln, in der linken Hand, lang zusammengefaltet, ein paar graue Zwirnhandschuhe. Die kleinen lebhaften Augen funkelten dabei scharf und forschend unter dem spitzen, ziemlich tief niedergezogenen Mützenschild vor und hafteten so lange und so forschend erst auf dem jungen Mann, dann auf der Mutter und auf den Töchtern, bis er Eduards Blick ebenfalls auf sich zog und dann, als ob er fühle, dass sein Betragen vielleicht auffällig wäre, sich weiter mit seinem Stuhl zurückzog und sich mehr seitwärts setzte. Seine Blicke schweiften aber dennoch fortwährend, und wie fast unwillkürlich, zu dem Tische hinüber, an welchem die fremden Damen saßen, und hafteten dann hauptsächlich – Eduard, als er erst einmal aufmerksam wurde, konnte das deutlich erkennen – auf seiner Mutter.
Die Frau Professorin war jedoch viel zu sehr mit ihren Kindern und der Sorge um ihr Gepäck beschäftigt, den kleinen grauen Mann auch nur zu bemerken, viel weniger denn zu finden, dass sie selber von ihm so scharf beobachtet wurden, bis sie Eduard endlich darauf aufmerksam machte und sie fragte, ob sie den Fremden vielleicht schon früher einmal gesehen habe. So wie sie aber zu dem hinüber sah, stand er, wie verlegen, von seinem Sitz auf, zog die Mütze vorn womöglich noch weiter herunter, steckte dann beide Hände hinten in seine Fracktaschen, und verließ, leise vor sich hin pfeifend, das Zimmer.
»Sie, Kellner!«, rief aber nun Eduard, den der Mann an zu interessieren fing, einem der um sie beschäftigten, aber ebenfalls ziemlich schläfrig aussehenden Kellner zu, »kennen Sie den Herrn, der da eben hinausging?«
»Eben hinausging?«, sagte der Kellner, einen faulen Blick nach der Tür werfend, »ich habe nicht darauf geachtet.«
»Der mit der grauen Mütze und dem grauen Rock.«
»Ach – die Nachtigall?«, sagte der Kellner, und ein breites, etwas dummes Lächeln zog ihn den Mund fast von einem Ohr bis zum anderen.
»Die Nachtigall?«, wiederholte Eduard etwas verdutzt.
»Nun, Sie meinen doch den kleinen grauen Mann mit dem spitzen Mützenschild?«, fragte der Kellner lachend.
»Jawohl, denselben.«
»Nun ja, das ist ein sonderbarer Kautz, der schon acht Tage bei uns wohnt. Er heißt Schultze und will mit der Heidschnucke nach Amerika.«
»Mit der Heidschnucke? Mit der wollen ja auch wir fort«, rief Eduard rasch, »also segelt sie noch nicht morgen in aller Frühe?«
»Ich glaube nicht«, sagte der Kellner, »sonst wäre die Nachtigall doch schon längst nach Bremerhaven hinauf – auf wann war sie denn angezeigt?«
»Auf morgen früh – bestimmt.«
»Ah, da haben Sie noch Zeit genug«, gähnte der Kellner, »unter acht Tagen gehen Sie dann gewiss noch nicht in See.«
»Acht Tage?«, rief Eduard erschreckt, »das wäre eine schöne Geschichte, wenn wir hier noch acht Tage im Wirtshaus liegen sollten.«
»Lieber Gott«, meinte der Kellner, eine Partie abgegessener Teller von einem der Nachbartische aufnehmend und damit fortgehend, »die Auswanderer liegen hier manchmal vier und sechs Wochen, ehe ihr Schiff segelt.«
»Das wären traurige Aussichten«, sagte Anna, die nicht weit von Eduard saß und des Kellners Bemerkung gehört hatte, »da hätten wir uns freilich die letzten Tage in Heilingen nicht so entsetzlich abzuhetzen brauchen.«
