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Nick Carter – Ein verhängnisvoller Schwur – Kapitel 7

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein verhängnisvoller Schwur
Ein Detektivroman

Die Dynamit-Explosion

Als Nick Carter die Straße erreichte, sah er Pancho gerade auf eine in südlicher Richtung fahrende Broadwaycar (Straßenbahnwagen) springen. Viel hätte Nick darum geben, hätte er einen seiner Gehilfen zur Stelle gehabt, um ihn auf die Fährte des Verbrechers setzen zu können. Der Letztere fuhr augenscheinlich dem Unterschlupf zu, in welchem er sich mit seinen Gefährten vor der Polizei verbarg. Doch da Nick Carter keinen seiner Gehilfen zur Hand hatte, musste er Pancho wohl oder übel diesmal entrinnen lassen – sehr zu seinem Verdruss, wie der Meisterdetektiv hinterher herausfinden sollte.

Als Nick Carter den Central Park West erreichte, gewahrte er Chick auf der Parkseite am alten Platz. Er winkte ihm unmerklich zu, auf seinem Posten zu bleiben, und begab sich dann ungesäumt zum Haus des Baumeisters.

Auf sein Klingeln erschien dasselbe Zimmermädchen, welches ihm bei seinem ersten Besuch die Tür geöffnet hatte.

»Well, Mr. Carter, unsere Lady ist zu angegriffen«, versetzte das Mädchen. »Sie sollen warten, bis Mr. Menasto zurückgekommen ist.«

»Das zu entscheiden, ist meine Sache«, erklärte der Detektiv, indem er das Mädchen ohne Weiteres beiseite schob und ins Haus eintrat. »Ich habe mich soeben mit Mr. Menasto ausführlich auf telefonischem Weg unterhalten – und gerade auf seine Veranlassung hin wünsche ich von Mrs. Menasto empfangen zu werden.«

Als der Detektiv darauf im vorderen Parlor der schönen Hausherrin gegenüberstand, fand er diese in einem einfachen, roten Straßenkleid, welches ihm merkwürdig bekannt vorkam – und im Nu entsann er sich, dass er Inez schon zuvor im nämlichen Kostüm gesehen hatte, und zwar war dies in der kritischen Nacht der Fall gewesen, als er sich mit eigener Lebensgefahr in das Wohnhaus an der 77th Street geschlichen und Morris Carruthers festgenommen hatte.

Die angebliche Mrs. Menasto maß ihn mit einem erstaunten Blick. Sie wartete kaum so lange, bis das Zimmermädchen wieder die Tür hinter sich geschlossen und das Zimmer verlassen hatte; dann wandte sie sich spitz an den Detektiv.

»Offen gestanden, Mr. Carter, ich empfinde Ihre Zudringlichkeit peinlich … Es mag sein, dass sie zu Ihrem Beruf gehört, doch auch ein Detektiv sollte die Wünsche einer Lady respektieren. Ich überlasse es meinem Gatten, sich darüber mit Ihnen auseinanderzusetzen!«

Ihr Ton war so sicher, ihre Empörung schien so echt und ihre ganze Haltung so unbefangen, dass wohl selbst Nick Carter unter anderen Umständen irre geworden sein würde; doch jetzt, da er unmittelbar zuvor erst zum Zeugen des heimlichen Zeichenaustausches zwischen der schönen Verbrecherin und ihrem getreuen Helfershelfer Pancho geworden war, war er seiner Sache viel zu gewiss, als dass die gut gespielte Empörung der Verbrecherkönigin irgendwelchen Eindruck auf ihn gemacht hätte. Innerlich bewunderte er wohl ihre meisterhafte Verstellungskunst und hätte nicht Mann sein müssen, wäre ihm der Gedanke nicht peinlich gewesen, dieser schönen Teufelin gegenüber nunmehr rücksichtslos seine Pflicht tun zu müssen – gewiss, sie verdiente keine Schonung. Aber sie blieb doch immer eine Frau, und selbst in diesem entarteten Weib erblickte der ritterliche Mann die Geschlechtsgenossin seiner von ihm gleich einer Heiligen verehrten, früh verstorbenen Mutter.

Doch hier half kein weichmütiges Zaudern oder sentimentales Bedenken; diese Inez Navarro war gefährlicher als ein Dutzend anderer Verbrecher – er musste im Dienste der Menschheit seine Pflicht tun, und er war auch fest entschlossen, unentwegt seines Amtes zu walten.

»Well, Inez Navarro, ich halte es für angezeigt, dass wir alles fernere unnütze Versteckspielen unterlassen«, begann er leichthin.

Die schöne Frau fuhr auf und maß ihn mit einem zornigen Blick. »Wagen Sie es wieder, mich in meinem eigenen Haus zu beleidigen?«, flammte sie auf, und schon wollte ihre Hand eilig nach der Klingel langen. »Ich werde Hilfe herbeirufen … man wird Sie aus dem Haus gewaltsam entfernen …«

»Bilden Sie sich doch keine Schwachheiten ein, Inez Navarro«, unterbrach sie der Detektiv kaltblütig. »Wir sind allein – warum also die Komödie? Je schneller wir zu einer Verständigung gelangen, desto besser für Sie und auch für mich.«

»Aber ich will Sie nicht anhören – jedes Ihrer Worte ist eine unerhörte Beleidigung!«, rief die schöne Frau mit einer Handbewegung, als wollte sie sich die Ohren zuhalten.

»Well, dann sehe ich mich genötigt, Sie zu verhaften – und zwar auf der Stelle!«, versetzte der Detektiv scharf.

Die schöne Frau sah ihn zuerst verächtlich, dann erstaunt und zuletzt wie belustigt an. »Sie sind wirklich spaßhaft in ihrem Übereifer, mein lieber Mr. Carter«, sagte sie zuletzt. »Sie wollen mich verhaften, weil ich das Unglück habe, meiner unglücklichen Zwillingsschwester so täuschend ähnlich zu sehen, dass selbst Sie, dem man solch untrüglichen Scharfblick nachrühmt, sich täuschen lassen? … Lieber Herr, ich verstehe mich nicht auf Gesetze, zudem bin ich auch nur eine schwache Frau und könnte Ihnen im Ernstfall keinen Widerstand entgegensetzen. Aber mein Gatte würde den mir angetanen tödlichen Schimpf zu rächen wissen … und all Ihr Ruhm und Ansehen sollte Sie nicht davor bewahren, ihre unerhörte Brutalität gegen eine Lady zu büßen!«

»Das haben Sie wieder einmal gut gemacht, schöne Inez«, bemerkte Nick Carter trocken, der sich inzwischen unbefangen niedergesetzt hatte. Innerlich war er umso erregter, denn er wusste am besten, dass all seine Vermutungen nicht zu einer Verhaftung ausreichten … diese Inez Navarro war ihm gewachsen. Ihre Verhaftung musste einen Riesenskandal heraufbeschwören – und schlimmer noch, er würde mit ihrer Freilassung enden, denn die Verbrecherkönigin hatte alles so geschickt und umfassend für einen glänzenden Alibibeweis vorbereitet, dass ihr Richter und Geschworene glauben und ihre Verhaftung einmütig als eine Brutalität, welche brandmarkend auf ihn selbst zurückfallen musste, bezeichnen würden. Darauf wollte es Nick Carter nicht ankommen lassen; er wollte die schöne Teufelin verhaften, um sie verurteilt zu sehen. Darum musste er sie erst aufs Glatteis locken, ihr so vorsichtig und geschickt wie möglich gewisse Zugeständnisse entreißen, aufgrund derer er vorgehen konnte.

