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Die Plauderstube – Des Seeräubers Schatz – Kapitel 2

Des Seeräubers Schatz
Eine Preisnovelle von Edgar Allan Poe
Sonntag, den 30. Oktober 1859

2.

Etwa einen Monat danach – ich hatte Legrand in der Zwischenzeit nicht gesehen – erhielt ich zu Charleston einen Besuch von Jupiter. Ich hatte den guten alten Neger nie zuvor so trüb aussehend gefunden, und befürchtete, dass ein ernstlicher Unfall meinem Freund zugestoßen sei.

»Nun, Jup«, redete ich ihn an, »was gibt es? Wie steht es mit deinem Herrn?«

»Die Wahrheit zu sagen, Massa, er is nich gerade so wohl, wie es sein sollte.«

»Nicht wohl? Das betrübt mich sehr. Über was klagt er?«

»Da, ja, da liegt’s! Er klagt über nix – über gar nix, – aber bei alledem is er doch sehr krank.«

»Sehr krank, Jupiter? Warum sagtest du mir denn das nicht gleich? Muss er das Bett hüten?«

»Bett? Nein! Hütet nix – das ist’s just, wo der Schuh drückt – bin wirklich schwer besorgt um den armen Massa Will.«

»Jupiter, ich möchte gern besser verstehen, was du mir erzählst. Du sagst, dein Herr wäre krank. Hat er dir nicht mitgeteilt, was ihm fehlt?«

»Na Massa, man könnte wirklich verrückt werden bei so ’ner Geschichte; Massa Will sagt gar nix nich, was ihm fehlt, aber was macht ihn denn herumgehen auf so ’ne Manier, mit dem Kopf zur Erde und die Augenbrauen in der Höhe, und weiß wie ’ne Gans! Und dann hat er immer ’ne Schiffer vor sich … «

»Eine was, Jupiter?«

»Eine Schiffer mit Figuren und so was, die sonderbarsten Figuren, die ich gesehen habe. Ich sage Euch, es is zum Tollwerden. Muss verdammt Acht geben auf seine Schliche. Neulich lief er von mir weg, eh’ noch die Sonne auf war, und kam den ganzen gesegneten Tag nich wieder zurück. Ich hatte schon ’nen dicken Stock bei der Hand, um ihn ordentlich durchzuhauen, wenn er nach Hause käme, aber ich bin so ’n Narr, dass ich nich das Herz hatte, es zu tun, so elend sah er aus.«

»Wie? … Was? … Nun ja! … Weißt du was, Jup, du tätest besser, es nicht so streng mit dem armen Mann zu nehmen. Schlag ihn nicht, Jupiter, er kann das nicht vertragen. Aber kannst du dir keine Vorstellung machen, wodurch diese Krankheit oder vielmehr dieser Wechsel in seinem Benehmen veranlasst wurde? Ist irgendetwas Unangenehmes passiert, seit ich euch zuletzt gesehen habe?«

»Nein, Massa, nix Unglückliches seit damals passiert, eher vor damals, furcht’ ich. Es war just der Tag, an welchem Ihr draußen wart.«

»Wie? Was meinst du?«

»Na, Massa, ich mein’ den Käfer, mein’ ich.«

»Den was?«

»Den Käfer; ich bin ganz gewiss, dass der verdammte Goldkäfer Massa Will irgendwo am Kopf gebissen hat.«

»Und welches Zeugnis hast du für solch eine Annahme?«

»Jawohl hat er das Zeugnis dazu, Massa, und so ’n Maul obendrein! Ich hab’ nie noch so ’nen verfluchten Käfer gesehen, er biss und kratzte alles, was ihm in die Nähe kam. Massa Will fing ihn zuerst, aber er musste ihn mächtig schnell wieder loslassen, sag’ ich Euch, und das muss die Zeit gewesen sein, wo das Vieh ihn gebissen hat. Das große Maul gefiel mir gar nich, durchaus nich, sodass ich ihm nich mit dem Finger anfassen wollte, sondern ihm mit ’nem Stück Papier fing, das ich auf der Erde fand. Ich wickelte ihn in das Papier und stopfte ihm ein Stück davon in sein Maul, das war die Manier, wie ich ihn fing.«