»Was weiß der Kellner davon«, tröstete sie aber Eduard, »apropos, der kleine graue Mann, der uns da gerade gegenübersaß und Mutter immer so anstarrte, geht auch mit der Heidschnucke nach New Orleans?«
»Um Verzeihung«, fiel hier ein anderer Fremder, der an einem benachbarten Tisch saß, ein, sich im Stuhl etwas zurückbiegend, »habe ich recht gehört und gehen Sie wirklich mit der Heidschnucke nach New Orleans?«
»Allerdings«, erwiderte ihm Eduard, »wir haben unsere Passage auf dem Schiff genommen.«
»Ah, das ist mir doch ungemein angenehm«, erwiderte der Fremde sich rasch vollständig gegen die Damen herumdrehend, »da bin ich so frei, mich Ihnen als künftigen Reisegefährten gehorsamst vorzustellen.«
Die Damen verbeugten sich leicht gegen den sich selber Einführenden, und Frau Professor Lobenstein wollte ihn eben fragen. ob er etwas Bestimmtes über die Abfahrt des Schiffes wisse. Er ließ sie aber gar nicht zu Worte kommen und fuhr rasch, seinen Stuhl jetzt vollständig zu ihrem Tisch rückend, fort: »Ist mir doch wirklich sehr angenehm; wunderbares Zusammentreffen das, ebenfalls, eh? Wie sich die Leute doch so auf der Welt finden. Kommen hier in einem Gasthaus, an einem Tisch zusammen und sind, unbewusst, im Begriff, eine so ungeheure Reise miteinander zu machen und die Gefahren des Ozeans zu teilen. Liegt ungeheuer viel Poesie in dem Gedanken.«
Der gesprächige Fremde machte hier zum ersten Mal eine Pause, indem er seine ziemlich geleerte Weinflasche und sein Glas von dem Tisch, an dem er vorher gesessen hatte, herüber nahm, vor sich hinstellte, sein Glas dabei wieder füllte und mit einer Verbeugung gegen die Damen trank.
Es war ein Mann ziemlich hoch in den Dreißigern, sehr sorgfältig angezogen, mit einem großen Siegelring an dem Zeigefinger der rechten und drei oder vier anderen Ringen an dem kleinen Finger der linken Hand. Er trug sein Haar dabei à la malconte, vollkommen kurz geschnitten, und wie es schien, dem Bart zuliebe, dem er desto volleres und unbeschränkteres Wachstum gestattete. Die Tuchnadel, die seine schwarzseidene, kunstgerecht gefaltete Krawatte zusammenhielt, war ein kleiner goldener Bacchus auf einem Fass, der einen, wahrscheinlich unechten Diamant als Glas in die Höhe hielt. Sein starkes Uhrgehänge bestand aus einer Unmasse kleiner goldener oder vergoldeter Werkzeuge, Hammer, Korkzieher, Pistolen, Flaschen, Musikinstrumente … Sein Gesicht machte dabei gerade keinen angenehmen Eindruck. Die Stirn war sehr niedrig und etwas zurückgehend, mit einer ziemlich tiefen Falte quer darüber hinziehend, und die kleinen blauen Augen flogen unruhig umher, während er sprach, indessen der Zug um den Mund eine merkwürdig stark ausgeprägte Zuversichtlichkeit, wie vielleicht auch Eigenliebe verriet. Dennoch ließ sich ein gutmütiger Ausdruck darin nicht verkennen, und das ganze Gesicht war entschuldigt, sobald man erfuhr, dass es einem Weinreisenden gehörte.
»Und können Sie uns vielleicht genau die Abfahrt des Schiffs sagen?«, fragte die Frau Professorin endlich, die erste mögliche Pause benutzend. »Es hieß, dass es schon morgen früh in See gehen sollte.«
»Wind und Wetter permitting, wie die Engländer sagen«, entgegnete der Weinreisende lächelnd, sehr zufrieden, dadurch zugleich seine nautischen als auch sonstigen Kenntnisse der englischen Sprache gezeigt zu haben.
»Was heißt das?«, fragte die Frau Professorin etwas verlegen.
