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Die Sternkammer – Band 3 – Kapitel 11

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 3
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Elftes Kapitel

Das Lanzenstechen

Mittlerweile setzte die Prozession ihren langsamen Weg zum Turnierplatz fort. Sie kehrte auf demselben Weg zurück, auf dem sie gekommen war; doch hielt sie sich nun auf der Nordseite von King Street, welche Straße in der Mitte durch einen Zaun abgeteilt und mit Sand bestreut war. Hier auf dem großen Platz vor Westminster Hall war keine Mauer, kein Fenster, kein Dach ohne Zuschauer. Die Türme der beiden großen Tore waren gedrängt voll – so auch die Dächer des Ballhauses und der Reitbahn sowie das Dach des Gebäudes für die Hahnenkämpfe. Das Letztere war in der Tat eine vortreffliche Stellung, denn es gewährte nicht nur eine gute Ansicht von der Prozession, sondern auch in das Innere des Turnierplatzes. Kein Wunder daher, dass große Anstrengungen gemacht wurden, dort einen Platz zu erhalten. Es wird uns nicht überraschen, dass unsere alte Freundin Madame Bonaventure, die keineswegs ihren Einfluss unter den Hofleuten verloren hatte, obwohl ihr die Unterstützung des Lord Roos fehlte, weil dieser junge Edelmann auf Reisen abwesend war – es wird uns nicht überraschen, sagen wir, dass sie unter den begünstigten Personen war, die sich dort eine Position gesichert hatten. Ohne Zweifel würde sie einen Sitz unter den Hofdamen auf den Galerien des Turnierplatzes vorgezogen haben. Da dies aber unerreichbar war, sah sie sich genötigt, sich zufrieden zu geben. In der Tat hatte sie auch keinen Grund, sich zu beklagen, denn sie sah ebenso gut wie die im Inneren und war weniger geniert.

Während sie auf den begeisternden Schall der Trompeten, auf das Klirren der Waffen, auf das Stampfen und Wiehern der Rosse horchte, konnte Madame Bonaventure von dieser hohen Stellung aus die Haltung jedes Ritters beobachten, so wie er unter dem hohen Bogen des Holbeintores hervorkam und langsam an ihr vorüberritt. Sie hatte Zeit genug, die Anzahl seiner Begleiter zu zählen, ehe sie ihr aus dem Blickfeld verschwanden. Als Sir Jocelyn Mounchensey sich mit erhobenem Visier und mit einem Gesicht näherte, welches bei dem freudigen Zuruf der Menge von Lächeln strahlte, erkannte sie in ihm ihren früheren Gast. Die allgemeine Begeisterung für den jungen Ritter teilend, lehnte sie sich über die Brustwehr und richtete einen so herzlichen Gruß an ihn, dass sie einen höflichen Gegengruß erhielt. Bezaubert davon, folgte sie mit ihren Blicken der graziösen Gestalt des Sir Jocelyn, bis sie ihr aus dem Sichtfeld entschwand, um einen Augenblick später auf dem Turnierplatz wieder zu erscheinen.

Sich nach dieser Richtung wendend – denn ihr ganzes Interesse wurde nun von dem jungen Ritter in Anspruch genommen – ließ Madame Bonaventure ihren Blick über den Eingang der Schranken dahinschweifen und erspähte bald den, welchen sie suchte, in lebhafter Unterredung mit dem Prinzen Karl und einigen anderen Rittern seiner Partei.

In ihrer Nähe hielt der Wappenkönig in seinem glänzenden Gewand, auf einem Pferde sitzend, welches mit Decken von Goldstoff bedeckt war. Als sie sich in dem eingeschlossenen Raum umsah, bemerkte sie, dass alle vorderen Sitze auf den Galerien und Gerüsten, die man für die Hofdamen bestimmt hatte, bereits gefüllt waren. Sie wurde von der weiblichen Liebenswürdigkeit, die sich ihrem Blick darstellte, fast geblendet. Hinter den Hofdamen befand sich ein Heer geputzter junger Männer, die mit ihnen über den wahrscheinlichen Ausgang des Kampfes, wovon sie Zeugen sein sollten, scherzten und lachten.

Dann sah sie sich auf dem Platz um. Starke hölzerne Schranken waren gezogen, mit Öffnungen an jedem Ende, um die Retter einzulassen. An diesen Öffnungen standen die verschiedenen Beamten des Turnierplatzes, deren Beistand an der Außenseite nicht nötig war, nebst acht Trompetern, vier an dem einen und vier an dem anderen Ende des Feldes, und einer Schar Diener des Prinzen Karl in weißen Livreen mit goldenen Blättern, schwarzen Mützen mit goldenen Bändern sowie schwarzen und weißen Federn.

Am westlichen Ende der Einzäunung stand die königliche Galerie, reich verziert für diese Gelegenheit mit Samt und Goldstoff, und vorn mit dem königlichen Wappen geschmückt. Darüber flatterte die königliche Standarte. Unterstützt von starken eichenen Pfosten, und an der Seite mit einer Treppe versehen, war diese Galerie unten offen. Der auf diese Weise gelassene Raum war groß genug, sodass ein Dutzend oder mehr Ritter zu Pferde darunter Platz hatten, während dichte Vorhänge an den Seiten niedergelassen werden konnten, um sie vor Beobachtung zu schützen, wenn es erforderlich war. Hier sollte der Prinz von Wales mit seinen sechs Begleitern sich versammeln und warten, bis er von den Marschällen auf den Platz gerufen werde. An dem entgegengesetzten Ende des Turnierplatzes war ein ähnlicher Versammlungsort für den Herzog von Lennor und seine Ritter. An beiden Stellen waren Hufschmiede, Waffenschmiede und Reitknechte in Bereitschaft, um, wenn nötig, Beistand zu leisten.

Auf der rechten Seite des Feldes stand eine erhöhte Plattform, mit einem Baldachin bedeckt und mit Stufen versehen. Dieser Platz war für die Marschälle und Kampfrichter bestimmt. Gegenüber befand sich der Pfosten an der Barriere, woran der Ring, der große Preis des Tages, gerade so hoch hing, dass man ihn mit einer Lanze erreichen konnte. Gleich den Straßen draußen war die ganze Rennbahn hoch mit Sand bestreut.

Dies war, was Madame Bonaventure von dem flachen Dach des Hahnenkampfhauses sah. Sie hielt es für einen sehr schönen Anblick.

Wie wir gesehen haben, war alles auf der Renn bahn in Bereitschaft. Die Ankunft des Königs schien ungeduldig erwartet zu werden – nicht nur von den Rittern, die begierig waren, ihre Geschicklichkeit zu zeigen, sondern auch von den Hofdamen und den sie begleitenden Herren sowie von den Offizianten, die an verschiedenen Stellen des Platzes zu sehen waren und ihn mit ihrem verschiedenfarbigen Kostümen belebten.

Plötzlich verkündeten laute Zurufe von allen Seiten des Turnierplatzes, von Trompetenstößen begleitet, die Ankunft des königlichen Zuschauers auf der Galerie.

Jakob nahm seinen Platz auf dem für ihn bestimmten erhöhten Sitz ein. Nachdem er sich einige Augenblicke mit dem Grafen von Gondomar unterredet hatte, der sich unter einer glänzenden Schar von Edelleuten und Gesandten befand, sagte er zu Sir John Finett, dass das Turnier beginnen könne. Dann wurde der königliche Wille sogleich den Marschällen mitgeteilt.

Zuerst ritt Prinz Karl, der sich mit außerordentlicher Anmut und Gewandtheit benahm, aber den Ring nicht davontrug. Der Herzog von Lennor hatte kein besseres Glück, ebenso wie der Marquis von Hamilton. Buckingham war der Vierte. Sein Rennen wurde mit außerordentlicher Geschicklichkeit ausgeführt, wodurch sich der Günstling auszeichnete. Es schien gewiss, dass er den Preis davontragen werde; aber indem er seine Lanze senkte, berechnete er den Wind nicht genug. Dies machte, dass er ein wenig abwich, und wenn er auch den Ring berührte, trug er ihn doch nicht davon. Die Richter erklärten den Gang indessen für gut. Und er wurde sehr beklatscht; aber der Marquis fühlte sich sehr gekränkt, dass es ihm nicht gelungen war, den Ring zu gewinnen.

Nun kam Sir Jocelyn an die Reihe. Seine Brust hob sich vor Erwartung, als er sich vorbereitete, um seinen Lauf zu beginnen. Dem Ring den Rücken wendend, bis zu dem Augenblick, wo er seinen Lauf antrat, machte er eine halbe Volte rechts, erhob dann graziös seine Lanze, als sein Pferd fortgaloppierte, und hielt sie hoch, bis er sich seinem Ziel näherte. Da aber senkte er mit Sicherheit die Spitze und brachte sie mit dem Ring in eine Linie. Er zielte richtig und trug unter allgemeinem Beifall den Preis davon.

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