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Der Lugennatzl von Lugenhausen Teil 2

Der Lugennatzl von Lugenhausen
und seine wunderbaren Reiseabenteuer zu Land und zu Wasser als Schuhkünstler, Kammerdiener, Kindsmagd, Kindervergrößerer, Windmacher, Riesenkatzenfabrikant, Mastbaumausreißer, Meerkropfbesitzer, Robinson auf einer lebendigen Insel, Luftfahrer nach Schlaraffia und Entdecker des sechsten Weltteiles, wo die Welt mit Brettern verschlagen ist, usw.

Wie der Lugennatzl aus der Fremde zurückkommt

Der Pfarrvikar hatte nach dem Tod seines Vaters die Mutter und die einzige Schwester zu sich genommen und war in der Christnacht mit ihnen im Haus des armen Webers, wo sie alle drei für Dorchen einen Christbaum zierten, und nicht nur mit Äpfel und vergoldeten Nüssen spickten, sondern auch mit allerlei kleinen nützlichen Geschenken umgaben.

Die Lichtlein blitzten lustig auf den Baumzweigen, als Dorchen in die Kammer gerufen wurde, in welcher der Baum stand. Sie war bei diesem Anblick freudig gerührt. Als sie aber in der Krone des Baumes ein großes N aus Zuckerbrot erblickte, da brach sie in schmerzlicher Erinnerung an ihren geliebten, verlorenen Natzl in Tränen aus, kniete vor den Baum hin und betete für das Heil seiner Seele.

Da wurde dreimal rasch hintereinander an das Fenster geklopft, gerade so, wie es in früherer Zeit Natzl zu tun pflegte.

»Jesus! Maria!«, rief Dorchen aufspringend voll Angst aus, »das ist Natzls arme Seele, die sich bei uns anmeldet!«

»Oder er selbst!«, erwiderte der Pfarrvikar mit ruhiger Miene und öffnete die Tür, durch welche ein junger Mann eintrat, der in Lumpen gekleidet war, welche seine durchlöcherte Matrosenjacke nicht zu verbergen vermochte. Dorchen schaute den Fremden aufmerksam an, der zu weinen anfing und mit gebrochener Stimme sagte: »Ach, mein liebes Dorchen, du kennst mich nicht mehr!«

»Natzl, lieber Natzl!«, schrie das Mädchen und stürzte an seine Brust voll Seligkeit des Wiedersehens. »Weil du nur wieder da bist! Weil du nur wieder da bist!«, jubelte sie.

»Ja, aber wie ein Bettler! Das Schiff, auf dem ich heimkehrte, scheiterte drei Stunden von hier. Ich verlor dabei mein ganzes großes erworbenes Ver mögen, das in einer eisernen Kiste lag. Die Rettung meines Lebens verdanke ich nur meinem großen Schwimmgürtel von Kork, der mich vor dem Untersinken schützte, bis ich von einigen Personen, die auf einer Schaluppe entkamen, aufgefischt werden konnte.«

»Gott sei Dank!«, erwiderte Dorchen.

Nun fanden erst die übrigen Anwesenden Gelegenheit, durch Händedruck und Umarmungen ihre Freude über seine Rückkehr auszudrücken.

»Setz dich Natzl«, sagte Vater Werner, »und du Dorchen, gib ihm zu essen und zu trinken, er wird Hunger und Durst haben.«

Dorchen eilte in die Küche und brachte das, was von dem reichlichen, auf Kosten des Pfarrvikars bereiteten Abendessen noch übrig war. Natzl verzehrte alles mit dem größten Appetit und trank dazu einen Krug Bier.

»Gottlob, du hast einen gesunden Appetit!«, bemerkte des Webers Frau.

»Glaub es gerne«, versetzte Natzl, »da ich seit 10 Tagen keinen Bissen mehr genossen habe.«

»Seit 10 Tagen?«

»Ja.«

»Das ist ja unmöglich!«

»Ei, das ist keine Kunst, da ich vor der Einschiffung ein großes, gebratenes Kalb gespeist habe, aus Vorsorge, im Fall während der Fahrt ein Mangel an Lebensmitteln auf dem Schiff entstehen sollte.«

Alle sahen sich lächelnd einander an.

»Während meiner Abwesenheit, Herr Pfarrvikar!«, fuhr Natzl fort, »habe ich täglich für sie gebetet und Ihnen viel tausendmal gedankt für alle guten Lehren, die Sie mir gaben und die es mir leicht machten, ein rechtschaffener Mensch zu bleiben, und für die vielen Kenntnisse, welche Sie mir beibrachten und ich bei vielen Gelegenheiten recht gut benutzen konnte.«

»Nun, das freut mich, Natzl!«, entgegnete der Pfarrvikar. »Hast du dein Schuhmacherhandwerk nicht vergessen?«

»Vergessen? Warum nicht gar! Ich bin jetzt der berühmteste Schuhmacher auf der ganzen Welt.«

»Wieso?«

»Ich bin wirklicher geheimer Oberhofschuhundstiefelkünstler des Königs von England mit einem jährlichen Gehalt von dreitausendsechshundert Gulden.«

»Herrlich, herrlich!«, rief Dorchen aus, »da können wir ja gleich heiraten!«

»Denkst du denn nicht daran, dass er der Lugennatzl ist?«, flüsterte ihr der Vater ins Ohr.

»Hast du auch ein Patent zu dieser Ernennung erhalten?«, fragte der Pfarrvikar.

»Freilich; aber es ist bei dem Schiffbruch versunken.«

»Das tut nichts; du kannst dir ein neues Patent ausstellen lassen, dein Dorchen heiraten und mit dieser Besoldung ein recht angenehmes Leben führen.«

»Ich habe keine Lust, eine so geringe Belohnung für das merkwürdigste Paar Stiefel anzunehmen, das ich dem König von England gemacht habe.«

»So viel Geld für ein Paar Stiefel und alle Jahre so viel Geld und doch nicht zufrieden!«, jammerte die Weberin.

»Das müssen ja goldene Stiefel sein!«, meinte die Schwester des Pfarrvikars.

»Goldene Stiefel könnte ein Goldarbeiter machen«, äußerte Natzl, »das ist keine Kunst; aber die Stiefel, die ich dem König von England gemacht habe, sind ein Wunderwerk der Welt.«

»So sag doch, wie sie aussahen«, sagte Dorchen.

»Sie sind kostbare Stiefel, die zum Krönungsanzug des Königs gehören. Wenn er sie anzieht und damit auf- und abgeht, so singen diese Stiefel vierstimmig, zwei Spitzen und zwei Fersen, das englische Volkslied mit Harfenbegleitung.«

»Ah! Ah!«

»Das ist wunderbar!«

»Noch nicht da gewesen!«

»Das ist ein Weltwunder!«

»Ich möchte diese Stiefel singen hören!«

Diese Ausrufungen des Erstaunens trafen fast gleichzeitig zusammen. Der Pfarrvikar lächelte.

»Sind dir noch einige andere Ereignisse aus deinem Wanderleben erinnerlich, Natzl?«, fragte er.

»Einige? Viele Hundert; ich könnte ein ganzes Jahr lang davon erzählen, ohne fertig zu werden.«

»Desto besser! Mir ist soeben eine gute Spekulation für dich eingefallen.«

»Was denn, Herr Pfarrvikar?«

»Du musst jetzt einige Tage ausruhen und bei dem Martlbauer wohnen, dem ich das Schlafgeld für dich bezahle. Essen und trinken kannst du bei mir, den Tag über bei Dorchen und ihren Eltern bleiben und mich außerdem besuchen, so oft du magst. Hast du dich durch Ruhe erholt, dann soll durch die Zeitung ein Abend angezeigt werden, an welchem du in der Seestadt, im großen Saal der Casinogesellschaft, gegen Eintrittsgeld deine wunderbaren Reiseabenteuer erzählst. Ich selbst werde die Ankündigung schreiben und in die Zeitung setzen lassen, so spannend, dass der Saal gewiss zum Erdrücken voll wird. Die Einnahme mag dann wohl so viel betragen, dass du dich in der Seestadt ansässig machen und Dorchen heiraten kannst.«

»Oh, Herr Pfarrvikar!«, rief das Mädchen aus, »Ihrer großen Güte werden wir beide unser Lebensglück zu verdanken haben!«

»Das ist ein prächtiger Gedanke von Ihnen«, sagte Natzl, »für den ich Ihnen herzlich danke, denn ich sehe ein, wie sehr Sie um Dorchen und mich besorgt sind. Freudig nehme ich ihren Vorschlag an, meine Reiseabenteuer öffentlich zu erzählen, aber die Einnahme will ich zum Besten der Armen in der Seestadt bestimmen; denn in 8 bis 10 Tagen werde ich in der Lage sein, für Dorchen, für mich, für Sie alle, wie sie da sind, sowie für mein liebes Dörflein Lugenhausen aus eigenen Mitteln reichlich sorgen zu können.«

Alle Anwesenden schauten sich so furios einander an, als ob sie den Natzl für verrückt hielten.

Natzl ließ sich dadurch nicht irre machen.

»Wie steht es denn jetzt mit dem Rittergut Schwertberg?«, fragte er den Pfarrvikar.

»Es ist seit anderthalb Jahren auf der Gant.«

»Wie kommt es, dass sich in dieser langen Zeit kein Käufer gemeldet hat?«

»Käufer genug kamen; aber die Gläubiger verlangen einmal hunderttausend Taler, um nicht gar zu viel an ihren Forderungen zu verlieren, und eine so große Summe, die zudem bar hinterlegt werden soll, will niemand geben.«

»Wie viel ist denn dieses Rittergut eigentlich wert?«

»Unter Brüdern doppelt so viel, wass dafür verlangt wird.«

»Wissen Sie es gewiss?«

»Ganz gewiss, und zwar von meinem Freund, dem Domprediger in der Residenz, der 10 Jahre lang Schlosspfarrer in Schwertberg war. Bei der schlechten Wirtschaft ist dieser Posten, den ich mir oft wünschte, eingegangen. Frau von Rieseling wollte und konnte die dafür bestimmten 600 Gulden nicht mehr bezahlen, und nun geht es ihr so schlecht, dass sie samt ihren beiden Töchtern im Tagelohn arbeiten muss.«

»Jetzt weiß ich doch, womit ich Ihnen eine Freude machen kann, Herr Pfarrvikar! Ich kaufe das Rittergut Schwertberg und Sie sollen Schlosspfarrer daselbst werden, aber nicht mit elenden 600 Gulden jährlich, sondern mit 2400 Gulden, freier Wohnung und Verpflegung für Sie, Ihre Frau Mutter und Fräulein Schwester!«

»Es ist nicht schön von dir, dass du mich zum Besten haben willst, Natzl!«

»Oh, mein lieber Herr Pfarrvikar, dies fällt mir auch gar nicht ein. Sie werden sich bald überzeugen, dass der Lugennatzl auch die Wahrheit reden kann.«

»Womit willst du denn Schwertberg kaufen, da dein ganzes Vermögen im Schiffbruch zu Grunde gegangen ist?«

»Mit meinem Unglück will ich es kaufen.«

»Das begreife ich nicht. Erkläre dich deutlicher.«

»Recht gerne; aber ich fürchte, dass mich dann Dorchen nicht mehr heiraten mag.«

»Sei unbesorgt, Natzl! Ich komme dir nicht mehr aus.«

»Nun, so hören und staunen Sie alle! Im Meerbusen von Bengalen, 10 Seemeilen von der nächsten Insel entfernt, überfiel ein so gräulicher Sturm unser Schiff, dass der Kapitän sagte, wir alle würden des Todes sein, wenn es uns nicht gelinge, den Hauptmast abzuhauen und in das Meer zu werfen. Zwanzig Matrosen griffen nach Äxten und rannten zum Mast; aber unterwegs purzelten sie nach allen Seiten hin wegen den furchtbaren Bewegungen des Schiffes, das bald haushoch flog, bald in einen tiefen Abgrund versank. Lasst es gut sein!, rief ich den Matrosen zu, so geht es nicht! Ich sprang zum Hauptmast hin, packte ihn mit meinen beiden Händen dicht am Boden, riss ihn wie einen dicken Sommerrettich aus und schleuderte ihn so hoch in die Luft, dass er erst am anderen Tag, als wir im Indischen Ozean gegen die Malediven steuerten, 30 Schritte weit neben dem Schiff ins Meer fiel. Wir fischten ihn auf, machten Brennholz daraus, und der Kapitän ließ sogleich, aus Dankbarkeit für meine Rettung des Schiffes, einen Riesenpunsch machen, von dem ich zu meiner Stärkung 60 Maß getrunken habe.«

»Allen Respekt vor dem Mastausreißer und Punschschlauch!«, sagte der Pfarrvikar lächelnd.

»Leider war dieses Kraftstück mein Unglück!«, seufzte Natzl.

»Unglück? Wieso?«

»Durch die heftige Bewegung, um den Hauptmast in die Luft zu schleudern, bekam ich einen Kropf!«

»Ist es wahr? Lass sehen!«, sagte Dorchen und wickelte ein dickes, zerrissenes Tuch von seinem Hals, um den es wie ein Shawl geschlungen war.

»Richtig! Ein Kropf! Vorn in der Mitte des Halses, fast so groß wie ein Hühnerei und steinhart! Diesmal hast du die Wahrheit gesagt, Natzl.«

»Kommt dir dieser Kropf nicht abscheulich vor, Dorchen?«

»Der Kropf am Hals hat gar nichts zu sagen, wenn du nur keinen Kropf am Herzen hast. Einen Kropf in Ehren, kann niemand wehren.«

»Ich halte diesen Kropf zwar für ein Unglück«, bemerkte Natzl, »aber da ich mit diesem Unglück Schwertberg kaufen kann, so ist er eigentlich mein Glück.«

»Das ist mir zu rund!«, äußerte die Weberin.

»Mir auch!«, meinte Dorchen.

»Wer ist denn der Narr, der dir deinen Kropf abkaufen will?«, fragte der Pfarrvikar.

»Als ich von meinen Reisen durch alle Weltteile nach London zurückkam, erschien die Nachricht von der Ankunft des berühmten Reisenden Lugennatzl von Lugenhausen in allen Zeitungen. Die vornehmsten Lords ließen mich um die Erlaubnis bitten, mir ihre Aufwartung machen zu dürfen, um die Ehre zu haben, mich persönlich kennen zu lernen. Unter diesen Herren war auch der Leibarzt des Königs von England, der zu mir kam, als ich mich eben rasierte.

›Woher haben sie diesen herrlichen Kropf?‹, fragte er mit unverkennbarer Freude, nachdem er ihn sorgfältig mit den Fingern betastet hatte.

›Aus dem Meerbusen von Bengalen‹, antwortete ich.

›Also ein Meerkropf! Herrlich! Herrlich! Freundchen, diesen Kropf müssen Sie mir überlassen; einen solchen Kropf habe ich mir schon längst gewünscht!‹

›Diesen Wunsch will ich gerne erfüllen. Was zahlen Sie dafür?‹

›Wie viel verlangen Sie?‹

Noch immer in der Meinung, er treibe nur seien Spaß mit mir, und in der Absicht, dieser Spötterei ein Ende zu machen, antwortete ich: ›Sechs Millionen Gulden.‹

›Das ist zu viel‹, erwiderte er, ›bei einem solchen Preis würde ich zu wenig gewinnen. Vier Millionen Gulden in lauter holländischen Dukaten gebe ich Ihnen dafür bar und viertausend Dukaten als Draufgeld, die bei der Ausbezahlung der ganzen Kaufsumme nicht abgezogen werden. Und nun schlagen Sie ein!‹

Ich schlug ein, und der Handel wurde durch einen schriftlichen Vertrag abgeschlossen. Er gab mir noch am nämlichen Tag die viertausend Dukaten und versprach, nach 14 Tagen zu mir in die Seestadt zu kommen, um mir den Kropf herauszuschneiden.

»Mein Gott, da könntest du ja sterben, lieber Natzl!«, jammerte Dorchen.

»Sei unbesorgt, Dorchen! Der Leibarzt hat mich schon in eine Lebensversicherungsanstalt einschreiben lassen.«

Dorchen beruhigte sich, als sie den Pfarrvikar laut lachen hörte.

»Und wo sind die viertausend Dukaten Draufgeld?«, fragte dieser; noch immer lachend.

»In der eisernen Kiste, die bei dem letzten Schiffbruch ins Meer gefallen ist. Mein Vermögen ist zwar ein Meergold geworden, aber der Meerkropf, für den ich vier Millionen bekommen werde, ist mir, Gottlob, noch geblieben.«

»Ein großes Glück, dass dir der Kropf angewachsen ist, lieber Natzl«, sagte Dorchen treuherzig, »sonst hättest du ihn bei dem Schiffbruch gewiss auch verloren.«

»Wann kommt denn der Leibarzt mit den vier Millionen?«, fragte der Pfarrvikar lächelnd.

»Seit meiner Abreise von London sind 5 Tage verflossen; er wird also in 9 Tagen hier eintreffen, da er gewiss nicht Lust haben wird, ein so großes Draufgeld im Stich zu lassen.«

»Allerdings. Ich will also morgen sogleich alle Anstalten treffen, dass du im Casinosaal deine wunderbaren Reiseabenteuer erzählen kannst, und bei dem Kleiderhändler einen anständigen Anzug für dich mieten, damit du aussiehst, als ob du jetzt schon ein Millionär wärst.«

Mitternacht war schon vorüber. Nach einem zärtlichen Abschied von Dorchen entfernte sich Natzl, der, um den Martlbauer nicht in seiner Ruhe zu stören, bei dem Baumann des Pfarrhauses übernachten durfte, mit dem Pfarrvikar, dessen Mutter und Schwester.

Dorchen hatte seit fast drei Jahren nicht mehr so gut geschlafen, wie in dieser Nacht.

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