»Ah, dass ein Schiff nicht segeln kann, wenn der Wind nicht günstig ist«, antwortete der Weinreisende, zu den beiden jungen Damen hinüberlächelnd. »Übrigens wird die Heidschnucke keineswegs vor morgen Abend in See gehen«, setzte er beruhigend hinzu. »Ich bin mit dem Kapitän sehr eng befreundet – wir haben schon manche Flasche zusammen ausgestochen, und er hat mich versichert, dass er morgen Abend um sechs Uhr, mit eintretender Ebbe, seinen Anker lichten und seine Segel spannen würde. Sie wissen wohl, gnädige Frau – Segel gespannt und den Anker gelichtet, wie wir Seeleute singen.«
»Also, vor morgen Abend nicht? Oh, das ist mir sehr lieb«, sagte die Frau beruhigt, »dann brauchen wir auch nicht die Nacht durchzureisen und ich kann die Kinder zu Bett bringen, sobald der Vater zurückkommt. Sie wissen es doch gewiss?«
»Parole d’honneur!«, sagte der Weinreisende, sich, mit der rechten Hand und den Siegelring auf dem Herzen, verbeugend. »Übrigens«, fuhr er lebhafter fort, »wird, nach Goethe, wie bekannt, durch zweier Zeugen Mund, überall die Wahrheit kund, und hier an dem Tisch sitzt noch ein Reisegefährte von uns, der ebenfalls seine Passage auf der Heidschnucke genommen hat und erst wahrscheinlich morgen früh um elf Uhr mit dem zweiten Dampfboot nach Brake fahren wird, um an Bord zu gehen – Herr Mehlmeier, dürfte ich Sie bitten, sich einen Augenblick hier herüber zu bemühen und – Sie erlauben mir doch, dass ich ihnen Herrn Mehlmeier vorstellen darf?«
»Wird uns sehr angenehm sein«, sagte die Frau Professorin etwas verlegen. Es war ihr eben nicht angenehm, in der Abwesenheit ihres Mannes mit so vielen fremden Menschen hier zu verkehren.
Herr Mehlmeier, der indessen schweigend und regungslos, und ohne auch nur den Kopf nach jemand anderem umzuwenden, vor seinem wieder und wieder gefüllten Glas Bier gesessen hatte, war bei dem Ruf seines Namens aufgesprungen, als ob ihn was mit einer Stecknadel an irgendeinem empfindlichen Teil gestochen hätte. Es war eine große, fast übermäßig starke Gestalt, die des Herrn Mehlmeier, mit einem vollen runden gutmütigen Gesicht, sehr breiten Schultern und stattlichem, etwas bauchigem Körper. Sowohl Marie als auch Eduard, und selbst Anna konnten sich kaum eines Lächelns erwehren, als er den Mund öffnete und mit einer ganz feinen weichen, fast weiblichen Stimme ausrief: »Was befehlen Sie, Herr Steinert?«
»Ach, lieber Herr Mehlmeier«, rief aber Herr Steinert. »ich wollte mir vor allen Dingen die Freiheit nehmen, Sie den Damen hier, die wir so glücklich sind, künftige Reisegefährtinnen von uns zu nennen, nach aller Form vorzustellen – Herr Christian Mehlmeier von Schmalkalden – und – aber ich weiß wahrhaftig Ihren eigenen Namen noch nicht, meine Damen …«
»Die Familie des Professor Lobenstein aus Heilingen«, nahm hier Eduard das Wort, der sich nun besonders für den dicken Mann mit der feinen Stimme interessierte.
»Professor Lobenstein?«, rief Herr Steinert, rasch zu dem jungen Mann herumfahrend, »Familie des Professor Lobenstein – corpo di Bacho! Da sind wir ja alte Bekannte – habe das Vergnügen schon früher gehabt, mit Ihrem Herrn Vater in einer sehr angenehmen Geschäftsverbindung zu stehen – ich machte in Weinen für das Haus Schwartz & Pelzer in Frankfurt am Main – und der Herr Professor machten ebenfalls die Reise mit.«
»Wir erwarten ihn jeden Augenblick«, sagte die Frau Professorin, sich dabei ungeduldig zur Tür umsehend, denn die Bekanntschaft des Herrn Steinert, der mit seiner lauten Stimme schon die Aufmerksamkeit sämtlicher übrigen Gäste auf sie gezogen hatte, fing an, ihr drückend zu werden.
»Er ist eben fortgegangen, sich über die genaue Abfahrt des Schiffes Gewissheit zu holen«, ergänzte Eduard.