»Well«, sagte er äußerlich ruhig. »Die Tatsache, dass es eine Inez Navarro gibt, wird auch von Ihnen nicht bestritten. Ja, Sie räumen sogar ein, dass es sich hierbei um die Ihnen täuschend ähnliche Zwillingsschwester handelt. Nehmen wir also an, es drehte sich um diese, obwohl ich persönlich Sie für Inez Navarro halte. Jedenfalls liegt es in Ihrem Interesse, den Fall ruhig aufzuklären, jegliches peinliche Aufsehen zu vermeiden – und mich davon zu überzeugen, dass ich mich im Irrtum befinde.«

Die schöne Frau hatte sich in einiger Entfernung von ihm an einem zierlichen Damenschreibtisch niedergelassen. Lässig schmiegte sie sich in den weichen Polsterstuhl und schaute den Detektiv mit rätselhaften Blicken an.

»Ich meine, Mr. Carter, es ist Ihre Pflicht, mir nachzuweisen, dass sie wirklich jene schreckliche Verbrecherin ist – denn für eine solche halten Sie meine Schwester entschieden, obwohl ich nur weiß, oder wenigstens bisher zu wissen glaubte, dass sie lediglich eine tief unglückliche Frau ist … Gewisse Vorkommnisse in der letzten Zeit haben mich allerdings an meiner Schwester irre werden lassen, das räume ich freimütig ein.«

Der Detektiv nickte. »Übersehen Sie nicht, dass Ihr Standpunkt der des Verbrechers ist, der da sagt: Ich bestreite alles und erwarte den Gegenbeweis. Recht haben Sie, denn um Ihre Verurteilung vor den Geschworenen zu erzielen, ist es notwendig, Ihre Identität mit Inez Navarro festzustellen sowie ferner nachzuweisen, dass die Letztere die ihr zur Last gelegten Verbrechen auch wirklich begangen hat.«

»Und dürfte ich nicht erfahren, welche schrecklichen Untaten man meiner unglücklichen Schwester in die Schuhe schiebt?«, fragte die schöne Frau spöttisch.

»Möchten Sie mir nicht lieber kurz und bündig den Beweis geben, dass Sie wirklich die Gattin des Baumeisters Menasto sind?«, fragte der Detektiv dagegen.

»Sie sind großartig, Mr. Carter!«, erwiderte lachend sein Gegenüber spöttisch. »Sie dringen in dieses Haus, dessen Herrin ich seit nunmehr fünf Jahren bin, ein und verlangen von mir, dass ich meine Existenzberechtigung nachweise … Fragen Sie doch die Dienstboten, Betsy ist seit drei Jahren in meinen Diensten, die Köchin gleichfalls schon seit Jahr und Tag, immerhin lange genug, um mich auf das Genaueste zu kennen und meine Identität zu beschwören … oder besser noch … fragen Sie meinen Mann … Es ist jetzt zwei Uhr nachmittags, und er ist bereits auf der Rückreise begriffen. Ich denke, der wird seine Frau wohl kennen.«

»Ganz gewiss«, räumte Nick ein. »Er sagte mir sogar vorhin durch den Fernsprecher, dass seine Frau Kenntnis von einem Stichwort habe, das außer ihr nur er selbst kennt … und seine Frau hat ihm geschworen, dieses Stichwort streng geheim zu halten.«

»Ganz gewiss hat sie das getan«, fiel Inez rasch ein, »doch ich glaube nicht, mein Gelöbnis zu brechen, sage ich dem klugen Mr. Carter, dass mein Vorname Carmen zweisilbig ist. Spricht man die zweite Silbe vor der ersten aus, so entsteht das Wort Mencar

Sie lachte silberhell auf.

Kein Muskel regte sich in den Zügen des Detektivs, so erregt er auch in Wirklichkeit war. Er musste die Verbrecherkönigin immer mehr bewundern, so verabscheuungswürdig sie auch sein mochte. Es lag klar am Tage, dass sie wirklich das Eheweib des angesehenen Baumeisters war. Sie hatte sich ein Alibi geschaffen, das jeder Spurkunst trotzte und unüberwindlich schien. War sie doch in der Lage, jederzeit auf Inez Navarro als ihre Zwillingsschwester hinzuweisen und diese als die Schuldige, sich selbst aber als engelsrein hinzustellen.

»Ich sehe, dass Sie in die Geheimnisse von Mr. Menasto gut eingeweiht sind«, bemerkte der Detektiv nach sekundenlangem Schweigen trocken.

»Zweifellos, denn ich bin seine Frau, und wir leben sehr glücklich miteinander!«

Nick Carter biss sich auf die Lippen. Er fühlte wohl, wie die Verbrecherkönigin ihn insgeheim verhöhnte. Es war ein Spiel zwischen Katze und Maus, nur dass er zu seinem Ingrimm diesmal die ungewohnte und ihm schlecht liegende Rolle der gequälten Maus spielen musste.

»Well«, sagte er leichthin. »Ich muss Ihnen mein Kompliment machen, sie haben die ganze Geschichte meisterhaft eingefädelt, und ich gestehe offen, dass ich in diesem Fall als kläglich Besiegter dastehen würde, hätten Sie sich nicht einige kleine Unvorsichtigkeiten zu Schulden kommen lassen, die Sie verderben müssen und werden.«

Die schöne Frau lächelte nur. »Sie sind spaßhaft, Mr. Carter«, versetzte sie. »Man kann Ihnen nicht böse sein … Sie haben so etwas Drolliges an sich. Wäre ich Inez Navarro, wie ich leider nur ihre Zwillingsschwester bin, ich könnte stolz auf einen solch scharfsinnigen und gewandten Gegner sein!«, schloss sie unter erneutem Lachen.

Hätte der Detektiv noch an ihrer Identität gezweifelt, diese giftigen Nadelstiche erbarmungslosen Hohnes hätten ihn überzeugt. Hier offenbarte sich die echte Inez Navarro; so hatte sie ihn auch schon bei früheren Gelegenheiten behandelt, und sie musste sich ihrer Sache sehr sicher fühlen, dass sie ihrem Temperament derart die Zügel schießen ließ.

»Nehmen wir einmal an, Sie wären Inez Navarro«, versetzte er ruhig. »In diesem Fall müsste ich Ihnen sagen, dass Sie trotz aller Klugheit doch recht stümperhaft handelten, als Sie den Anschlag in Ihres Gatten Bauhütte vorbereiteten.«

»Und inwiefern – wenn ich fragen darf?«, erkundigte sich das schöne Weib mit liebenswürdigem Lächeln.

»Well, Sie wagten zu viel auf eine einzige Karte. Ihr Plan stand und fiel mit meinem Verhalten … Hätte ich den geladenen Fernsprechapparat angerührt, dann hätten Sie gesiegt, denn tote Gegner braucht man nicht zu fürchten. Nun aber, da ich am Leben geblieben bin, ist die Sache für Sie fatal.«

»Bilden Sie sich nicht ein wenig zu viel auf ihre eigene Vortrefflichkeit ein, Mr. Carter?«, fragte Inez spöttisch.

»Ausreden lassen!«, widersprach Nick Carter in ebensolchem Ton; innerlich aber frohlockte er bei der Wahrnehmung, dass sein Gegenüber im Eifer des Gesprächs gar nicht darauf achtete, wie dessen angeschlagenes Thema ihr eigentlich fremd sein musste. Sie zeigte sich im Gegenteil sehr vertraut über Dinge, welche nur Inez Navarro wissen konnte.