»Und du glaubst also wirklich, dass dein Herr von dem Tier gebissen wurde, und der Biss ihn krank gemacht hat?«

»Ich glaub’ gar nix, ich weiß es. Weshalb träumt er sonst so viel von ’nem Gold, wenn es nich is, weil ihm der Goldkäfer gebissen hat? Ich hab’ früher schon so was von den Goldkäfern gehört.«

»Aber woher weißt du, dass er von Gold träumt?«

»Woher ich das weiß – na, er spricht davon im Schlaf, – das ist’s, woher ich es weiß.«

»Wohl, Jupiter, vielleicht hast du recht? Aber welchem glücklichen Umstand habe ich die Ehre deines heutigen Besuches zu danken?«

»Was meint Ihr, Massa?«

»Hast du keinen Auftrag an mich auszurichten von Mr. Legrand?«

»Nein, Massa, ich bring’ Euch nur diesen Brief.«

Und Jupiter überreichte mir ein Billett, dessen Inhalt folgender war:

Mein Lieber!

Warum habe ich Sie so lange nicht gesehen? Ich hoffe, Sie werden nicht es töricht gewesen sein, sich durch mein bisschen Unhöflichkeit beleidigt zu fühlen; nein, das ist unmöglich.

Seit ich Sie zum letzten Mal sah, habe ich in großer Aufregung gelebt. Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, weiß aber kaum, wie ich das anfangen oder ob ich es eigentlich Ihnen überhaupt mitteilen soll.

In den letzten Tagen war ich nicht recht wohl, und der gute alte Jup ennuyiert mich fast unerträglich mit seiner gutgemeinten Aufmerksamkeit. Können Sie es glauben? Er hatte neulich einen dicken Stock zurecht gemacht, um mich durchzuwalken, weil ich von ihm weggeschlichen war und den Tag allein auf den Hügeln zubrachte. Ich glaube in vollem Ernst, dass nur mein schlechtes Aussehen mich vor einer Tracht Prügel bewahrt hat.

Mein Naturalienkabinett erhielt keinen neuen Zuwachs, seit Sie mich besuchten. Wenn Sie es irgend ermöglichen können, dann kommen Sie mit Jupiter herüber. Kommen Sie auf jeden Fall! Ich wünsche Sie heute Abend in einer sehr wichtigen Geschäftsangelegenheit zu sprechen. Ich kann Ihnen versichern, dass dieselbe von der erheblichsten Wichtigkeit ist. Wie immer

Ihr
William Legrand

Es lag etwas in dem Ton des Billetts, das mir viel Unruhe verursachte. Der ganze Stil wich von der gewöhnlichen Schreibweise Legrands auffällig ab. Wovon konnte er träumen? Welche neue Grille beschäftigte sein reizbares Hirn? Welches Geschäft von erheblichster Wichtigkeit konnte er zu vollziehen haben? Jupiters Bericht über ihn verkündete nichts Gutes. Ich befürchtete fast, die Fortdauer seines Missgeschickes hätte die Geistestätigkeit meines Freundes ernstlich gestört. Ohne mich einen Moment zu besinnen, rüstete ich mich daher, den Schwarzen zu begleiten.

Als wir den Hafenplatz erreichten, bemerkte ich eine Sense und drei Spaten – alle, wie es schien, ganz neu – in dem Boot, welches wir besteigen sollten.

»Was hat das alles zu bedeuten, Jup?«, fragte ich.

