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Hexengeschichten – Das Kornseil und die drei Hunde – Kapitel 2

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Das Kornseil und die drei Hunde
Nach Aktenstücken des Sennebergischen Gesamtarchivs

2

Am Nachmittag des folgenden Tages spielten die Knaben Claus Ehrhard, Andres Rißner, Michel Alt und andere im Hof ihres Kameraden Thomas Herlich Haschemännchens und waren sehr laut und munter. Das Gehöft Veit Herlichs, eines ziemlich reichen Bauern, lag nahe an dem Gehöft Kurt Ehrhards, dann folgte das Haus Lorenz Walters. Neben diesem stand des Schultheißen Haus und gegenüber lag der Pfarrhof. Dorfaufwärts stand dem Haus Ehrhards das Haus Hans Babsts am nächsten.

Während die Knaben spielten, ging Clausens Mutter, Frau Anna Ehrhard, mit einer Feuerkieke herüber in Lorenz Walters Haus, um sich bei der Nachbarin, wie sie öfter tat, etwas Feuer zu holen.

Auf der Straße, nahe an Veit Herlichs Gehöft, stand die Pfarrmagd Marei und plauderte mit der Frau des Bauern August Dreißigacker, Lisbeth, und mit Kathe Böhse, deren Bruder Hans der Schatz der Pfarrmagd war, und mit Frau Sibylle Babst, welche vom Brunnen kam und ihre Eimer rasten ließ. Sie hatten ihr Gespräch über einen Mann, der seit einiger Zeit übler Gerüchte halber aus dem Dorf entwichen und landflüchtig geworden war. Dieser Mann war Cunz, Kurt Ehrhards Bruder.

»Ich sagʼs und bleibʼ dabei steif und fest«, behauptete Frau Lisbeth, »dass der Cunz ein Milchdieb (Hexenmeister) ist, sonst wärʼ er nicht auf und davon. Ich weiß, was ich weiß.«

»Ich auch!«, fiel Kathe Böhse ein, »wenn man nur alles sagen dürftʼ.«

»Ei, so sagtʼs doch, es hörtʼs ja niemand und ich sagʼs nicht weiter!«, drängte die Pfarrmagd.

»Denkt ihr denn«, sprach nun im flüsternden Ton Frau Lisbeth, »auf Kurt Ehrhards Äckern allein wüchse das viele Getreide, das er verkauft und verborgt? Das weiß ich besser. Der Cunz, der Milchdieb, kommt manchmal heimlich wieder und schläft im Haus beim Bruder, bringt mit, ich will nicht wissen, wen und was – kommt mir vor, wie der Drachʼ, Gott sei bei uns, der zum Schlot hʼnein fährt. Einen Pflugring hat er seinem Bruder mitgebracht, übers Korn zu hängen, da fällt das Korn hindurch – Gott der Allwissende mag wissen, woʼs herkommt, vom Himmel hoch kommtʼs aber nicht her.«

»Ach – schweigt von dem stille!«– nahm Kathe das Wort. »Ich weiß recht gut und habʼs von meinem Bruder, dass der Kurt Ehrhard vom Acker des verstorbenen Schultheißen Balthasar Molder Getreide weg und auf seinen Acker geschleppt hat. Dabei braucht einer keinen Pflugring, seine diebische Kralle ist Pflugring genug.«

»Und mir hat Claus Walters Frau gesagt«, gab die Pfarrmarei ins Gespräch, »dass die Ehrhardin ihr ihre Ziege gesterbt (durch Zauberei getötet) hat.«

»Und ich weiß, was ich gehört habe, ist doch unser Haus das nächste an Ehrhards Hof«, fügte Hans Babsts Hausfrau hinzu. »Und als sie mir neulich einen Korb mit Gras in den Stadel tragen half, hat meine Kuh drei Tage lang keine Milch geben wollen.«

Während dort die Knaben spielten und hier die müßigen Weiber ihre Nachbarn verklatschten, war Frau Anna Ehrhard, von der bei jenen soeben die Rede war, zu derselben Frau Suse Walter eingetreten, ihrer lieben Nachbarin und Gevatterin, von welcher soeben ebenfalls die Rede war, hatte guten Tag geboten und Frau Suse um etwas Feuer gebeten, war aber nicht allzu freundlich empfangen worden.