»Die Sache ist deshalb äußerst fatal für Sie«, fuhr der Detektiv fort, »weil nun der gedoktorten Toten mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde, als dies der Fall gewesen wäre, hätte ich mir gleichfalls den Tod geholt. Auf diese Weise entdeckten wir, dass die Leiche kunstvoll einbalsamiert wurde, nachdem sie vor etwa einer Woche durch einen Messerstich in die linke Brustseite getötet worden war. Es ist wohl unnötig, Ihnen zu sagen, dass auch die Ähnlichkeit mit Ihnen und – und Ihrer Zwillingsschwester«, setzte er mit herausforderndem Lächeln hinzu, »nur eine künstliche war, denn der täuschende Emailleüberzug war eben nur Maske … nichts anderes.«

Doch er hatte sich in seiner Erwartung getäuscht, wenn er geglaubt hatte, die vor ihm Sitzende in Erregung zu bringen. Sie schob nur bedauernd die Schultern in die Höhe.

»Was Sie mir da sagen, sind für mich lauter böhmische Dörfer!«, erklärte sie mit äußerster Ruhe. »Natürlich muss irgendetwas Grässliches geschehen sein – ein Verbrechen, dessen Sie meine Schwester beschuldigen … ob zu Recht oder Unrecht, kann ich nicht beurteilen … Jedenfalls kümmert es mich persönlich so wenig …«

»Wie etwa die Verhaftung Panchos«, fiel der Detektiv rasch ein.

Es entging ihm nicht, dass die schöne Frau im ersten Moment erschreckt zusammenzuckte. Doch schon die Sekunde darauf lachte sie vergnügt auf.

»Mein lieber Mr. Carter, wäre ich wirklich die von Ihnen gesuchte und so schwer beschuldigte Inez, so würde ich dem Himmel dankbar sein, dass er mir in Ihnen einen solch naiven Verfolger beschert hat«, rief sie mit schneidendem Hohn. »Sie wollten wohl eben auf den Busch klopfen? Ach nein, mein Lieber, das lassen Sie besser bleiben … Ganz zufällig kenne ich den früheren Diener meiner Schwester … Pancho aber kann von Ihnen nicht verhaftet worden sein«, setzte sie erhobener triumphierender Stimme hinzu, »weil ich ihn erst kaum eine Viertelstunde vor Ihrem Herkommen unten auf der Straße habe vorübergehen sehen!«

Ihr lautes, spöttisches Lachen tat dem Detektiv ordentlich wohl; wusste er doch, dass die Reihe zu lachen nunmehr auch an ihn gekommen war. Da hatte sich dieses überschlaue Weib doch eine Blöße gegeben. Sie hatte seine Andeutung missverstanden und angenommen, er habe sagen wollen, Pancho sei wegen seiner Beteiligung an den nächtlichen Vorgängen in der Bauhütte verhaftet worden. In der Freude, Nick Carter verhöhnen zu können, gestattete sie es ihrem Temperament, mit ihrem Verstand durchzugehen. Blitzschnell war sich Nick Carter darüber klar, dass Pancho wirklich an dem Verbrechen beteiligt und wahrscheinlich dessen Hauptausführer war. Inez Navarro hatte persönlich gar nicht daran teilgenommen. Sie war ruhig im Bett geblieben und hatte ihre getreuen Helfershelfer in der Bauhütte den von ihr ausgeheckten diabolischen Plan zur Ausführung bringen lassen. Dass es ihr, als des Baumeisters Frau, leicht gefallen war, sich ein Duplikat des Hüttenschlüssels zu verschaffen und diesen an ihre Kumpane weiterzugeben, war selbstverständlich.

Nun war der Detektiv entschlossen, jegliche Rücksicht schwinden und es aufs Äußerste ankommen zu lassen.

