Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Gespensternovellen 7

Vilhelm Bergsøe
Gespensternovellen
Aus dem Dänischen übersetzt von Adolf Strothmann
Autorisierte Ausgabe, Verlag Otto Janke, Berlin 1873
Schimmelmanns Pferd
II.

»Nun, hat der Student sich eine Liebste zugelegt?«, fragte Niels Kei, als ich aus einem der behaglichen, hell erleuchteten Säle Kronborgs in den unheimlichen, stockfinsteren Schlosshof hinaustrat.

»Nein, diesmal nicht, Niels.«

»Na gut, dann fahren wir ohne sie; nicht alle Leute können Liebste haben. Ein Paletot wäre auch vielleicht besser gewesen«, fügte er hinzu, indem ich auf dem Stuhl neben ihm Platz nahm. »Nehmen Sie beide Decken, Student, ich brauche keine.«

Die Nachtluft war kalt und schneidend; der Nordostwind blies gerade vom Sund her und brachte wider Gewohnheit Regen. Die Uhr schlug zwölf, als wir über die donnernde Holzbrücke dahinrollten. Die Finsternis war so groß, dass wir kaum die Palisaden gewahren konnten, und Laternen waren ein Luxus, den Niels Kei noch nicht kannte.

Der Übergang von der lebhaften, brausenden Ballmusik zu dem melancholischen Wellenschlag des Sundes, von Licht, Duft und Geplauder zu Dunkel, Kälte und Nachteinsamkeit war so groß und jäh, dass ich in tiefem Schweigen meine Zigarre rauchte, ohne der ungewöhnlich lebhaften Konversation zu achten, welche Niels Kei bald mit mir, bald mit sich selbst und dem Braunen führte.

Wir waren noch nicht sehr weit auf die Landstraße hinausgekommen, als ich bemerkte, dass mit beiden etwas nicht ganz in Ordnung sei. Niels war nicht betrunken, und der Braune nicht kollerig; aber Niels hatte doch der Flasche ziemlich stark zugesprochen und der Braune hatte dann und wann Mucken, welche zunahmen, je mehr wir uns dem Wald näherten.

Hier nahm jedoch Niels Keis Lustigkeit in auffallendem Grade ab. Als wir eine Weile unter den dunklen Tannen hingefahren waren, die hier bis dicht auf den Weg herabhängen, sagte er plötzlich: »Hier ist es schauderhaft dunkel, Herr Student!«

»Zünden Sie eine Zigarre an, Niels, die leuchtet«, versetzte ich und bot ihm meine Zigarrentasche.

»Danke, es ist jetzt keine Zeit zum Rauchen«, sagte er zu meiner großen Verwunderung. Bald darauf kamen wir an dem ersten Teich vorüber, und dort wollte er auf den Waldweg zur Linken abbiegen.

»Halt, Niels!«, rief ich. »Das geht nicht. Wir stürzen in das erste Torfloch am Weg.«

»Überlassen Sie das mir«, sagte Niels Kei in einem Ton, der ihm sonst nicht eigen war; »ich habe das Recht, den Studenten zu fahren, auf welchem Weg ich will, wenn ich ihn nur nach Hellebeck bringe.«

»Und ich habe das Recht, abzusteigen, wo ich will!«, schrie ich, etwas gereizt über Niels Keis seltsames Verfahren. »Jetzt gehe ich den Rest des Weges zu Fuß, dann mögen Sie in Moräste und Torflöcher fahren, so viel Ihnen beliebt.«

Niels besann sich einen Augenblick, dann ergriff er den Braunen am Zügel und zog ihn auf die Landstraße zurück.

»Nein, das kann ich mir nimmer nachsagen lassen«, murmelte er mehr zu sich selbst als zu mir. »Steigt auf, Herr Student! Fahren wir denn in Gottes Namen; aber passiert etwas, so komme es über Sie!«

Plötzlich fiel Niels Keis Geschichte, die ich im lustigen Ballgetriebe vergessen hatte, mir wieder ein und fragte lachend: »Sie fürchten sich doch nicht vor Schimmelmanns Pferd, Niels?«

Er zuckte auf dem Sitz empor, als ich diese Worte sprach, und murmelte etwas vor sich hin, das ich nicht verstand. Bald darauf erreichten wir den Gipfel des Hügels, wo es etwas heller war und wo wir den Ausblick nach allen Seiten hatten, auch zu der Ziegelei und dem gegenüberliegenden Kirchhof. Der Braune begann rascher vorwärtszutraben; allein plötzlich streckte er die Vorderbeine steif vor sich hin, legte die Ohren zurück, zitterte am ganzen Leib und stieß einen Ton aus, der ein Mittelding zwischen Wiehern und Winseln war.

