Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Aus dem Wigwam – Owasso und Wayoond

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Noch vierzig Sagen
Mitgeteilt vom Navajohäuptling El Zol

Owasso und Wayoond

wasso und Wayoond waren die Söhne des Donners. Ihr Vater hatte viel durch die Wendigos oder Menschenfresser zu leiden gehabt und war früh gestorben.

Owasso, der Ältere, sorgte für seinen Bruder, der noch nicht stark genug war, um auf die Jagd gehen zu können.

Eines Tages waren sie am Seeufer und spielten Ball. Dies sah ein böser Manitu von seinem Kanu aus. Die Knaben gefielen ihm.

Wenn doch nur ihr Ball, dachte er, in mein Boot fiele, dann könnte ich doch einen von ihnen fangen.

Es dauerte nicht lange, so war sein Wunsch erfüllt und die Knaben baten ihn, doch ans Ufer zu rudern.

»Nein«, erwiderte er, »ihr müsst euch den Ball selbst holen!« Doch ruderte er wenigstens so nahe ans Ufer, dass der Älteste an ihn heranwaten konnte. Als Owasso den Ball nehmen wollte, zog ihn der Manitu ins Kanu und fuhr mit ihm mit Blitzes­schnelle zu seiner Hütte.

»Mädchen«, sagte er dort zu seiner ältesten Tochter, »ich habe dir einen Mann gebracht!«

Das junge Mädchen lächelte freudig und setzte sich an Owassos Seite.

Die jungen Leute lebten sehr glücklich miteinander.

Nach geraumer Zeit sagte der alte Zauberer zu seinem Schwiegersohn, er möge mit ihm fischen gehen. Derselbe war damit einverstanden, und als sie auf dem Wasser waren, er gerade einen großen Stör gespeert hatte und ihn herausziehen wollte, stieß ihn der Manitu ins Wasser, damit er darin seinen Tod fände. Doch Owasso verstand sich auch auf Zauberei und befahl dem Stör, ihn nach Hause zu tragen. Derselbe gehorchte auch. Dort angekommen, warf ihn der junge Mann aufs Land und gab ihn seiner Frau, die ihn augenblicklich kochte.

»Siehe, dort kommt dein Großvater«, sagte Owassos Frau zu ihrem Sohn, »geh ihm entgegen und bring ihm ein Stück von diesem Fisch!«

Der Knabe lief fort, und als ihn der Alte fragte, woher er diesen Fisch habe, sagte er, sein Vater habe ihn gebracht.

Dies war ihm nun keine angenehme Nachricht, doch er ging ruhig in die Hütte und tat, als sei gar nichts vorgefallen.

Nach einigen Tagen fragte der Zauberer seinen Schwiegersohn, ob er nicht mit ihm gehen wolle, Möweneier zu sammeln.

»Gewiss!«, erwiderte dieser und stieg mit ihm in das Boot.

Als sie an eine einsame Insel kamen, sprach der Alte: »Geh ans Ufer und hole so viele Eier, wie du nur tragen kannst!«

Owasso folgte und als er so recht am Sammeln war, rief der Magier: »Möwen, ich habe schon seit langer Zeit gewünscht, euch etwas zu opfern. Nehmt den jungen Mann und lasst ihn euch gut schmecken!« Darauf ließ er ihn allein und fuhr ab.

Augenblicklich stürzte ein Schwarm von Möwen auf ihn ein, doch Owasso blieb ganz ruhig und sprach zu ihnen: »Der Große Geist hat die Menschen nicht zur Speise für die Vögel geschaffen. Folgt mir nun und tragt mich zu der Hütte des alten Zauberers!«

Dies geschah denn auch gleich. Als Owasso zu Hause angekommen war, tötete er zwei Möwen und gab ihre Federn seinem Sohn.

»Woher hast du denn diese Federn?«, fragte ihn der Großvater, als er ihn bei seiner Rückkehr vor dem Haus spielen sah.

»Mein Vater hat sie mir gegeben!«, erwiderte er.

Nun wurde es dem Alten doch allmählich unheimlich, aber er ließ nichts davon anmerken und lud nach einigen Wochen seinen Schwiegersohn wieder ein, ihn zu begleiten.

