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Aus dem Wigwam – Der gute und der böse Geist

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Noch vierzig Sagen
Mitgeteilt vom Navajohäuptling El Zol

Der gute und der böse Geist

n einer reichen und schönen Gegend wohnte in Gestalt eines Indianers ein blutdürstiger Manitu, der nur von Menschenfleisch lebte, trotzdem Wild und Fische in Hülle und Fülle vorhanden waren. Das ehemals sehr bevölkerte Land wurde infolgedessen fast menschenleer, denn es verging kein Tag, an dem er nicht mindestens zwei Männer abschlachtete.

Das Geheimnis seiner Macht beruhte in seiner merkwürdigen Schnelligkeit im Laufen. Er konnte die Gestalt irgendeines schnellfüßigen Tieres annehmen und forderte daher jeden, den er sah, zum Wettlaufen heraus. Vor seiner Hütte stand eine große Stange, an der ein Messer hing. Von dieser Stange aus wurde gelaufen und wer dort zuerst wieder ankam, hatte das Recht, seinem Gegner den Kopf abzuschneiden.

Das ganze Land fürchtete sich vor ihm, und wenn sich jemand weigerte, mit ihm zu laufen, so nannte er ihn einen Feigling, und dieser Schimpf war für die meisten schwerer zu ertragen als der Tod.

Sonst führte sich der Manitu wie ein anständiger Mensch auf. Er hatte sogar ein einschmeichelndes Wesen und besuchte häufig die benachbarten Wigwam. Der Zweck dieser Besuche war jedoch, herauszufinden, ob junge Männer da seien, die er zum Laufen herausfordern könne.

Nicht weit von ihm wohnte auch eine Witwe mit ihren beiden Kindern, einem Mädchen und einem Knaben, welch Letzterer ungefähr zehn oder zwölf Jahre alt sein mochte. Sein Vater und seine zehn Brüder hatten durch den Manitu ihr Leben verloren, und jener Bösewicht erwartete nun mit Schmerzen die Zeit, wo er der Witwe ihre letzte Stütze entreißen könne.

Als die Tochter nun eines Tages ausging, um dürres Holz zu sammeln, erblickte sie einen schönen, jungen Mann, der sie in ihrer Sprache freundlich anredete. Er unterhielt sich längere Zeit mit ihr und fragte sie zuletzt, ob sie nicht seine Frau werden wolle. Das Mädchen gab keine Antwort und ging mit dem Versprechen, am nächsten Tag wiederzukommen, nach Hause. Ihre Mutter fragte sie, weshalb sie so ungewöhnlich lange geblieben sei; doch sie wollte mit der Sprache nicht recht heraus.

Am nächsten Tag kam der junge Mann im glänzenden Anzug eines Kriegers und ging mit dem Mädchen zu ihrer Hütte. Ihre Mutter hieß ihn niedersitzen und betrachtete die beiden von diesem Augenblick an als Mann und Frau.

Kurz danach fragte der Fremde nach Pfeil und Bogen der Erschlagenen und als er dieselben erhalten hatte, ging er fort auf die Jagd. Sobald er im Wald war, verwandelte er sich in ein Rebhuhn und am Abend war er mit zwei fetten Hirschen vor dem Wigwam seiner Schwiegermutter.

Eines Tages sagte ihm nun die Frau, dass sie der Manitu besuchen wolle.

»Ich werde währenddessen auf die Jagd gehen«, erwiderte er, »aber sobald er weg ist, komme ich wieder zurück.«

Danach verwandelte er sich wieder in einen Vogel und setzte sich auf einen Baum, um den Zauberer zu beobachten.

Sobald derselbe in die Hütte trat, sprach er: »Ei, Frau, wer versieht euch denn mit so vielem Fleisch?«

»Ach«, erwiderte sie, »du wirst dich nur über meine hilflose Lage lustig machen. Wer würde sich wohl zu mir verlaufen, um mir Fleisch zu bringen!«

»Ich werde an einem anderen Tage wiederkommen und mich überzeugen, ob dein Sohn schon ein tüchtiger Jäger geworden ist!« Danach verließ er die Hütte und der Fremde kehrte zurück.

»Das nächste Mal«, sagte er, »wenn er wiederkommt, werde ich auch hier sein.«

Darauf erzählten sie ihm von seiner Grausamkeit und von seinem Blutdurst; doch der junge Mann erklärte sich bereit, den Wettlauf mit ihm zu irgendeiner Zeit anzutreten.

An dem Tag, welchen der Manitu für seinen nächsten Besuch bestimmt hatte, zog der junge Mann seinen Kriegsanzug an und bemalte sich das Gesicht mit roter Farbe, um zu zeigen, dass er sich nicht fürchte.

»Ich habe mir doch gleich gedacht«, sagte der Zauberer zu der Witwe, als er eintrat, »dass ein Fremder bei dir ist, denn dein Sohn ist zur Jagd noch viel zu jung!«

Doch sie erwiderte kein Wort darauf, und der Manitu ließ sich mit ihrem Schwiegersohn in ein Gespräch ein. Beide lachten und scherzten und zuletzt kamen sie überein, am nächsten Tag ein Wettlaufen zu veranstalten. Der junge Mann zeigte zwar wenig Lust dazu, doch der Manitu meinte, es sei ja eine Kleinigkeit, einen Greis, wie er sei, zu besiegen.

Darauf wurde der Manitu zum Essen eingeladen, das die junge Frau inzwischen zubereitet hatte. Es wurde bloß eine Schüssel gebraucht und der Fremde, wie er gewöhnlich genannt wurde, aß zuerst daraus, damit sein Gegner nicht etwa Argwohn schöpfe, dass er ihn vergiften wolle. Dann nahm der Manitu die Schüssel und leerte sie. Doch kam ihm dabei ein kleiner Knochen in die Luftröhre, worauf er husten musste.

Am folgenden Tag machte sich der Fremde auf den Weg, den Manitu zu besuchen. Die Hütte desselben stand auf einer Anhöhe, die außer ihm noch einige andere Leute bewohnten.

»Ehe wir anfangen zu laufen«, sagte der Alte, »muss ich dir mitteilen, dass es meine Gewohnheit ist, stets mein Leben gegen das meines Gegners zu wetten!«

Der junge Mann war es zufrieden und beide begannen auf ein gegebenes Zeichen ihren Lauf. Der Manitu verwandelte sich gleich in einen Fuchs, und als dies der Fremde sah, verwandelte er sich in einen Vogel und flog ihm voraus. Danach nahm der Manitu die Gestalt eines Wolfes an, aber er konnte keinen Vorsprung gewinnen. Er nahm noch mehrere andere Gestalten an, aber der junge Mann neckte ihn beständig und fragte, ob er denn nicht schneller laufen könnte.

Als er nahe am Ziel war, rief ihm der noch weit entfernte Manitu zu: »Halt ein, lieber Freund! Ich habe dir etwas zu sagen!«

»Ich werde dir dort an der Stange Rede stehen!«, antwortete jener, »es ist meine Gewohnheit, stets mein Leben gegen das meines Gegners zu wetten!«

»Freund«, sprach der Manitu kläglich, »schenke mir das Leben!«

»Wie du gegen andere gehandelt hast, so soll es dir auch ergehen!«, war die Antwort und in demselben Augenblick tanzte auch schon sein Kopf auf der Erde. Die Zuschauer griffen zu ihren Messern und schnitten unter Freudengeschrei den Körper des Manitu in tausend Stücke.

Darauf ließ sich der Fremde in die Hütte des Toten führen, die bis dahin noch kein Mensch betreten hatte. Dieselbe bestand aus drei Teilen; Der erste war wie eine gewöhnliche Indianerwohnung eingerichtet; im zweiten befand sich eine Mauer aus menschlichen Schädeln und Knochen und an der Decke hingen zwei Leichname zum Trocknen. Im dritten Teil der Hütte lagen zwei schlangenartige Ungeheuer, von denen das eine die Frau und das andere der Sohn des Manitu zu sein schienen. Da die Öffnung, durch die sie aus der Erde hervorgekrochen waren, verstopft war, so konnten sie nicht schnell entfliehen und mussten sich in ihr Schicksal fügen. Der junge Mann schlug ihnen die Köpfe ab und zündete dann die Hütte an. Als der Rauch in die Höhe stieg, sah man beständig feurige Schlangen darin züngeln.

Danach schoss der Fremde drei Zauberpfeile in die Luft. Als er dabei zum dritten Mal »Steht auf!« gerufen hatte, belebten sich die Schädel und Knochen und fügten sich wieder zusammen.

Die wieder zum Leben erweckten Menschen dankten ihm und drückten ihm freudig die Hand.

»Meine Freunde«, sagte er, »der Große Geist, der über den Wolken wohnt, hat die Grausamkeiten des Manitu gesehen und mir die Kraft verliehen, ihn zu töten. Durch ihn habe ich es auch, das Leben wiederzugeben. Am Ende der Welt werden alle Menschen auferstehen und sich auf den glücklichen Jagdgründen versammeln. Ich werde nur noch kurze Zeit unter euch bleiben, denn ich muss bald wieder zu dem Ort zurückkehren, von dem ich gekommen bin. Aber ehe ich abreise, werde ich euch noch Lehren geben, deren Befolgung euch glücklich machen wird.«

Darauf folgten sie ihm vor die Hütte der Witwe und lauschten lange seinen Worten. Er lehrte sie Künste und den Ackerbau und sie bauten in der Nähe eine große Stadt. Als diese fertig war und alles zu blühen und gedeihen schien, verschwand der Fremde in den Wolken. Seine Frau ließ er zurück mit der Bemerkung, dass sie in Zukunft die Leute mit Rat unterstützen solle.

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