Die Sternkammer – Band 4 – Kapitel 1
William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 4
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854
Erstes Kapitel
Die edle Rache
Nichts könnte angenehmer sein als die Lage der Wohnung des spanischen Gesandten, von ihren schönen Gärten umgeben, aber ihre Pracht schien nun der blinden Wut der Lehrlinge preisgegeben zu sein. Es wäre in sehr kurzer Zeit viel Unheil angerichtet worden, hätte ihr Anführer es nicht verhindert. Er befahl ihnen gebieterisch, sich der Zerstörung zu enthalten, bis sie ihre Rechnung mit dem Gesandten selber abgeschlossen hätten, welcher jeden Augenblick erwartet werden könne, da sie erfuhren, dass er seinen Heimweg aus dem Palast angetreten habe. Die Nachricht, die sie erhalten hatten, bestätigte sich, denn noch waren nicht viele Minuten vergangen, als man eine prächtige Sänfte, von acht starken Dienern getragen und von mehreren Herren und Pagen in Gondomars wohlbekannten Livreen begleitet, durch Holborn Bars passieren und auf sie zukommen sah.
Sehr bald aber machten die Träger der Sänfte, überrascht und beunruhigt von der Menge, welche Ely House umlagerte, Halt, aber Gondomar, der keine Furcht hegte, gebot ihnen, weiterzuziehen. Widerstrebend gehorchten sie. Die Lehrlinge ließen die Sänfte näherkommen, bis sie diese umringen konnten. Dann stießen sie einen lauten Ruf aus, wodurch sie zu erkennen gaben, dass sie Unheil vorhatten.
Hierauf zogen die Herren und Pagen, die den Gesandten begleiteten, ihre Schwerter und stellten sich zur Wehr, indem sie die Menge zurückzuhalten versuchten. Aber ihr Widerstand half wenig. Ihre Waffen wurden bald von den Knitteln der Lehrlinge zersplittert und die Leute zurückgetrieben.
Da Gondomar die Gefahr bemerkte, worin er sich befand, und Zeit zu gewinnen dachte, in der Hoffnung, dass er Beistand erhalten werde, fragte er den Anführer der wütend aussehenden Menge, welche die Vorhänge seiner Sänfte öffneten und ihm herauszukommen befahlen, warum sie ihn belästigten. Dieser antwortete, da sie gehört hatten, wie schändlich er Sir Jocelyn behandelt und eine falsche Anklage beim König gegen ihn vorgebracht habe, so wären sie entschlossen, Seiner Excellenz die Strafe öffentlicher und boshafter Verleumder angedeihen zu lassen.
»Und vermöge welches Rechts werft Ihr Euch zu meinen Richtern auf?«, rief Gondomar. »Seht Euch vor, was Ihr tut. Ihr könnt in den Bereich des Galgens kommen.«
»Ihr hört, was er sagt, Kameraden?«, rief Dick Taverner. »Er droht, uns an den Galgen zu bringen, und wenn er seine Pläne ausführen und des Papstes Vollmacht erhalten könnte, würde er uns auf Smithfield verbrennen lassen, wie es in den Tagen der Königin Maria mit den heiligen Märtyrern geschah. Er hat einen getreuen und loyalen Untertan Seiner Majestät als Spion angeklagt. Dagegen wollen wir ihm sagen, dass er der Ärgste aller Spione ist – ein vom Papst abgesendeter Spion; und wir wollen ihm die Gefahr seiner Anstellung zeigen.«
»Zurück, Ihr Schurken!«, rief Gondomar, indem er sich von den Lehrlingen, die ihn anpackten, freizumachen suchte.
Aber ungeachtet seines Widerstandes wurde er aus der Sänfte gezerrt, während die Knittel der Lehrlinge auf seine Schultern niederfielen. Wahrscheinlich würde er noch härter behandelt worden sein, wenn er in der Tat mit dem Leben davongekommen wäre, hätte sich nicht Sir Jocelyn Mounchensey, von Clemens Lanyere begleitet, mit dem Schwert in der Hand durch die Menge gestürzt.
»Ha! Es ist, wie ich vermutete«, rief Gondomar.
»Ihr, Mounchensey, seid der Urheber und Anstifter dieses Überfalls und kommt, um zu sehen, ob Eure Werkzeuge gehörig ihre Pflicht tun.«
»Es ist falsch«, rief Dick Taverner. »Eure Excellenz beurteilen andere nach sich selber. Sir Jocelyn würde uns zurückgehalten haben, wenn er gekonnt hätte.«
»Es lässt sich nicht erwarten, dass man eine solche Behauptung glauben soll«, rief Gondomar ungläubig.