Sie stiegen in das Boot und fuhren zu einer einsamen Insel. Auf einem Baum daselbst bemerkte der Alte ein Adlernest und bat Owasso, doch nachzusehen, ob keine Jungen darin seien. Derselbe gehorchte, doch als er auf dem Baum war, schrie der Alte laut: »Adler, holt euch das Opfer, das ich euch versprochen habe!«

Augenblicklich stürzten die Adler von allen Seiten auf Owasso ein, aber sie taten ihm nichts zu Leide, sondern trugen ihn durch die Lüfte nach Hause.

Als dies der Zauberer sah, wurde er um seine eigene Sicherheit sehr besorgt, denn es war ihm nur noch ein Mittel übrig geblieben, und wenn dies nichts half, so war er unrettbar verloren.

An demselben Abend saß Owasso mit seiner Frau am Ufer und hörte dort die Stimme seines Bruders, konnte ihn aber nicht sehen. Traurig lauschte er den wohlbekannten Tönen, aber er sprach kein Wort. Als dies seine Frau sah, machte sie ihm den Vorschlag, die Hütte des Alten am nächsten Morgen zu verlassen und zu seinem Bruder zu ziehen. Danach beschlossen sie dann, dass die jüngere Schwester den Vater kämmen solle, wobei er sicherlich einschlafen würde, und dann könnten sie ungehindert fliehen.

Der Plan gelang. Kaum aber hatte Owasso das jenseitige Ufer erreicht, da erwachte der Manitu und rief nach seinem Boot, das seinem Ruf auch mit Blitzesschnelle folgte und mit dem jungen Paar darin dem Wigwam zuflog.

Der Zauberer sagte kein Wort und ließ seinen Schwiegersohn lange Zeit in Ruhe.

Als es Winter geworden war, bat Owasso den Alten, mit ihm auf die Jagd zu gehen, wozu jener auch gleich bereit war. Sie gingen fort und da sie unterwegs die Nacht überraschte, so bauten sie eine Hütte und zündeten ein Feuer an. Dann hingen sie ihre Mokassins und Beinkleider zum Trocknen auf und legten sich schlafen. Zur Mitternacht stand jedoch der junge Mann leise auf und hing seine Kleider an die Stelle, wo der Manitu die seinen hingehangen hatte.

Als der Alte gegen Morgen erwachte und sah, dass sein Schwiegersohn noch fest schlief, nahm er dessen Kleider und warf sie ins Feuer.

»Owasso«, rief er nach einer Weile, »deine Kleider sind ins Feuer gefallen und verbrennen!«

Darauf erwiderte jener: »Meine Kleider hängen ja noch da; es müssen wohl deine sein!« Danach zog er seine Kleider an, ging alsdann nach Hause und ließ den Zauberer zurück.

Er setzte sich mit seiner Familie und Schwägerin in ein Boot und ruderte der Stelle zu, wo er seinen Bruder zu finden glaubte. Bald hörten sie seine Stimme wieder.

»Bruder«, rief er, »seitdem du mich verlassen hast, bin ich halb zu einem Wolf geworden!«

Owasso sah ihn endlich, aber er konnte ihn nicht bereden, in seine Nähe zu kommen. Er lief ihm nach, doch Wayoond verschwand im Wald.

Nun bauten sie sich eine Hütte und richteten sich auf einen langen Aufenthalt ein. Der Wolf ließ sich häufig vor ihrer Tür sehen und sie legten ihm auch stets ein großes Stück Fleisch hin.

Owassos Schwägerin, die gern einen Mann gehabt hätte, grub nun ein Loch an die Stelle, wohin sie gewöhnlich das Fleisch für Wayoond legte, und bedeckte es sorgfältig mit Reisig. Ihre List gelang, denn bald saß Owassos Bruder darin gefangen. Auch erhielt er durch die Zauberkraft Owassos seine vollständige Menschengestalt wieder und nahm seine Schwägerin zur Frau.

Sie lebten lange glücklich beisammen, doch stiegen Owasso und Wayoond eines Tages auf einen hohen Berg, von dem sie nicht mehr herunterkamen.

Die Indianer sagen, ihr Vater habe sie zu sich genommen und mit ihrer Hilfe die Welt von allen Wendigos und Manitus gesäubert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert