Deutsche Märchen und Sagen 114

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

150. Lichtchen auf dem Baum

Ein alter Bauer aus Avecapelle, namens Clabau, kam abends spät noch über die Weiden, die das Dorf umgaben, und wollte nach Hause. Da sah er plötzlich eine Katze neben sich laufen, welche er meinte zu erkennen als die seines Nachbarn. Weil er ein großer Liebhaber von Katzen war, auch verwundert stand, das Tier so weit von Zuhause weg zu sehen, fragte er: »Nun, schöne bunte Katze, wo gehst du hin?«

Aber die Katze lief ihres Weges weiter und war bald aus seinen Blicken.

Einige Tage danach hatte er sich wieder in der Schenke verspätet. Es war schon tief in der Nacht, ehe er sich auf den Weg nach Hause begab. Als er auf die Weide kam, sah er in der Ferne ein Lichtchen brennen, wie es schien, hoch über der Erde. Das Lichtchen schwankte hin und her. Als er ein wenig näher ging, meinte er, auch Musik zu hören. Er ging auf das Lichtchen zu und fand, dass dasselbe oben auf einem Baum brannte. Neben dem Baum saß ein allerliebstes Kätzchen und das machte Musik, nicht aber die, welche er gehört hatte, denn die scholl aus der Mitte eines Kreises anderer Katzen, welche auf ihren Hinterpfoten künstlich vor dem Baum tanzten, während sie sich einander mit den Vorderpfötchen festhielten. Als sie ein wenig getanzt hatten, sprang ein Kater, derselbe, den Clabau einige Tage vorher gesehen hatte, in die Mitte des Kreises und begann ein Liedchen, worin es unter anderen hieß:

Und der alte Clabau, der fragte:
Ei, schöne, bunte Katz, wohin gehst du?

Banger Schweiß rann dem guten Clabau vom Leib. In höchster Angst nahm er seine Beine unter den Arm und lief, was er konnte, dem Dorf zu.