»Hörst du, Frau Anna, ich weiß nicht, weshalb du so oft zu mir kommst und Feuer holst? Ich bin deines Feuerholens gar müde und will dir keins wieder geben!«

»Ei, Frau Gevatterin!«, entgegnete mit großen Augen Frau Anna Ehrhard, »warum denn auf einmal so trotzig und protzig? Was habʼ ich dir getan! Nicht wahr, wenn dein Mann herüber zu meinem Mann kommt und Korn begehrt, so muss mein Mann ein guter Freund und Gevatter sein?«

»Wird nicht so arg mit dem Korn sein, was mein Mann bei euch holt!«, versetzte Frau Suse Walter geärgert. »Will dir sagen, warum ich dein Feuerholen nicht leiden mag. Ich habe kein Glück mehr mit meinem Vieh, meine drei Kühe stehen trocken, kann weder Käse noch Butter machen. Ich sage dir, nicht so viel Butter, dass ich meinem Kind ein Breilein schmelzen kann; muss die Butter, so ich ins Haus brauche, droben auf dem Hof zum Hutsberg kaufen.«

»Nu – und da soll ich doch nicht etwa schuld daran sein?«, fragte mit einem bösen Blick aus ihren grauen Augen Frau Anna Ehrhard ihre unfreundliche Gevatterin.

»Ich lasse mir kein Ja und kein Nein abgewinnen!«, erwiderte Frau Suse Walter. »Ich denke nur an meine Ziege, die mir von einer alten Milchdiebin gesterbt worden ist, und die mich bitterlich reut, das kannst du glauben, und es wird der Milchdiebin keinen Segen bringen, das getan zu haben, und ich will mit keiner etwas zu schaffen haben!«

Damit fuhr Frau Suse aus der Hausflur, in welcher vor der Küche dieses Gespräch statthatte, in ihre Stube hinein und schmetterte die Tür hinter sich zu, dass es krachte.

Frau Anna Ehrhard stand ganz verdutzt, sah der Gevatterin mit einem bösen Blick nach, dann wandte sie sich rasch und zornig um und trat mit lautem belfernden Schelten ihren Rückweg an: »Ei, du arger Nickel! Ei, du Schandbalg! Ei, dass dich doch gleich das Hinfallende anstieße! Kein Feuer geben, mir! Ei, ei, ei! Kein Glück beim Vieh! Geschieht dir schon recht, du Trolle! Ei, dass doch deine Kühe trocken stünden bis zum Jüngsten Tag, du Teufelsgehängkrötʼ! Ei, dass du doch am Butterfass von des Satans – Gott sei bei uns – Großmutter buttern müsstest ewig und drei Tage, du alte Schmeiße! Wartʼ, ich will dich bemilchdieben, du Rabenaas, du schlechtes, unsauberes, stinkendes, du! Dass dich doch Schinder und Schaber holten und auf den Anger in der Föschau führten, wo du hingehörst, du Herrgottsluder!«

Bei jedem einzelnen dieser guten Wünsche blieb Frau Anna Ehrhard stehen, hemmte ihren Schritt und sprach ihn mit rückwärts gewandtem Gesicht, grimmiger Gebärde, und die geballte Faust drohend gegen Walters Haus erhebend, laut und gellend aus.

»Seht doch dorthin, was hat denn die alte Ehrhardin!«, rief die Pfarrmarei ihren Freundinnen zu, mit denen sie plaudernd stand.

»Ich meintʼ, sie wärʼ übergeschnappt!«, sagte Frau Lisbeth Dreißigacker, und Kathe Böhse schlug ein schallendes Gelächter auf über die wütenden Gebärden der Alten, in welches Frau Sibylle Babst laut einstimmte.