»Ah ja, unser Schiff«, rief Herr Steinert, sich plötzlich wieder der Sache erinnernd, wegen der er Herrn Mehlmeier eigentlich herbeigerufen hatte. »Sie haben ja selber heute mit den Reedern gesprochen, nicht wahr, lieber Mehlmeier?«
»Jawohl«, sagte der dicke Mann mit seiner feinsten Stimmlage, während er dabei stark mit dem Kopf schüttelte.

»Dann ist also keine Gefahr, dass wir das Schiff versäumen, wenn wir bis morgen früh hier bleiben?«, fragte die Frau Professorin. Herr Mehlmeier nickte ihr aber sehr bedenklich zu. Und sie fragte rasch: »Sie glauben doch?«
»Bitte um Verzeihung – Gott bewahre«, sagte der dicke Mann erschreckt. Das Gespräch wurde aber hier durch den Professor selber unterbrochen, der in diesem Augenblick den Saal betrat und noch unter der Tür zwei Zimmer für sich und die seinen mit den nötigen Betten bestellte. Der Oberkellner war ihm darin aber schon zuvorgekommen, und trotzdem, dass Herr Steinert nun mehrere Anläufe nahm, ein Gespräch mit Professor Lobenstein anzuknüpfen und sich ihm als alten Bekannten vorzustellen, hatte dieser doch zu wenig Zeit, sich außer einigen höflich gewechselten Worten mit ihm näher einzulassen. Die Frauen waren müde und erschöpft, und das Gepäck musste nach oben geschafft werden, wo der Professor selber seinen Tee trinken wollte. So jede weitere Unterhaltung auf den nächsten Morgen verschiebend, empfahlen sich die Neugekommenen und verschwanden gleich darauf mit den voranleuchtenden Kellnern in den Gängen der ersten Etage.
In dem Gastzimmer des Hannoverschen Hauses begann aber nun erst, trotz der späten Stunde, ein reges geselliges Leben. Viele der Passagiere der Heidschnucke, wie noch mehrerer anderer Schiffe, deren Abreise teils auf morgen, teils auf die nächsten Tage angekündigt worden war, hatten sich hier zusammengefunden und feierten unter Lachen und Singen, mit Bier oder Champagner und lustigen fröhlichen Plänen für da drüben, den letzten Tag in der Heimat, wie sie es nannten.
Den letzten Tag in der Heimat – wie leicht, wie lustig sie das sprachen, und wie laut und fröhlich die Gläser dazu klirrten und die Stimmen einfielen in den donnernden rauschenden Chor ihrer heimischen Lieder. Den letzten Tag in der Heimat; für wie viele war es der letzte Tag – wie wenige von all denen, die nun jauchzend das neue fremde Leben begrüßten und die Erinnerung in Strömen Weins verschwemmten, sollten die Heimat wirklich wiedersehen, nach der doch alle Fasern ihres Herzens zurück sich sehnten viele Jahre lang. Der letzte Tag in der Heimat, oh, es denkt sich leicht, mit all den wundertollen Bildern, die unsere Fantasie sich aufgebaut hat, gewissermaßen schon in Sicht – in Armes Bereich. Mit dem alten Leben abgeschlossen hinter sich, voll Ungeduld dem Augenblick entgegensehend, wo sie das neue beginnen dürfen und können, ist ihnen das Vaterland nur noch das letzte Sprungbrett, von dem aus sie mit keckem fröhlichem Satz einer neuen Welt in die Arme fliegen, und sie feiern den Tag und die Stunde, vor deren Nahen sie Jahre lang gebebt hatten – oh, dass sie nie den Tag beweinen müssten.
Die Fröhlichkeit der Auswanderer ist aber in solchen Fällen auch selten eine ruhige, meist eine wilde, ausgelassene, wie das auch wohl kaum anders der Fall sein kann; sie wollen nicht zurückdenken an das, was hinter ihnen liegt, und das Nötigste, was sie dabei zu tun haben, ist, die Gedanken zu betäuben, die ihnen oft dennoch ins Hirn steigen, sie mögen sie eben haben wollen oder nicht.
Eine Menge der jungen Leute waren an dem Abend noch einmal im Theater gewesen, in der fremden Stadt irgendein altes bekanntes Stück aufführen zu sehen, und saßen nun bei ihrem Abendessen und Wei, und sprachen und stritten sich über die Aufführung, als ob sie nur eben deretwegen allein nach Bremen gekommen wären. Dort in der Ecke rechneten ein paar, die wahrscheinlich gemeinsame Kasse miteinander hatten, und nun ihre gehabten und zu habenden Auslagen wohl durchsahen; die meisten aber lachten und plauderten miteinander und tranken und sangen noch, heimische Weine und Lieder bis spät in die Nacht hinein.
Ganz still und geräuschlos war indessen ein alter polnischer Jude in seiner Nationaltracht, dem langen schwarzen schmutzigen seidenen Kaftan, mit einem Knaben von vielleicht zwölf oder dreizehn Jahren hinter sich, ebenfalls in das Gastzimmer gekommen und hatte sich an einem der leer gewordenen Seitentischchen ein Glas Bier geben lassen, von dem er in langsamen, durstigen Zügen trank. Der Knabe trug ein in ein rotbaumwollenes Tuch eingeschlagenes Paket unter dem linken Arm, das er neben sich auf den Tisch legte und sich dann zurück auf seinen Stuhl setzte, den Kopf auf die Lehne desselben lehnte und die Augen ermüdet schloss. Das grelle Licht der Lampen fiel voll auf die bleichen, von schwarzen vollen Locken umwogten Züge, und der sonst wirklich schöne Kopf des Kindes bekam, auch vielleicht mit in der unnatürlichen zurückgeworfenen Lage, etwas unheimlich Krankhaftes, ja fast Leichenartiges.
»Komm Philipp« sagte der Alte, als sie eine Weile so gesessen hatten, mit unterdrückter Stimme, indem er den jungen Burschen mit dem Fuß anstieß. »Es werd spät, pack die Harmonika aus und lass uns anfange. Die Leut’ hoben hier viel getrunken und sind guter Laune; werd auch was für uns dabei abfalle.«
Der Knabe öffnete die großen schwarzen Augen und sah den Mann ein paar Sekunden starr an, als ob er nicht recht begriffen hätte, was er sagte.
»Na, werd’s bald?«, rief aber dieser, ärgerlich aufbrausend, aber doch so leise dass es selbst die an den nächsten Tischen Sitzenden nicht verstehen konnten, »ist es dem jungen Herrn gefällig oder soll ich ihn etwa aufwecken?«
»Ja, ja, Vater!«, rief der Knabe nun, rasch und erschreckt emporfahrend, »wollen wir denn noch singen heute Abend?«, setzte er aber langsamer und fast wie ängstlich hinzu.
»Wolle wir denn noch singen?«, wiederholte der Alte spöttisch und ärgerlich, »Gottes Wunder, glaubt der junge Herr, dass ich ihn abends in die Wirtshäuser führe zu seinem Vergnigen? Wolle wir denn noch singen? Abraham und Jacob, was ist das for a Frog.«
Der Knabe war übrigens schon bei den ersten ärgerlichen Worten des Alten von seinem Stuhl aufgesprungen. Sich die Locken aus der Stirn streichend, machte er sich eifrig daran, das auf dem Tisch liegende Paket aufzuknüpfen und den Inhalt auf der Tafel desselben auszubreiten. Hierbei war ihm der Alte behilflich und ordnete nun selber eine Masse miteinander leicht verbundener Stöcke oder Stäbe von weichem Holz, die, manche stärker, manche schwächer, mit einer Unterlage von dünn- aber festgedrehten Strohseilen auf den Tisch an beiden Enden auf- und in der Mitte hohlzuliegen kamen.
»Hallo, was ist das?«, rief Steinert, der dem Tisch zunächst saß und die wunderlichen Vorbereitungen bemerkte. »Eine Holzharmonika, wahrhaftig – ah, meine Herren, jetzt werden wir etwas zu hören bekommen; die klingt famos, wenn sie der alte Bursche da nur zu spielen versteht.«
»Werd’ er sie nicht zu spielen verstehn – spielt sie schon fünfundzwanzig Jahr«, schmunzelte der Alte vergnügt vor sich hin – »nu Philippche, mei Jingelche, jetzt pass auf und fall mer ein zur rechten Zeit mit der Flöte.« Zugleich die beiden, ihm zur Hand liegenden Klöppel ergreifend, fuhr er mit rascher geübter Hand über die eigentümlichen Tasten hin, denen er dabei einen nicht zu lauten, aber wunderbar harmonischen vollen Ton entlockte. Wie Glockenspiel klangen die Laute, die entfernteren Räume mit ihrem Wohlklang füllend, und die Gäste, nach allen Richtungen hin horchten hoch auf, vergaßen, von was sie gesprochen hatten, und kamen heran, den Tisch umdrängend, an dem der alte Jude spielte.
»So Philippche, nu fang an!«, deute er aber nun dem Knaben mit einem Nicken zu, der bis dahin still und regungslos neben dem Tisch gestanden hatte und sich kaum der Leute hatte erwehren können, die ihn umkreisten. Dabei fiel er in die englische Volkshymne God save our gracious queen ein, die der Knabe nun in der zweiten Stimme mit der Kehle, aber so täuschend den vollen weichen Laut der Flöte nachahmend, begleitete, dass die Zuhörer wirklich in den ersten Minuten ganz die Harmonika vergaßen und noch näher hinan wollten, nur um zu sehen, ob der junge Bursche nicht wirklich eine Flöte habe, auf der er spiele, und das alles allein aus der eigenen Kehle herausbringe.
Der alte Mann, den der Zudrang freute, denn er bewies ihm die Teilnahme der Hörer und ließ ihn auf gute Einnahme rechnen, fuhr dabei mit großer Leichtigkeit und Sicherheit über die vibrierenden Tasten, und seine ganze, erst so ruhige in sich gesunkene Gestalt schien mit den Tönen Leben zu gewinnen und aus sich herauszugehen. Es war eine kleine schmächtige, aber zähe und knochige Gestalt, der Mann in dem schwarzen, schmutzigen Kaftan. Über die scharf gebogene Nase zog sich ihm eine tiefe dunkle Falte, und zwei schwarze Gruben in den hohlliegenden Wangen hoben die dunkelglühenden, unstet umherblitzenden Augen nur noch mehr hervor und verloren sich in dem fuchsigen, sorgfältig gekämmten langen und spitzen Bart, der nur am Kinn in den schon weiß gewordenen Haaren das Alter des Mannes verriet.
Der Knabe war, wie schon gesagt, etwa zwölf bis dreizehn Jahre alt, trug aber nicht die polnische Tracht, sondern einen gewöhnlichen Rock und eine blaue Mütze, die er neben sich auf dem Tisch liegen hatte, während der Mann sein altes schmutziges abgegriffenes Samtmützchen aufbehielt. Das zwar bleiche, doch schöne asiatische regelmäßige Gesicht des Kindes – denn es konnte kaum über die Kinderjahre hinaus sein, blieb aber kalt und teilnahmslos bei den weichsten, ergreifendsten Tönen seiner eigenen Brust und, ohne Seele, beherrschte er mit wunderbarer Gewalt fast die mächtige Stimme, die sich oft zu einer Stärke hob, dass die Umstehenden ihr lautes Erstaunen nicht zurückhalten konnten und dann in stürmischen, donnernden Beifall ausbrachen. Mit unnatürlicher Gewalt musste der Knabe dabei seine Stimme, die Töne der Flöte nachzuahmen, zu ihrer höchsten Lage hinaufzwingen. Der Schweiß stand ihm auf der weißen Stirn in großen Tropfen, solche Anstrengung kostete es ihm. Aber der Alte spielte unverdrossen fort – nun Lützows wilde verwegene Jagd, wie es Einzelne der Gesellschaft wünschten, und dann des Deutschen Vaterland nach anderer Ruf; dann den Jägerchor, und die neueste Polka, und Trinklieder zuletzt, zu denen sie ihm und dem Knaben Wein brachten, bis spät in die Nacht hinein.