»Sehen Sie etwas, Herr Student?«, fragte Niels Kei mit leiser Stimme. «Sehen Sie da drüben!«

»Es sind nur weiße Nebel, die über das Moor hinziehen«, antwortete ich, indes ich mit den Augen die flüchtigen, auf und ab wallenden Massen zu durchdringen und festzuhalten versuchte, welche dann und wann die unbestimmte Kontur eines großen vierbeinigen Tieres annahmen.

»Hören Sie!«, flüsterte Niels mit heiserer Stimme.

»Ach, Torheit! Es sind nur die Eulen«, erwiderte ich, etwas beunruhigt durch die Aussicht des Umwerfens. »Treiben Sie den Gaul vorwärts, er scheut vor irgendetwas.«

»Es ist Schimmelmanns Pferd«, sagte Niels Kei und stierte in den Nebel. »Wir sehen es nicht, aber die Tiere verstehen sich darauf.«

Gerade als die Nebelsäule vom Wind über den Weg gejagt wurde, tat das Pferd einen Satz, der uns beide hintenüber in den Wagen schleuderte, und hätte Niels Kei nicht die Zügel erfasst, so wäre es vermutlich in Karriere nach Hellebeck gerannt.

Indessen gelang es ihm doch, desselben Herr zu werden. In leidlich regelrechter Fahrt setzten wir unsren Weg fort. Der Regen strömte herab und die Finsternis war so dicht, dass die weiße Kirchhofmauer mir fast grau erschien, als wir an derselben vorbeifuhren. Gerade als wir zu der Ziegelei umbogen und fast die ganze Länge der Mauer passiert hatten, kreischte eine Eule mit einem scharfen, gellenden Schrei über unseren Häuptern. Im selben Augenblick stand der Braune wieder so still, dass wir beide nahe daran waren, über das Wagengeländer hinaus zu segeln.

»Herr Jeses! Was ist das?«, schrie Niels Kei, indem er krampfhaft meinen Arm packte und mit der anderen Hand geradeaus deutete.

Mein Blick folgte der Richtung. Es blitzte, blinkerte und glänzte in der Luft. Es war wie ein einzelner Mondstrahl oder vielmehr, als ob ein großer, heller Lichtkegel aus einem einzeln stehenden Haus in der Nähe der Ziegelei hervorquölle. Dann sammelte er sich wieder in der Luft und fiel wie ein weißer, heller, blendender Fleck gerade auf die Kirchhofsmauer. Schneller, als ich es zu erzählen vermag, erweiterte sich der Fleck zu einer breiten, nebligen, leuchtenden Fläche, und mitten in derselben stand unsicher und halb in der Luft zerfließend das Skelett eines Pferdes.

Niels starrte auf die Erscheinung hin. Der Fleck zog sich wieder zusammen, war kleiner, heller und leuchtender, und nun war das Skelett so deutlich, dass wir jede Rippe zählen konnten. Plötzlich machte es gleichsam einen Sprung in der Luft, der Lichtkegel verschwand und alles war in das schwärzeste Dunkel gehüllt. Im selben Augenblick schoss der Braune von dannen.

Ich hörte das Rasseln herabrollender Chausseekiesel, dann einen Krach – Niels Kei und ich lagen im Graben, den Wagen halb über uns.

»Was war das?«, war meine erste Frage, als wir wieder auf der Chaussee standen und ich mich überzeugt hatte, dass sowohl Niels Kei als auch ich selber, ein paar kleine Schrammen abgerechnet, unverletzt waren.

»Das war augenscheinlich der Böse selbst. Das war Schimmelmanns Pferd, Herr Student!«, sagte Niels Kei und spie den Rest von Kies und Sand aus, welche er bei dem Sturz vom Grabendamm in den Mund gekriegt hatte.

»Dummes Zeug, Niels!«, rief ich aus, erfreut, dass ich nicht allein war. »Lasst uns in das Haus dort gehen, aus welchem das Licht kam! Lasst uns die Ziegelei durchsuchen. Es muss natürlich zugegangen sein!«

»In das Haus dort, Herr Student?«, schrie Niels Kei und wich ein paar Schritte zurück. »Nein, nicht wenn mir einer hundert blanke Taler böte! Dort erhängte sich der Knecht des Pächters im Frühjahr und dort spukt es ärger als irgendwo. Sie kam auch von dorther, die verdammte Schindmähre. Gott sei uns allen gnädig!«

»Aber der Wagen?«, wandte ich ein, als Niels Anstalt machte, fortzugehen.

»Der mag liegen bleiben bis morgen«, sagte Niels, ohne sich um sein kostbarstes Eigentum zu bekümmern. »Gott steh mir bei! Ich brauche wohl bald weder Pferd noch Wagen. Es sollte also ein Leichenwagen sein«, fügte er leise hinzu, während er in den Waldweg hinunter bog, wo man noch den Galopp des Braunen hörte, welcher, die zerrissenen Stränge hinter sich her schleifend, nach Hause rannte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert