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Der Welt-Detektiv Band 6

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Deutsche Märchen und Sagen 118

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

154. Klaren Mondschein trinken

Zu Kortryk lebte vor längerer Zeit ein gar kühner und wackerer Mann, den man aber nicht anders in der Stadt nannte als Herrn Klare Mane (klarer Mond). Diesen Beinamen hatte er von folgendem Vorfalle erhalten. Er schlief in einer Nacht auf seinem Söller, als er plötzlich ein sonderbares Geräusch und eine Menge der verschiedenartigsten Frauenstimmen über sich hörte. Da das Dach mehrere gläserne Pfannen hatte, trat er zu einer derselben und sah zu seiner großen Verwunderung eine zahlreiche Gesellschaft von Frauen darauf sitzen, welche tranken und dazu sangen:

Wir trinken allhier den süßen Wein,
Burgunderwein,
Champagnerwein,
wir trinken den klaren Mondenschein.

»Ei«, dachte sich der Mann, »was hat das Volk auf meinem Dach zu tun?« Er hob eine von den Glaspfannen und rief heraus: »Wartet nur ein Weilchen noch, ihr Pack. Ich will euch dann schon lehren, mich im Schlaf zu stören.« Mit den Worten eilte er zurück und in eine Ecke des Söllers, wo ein dicker Knüppel stand. Als er aber mit demselben wieder zu der Glaspfanne kam, war alles verschwunden.

155. Der Spielmann auf dem Galgen

Im Jahre 1649 hatten einige Fräulein eines gewissen gräflichen Schlosses in Deutschland, dessen Namen wir hier nicht gern nennen wollen, einen Spielmann ersucht, des folgenden Sonntags in der Nacht bei einem Tanz aufzuspielen, den sie anstellen wollten. Er versprach ihnen zu kommen, wenn sie ihn zur festgesetzten Stunde, nämlich abends um neun Uhr, wollten holen lassen. Dies geschah; es kam jemand zu ihm und führte ihn dahin, wo er sein musste, in das gräfliche Schloss – so meinte er – und in einen großen Saal, in welchem ein herrliches Bankett bereitet war. Da spielte er viele Tanzweisen und so schön, wie er nur konnte. Als er nun schon lange gespielt und niemand ihm einen Trunk zubrachte, sprach er laut genug, dass männiglich es verstehen konnte: »’s ist doch besser, Bauern und Bäuerinnen aufzuspielen, als für Junker und Fräulein; zum Geringsten geben die Bauern einem Spielmann genug zu trinken.«

Kaum hatte er das gesagt, als ein vermummter Herr zu ihm trat und ihm einen trefflichen silbernen Becher mit Wein anbot. Vergnügt legte der Spielmann seine Geige aus der Hand und tat einen guten Zug. Dann sprach er: »Gott segne es, das ist ein kostbarer Wein.«

Doch im selben Augenblick verschwand die ganze Gesellschaft mit dem Schloss und er saß auf dem Galgen, neben dem einige Tage zuvor mehrere Hexen verbrannt worden waren. Den Becher aber hielt er noch in der Hand. Nachdem er sich ein wenig von seinem Schrecken erholt hatte, steckte er denselben in die Tasche, ließ sich an einem Strick nieder und ging nach Hause. Am anderen Morgen sah er sich das Geschirr genauer an und fand das Wappen einer vornehmen Person aus der Gegend darauf. Es sind viele Leute, die den Becher gesehen und denen der Mann die ganze Geschichte erzählt hat.

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