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Der Hexer GK 595

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer
Tage des Wahnsinns

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 19. März 1985, 64 Seiten, 1,60 DM, Titelbild: Les Edwards
Erschienen als Gespenster-Krimi Nr. 595

Es war ein Anblick von einer morbiden Faszination, die es mir unmöglich machte, wegzusehen. Mein Ebenbild im Spiegel begann sich zu verändern, sich aufzulösen. Die Gesichtshaut wurde braun und rissig, zitterte wie ein welkes Blatt in einer steifen Herbstbrise. Zuerst begriff ich gar nicht was ich sah. In meiner zitternden Linken hielt ich immer noch den Rasierpinsel, in einer erstarrten, nur halb zu Ende geführten Bewegung. Mein Mund war zu einem stummen Schrei geöffnet. Hinter den Lippen sah ich schwarzbraune Zähne, die zusehends verfielen. Langsam, ganz langsam begann sich die welke Haut abzulösen, bis ich glaubte den blanken Knochen darunter zu sehen. Mein Spiegelbild wurde zu einer Fratze, dann zu einem Totenschädel, meine Augen krochen in die Höhlen zurück und schienen mich satanisch anzufunkeln. Gleichzeitig setzte ein feines Singen ein, ein hoher, schriller Ton, der von überall her zu kommen schien, sich zu einem hellen Kreischen steigerte und mit einem peitschenden, splitternden Knall abbrach.

Leseprobe

Der Spiegel barst. Ein Hagel silberner Glassplitter überschüttete mich, Dutzende scharfkantiger, winziger Raubtierzähne bissen sich in mein Gesicht. Ich merkte es nicht einmal. Noch immer hielt mich das Grauen gepackt und schnürte mir unbarmherzig die Luft ab. Der Nachhall der Explosion drohte meinen Verstand mit sich zu reißen.

Mein Denken war wie gelähmt, aber in meinem Inneren bäumte sich ein starkes, wildes Gefühl auf. Eine Saite, zum Zerreißen gespannt, mehr war ich in diesem Augenblick nicht, und doch wusste ich, dass es nichts weiter als eine Illusion gewesen war, gewesen sein musste …

Der Schmerz und die grausige Verwandlung, die Furcht – alles war nichts als Einbildung, eine perfekte, tödliche Illusion.

Meine Fingerspitzen fuhren wie von selbst über den Spiegelrahmen, und dann, ganz plötzlich, hatte ich wieder ein Bild vor Augen: das Bild einer jungen Frau, fast noch ein Mädchen. Fassungslos starrte ich auf das Gesicht, begriff nicht, was ich da sah, starrte nur in dieses Gesicht und bemerkte nicht die Ähnlichkeit der Haare mit der Form des Totenschädels, die gleiche Schwärze und das gleiche Wallen, das mich noch vor Sekunden gelähmt hatte. Dann … »Priscylla«, krächzte ich. Die braunen, ausdrucksvollen Augen musterten mich mit einer Kälte, die ich nur zu gut kannte, und die mich doch im gleichen Maße erschreckte wie beim ersten Mal. Das war nicht Priscylla, meine süße, kleine Priscylla, das war Lyssa, die Hexe, die noch immer in ihr schlummerte und die mich schon einmal hatte vernichten wollen.1

Aber wie war das möglich?! Howard hatte mir versichert, glaubhaft versichert, dass sie keinen Schaden mehr anrichten konnte, dass sich seine Freunde ihrer annehmen und sie isolieren würden. Und er hatte geschworen, dass ihr kein Leid zugefügt werden würde.

Aber das, was ich jetzt sah, sprach all seinen Beteuerungen Hohn.

»Priscylla!«

Diesmal schrie ich fast. Meine Hände, die auf den dünnen Latten des Rahmens gelegen und so fest zugedrückt hatten, dass das Holz knirschte, wollten sich in ihr Haar graben, aber irgendetwas hielt mich zurück.

»Robert.«

Es war kein gesprochenes Wort, keine Stimme; es war wie eine unsichtbare, unwiderstehliche Kraft, die durch die Luft peitschte, mir meinen Namen entgegenschleuderte, meinen Willen brach und mich zurücktaumeln ließ wie durch einen Faustschlag.

»Robert«, wiederholte die Kraft. Ich schlug die Hände vor die Ohren, keuchte und kämpfte mühsam gegen den Wahnsinn, der seine Finger nach mir ausstreckte.

»Robert! Hör mir zu!«

Ich taumelte, griff ziellos in die Luft und wäre fast gestürzt. Das Zimmer begann sich vor meinen Augen zu drehen und verschwamm; einzig den Spiegel und das schmale Mädchengesicht vermochte ich noch klar zu erkennen. Aber es begann sich zu verändern.

Priscyllas schönes, mädchenhafte Antlitz verzerrte sich zu einer Grimasse des Schreckens, und einen Moment lang fürchtete ich, dass es sich abermals in den grauenhaften Totenschädel verwandeln würde.

Aber dann fing sie sich; das Bild stabilisierte sich und gewann wieder an Festigkeit, und ihre Mundwinkel verzogen sich sogar zur Andeutung eines Lächelns. Eines kalten, eisigen Lächelns, das beinahe schlimmer war als der Anblick des Totenschädels zuvor.

»Robert«, flüsterte die Kraft, als habe sie gemerkt, dass ich dem Ansturm ihrer geballten Gewalt nicht mehr lange standhalten konnte. »Hilf mir. Er will mich holen. Hilf mir. Rette mich.«

Ich wollte antworten, aber meine Kehle fühlte sich ausgetrocknet und verkrampft an, ein einziger Klumpen aus Schmerz, der mir den Gehorsam verweigerte. Ich schluckte mühsam, räusperte mich, und versuchte es dann noch einmal. Diesmal ging es, wenn auch nur unter Schmerzen.

»Wo … wo bist du?« brachte ich hervor.

Priscyllas Mundwinkel zuckten. Sie musterte mich traurig, ein Mädchengesicht in einem Rahmen, der kein Fenster und kein Gemälde einrahmte, und ich wusste in diesem Augenblick nur, dass ich sie liebte, unbändig liebte, immer noch, obwohl ich sie schon vergessen geglaubt hatte.

Mir war egal, wer oder was sie war und was sie getan hatte. Ich spürte nichts als das starke Gefühl, das zwischen uns war und uns für immer aneinanderketten würde, die Flamme, die noch immer – und heißer denn je – in mir brannte.

»Andara …«, stieß Priscylla hervor, und diesmal spürte ich, dass wirklich sie es war, und dass sie die Kraft benutzte, um mit mir in Verbindung zu treten und nicht umgekehrt.

»Andara … hat mir eine Falle gestellt. Er kommt, mich zu holen.«

Sie schrie auf, und plötzlich schrie auch ich. Eine Woge eisiger Kälte drang auf mich ein und ließ mich abermals zurücktaumeln. Dann glaubte ich Flammen zu sehen, und ein unsichtbarer Blitz spaltete die Welt von einem Ende zum anderen.

Und dann war da nichts mehr als Schwärze.

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Show 1 footnote

  1. Siehe GK 575: Die Hexe von Salem

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