In diesem Augenblick erhob sich in Veit Herlichs Hofe ein lautes Geschrei. Die spielenden Knaben waren miteinander uneins geworden und einander in die Haare geraten, Andreas Rißner hatte dem kleinen Michel Alt einen sehr heftigen Stoß gegeben, dass dieser hingestürzt und auf die Nase gefallen war, welche heftig blutete. Claus Ehrhard fühlte sich berufen, Michels Schützer und Rächer zu werden, und schlug Andreas Rißner tüchtig hinter die Ohren. Andreas wehrte sich und schlug wieder, Thomas Herlich beeilte sich, den verletzten Burgfrieden auf seines Vaters Hof aufrechtzuerhalten, und stand Rißner bei. Beide Knaben fielen über Claus her, zausten ihn und schlugen auf ihn los. Bald war die Rauferei allgemein. Frau Herlich fuhr mit hochgeschwungenem Besen als Friedensstifterin aus dem Haus und unter die streitende Knabenschar, ihr Mann riss das Fenster auf und gebot Ruhe. Claus stürzte mit Geheul aus dem Hof, verfolgt von Andreas Rißners lautem Schimpfruf: »Du schwarzes Hündle, das du bist!« Und alsbald schallte es im Chorus schimpfend und spottend nach: »Schwarzes Hündle! Schwarzes Hündle!«

Claus entdeckte seine Mutter, die soeben am Gehöft vorüberging, und flüchtete schreiend in ihren Schutz. Sie war just in der rechten Stimmung, mit Gott und aller Welt anzubinden, wenn es sein müsse, stellte den Jungen hinter sich, rückte den Knaben im Hof stracks entgegen, die allzumal die Flucht vor ihr ergriffen, trat mitten in die Einfahrt und schrie hinein: »Was will die nichtsnutzige Brut! Ihr Teufelsrangen ihr, was schlagt ihr meinen Jungen? Euch soll das Gewitter leuchten, ihr Lotterbuben!«

Als Veit Herlich die Alte anrücken sah, zog er schnell seinen Kopf zurück und schob das Fenster hastig zu, denn mit dieser anzubinden, hatte er nicht die geringste Lust – selbst seine Frau senkte den gehobenen Besen und fand für gut, sich in die sichere Burg ihres Hauses zurückzuziehen. Sie ergriff nur noch in Hast mit einem Handruck ihr Söhnchen Thomas, riss es ins Haus, schlug schnell Ober- und Untertür zu und warf vor beide die starken hölzernen Riegel.

Die Knaben nahmen den naseblutenden Michel in ihre Mitte und flüchteten, wie ein Häuflein junge Hühner vor dem Geier unter die Flügel der Mutterglucke flüchtet, flugs in die offenstehende Scheuer, welche Raum genug zu allen möglichen Verstecken bot. Frau Anna Ehrhard sandte ihnen noch einen Hagel von Verwünschungen nach und führte ihren geschlagenen Liebling nach Hause.

»Na, habt ihr einmal wieder Krieg gehabt, ihr kleinen Teufelsbraten!«, fragte Veit Herlich seinen Thomas. »Was hat denn der Claus Ehrhard getan und warum schimpft ihr denn den Jungen schwarzes Hündle?«

»Er hat den Andreas zuerst geschlagen«, berichtete Thomas, »weil der den kleinen Michel hingeschmissen hat. Schwarzes Hündle haben wir ihn nur aus Spaß gerufen, weil er uns neulich abends auf der Weidʼ erzählt hat, Ehrhards hätten drei schwarze Hündle, das wären drei Teufele, die ihnen Geld brächten!«

»Gott sei bei uns! Junge! Willst du dein Maul halten!«, kreischte Frau Herlich auf und segnete sich mit drei Kreuzen über Stirn, Mund und Brust. »Wer wird solche gottlosen Dinge reden! Du unterstehst dich nicht und gehst noch einen Schritt mit dem Claus, das sagʼ ich dir, sonst setzt es derbe Risse.«

Die Mutter hat ganz recht!«, bestätigte Veit Herlich. Dass du nie wieder so etwas sagst und erzählst, Thomaschen. Gleich setze dich hin und bete ein Reimgebetlein aus dem Katechismus, auf dass dir Gott deine Sünden vergebe.«

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