Zuletzt konnte aber der Knabe nicht mehr – die Stimme schlug ihm mehrmals über, und wenn ihn gleich der Alte ärgerlich dabei ansah, ließ es sich nicht erzwingen. Philipp schaute bittend zu ihm auf und schüttelte mit dem Kopf, und der Alte legte plötzlich seine Klöppel beiseite und fing an, die Hölzer wieder zusammenzupacken, während welcher Zeit der junge Bursch einen Teller nahm und in dem Zimmer sammelnd umherging. Die Gäste schienen allerdings mit dem frühen Aufbruch, wie sie es nannten, gar nicht zufrieden. Steinert besonders verlangte noch einige Lieblings-, Trink- und Weinlieder, die kein Mensch weiter kannte. Der alte Mann schüttelte aber mit dem Kopf und meinte, es sei genug, sein Junge würde ihm sonst krank und könnte nicht mehr pfeifen, und der Ertrag der Sammlung fiel dabei über alles Erwarten reich und günstig aus.
Auswanderer, vorzüglich die in den Hotels wohnenden, haben meist immer noch eine Menge deutsches Geld in den Taschen, das sie, wie sie sagen doch nicht mit auf das Schiff nehmen können und sind gewöhnlich sehr freigebig mit dieser kleinen Münze, solange sie eben dauert. Sehr zu ihrem Erstaunen müssen sie dann aber auch freilich nicht selten schon eingewechseltes amerikanisches Geld wieder in den Markt bringen, und die ewige Klage ist nachher oh die teuren Seestädte.
»Von woher seid Ihr denn, Alter?«, fragte ihn nun Steinert, der, noch am sparsamsten, nur einige Groschen auf den Teller geworfen hatte, “doch nicht aus Bremen?«
»Gott der Gerechte, nein«, antwortete der Gefragte, mit einem flüchtigen, aber zufriedenen Blick den Haufen eingesammelter Münzen, unter denen sich nicht ein einziges Kupferstück befand, überfliegend, »bin ich doch von Bromberg.«
»Von Bromberg? Donnerwetter, das ist weit«, sagte der Weinreisende, »und was tut Ihr hier in Bremen?«
»Was wir in Bremen tun?,« fragte  der Jude, die Augenbrauen in die Höhe ziehend. »Gottes Wunder, was tun Sie in Bremen?«
»Ei, wir wollen auswandern, Alter«, sprach der Reisende, einen vergnügten Blick im Kreis herumwerfend.
»Als ich aach nicht hierbleiben mag, werd’ ich aach auswandern«, erwiderte aber der Israelit, die Schultern in die Höhe ziehend.
»Was? Auch auswandern?«, riefen aber viele der Umstehenden wie aus einem Mund.
»Na?«, sagte aber der Jude, sich erstaunt im Kreis umsehend, »ist’s etwa wohl zu hibsch hier für uns Jüden, heh? Wer sollen uns wohl glicklich schätze, dass mer derfe unsere Steuern zahle und nachher getreten werden wie die Hunde?«
»Aber wo geht Ihr hin?«, rief einer der Umstehenden, »nach New York?«
Der Alte schüttelte mit dem Kopf. »Nach New Orleans.«
»Und mit welchem Schiff?«, rief Steinert schnell.
»Mit der Heidschnucke
»Hurra, der Alte soll leben«, jubelten aber die Passagiere der Heidschnucke um ihn her, »das ist prächtig, das ist ein Reisegefährte, der uns die Zeit vertreiben wird.« Von verschiedenen Seiten wurden noch Flaschen Wein bestellt, den Spielmann zu traktieren, der nun kaum hörte, wie die Sache stand, und das viele der Anwesenden auf ein und demselben Schiff die Überfahrt mit ihm machen würden, als er auch augenblicklich sein erst halb geleertes Glas Bier zurückschob und sich mit augenscheinlichem Behagen dem Genuss des wahrscheinlich lange entbehrten Weines hingab. Der Knabe aber trank sein Glas aus und setzte sich dann still und weiter nicht beachtet in die eine Ecke, lehnte den Kopf zurück gegen die Wand und schloss die Augen – vielleicht schlief er – bis die späte Nachtstunde auch die Übrigen mahnte, aufzubrechen, und ihn sein Vater abrief, ihr eigenes Lager in einem kleinen billigen Wirtshaus in der Neustadt aufzusuchen.

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