»Sense, Massa und Spaten.«

»Ganz recht; aber was sollen die hier?«

»Sind die Sense und Spaten, die Massa Will mich in der Stadt kaufen ließ; haben ’n wahres Teufelsgeld gekostet.«

»Aber was, bei allem, was geheimnisvoll ist, denkt dein Massa Will mit den Sensen und Spaten zu beginnen?«

»Das is mehr als ich weiß, und der Teufel soll mich holen, wenn ich nich glaube, dass es mehr is, als er selbst weiß. Aber das kommt allens von dem Käfer!«

Da ich einsah, dass von Jupiter, dessen ganzes Hirn von dem Käfer eingenommen schien, kein genügender Aufschluss zu erhalten war, stieg ich in das Boot, und wir fuhren ab. Von einer frischen und starken Brise begünstigt, liefen wir bald in die kleine Bucht nördlich vom Fort Moultrie ein und kamen nach halbstündigem Marsch bei der Hütte an. Es mochte gegen zwei Uhr nachmittags sein. Legrand hatte uns in ängstlicher Aufregung erwartet. Er drückte meine Hand mit einer nervösen Heftigkeit, die mich erschreckte und in meiner Vermutung bestärkte. Seine Wangen erschienen geisterhaft bleich und seine tiefliegenden Augen blitzten in unnatürlichem Glanz. Nach einigen Erkundigungen betreffs seiner Gesundheit fragte ich ihn, da mir nichts Besseres einfiel, ob Lieutenant G. ihm den Skarabäus zurückgesandt hätte.

»O ja«, antwortete er und seine Wangen färbten sich, »ich erhielt ihn am nächsten Morgen zurück. Nichts könnte mich bewegen, mich wieder von diesem Skarabäus zu trennen. Wissen Sie, dass Jupiter ganz recht hatte?«

»Worin?«, fragte ich, eine trübe Ahnung im Herzen.

»In seiner Vermutung, dass es ein wirklicher Goldkäfer sei.« Er sprach diese Worte mit dem Ausdruck größter Ernsthaftigkeit, und ich empfand ein tiefes Mitleid.

»Dieser Käfer wird mein Glück machen«, fuhr er mit triumphierendem Lächeln fort. »Er wird mir all mein verlorenes Gut ersetzen. Ist es daher ein Wunder, dass ich ihn schätze? Seit es Furtuna in den Sinn kam, ihn mir zu schenken, habe ich nur den rechten Gebrauch davon zu machen, und ich werde Herr des Goldes sein, welches er anzeigt. Jupiter, bring mir den Skarabäus!«

»Was! Den Käfer, Massa! Ich möchte den Käfer lieber ungestört lassen – Ihr könnt selbst zu ihm gehen.«

Legrand erhob sich darauf mit gewichtiger und würdevoller Miene und nahm den Käfer aus einem Glasfläschchen, in dem er ihn eingeschlossen hielt. Es war ein schöner und zu jener Zeit den Naturforschern unbekannter Skarabäus, in wissenschaftlicher Beziehung deshalb von großem Wert. Zwei runde schwarze Flecken fanden sich auf dem einen Ende des Rückens und ein länglicher auf dem andern. Die Flügeldecken waren ungewöhnlich hart und glänzend und funkelten wie glühendes Gold. Das Gewicht des Käfers war beträchtlich und, alles in allem genommen, konnte ich Jupiters Ansicht nicht tadeln. Was aber Legrand bewog, dieser Ansicht beizupflichten, das konnte ich um alles in der Welt nicht begreifen.

»Ich habe zu Ihnen geschickt«, begann er in gravitätischem Ton, als ich mit meiner Besichtigung des Käfers fertig war, »ich habe zu Ihnen geschickt, um mir ihren Rat zu erbitten, damit ich die Ansichten des Fatums und des Käfers erfüllen kann …«

»Mein teurer Legrand«, unterbrach ich ihn, »Sie sind gewiss krank und sollten mehr Vorsicht gebrauchen. Sie sollten zu Bett gehen und ich will einige Tage hier bleiben, bis Ihre Gesundheit zurückkehrt. Sie sind im Fieber und …«

»Fühlen Sie meinen Puls«, sprach er.

Ich fühlte ihn, und die Wahrheit zu gestehen, ich fand nicht das Geringste Anzeichen von Fieber.