»Sie irren sich, Inez Navarro«, bemerkte er kalt. »Pancho wurde nicht heute früh verhaftet. Zwei meiner Gehilfen beobachteten ihn heute Nacht, als er die gedoktorte Leiche zum Baubüro brachte … Sie konnten mir noch nicht Bericht erstatten, sondern ließen mich nur über den Fernsprecher wissen, dass sie das ganze Mordsgeheimnis bereits gelöst haben … Sie folgten auch Pancho auf seinem Weg hierher … und sie sahen, wie dieser Ihnen vom Hof aus durch heftige Armbewegungen eine Botschaft übermittelte, welche Sie durch rasches und lautes Zuschlagen des Fensterrahmens beantworteten.«

Mit schnellem Entschluss hatte Nick Carter auf den Busch geschlagen. Wohl regte sich in dem Antlitz der schönen Frau kein Muskel, doch dieses war erschreckend bleich geworden, und ihre dunklen Augen glühten in unheimlichem Feuer.

»Mehr noch, schöne Frau«, setzte er mit scharfer Betonung hinzu. »Diese selben beiden Gehilfen fahren augenblicklich in der nämlichen Broadwaycar mit Pancho … und Sie zweifeln sicherlich nicht daran, dass es meinen Mitarbeitern gelingt, Pancho und dessen Helfershelfer zu verhaften.«

Bei den letzten Worten hatte er, um deren Effekt zu erhöhen, ein Paar blinkende Handschellen aus der Rocktasche gezogen und wollte nun auf die regungslos vor ihm Stehende zuschreiten.

Doch mit einer abwehrenden Handbewegung hielt ihn diese zurück. Seine Eröffnungen hatten augenscheinlich einen derart niederschmetternden Eindruck auf sie gemacht, dass es ihr eben an der Fähigkeit gebrach, schnell und folgerichtig zu denken.

»Also doch gefangen … doch gefangen!«, schrie sie wie schrecküberwältigt auf.

»Sie gestehen es … Sie sind Inez Navarro!«, rief der Detektiv triumphierend.

Doch mitten im Schritt musste er sich unterbrechen, denn mit der Schnelligkeit des Gedankens hatte die Verbrecherkönigin einen kleinen blinkenden Revolver vom Schreibtisch aufgerafft und hielt mit der drohend erhobenen Waffe den Detektiv in Schach.

»Keinen Schritt weiter, Nick Carter – oder ich töte Sie. Ich denke, Sie kennen mich!«, sagte das schöne Weib, und ihre Stimme klang vor Erregung heiser. »Ja, ich bin Inez Navarro, es abzuleugnen hat keinen Wert, nachdem das Geheimnis der letzten Nacht Ihnen offenbar geworden ist. Ich will Ihnen sogar noch mehr verraten«, setzte sie mit beißendem Hohn hinzu, »damit Sie vor allzu scharfem Nachdenken keine Kopfschmerzen bekommen … Es gibt nur eine Inez Navarro … und diese hat keine Zwillingsschwester, sondern die dafür galt und welche auch Mr. Menasto dafür hielt, war meine vertraute Dienerin Mary … Sie trug, wie Sie richtig entdeckt haben, ein emailliertes Gesicht … und sie war es auch, die an meiner statt neben Morris Carruthers im Gerichtssaal saß … mit demselben Morris Carruthers, der zur Stunde wieder ein freier Mann ist, denn diese Botschaft brachte mir Pancho …«

Ihr hartes, höhnisches Lachen reizte den Detektiv auf das Äußerste. Er achtete nicht länger auf die drohend ihm entgegengestreckte Waffe. Doch eher er auch nur einen Schritt voran tun konnte, fühlte er, wie der Boden mit einem Mal unter seinen Füßen erzitterte … Wie durch einen plötzlich aufsteigenden Nebel sah er den schönen Dämon an einem hinter dem Schreibtisch verborgenen Wandknopf drücken.

Dann schlugen Flammen aus dem Boden … Die Diele wankte unter Nick Carter, und dieser hatte die Empfindung, als fassten ihn Riesenhände, um ihn in einen Abgrund zu ziehen, während die Verbrecherkönigin mit einem höhnischen Auflachen nach der nächsten Tür eilte und durch diese entschwand.

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