»Meine Handlungen mögen für mich sprechen«, rief Mounchensey. »Freunde«, sprach er, »es ist ohne Zweifel wahr, dass ich guten Grund habe, über den Grafen von Gondomar zu klagen, dass er mich schwer beleidigt hat und dass ich ihn nötigen werde, mir zu seiner Zeit Genugtuung zu geben, aber ich kann nicht gestatten, dass ihm Leid zugefügt werde. Und wenn Ihr noch weiter geht, wird sich mein Arm zu seiner Verteidigung erheben.«
»Wie! Kann dies sein?«, rief Gondomar mit Überraschung.
»Ei! Wir kämpfen doch für Sir Jocelyn, und er wendet sich gegen uns!«, erwiderte der rüstige Lehrling, während die anderen ein lautes Murren erhoben und wieder drohend ihre Knittel schwangen.
»Überlasst ihn uns, Sir Jocelyn«, sagte Dick Taverner.
»Ja, es wäre besser, wenn er sich nicht einmischte, sonst wird er seine Schläge teilen müssen«, brüllten mehrere Stimmen.
»Es liegt mir nichts daran, was mir begegnet«, rief Mounchensey. »Ihr sollt Seiner Exzellenz kein Haar krümmen, während ich dabeistehe.«
Und als er sprach, parierte er mehrere Schläge ab, die auf den Gesandten gezielt waren.
»Ich stehe Euch bei, Sir Jocelyn«, sagte Clemens Lanyere, indem er mit seinem langen Schwert um sie her Platz machte, aber so viel wie möglich vermied, die Lehrlinge zu verletzen.
In diesen kritischen Augenblick und als es wahrscheinlich schien, dass Sir Jocelyn wegen seines ritterlichen Einschreitens das Schicksal des Gesandten heilen werde, da er sich entschlossen zeigte, ihn mit seinen Leben zu verteidigen, wurde ein Schrei erhoben, dass sich eine Abteilung der königlichen Garde näherte. Als das Stampfen der Pferde, von dem Klirren der Schwerter begleitet, keinen Zweifel daran übrig ließ und die kühnen Lehrlinge überdies keine Neigung empfanden, sich in einen Kampf mit dem regulären Militär einzulassen, so ließen sie augenblicklich ihre Beute fahren und liefen davon, indes der größte Teil von ihnen über die Hecke sprang, die damals an der Nordseite von Holborn stand und sich nach allen Richtungen über die Felder zerstreute. Ein halbes Dutzend von ihnen wurde von der Garde gefangen genommen. Unter diesen befand sich, wie wir leider berichten müssen, Dick Taverner, der Anführer der lärmenden Gesellschaft.
»Du wirst wahrscheinlich mit dem Pranger, mit der Peitsche, wenn nicht mit dem Henker Bekanntschaft machen, Freund!«, sagte lachend der Soldat, der ihn gefangen nahm.
»So beginne ich zu fürchten«, versetzte Dick. »Ach! Was wird aus Gillian werden!«
»Wenn das der Name seiner Geliebten ist, Freund, so hättest du an sie denken sollen, ehe du dich in diese Sache einließest. Du wirst wahrscheinlich auf immer von ihr getrennt werden.«
Während Dick seine Lage beklagte, wendete sich der Graf von Gondomar, der nun von aller Furcht befreit war, zu seinem Retter, reichte ihm seine Hand hin und sagte: »Ihr habt Euch auf edle Weise gerächt, Sir Jocelyn. Ich hoffe, wir werden wieder Freunde sein. Ich werde das Unrecht, welches ich Euch getan habe, reichlich wieder gut machen.«
Aber der junge Ritter legte seine Arme über der Brust zusammen und entgegnete streng: »Wenn Ihr das Unrecht wieder gut gemacht habt, Graf, werde ich vielleicht Eure Hand annehmen, aber nicht eher.«
»Tretet wenigstens in mein Haus, wo Ihr vor Verhaftung gesichert sein werdet«, bat der Gesandte.
»Tragt kein Bedenken, Sir Jocelyn«, versetzte Lanyere. »Ihr seid in großer Gefahr.«
Aber der junge Ritter weigerte sich stolz. »Ich will Euch keinen Zufluchtsort verdanken, Graf«, sagte er, »bis mein Name von allem Vorwurf gereinigt ist.«
Und mit stolzem Gruß entfernte er sich.
Der spanische Gesandte zuckte die Achseln und blickte ihm mit geteilter Bewunderung und Verachtung nach.
Dann wendete er sich zu dem Ankläger und sagte: »Geht mit mir hinein, Lanyere, ich habe Euch etwas zu sagen.«
»Ich muss Eure Exzellenz bitten, mich für jetzt zu entschuldigen«, entgegnete dieser. »Ich habe dringende Geschäfte.«
Sich mit fast ebenso großem Stolz wie Sir Jocelyn verneigend, folgte er dem jungen Ritter.
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