»Nun, Sie mögen krank sein, ohne dass Fieber Sie plagt. Erlauben Sie mir dies eine Mal, Ihnen Heilmittel zu verordnen. Fürs Erste gehen Sie zu Bett und zweitens …«

»Sie irren sich«, fiel er mir ins Wort, »ich bin so wohl, wie es sich bei der Aufregung, in welcher ich mich befinde, erwarten lässt. Wünschen Sie meine Gesundheit, dann werden Sie mir helfen, diese Aufregung zu beseitigen.«

»Und wie soll das geschehen?«

»Sehr leicht. Jupiter und ich gehen auf eine Expedition zu den Hügeln des Festlandes und bei dieser Expedition bedürfen wir der Hilfe eines Mannes, dem wir vertrauen können. Ob unser Erfolg nun ein günstiger oder ein ungünstiger ist, in jedem Fall wird die Aufregung, welche Sie jetzt an mir wahrnehmen, vorüber sein.«

»Es freut mich, wenn ich Ihnen in irgendeiner Weise dienen kann«, erwiderte ich, »aber Sie wollen doch nicht sagen, dass jenes Satansvieh in irgendeiner Beziehung mit Ihrer Expedition steht?«

»Gewiss.«

»Dann Legrand, kann ich unmöglich der Teilnehmer einer so absurden Handlungsweise sein.«

»Das tut mir leid, äußerst leid, denn wir müssen dann allein den Versuch machen.«

»Allein den Versuch machen?« (Der Mann ist gewiss toll!) Aber wie lange denken Sie abwesend zu sein?«

»Wahrscheinlich die ganze Nacht. Wir werden uns unverzüglich auf den Weg machen und unter allen Umständen bis Sonnenaufgang zurück sein.«

»Und wollen Sie mir auf Ihr Ehrenwort versprechen, dass, wenn dieser Einfall von Ihnen ausgeführt und das Käfergeschäft (allgütiger Himmel!) zu Ihrer Zufriedenheit beendet ist, dass sie dann heimkehren und meine Vorschriften als die Ihres Arztes befolgen?«

»Ja, ich verspreche das; und jetzt lassen Sie uns gehen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Mit schwerem Herzen begleitete ich meinen Freund. Wir verließen etwa um 4 Uhr nachmittags das Haus, Legrand, Jupiter und ich. Jupiter trug die Sense und die Spaten. er hatte darauf bestanden, alles allein zu tragen; wie mir schien, mehr aus Furcht, irgendeins der Geräte seinem Herrn anzuvertrauen, als aus übermäßiger Dienstbeflissenheit oder Gefälligkeit. Sein Benehmen war griesgrämig bis zum Exzess. »Der verfluchte Käfer!«, waren die einzigen Worte, die seinen Lippen auf dem Wege entschlüpften. Was mich betraf, so hatte ich zwei Blendlaternen zu tragen, während Legrand sich mit dem Skarabäus begnügte, den er an das Ende einer alten Peitschenschnur befestigt hatte, welche er mit der Miene eines Beschwörers auf unserem Marsch ab und zu durch die Luft schwang. Als ich diesen letzten deutlichen Beweis für die Geistesverwirrungen meines Freundes sah, konnte ich mich kaum der Tränen enthalten. Ich hielt es jedoch für das Beste, wenigstens für jetzt auf seine Fantasien einzugehen, bis mir ein wirksames Mittel in den Sinn käme, das einige Aussicht auf Erfolg verhieße. Inzwischen mühte ich mich vergeblich ab, ihn bezüglich des Zweckes unserer Expedition auszuhorchen. Nachdem es ihm einmal gelungen war, mich zur Teilnahme an diesem Ausfluge zu veranlassen, schien er keine Lust zu haben, sich über irgendein Thema untergeordneter Wichtigkeit zu unterhalten. Auf all meine Fragen bezüglich unserer Exkursion erlaubte er sich keine andere Antwort als: »Wir werden sehen.«

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